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Misshandlung von Flüchtlingen
"Innenministerium hat vollkommen versagt"

Es würde ihn nicht überraschen, wenn die bekannt gewordenen Fälle von Gewalt gegen Flüchtlinge nur die Spitze des Eisbergs seien, sagte Joachim Stamp, integrationspolitischer Sprecher der FDP im nordrhein-westfälischen Landtag, im DLF. Die Überbelegung der Heime sei seit Langem bekannt. "Das ist zivilisatorisches Versagen."

Joachim Stamp im Gespräch mit Sandra Schulz |
    Flüchtlinge halten sich in der Flüchtlingsunterkunft in Essen in ihrem Vielbettzimmer auf.
    Flüchtlinge in einer Unterkunft in Essen - auch dort sollen Menschen misshandelt worden sein. (picture alliance / dpa / Roland Weihrauch)
    Stamp betonte, Innenminister Ralf Jäger (SPD) sei längst in der Pflicht gewesen, für ausreichend Einrichtungen zu sorgen. Jetzt müsse es darum gehen, genug Plätze für Flüchtlinge zu schaffen. "In jedem Regierungsbezirk brauchen wir eine Erstaufnahmeeinrichtung." Derzeit finde gar kein geordnetes Verfahren mehr statt.
    Grundsätzlich hält der FDP-Politiker die Zusammenarbeit mit privaten Betreibern von Flüchtlingsheimen für notwendig. "Ich fürchte, wir werden ohne Private gar nicht auskommen können." Deshalb müsse es Standards geben, um Fälle wie in Burbach oder Essen, wo Sicherheitsdienste die Flüchtlinge misshandelt haben sollen, zu verhindern. Stamp forderte vertragliche Regelungen, um Ketten-Subunternehmen zu verhindern.

    Lesen Sie hier das Interview in voller Länge:
    Sandra Schulz: In den vergangenen Wochen haben wir immer wieder über die Flüchtlinge aus Syrien und dem Irak berichtet, über die Diskussion, welches Land in Europa wie viele Flüchtlinge aufnehmen kann. Denn dass die wachsenden Flüchtlingszahlen auch eine Überforderung sein können, das wussten wir. Wie drastisch die Probleme aber sind, welche bedrückenden Konsequenzen diese Überforderung haben kann, das wird erst jetzt richtig klar, nachdem am Wochenende die Bilder und ein kurzes Handy-Video aus einem Flüchtlingsheim in Nordrhein-Westfalen öffentlich wurden, die Misshandlungen der Flüchtlinge zeigen. Was sind die Lehren aus dem Skandal, wer ist verantwortlich?
    Im Gespräch ist nun FDP-Politiker Joachim Stamp. Er ist stellvertretender Fraktionsvorsitzender im nordrhein-westfälischen Landtag und jetzt am Telefon. Guten Tag.
    Joachim Stamp: Ja, guten Tag.
    Schulz: Nach den Erkenntnissen aus Burbach, Essen und Bad Berleburg - die Betreibung von Flüchtlingsheimen, ist die Aufgabe bei privaten Unternehmen gut aufgehoben?
    Stamp: Ich fürchte, wir werden ohne Private gar nicht auskommen können. Das können die Öffentlichen alleine gar nicht alles stemmen. Und ich denke, wir sollten da Standards schaffen, um solche Fälle für die Zukunft zu unterbinden. Das was da passiert ist, das ist so entsetzlich. Ich habe mir vergangene Woche in Dortmund-Hacheney die Erstaufnahme angeguckt und wenn Sie dort in die Gesichter von den Flüchtlingen sehen, in die Familien, teilweise traumatisiert mit Kindern, wenn die dann so behandelt werden, das ist zivilisatorisches Versagen.
    Schulz: Die Wachleute bekommen 8,62 Euro pro Stunde. In einer Stellenausschreibung für Burbach hieß es, "notwendige Bildungsvoraussetzungen: nicht relevant". Wir wissen, dass die FDP an den freien Markt glaubt, aber versagt der hier nicht?
    Stamp: Es geht einfach darum, dass man die Auswahl vernünftig trifft. In Dortmund-Hacheney ist es so, dass dort jeder, der dort arbeitet, ein erweitertes polizeiliches Führungszeugnis vorlegen muss, wo nicht nur schwere Delikte, sondern auch einfache Delikte vermerkt sind, und von daher kann man da auch eine vernünftige Auswahl treffen. Und was man auch vertraglich regeln muss ist, dass es nicht zu Ketten-Subunternehmen kommt, wie das ja hier offenbar an der einen oder anderen Stelle der Fall gewesen ist, und das kann man nicht hinnehmen. Das kann man aber vertraglich unterbinden.
    Stamp: Die Problematik hängt nicht an der Frage 'privat oder staatlich'
    Schulz: Aber wenn es wirtschaftlichen Druck gibt, den ein gewinnorientiertes Unternehmen zwangsläufig ja immer hat, kann man dann ausreichend kontrollieren, um solche Fälle immer im Einzelfall auszuschließen?
    Stamp: Mir sagen die Praktiker, dass das möglich ist. Ich glaube aber, dass wir weniger das Problem haben, ob das jetzt private oder staatliche Angestellte sind. Wenn Sie sich angucken: Wir hatten gerade die Tage die Auseinandersetzungen um das Polizeiseminar in Aachen, wo dort eine Polizeischülerin mit Migrationshintergrund von anderen Kollegen gemobbt worden ist. Das heißt, das findet hier auch durchaus in dem Rahmen statt, wo Teilnehmer unterwegs sind, die gerne Beamte werden wollen. Das heißt, das ist nicht nur eine Frage zwischen Privat und Staat, sondern es geht um die Frage, inwiefern wir Führungsverantwortung für die Einrichtung nehmen.
    Das, was in unseren Einrichtungen passiert - das ist ja auch gerade in Ihrem Beitrag deutlich geworden -, ist indiskutabel. Diese Überbelegungen sind ja seit Langem bekannt. Und wenn ich mir das in Dortmund angucke, dort hat der SPD-Oberbürgermeister Sierau schon im letzten November einen Hilferuf nach Düsseldorf gegeben an Herrn Jäger, und es ist nicht wirklich etwas passiert. Wir brauchen eine vernünftige Struktur von Erstaufnahmeeinrichtungen, wo die Asylbewerber ankommen, wo die Verfahren eingeleitet werden, die Registrierung stattfindet, wo sie dann in zentralen Einrichtungen, so wie das ursprünglich gesetzlich vorgesehen ist, drei Monate bleiben und anschließend in die Kommunen kommen und dort möglichst dezentral untergebracht werden.
    Schulz: Aber wenn Sie sagen, wir brauchen eine vernünftige Regelung, wie kann sich das dann in rechtliche Vorschriften fassen lassen?
    Stamp: Das ist ja eigentlich so vorgesehen von unserem Verfahren. Das Problem ist: Wenn Sie sich die Einrichtungen angucken, dort findet gar kein geregeltes Verfahren mehr statt, weil die Einrichtungen überlaufen. In Dortmund-Hacheney haben Sie 300 Plätze plus 50 weitere für Notsituationen. Teilweise ist aber eine Belegung von über 500. Die werden dann nur noch in Notunterkünften untergebracht, um denen überhaupt für die Nacht einen Platz zu geben, und dann werden sie in die zentralen Einrichtungen gebracht und dort soll dann das Asylverfahren stattfinden. Aber es findet schon gar keine vernünftige Erstregistrierung mehr statt, sodass ein geordnetes Verfahren gar nicht mehr möglich ist.
    Schulz: Heißt das denn, dass Sie mit weiteren Fällen rechnen, wie sie jetzt gemeldet wurden aus Burbach, Essen und Bad Berleburg?
    Stamp: Mich würde es nicht überraschend, wenn das nur die Spitze des Eisberges ist. Wir wollen jetzt auch nichts herbeireden, aber das sind dramatische Vorfälle, um die wir uns umfassend kümmern müssen, und der Innenminister ist hier in der Pflicht. Er wäre eigentlich längst in der Pflicht gewesen, - wir haben seit drei Jahren steigende Zahlen - für ausreichend Einrichtungen zu sorgen. In Bayern beispielsweise haben Sie in jedem Regierungsbezirk eine Erstaufnahmeeinrichtung. Das ist etwas, was ich auch für Nordrhein-Westfalen erwarte.
    Schulz: Ich würde das mit Ihnen gerne ein bisschen konkreter machen. European Homecare, haben wir gelernt, betreibt deutschlandweit 40 Flüchtlingsheime. Kann das Unternehmen denn weiterhin als zuverlässig gelten, was ja eine gesetzliche Vorschrift auch ist?
    Stamp: Das wird sicherlich die Überprüfung jetzt in den nächsten Tagen zeigen.
    Schulz: Wieso muss das erst überprüft werden?
    Stamp: Wie bitte?
    Schulz: Wieso muss das erst überprüft werden nach den Vorfällen?
    Stamp: Ja, weil offensichtlich hier in Nordrhein-Westfalen sich das Innenministerium nicht entsprechend gekümmert hat.
    "Wir brauchen in jedem Regierungsbezirk eine Erstaufnahmeeinrichtung"
    Schulz: Aber ich meine, wenn diese Vorfälle jetzt bekannt werden, was gibt es dann noch zu prüfen, wenn es diese schweren Misshandlungsfälle gegeben hat?
    Stamp: Wir müssen klären, wer im Einzelnen verantwortlich gewesen ist, und wir müssen, wie ich das eben ausgeführt habe, vor allem dafür sorgen, dass wir einfach eine vernünftige Grundstruktur an Einrichtungen haben, die dann vernünftig betrieben werden können. Wenn wir nur Einrichtungen haben, wo die ganze Zeit improvisiert wird, wo von der Hand in den Mund gelebt wird, dann wird es für solche Leute immer die Möglichkeit geben, andere zu drangsalieren und ihre abscheulichen Späße auf Kosten dieser Menschen zu machen. Das ist alles eine Frage auch, was ich für eine Struktur vorgebe, und hier hat das Innenministerium vollkommen versagt.
    Schulz: Welche Struktur schlagen Sie vor, und jetzt antworten Sie möglichst ohne das Wort "Vernünftig" zu verwenden, denn das ist gesetzlich, rechtlich so schwer umzusetzen?
    Stamp: Ja! Ich sage Ihnen das ganz konkret. Wir brauchen in jedem Regierungsbezirk eine Erstaufnahmeeinrichtung. Wir brauchen darüber hinaus eine hinreichende Anzahl an zentralen Einrichtungen. Das muss dann eben so geregelt sein, dass die nicht überlaufen. Dann muss entsprechende Infrastruktur vorgehalten werden. Das heißt übrigens jetzt in der Notfallsituation, dass wir Polizeikasernen öffnen könnten. Den Vorschlag gibt es, den hat Herr Jäger bisher abgelehnt. Dort gibt es aber die entsprechende Infrastruktur. Und das heißt, dass es auch ein vernünftiges Gesamtkonzept geben muss bis spätestens Ende Oktober, spätestens vielleicht Ende November, sodass wir auch mit den Kommunen gemeinsam auf die Situation vorbereitet sind, denn es geht ja weiter. Es werden ja die Flüchtlingszahlen nicht abebben. Natürlich ist es im Moment so, dass durch die Veränderung des Asylrechts bezüglich Mazedonien, Serbien und Bosnien-Herzegowina dort viele jetzt gerade noch vor Inkrafttreten des Gesetzes hier herkommen und es dadurch einen besonderen Schub gegeben hat. Aber nichts desto Trotz: Wenn wir uns die entsetzlichen Bilder aus Irak und Syrien angucken, wird es ja weiter steigen, und insofern müssen wir ausreichend Plätze haben. Und wenn Sie sagen, ausreichend oder vernünftig sei keine gesetzliche Vokabel, dann sage ich, es muss so umfassend sein, dass die Einrichtungen nicht dauerhaft überbelegt werden.
    Schulz: Joachim Stamp, stellvertretender Vorsitzender der FDP-Fraktion im Landtag in Düsseldorf und hier heute in den "Informationen am Mittag". Haben Sie herzlichen Dank.
    Stamp: Danke auch.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.