Die Deutsche Eisschnelllauf- und Shorttrackgemeinschaft (DESG) befindet sich seit einigen Jahren in einer finanziell und institutionell schwierigen Lage. Seit Juni vergangenen Jahres ist der Berliner Immobilienunternehmer Matthias Große Präsident des Verbands. Zunächst hatte der Lebensgefährte von Olympiasiegerin Claudia Pechstein das Amt kommissarisch übernommen, im September ist er dann auf dem Verbandstag bestätigt worden. Mitte Dezember erklärte er in einer Rede, gemeinsam mit seinem Team die finanzielle Lage des Verbands für die kommenden zwei Jahre gesichert zu haben.
Während die Finanzen also gesichert zu sein scheinen, sieht es auf der institutionellen Ebene anders aus. 13 Monate vor dem Start der Olympischen Winterspielen in Peking sind sowohl im Shorttrack als auch im Eisschnelllauf viele wichtige Strukturen noch nicht geklärt. "Es fehlen essentiell wichtige Stellen, die eine funktionierende Mannschaft und somit eine Vorbereitung auf wichtige Wettkämpfe wie die Olympischen Winterspiele ausmachen würden", sagte der ehemalige Eisschnellläufer und heutige Athletensprecher Moritz Geisreiter im Dlf-Sportgespräch. "Aktuell gesucht sind zum Beispiel Bundestrainerin oder Bundestrainer Eisschnelllauf, Bundesstützpunktleiter in einem Bundesland, Bundestrainer Sprint und Bundestrainer Nachwuchs. Das sind alles Stellen auf Seiten des Eisschnelllaufs, die aktuell nicht besetzt sind und da geht die Liste noch weiter. Insofern gibt es im Moment sehr wenig Struktur und sehr wenig Klarheit um die Struktur.
Im Shorttrack-Bereich sieht es ähnlich aus, wie Leon Kaufmann-Ludwig bestätigte. Kaufmann-Ludwig ist ehemaliger Shorttracker und Athletensprecher und war kurzzeitig Assistenz-Bundestrainer. Er sagte: "Ganz kurz vor dem neuen Jahr hat man auf den letzten Drücker noch einige Stellen klären können. Es haben dann doch noch ein paar Leute einen Vertrag bekommen, auch wenn nicht alle damit gerechnet hatten. Nichtsdestotrotz offenbaren die ganzen Schwierigkeiten in der Kommunikation diesbezüglich auch Schwierigkeiten im System momentan."
Die Sportler wünschten sich vor allem Transparenz, sagte Geisreiter. "Sie würden gerne wissen, wie die nächsten Monate verlaufen sollen. Natürlich kommt da Verständnis, dass man in einer Pandemie nicht die nächsten Monate durchplanen kann, aber der Verband könnte natürlich die Strukturen schaffen, was die eigenen Zuständigkeiten, Trainerrollen und Verantwortlichkeiten betrifft. Das ist ein wichtiges Anliegen, das von den Sportlerinnen und Sportlern seit einiger Zeit hörbar ist. Und das wirft natürlich riesengroße Fragen auf, die jetzt ganz präsent in die Planungen des nächsten Kalenderjahres und der noch laufenden Saison hineinragen."
Drei Rücktritte in den vergangenen Monaten
Dazu kommt, dass es in den vergangenen Monaten auch drei Rücktritte gab. Kaufmann-Ludwig ist als Assistenz-Bundestrainer Shorttrack zurückgetreten. Katrin Bunkus hat sich als Bundesstützpunktleiterin in Berlin zurückgezogen und Jenny Wolf hat ihren Posten als Bundestrainerin im Eisschnelllauf aufgegeben. "Das bedeutet konkret, dass die Athletinnen und Athleten seit dem 1. Januar nicht wissen, wer für sie zuständig ist", sagte Geisreiter. "Viele haben in den letzten Jahren einen sehr erfolgreichen Prozess durchlaufen und wollen das jetzt gerne weitermachen, können das jetzt aber nicht, weil der Trainer mehr oder weniger weggenommen wurde und bislang kein Ersatz klar kommuniziert wurde. Die stehen aktuell mit einem Riesen-Führungsfragezeichen da. Das betrifft das tägliche Training."
Kaufmann-Ludwig wollte nach seiner aktiven Karriere eigentlich noch länger im Sport bleiben und hatte sich deswegen auf die Stelle des Assistenz-Bundestrainers beworben. "Da hätten wir Ende August, Anfang September konstruktive Gespräche, die dann auch in einer Zusage gemündet haben. Ich habe dann Mitte September meine Stelle angetreten, obwohl ein paar Details noch nicht geklärt waren: Ich hatte noch keinen Vertrag und die Bezahlungsumstände waren auch noch nicht ganz geklärt, weil ich noch bis Ende des Jahres bei der Bundeswehr angestellt war", erzählte er. Geplant war deshalb, die Assistenz-Trainer Stelle als Nebentätigkeit auszuüben, um dann ab dem 1. Januar in eine Vollzeit-Stelle zu wechseln.
"Man hatte mir zu dem Zeitpunkt Zusagen gemacht, dass ich die Stelle erhalte. Die Stelle war als vergütet ausgeschrieben, so wie jede andere Stelle auch. Und dann ging es los, dass es ein bisschen schwierig wurde in der Kommunikation. Man hat mir immer wieder Zusicherungen gemacht, mich dann aber immer wieder vertröstet, weil Details noch nicht geklärt seien, die sie dann mit der Bundeswehr absprechen müssten. Als ich dann nach mehreren Wochen, in denen ich nichts gehört hatte, das Heft selbst in die Hand genommen hab und mit meinem Zuständigen bei der Bundeswehr telefoniert hab und in einem knapp zehnminütigen Gespräch alles klären konnte, was anscheinend so schwierig war zu klären. Ich habe dann im November eine Mail ans Präsidium geschickt mit der dringenden Bitte, das zu klären, weil es auch um versicherungstechnische Dinge ging. Da habe ich dann keine Rückmeldung bekommen und dachte: Da stimmt etwas nicht. Da hatte ich auch das erste Mal das Gefühl, dass da Vorsatz dahinter stecken könnte und habe beschlossen, dass die Zusammenarbeit für mich jetzt beendet ist."
In seiner Bilanz-Rede Mitte Dezember warf DESG-Präsident Große Kaufmann-Ludwig vor, die Unwahrheit zu sagen. Kaufmann-Ludwig sei "schockiert gewesen", sagte er. Auch Geisreiter sprach Große in seiner Rede direkt an und sagte, Geisreiter würde das Gerücht verbreiten, die Athleten könnten nicht frei sprechen. "Es ist abwegig, dass ich mich als Einzelperson dort hinstelle und aus freier Fantasie behaupten würde, dass die Athleten sich gehindert fühlen, eine kritische Meinung einzubringen im Verband. Davon würde ich nicht profitieren und das ist das Gegenteil von dem, wie ich meine Aufgabe als Athletensprecher wahrnehme. Ich möchte gemeinsam mit Anna Seidel derjenige sein, der vorne steht und die Meinung der Athletinnen und Athleten hinausträgt, wenn die das selbst nicht können, weil sie lieber anonym bleiben möchten, weil sie Repressalien vom Verband befürchten. Das ist eine ganz wichtige Funktion des Athletensprechers, dass er sich schützend vor die Sportlerinnen und Sportler stellt."
Es gebe eine "bedenklich große Anzahl" an Sportlerinnen und Sportlern, die Geisreiter bei einem gemeinsamen Gespräch deutlich gemacht hätten, dass es "sehr wohl die Sorge davor gibt, sich frei zu äußern und die Missstände im Verband anzusprechen." Eine anonyme Umfrage habe ergeben, dass viele Sportlerinnen und Sportler eine schlechtere Position im Verband befürchteten, wenn sie Missstände ansprechen würden. Und auch der Medienrummel würde viele abschrecken, so Geisreiter. "Genau das unterstreicht die Wichtigkeit eines Athletensprechers. Und ich kann damit sehr gut leben, wenn Matthias Große mir vorwirft, ich sei der Einzige, der noch kritisiert oder etwas behauptet. Es ist von den Athletenmeinungen untermauert. Es ist wirklich so, dass die Sportlerinnen und Sportler das Gefühl haben, nicht uneingeschränkt frei sprechen zu können."
"Dieses Gefühl, sich nicht zu trauen, ist neu"
Zwar sei das Thema Kommunikation im Verband schon immer ein großes Problem gewesen. "Aber was jetzt neu ist, ist dieses Gefühl bei einigen Athletinnen und Athleten, sich nicht zu trauen, etwas laut zu sagen. Das habe ich in meiner aktiven Zeit bis zum Amtswechsel auf Matthias Große nicht erlebt, dass so eine große Strenge und so ein großer Druck von oben spürbar wird. Gerade dieses Gefühl, dass ein kritisches Mitgestalten im Verband nicht erwünscht ist, ist mir neu", so Geisreiter.
Große kündigte bei seinem Amtsantritt an, dass er kompromisslos aufräumen werden und warf seinen Vorgängern vor, dass die DESG geprägt gewesen sei von Vetternwirtschaft, Misswirtschaft und Uncontrolling. "Es gab viel zu verbessern in der DESG. Es war ein kapitaler Missstand zu beobachten", sagte Geisreiter. "Leider hat Große in letzter Zeit auch diejenigen vom Tisch gefegt, die schon vor seiner Präsidentschaft als die modernen, frischen und jungen Köpfe galten. Es gab junge Trainer und Betreuer, die wirklich modern arbeiten und auch die sind nun vom Tisch gefegt. Es war kein Aussortieren von alten, sondern ein Aussortieren von kritischen Köpfen."
Geisreiter möchte Athletensprecher bleiben
Kaufmann-Ludwig bezeichnet seinen Rückzug als "kompletten Rückzug", sagt aber: "Ich stehe gerne weiter als Ansprechpartner zur Verfügung, wenn jemand mit mir sprechen will, möchte mich aber nicht aufdrängen. Ich hab da schon innerlich den Antrieb, dem Sport helfen zu wollen." Geisreiter möchte weiter Athletensprecher bleiben: "Ich sehe meine Aufgabe darin, den Draht herzustellen zu den Sportlerinnen und Sportlern und wahrzunehmen, was sie umtreibt und was ihnen nicht passt. Das, was sie selbst nicht äußern können, möchte ich nach oben und hinaus zu tragen und idealerweise in eine Diskussion auf Augenhöhe zu bringen. Leider ist mir in den vergangenen Monaten eher die Rolle als Kritiker zugefallen, weil es da eben auch so viel gibt. Insgesamt ist die Rolle, die ich für mich sehe, eine konstruktive, zusammen mit den Sportlerinnen und Sportlern und auch mit einem Verband, der ein offenes Ohr für die Anliegen der Sportlerinnen und Sportler hat. Diese Rolle werde ich weiterhin versuchen, so gut es geht gerecht zu werden."