Marietta Schwarz: Auch Donald Trump hat sich während seines Wahlkampfes hübsch eingereiht in die Liste jener Politiker, die gerne mal nach populären Popsongs greifen, um das Wahlvolk für sich zu gewinnen: Da erklangen dann Neil Youngs "Rockin’ in the Free World" und auch R.E.M. – "It’s the end of the world we know". Sowas ist wie gesagt nicht ungewöhnlich, Angela Merkel hat das ja auch gemacht und die Bundes-SPD. Aber viele betroffene Bands finden das überhaupt nicht lustig, auch, weil sie die Botschaft ihrer Songs missverstanden bzw. sich selbst in den falschen politischen Kontext gerückt sehen. Warum funktioniert das trotzdem? Der Musikkritiker Michael Behrendt hat dieses Phänomen in seinem neuen Buch "I don’t like Mondays. Die 66 größten Songmissverständnisse" genauer untersucht. Guten Tag, Herr Behrendt!
Michael Behrendt: Guten Tag Frau Schwarz.
Schwarz: "66 Songmissverständnisse" – ein Buch über Missverständnisse beim Gebrauch und der Bedeutung von Popmusik. Erfasst es das ungefähr, was Sie bei der Recherche umgetrieben hat?
Behrendt: Ja, das kann man so sagen. Es geht natürlich nicht nur um diese politischen Geschichten, dass also Songs vereinnahmt werden. Sondern es geht auch darum, dass man einfach Sachen aus dem Zusammenhang greift und sich eine völlig eigene Bedeutung zurechtbiegt, die vielleicht mit der Gesamtaussage gar nichts zu tun hat. Und da gibt es schon verschiedene Arten von Songmissverständnissen und die habe ich mal beleuchtet.
"Ignoranz und Missverständnis liegt zum Teil nicht weit auseinander"
Schwarz: Wir werden auf die verschiedenen Arten noch zu sprechen kommen, aber ich würde trotzdem nochmal kurz bei der Politik bleiben. Ist es jetzt ein Missverständnis, dass zum Beispiel die CDU "Angie" eingesetzt hat von den Rolling Stones und die NPD "Gekommen um zu bleiben" war es glaube ich von Wir sind Helden. Ist das ein Missverständnis oder ist es vielleicht auch einfach Ignoranz?
Behrendt: Ja gut, ich würde sagen Ignoranz und Missverständnis, das liegt zum Teil nicht so weit auseinander. Es ist natürlich völlig abwegig eine aufstrebende Kanzlerkandidatin mit einem der traurigsten Songs der Rockgeschichte zu bewerben. Und das, meine ich, ist eigentlich kontraproduktiv. Es hat trotzdem irgendwie funktioniert.
Schwarz: Das kann keine Absicht sein, meinen Sie?
Behrendt: Das kann keine Absicht sein, also ich denke, die haben einfach nur auf diesen Namen Angie gehört und dachten, das ist atmosphärisch, stimmungsvoll. Das nehmen wir mal. Wenn man genau hinhört ist das ein Trennungslied, also die beiden, um die es da geht, sind kurz vor dem Ende - auch wirtschaftlich. Also das passt so überhaupt nicht. Und natürlich ist es auch immer interessant wenn gerade Bands sagen wir mal von Politikern vereinnahmt werden, die eigentlich aus dem entgegengesetzten Lager kommen. Das war also bei Wir sind Helden und "Gekommen um zu bleiben". Das wurde dann ausgerechnet von einer rechten Partei als Wahlkampfsong benutzt und lustigerweise gibt es eine Textzeile in der es heißt: "Wir sind gekommen, um zu bleiben, wie ein Fleck in der Hose gehen wir nicht mehr weg." Und das ist ja eigentlich auch nicht gerade schmeichelhaft. Und das die Partei das trotzdem spielt, ja...
Schwarz: Aber es funktioniert ja am Ende.
Behrendt: Ja, es funktioniert, weil die Leute sich auf die einzelnen Verse, auf eine Refrain-Zeile, irgendeinen Strophenteil beziehen. Und dann einfach so drauf anspringen, dass sie den Rest gar nicht mehr hören oder auch nicht mehr hören wollen.
Schwarz: Vor allem für politische Parteien - habe ich das Gefühl - kann es ja fast nur gut sein, wenn sie im Gespräch bleiben. Egal ob das auch sozusagen zum Makel wird für sie, diese falsch eingesetzte Musik. Heute könnte man ja fast sagen: Hauptsache, man spricht darüber – oder?
"Euphorie der Menge auch für die eigene Partei gewinnen"
Behrendt: Naja, das könnte man sagen. Das ist dieses "any promotion is good promotion". Ich bin da nicht so ganz von überzeugt. Ich finde, dass ja auch eine politische Partei eine Verantwortung hat und saubere Sachen machen sollte. Das heißt, man fragt auch einen Song vorher an, was oft nicht passiert. Und die Künstler sind dann völlig baff, dass das Ding einfach benutzt wurde. Dann gibt's einstweilige Verfügungen, weil die Künstler nicht einverstanden sind und ich finde, das kann eigentlich nicht für eine Partei sprechen.
Schwarz: Sind es eigentlich immer Smash-Hits, die politisch vereinnahmt werden. So all time favourites? Weil sie besonders eingängig sind?
Behrendt: Ja. Es sind eigentlich immer diese mit den ganz prägnanten Songzeilen, die irgendwie vielleicht was auch mit der Politik zu tun haben könnte oder die man umdeuten könnte. "An Tagen wie diesen" von den Toten Hosen war ja auch ein Super-Hit hier in Deutschland. Der wurde auch eben von der CDU genommen, als Song für den Sieg. Es sind die großen Hits, und mam erhofft sich glaube ich einfach so ein bisschen was von der Euphorie der Menge auch für die eigene Partei gewinnen zu können.
Schwarz: Herr Behrend, Sie haben es ja eingangs schon erwähnt, dass Sie verschiedene Arten untersucht haben. Verschiedene Typologien von Missverständnissen in der Popmusik - auch jenseits der Politik. Was ist es denn noch? Wo kommt es denn noch vor?
Der Klassiker unter den missverstandenen Songs ist "No Woman No Cry"
Behrendt: Also es fängt ganz einfach an. Wenn man zum Beispiel die Sprache oder den Dialekt nicht versteht, also ich kann kein Kölsch und wenn ich BAP gehört habe "Verdamp lang her" - da dachte ich es geht um: "Hey, lass uns die alten Zeiten feiern". Den Rest habe ich gar nicht verstanden. Es geht aber in dem Lied eigentlich um ein Gespräch, das Wolfgang Niedecken nochmal gerne mit seinem Vater geführt hätte, bevor der verstorben ist. Also ein ganz anderer Inhalt, aber es ist ein Partysong geworden. Vielleicht auch, weil die Leute kein Kölsch können. Das nächste ist, dass man einfach was verhört. Da diese berühmten Verhörer. Einer sagt "Houston" und ich verstehe "Husten".
Schwarz: Das gelangt dann ja meistens nicht in die Öffentlichkeit. Es geht nicht viral sowas.
Behrendt: Doch, doch. Sie könnten im Grunde mal eingeben in die Suchmaschine: Songs und Verhörer. Und das ist mitlerweile fast schon eine eigene Spaßkultur geworden, also wo auch bewusst verhört wird. Wo also wirklich Songs dann verballhornt werden. Und natürlich habe ich auch schon oft irgendwelche Sachen verstanden, auch in deutschen Songs, und war dann erstaunt, was die da eigentlich singt. Aber in dem ganzen Hall und der Soundproduktion hat man es nicht verstanden. Dann gibt es natürlich den Fall, dass man vielleicht einen Code nicht versteht oder einen Kontext.
Also wenn jetzt "No Woman No Cry" gesungen wird, da dachte ich früher selber mal: "Das ist doch nicht am Ende frauenfeindlich". Aber es ist Jamaikakreolisch und heißt eben nicht: "Keine Frauen, kein Geschrei", sondern es heißt: "Nein, gute Frau, weine nicht". Das ist eigentlich ein tröstender Song - und wenn man aber dieses kreolisch nicht versteht, dann kommt der Song halt völlig in den falschen Hals. Das selbe ist auch - sagen wir mal - bei Drogensongs der Fall. Da wird eine Mary Jane besungen. Man denkt das ist ein Liebeslied, dabei ist es eine Ode an Marihuana. Mari-Huana, Mary Jane - das ist der Code. Und wenn man den nicht kennt, kriegt man einiges nicht mit.
"Das hat überhaupt nichts mit der neuen Biedermeier-Generation zu tun"
Schwarz: Sie haben noch ein weiteres Beispiel aufgeführt, wo die Wissenschaft oder zumindest die vermeintlich wissenschaftliche Studie eine Fehlinterpretation leistet, nämlich bei Peter Fox' Lied "Haus am See", das dann Ihrer Meinung nach fälschlicherweise in so eine Art Hymne der Biedermeier-Generation eingefügt wird. Darüber kann man aber streiten oder?
Behrendt: Da kann man immer drüber streiten. Ich habe natürlich meine Sicht mal dargelegt. Das war das Kölner Rheingold-Institut, das eine Jugendstudie oder Junge-Erwachsenen-Studie gemacht hat vor ein paar Jahren. Und da ging es darum, dass man zeigen wollte, im Zuge der Globalisierung gibt es sehr viele junge Leute, die eigentlich von der Karriere träumen. Von einer sehr straighten, die sich politisch nicht interessieren. Und die eigentlich nichts sehnlicher wollen als ein Haus, zwei Kinder, Auto und möglichst noch am See gelegen das Ganze. Und da kam ihnen dieser Song wie gerufen und haben gesagt: Das ist im Grunde der Soundtrack dazu. Das ist die Hymne. Und ich finde es schon sehr klar, dass das überhaupt nicht passt, denn in dem Song spricht eben kein - sagen wir mal - aufstrebender Karrierist, sondern da spricht einer, der aus seiner Stadt nie rausgekommen ist.
Eigentlich - ich hab's mal als Loser beschrieben - ein Loser, der eine Ausstiegsfantasie hat. Er träumt von Abenteuern, er möchte von Frauen im Sportwagen abgeholt werden, er möchte irgendwo mit Taschen voll Gold zurückkommen, er möchte Schnapspartys feiern, er möchte mit seinen hundert Enkeln am Strand spielen und Orangenbäumen, die es ja zum Beispiel in Deutschland gar nicht so häufig gibt. Ich denke: Das passt sowas von überhaupt nicht zu einem Karrieristen-Paar, das sich eine kleine Familie und die Idylle am See wünscht. Dazu kann man sich noch das Video geben, und da ist die letzte Szene wie ein sehr abgerobbter älterer Mann mit einer Angel am Teich sitzt und im Hintergrund steht ein Bretterverschlag. Das heißt, dieser Mann ist nie rausgekommen. Er wird seinen Lebenstraum nie erfüllt haben. Und das hat überhaupt nichts mit der neuen Biedermeier-Generation zu tun.
Schwarz: Welche Lehre ziehen wir daraus? Also müssen wir genauer zuhören? Oder vielleicht einfach mal - wenn wir uns unsicher sind - unseren Mund halten? Und nicht deuten, wenn noch gar nicht klar ist in welche Richtung es geht - oder was ist ihre Botschaft?
"Musik soll Spaß machen"
Behrendt: Naja, also ich finde es ist ganz normal, dass man oberflächlich hört. Mein Gott, man kann ja nicht den ganzen Tag überall hinhören und sich Gedanken machen - sonst wird man verrückt. Nein, das einzige was ich sagen würde: Wenn man mit einer Deutung rausgeht, in einem Blog, in einem Posting auf Facebook oder auch in der Presse oder im Rundfunk, dann sollte man schon wissen wovon der Song handelt, ehe man dann irgendwas Falsches verbreitet. Ansonsten finde ich soll jeder hören wie er meint. Musik soll Spaß machen. Aber eben wenn man rausgeht damit, wenn man es öffentlich macht, dann muss man eben aufpassen, dass man da einigermaßen auf der richtigen Seite ist.
Schwarz: Es wird ja viel öffentlich gemacht. Heute mehr denn je.
Behrendt: Ja, ich muss auch sagen, dass ich - sagen wir mal - das anfangs einfach so als nette Geschichte gesehen habe und das Buch war vor gut eineinhalb Jahren so gut wie fertig. Da war Donald Trump noch im Wahlkampf - keiner hat gedacht, dass der je gewinnen wird. Heute haben wir plötzlich ein Jahr später postfaktisches Zeitalter, alternative Fakten. Wir reden von Blasen, wo jeder sich seine eigene Wirklichkeit erschafft. Naja und auf eine ganz seltsame Weise hat das Buch dann eigentlich eine gewisse Aktualität bekommen, weil das ja ein großes Thema ist. Was ist wahr? Was hören wir? Was verstehen wir? Was wollen wir verstehen? Was wollen wir auch nicht verstehen? Also, es ist eigentlich auch ganz schön, sich auch mal wieder mit ein paar Dingen auseinander zusetzen. Und vielleicht auch beim ein oder anderen Song, den man schätzt, auch mal nachzuhaken, was der denn eigentlich auch wirklich bedeutet.
Schwarz: Michael Behrendt, Popkritiker und Autor über "I don't like Mondays - die 66 größten Songmissverständnisse. Sein Buch erscheint im Theiss Verlag. Und ich bedanke mich bei Ihnen ganz herzlich für das Gespräch Herr Behrendt.
Behrendt: Ich danke Ihnen, Frau Schwarz.
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