"Ach ja, der Erfolg. Der Erfolg."
"Mistaken for Strangers", also, nicht der Film, sondern - da muss jetzt einiges erklärt werden - also: Erst mal ist "Mistaken for Strangers" der zweite Song vom National-Album "Boxer". 2007. Dann muss gesagt werden, dass The National, diese Fünfer-Band, besteht aus zwei Brüderpaaren, Aaron und Bryce Dessner sowie Scott und Bryan Devendorf. Und der Fünfte, die Nummer eins, der Sänger, meist im schwarzen Anzug oder ebensolcher Weste vorne, Frontmann. Und so herrlich von der Düsternis singend. Matt Berninger also. Aber auch Matt hat - ja, wir kommen zum Film - einen Bruder:
"Ich habe einen Bruder. Er ist neun Jahre jünger als ich und lebt in Cincinnati."
- "Was hält dein Bruder von der Band?"
"Ich glaube", meint der National-Sänger. "Er hält nicht so viel davon. Steht mehr auf Heavy Metal. Ich glaube, er hält Indie-Rock für prätentiöse Scheiße."
- "Also, so etwas in etwa?"
Tom Berninger ist nun das genaue Gegenteil des erfolgreichen Bruders. Er ist moppelig, hat bisher zwei obskure Splatter-Amoklauf-Filme - Kurzfilme - gemacht, und lebt wieder bei seinen Eltern. Damit dieser Hänger-Bruder wieder auf die Füße kommt, heuert ihn nun Bruder Matt auf der National-Welttournee als Roadie an. Toll, meint Tom, da nehme ich meine Kamera mit und mache eine Musikdokumentation. Und dieser Film, den Tom gedreht hat, das ist "Mistaken for Strangers".
200 Stunden Material und kein Plan
Was wiederum auch nicht ganz stimmt, denn Sänger Matt hat wahrscheinlich vergessen, dem National-Tour-Manager zu sagen, dass Roadie-Bruder Tom alles filmen will. Und Tom wird als Roadie zur Zumutung. Bruder-Gespräche:
"Brandon hat mich angeschrien. Ich glaube, er denkt, ich sei nur deswegen dabei, weil ich dein Bruder bin."
- "Die Wahrheit ist", meint der große Bruder zum kleinen, dicken: "Das ist der einzige Grund, warum du hier bist. Schluck!"
Lange Rede: Tom fliegt. Wahrscheinlich zu Recht. Hat aber inzwischen 200 Stunden Film-, Backstage-, Konzertaufnahmen, wenn der große Bruder vor 5000 Leuten alles gibt.
Gute Nachricht, alles im Kasten. Nur, Tom kriegt´s nicht montiert. Was bei ihm, offen gestanden, keine Überraschung ist. Bruder Matt lädt ihn nun nach der Tour zu sich in sein Haus ein, damit der Film nun doch irgendwie entsteht. Tom kriegt es aber nun wiederum nicht hin, was er nun auch mit der Kamera aufnimmt. Dann hilft Matts Frau Carin dem Schwager, was wieder zu skurrilen Szenen führt, wenn der chaotische Bruder dem ordentlichen Indie-Rock-Sänger in dessen ordentlichem Haus eine Wand voller Zettel vorführt und um ein Feedback über seinen Film bittet.
"Sind die Zettel denn geordnet", fragt die Schwägerin. Nein, sie sind es nicht.
"Das klingt cool", wirft mit Engelsgeduld der große Bruder ein. "Ich kann dir allerdings kein Feedback auf deinen Film geben, wenn ich nur diese Zettel als Grundlage habe." Was man ja auch irgendwie verstehen kann.
Schrägste, unterhaltsamsten, kantigsten Musikdokumentation
Aber, jetzt kommt das Wunder: Irgendwann, Schwägerin Carin sei Dank, so die Film- wie Familienlegende, irgendwann ist alles Material zu einer Länge von 75 Minuten zu "Mistaken for Strangers" montiert. Und entstanden ist wohl eine der schrägsten wie unterhaltsamsten, kantigsten und sperrigsten Musikdokumentationen, die man sich so vorstellen kann. Mit der absurden Pointe, dass wir die meiste Zeit Tom, also nicht die Stars von The National, sondern diesen selbstverliebten, larmoyanten, Loser-Filmemacher-Bruder im Bild sehen. Also, "Mistaken for Strangers" wird in die Filmgeschichte eingehen als die Doku, die mehr den Macher zeigt als die, die der Macher vorgeblich ja filmen wollte. Was das Eine wäre.
Gleichzeitig erzählt "Mistaken for Strangers" tatsächlich von einer erfolgreichen Band, ihrer ziemlich magischen Musik und einem charismatischen Sänger, der ein wundervoller Bruder ist, und sich - nach der Tournee, zu Hause - als ein ziemlicher Spießer erweist. Matt Berninger ist am Ende von "Mistaken for Strangers" schon ein bisschen, nun, destruiert als Indie-Rock-Held.
Mit Absicht? Tja! Mit Fug und Recht kann man sich natürlich am Ende dieses wunderbaren, manchmal saukomischen Films auch fragen: Was haben wir denn da eigentlich gesehen? Ein inszeniertes Produkt, das sich dokumentarisch gibt? Ein sorgfältig konstruiertes Bild über den Ruhm, den Erfolg, die Starmaschinen? Und zwar dadurch so spannend, dass genau vom Gegenteil erzählt wird? Oder ist dieser Film ein genialer auf 75 Minuten gedehnter, mit Bildern versehener National-Song? Etwa über ein "Fake Empire". F wie Fälschung. Passt ja wie die Faust aufs Auge zum Kino?
Fragen über Fragen. Aber die Antwort? Ja? Die, die sie beantworten könnten, werden gepflegt die Klappe halten. Mehr können wir ja auch gar nicht wollen!