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Mit 100-Lat-Jobs durch die Krise

Lettlands Boom begann mit dem Beitritt zur Europäischen Union und endete mit der internationalen Finanzkrise. Firmen gingen bankrott, Ladenlokale stehen leer, Hunderttausende wurden arbeitslos.

Von Birgit Johannsmeier | 12.08.2010
    Um die drastischen Sparmaßnahmen abzufedern, führte der lettische Ministerpräsident Valdis Dombrowskis mit Unterstützung der Weltbank im vergangenen Herbst die 100-Lat-Jobs ein.

    Früh am Morgen, bevor die Sonne mit voller Kraft auf die Gärten brennt,
    schleift Zigmunds Minikovskis die Sense. Kühle und taunasse Wiesen ließen sich am besten mähen, sagt der 55-jährige, dessen Lächeln einige Zahnlücken entblößt. Sechs Monate darf Zigmunds Minikovskis als Hausmeister in einem Wohnheim für alte und sozialschwache Menschen arbeiten. Am Stadtrand der lettischen Kleinstadt Ogre. Den Garten pflegen, Sitzbänke streichen oder Lampen reparieren: Nach zwei Jahren Nichtstun ist der Arbeitslose froh, endlich wieder gebraucht zu werden. Auch wenn es dafür nur 100 Lat gibt, das sind umgerechnet 150 Euro im Monat. Auf dem Bau habe er früher zwar viel mehr verdient, sagt Zigmunds Minikovskis, er sei trotzdem zufrieden:

    "Vor zwei Jahren wollte plötzlich niemand mehr bauen. Einer nach dem anderen wurde bei uns entlassen, dann musste der Betrieb Konkurs anmelden. Sechs Monate lang bekam ich Arbeitslosengeld, danach musste ich mithilfe meiner Eltern durchkommen. Aber deren Rente ist auch sehr klein. Für mich kommt der 100-Lat-Job wie gerufen."

    Schicke Hochhäuser und schmucke Wohnsiedlungen zeugen überall im Land vom einstigen Bauboom. Der begann mit Lettlands Beitritt zur Europäischen Union vor nunmehr sechs Jahren und endete mit der internationalen Finanzkrise. Firmen gingen bankrott, Ladenlokale stehen leer, Hunderttausende wurden arbeitslos. Um eine Staatspleite zu verhindern, erhielt Lettland einen Milliardenkredit von der Europäischen Union und dem Internationalen Währungsfonds. Mit der Auflage allerdings kräftig zu sparen: Gehälter kürzen und Stellen abbauen.

    Stellenabbau aber birgt auch immer das Risiko sozialer Unruhen in sich. Die ersten Randalen gab es bereits. Um die Folgen des Sparens abzufedern, führte der lettische Ministerpräsident Valdis Dombrowskis deshalb mit Unterstützung der Weltbank im vergangenen Herbst die 100-Lat-Jobs ein:

    "Wir hatten Angst vor unkontrollierbaren Aktionen. Deshalb wollten wir gerade die Ärmsten sicher durch die Krise bringen. Bis heute haben mehr als 50.000 Leute Hilfe bekommen und was zuerst nur wie ein soziales Programm aussah, wurde ein sozialwirtschaftliches Programm. Weil 10.000 Leute darüber einen permanenten Job gefunden haben."

    Trotzdem ist noch immer jeder sechste Lette ohne Arbeit. Viele können sich nicht mal ein Mittagessen leisten und stehen Tag für Tag bei einer der vielen Suppenküchen an, die sich heute um die Armen in Lettland kümmern.

    Zigmunds Minikovskis ist froh, dass er dort nicht anstehen muss. Der Hausmeister auf Zeit lebt bei seinen pensionierten Eltern, spart die Miete und kann sich von seinem Gehalt sogar mal einen Einkauf auf den Markt erlauben:

    "Ich zahle fürs Fernsehen, Gas und Strom und heute ist sogar eine große Tomate drin. Aber Sie sehen ja selbst, neue Schuhe oder Kleider kann ich mir nicht erlauben."

    Betreut wird Zigmund Minikovskis von Maja Rudzite. Sie ist Vermittlerin beim Arbeitsamt von Ogre und froh über jeden neuen 100-Lat-Job, den es für die Kleinstadt gibt. Zigmund sei der 20. Arbeitslose, der auf Staatskosten der Gemeinde dient, gerne nähme Ogre mehr:

    "Mit diesem Programm können wir nicht nur die Leute von der Straße holen, sondern auch längst überfällige Reparaturarbeiten in der Gemeinde erledigen. Ohne die 100-Lat-Jobs wäre heute nicht eine Wiese in unserer Stadt gemäht."
    Zigmund Minikovskis hofft, dass er nach Ablauf der sechs Monate weiter als Hausmeister in dem Wohnheim arbeiten kann. Auf dem Gelände stünden so viele Laubbäume, meint er, da könne er im Herbst die Blätter zusammenharken.