"Vielleicht will ich auch nicht andauernd begrüßt werden. Ich will auch nicht, dass man mir ständig gratuliert. Ich will auch nichts gewonnen haben. Ich will auch keinen Vorsprung haben. Ich möchte nicht, dass man mir meine Vorteile aufzählt. Ich will auch nicht mit Gelegenheiten in Verlegenheit gebracht werden. Ich will auch nicht meine Ruhe haben. Ich will in Ruhe gelassen werden."
Er will in Ruhe gelassen werden, aber er will nicht seine Ruhe haben. Da ist er wieder, Schorsch Kamerun, Sänger der Goldenen Zitronen, genervt von der Welt, also nervt er zurück. Mit "Scheinwerfer und Lautsprecher" beginnt das neue Album der Goldenen Zitronen, und sie kultivieren mal wieder bewusst ihr Genervtsein, schließlich sind sie damit nicht allein. Meint Ted Gaier, Mitbegründer der Hamburger Band.
"Der Text spricht ja für viele Leute, es gibt ja viele Leute, die sich darin wiederfinden, die keine Lust haben, von gut gelaunten Menschen angerufen zu werden, die einem irgendwas aufquatschen. Oder ein Radio anzuschalten, wo immer nur gute Laune ist und das Wetter, wenn´s regnet, wird gesagt, morgen ist wieder Sonne, anstatt zu sagen, es regnet halt."
Auch die Diktatur der guten Laune nervt. Im öffentlichen Sprechen wie im öffentlichen Raum. Der öffentliche Raum und die gesellschaftlichen Kämpfe um diesen Raum – das ist ein zentrales Thema des neuen Albums. Es geht um Plätze, um Städte, um Einkaufszentren und Wohnhäuser und darum, wer diese Orte nutzen darf. Orte zum Beispiel in St. Pauli, wo Ted Gaier lebt.
"Echohäuser" heißt dieser moderne Agitprop-Song, oder ist es Agit-Pop? "Echohäuser" ist das liedgewordene Echo auf den geplanten Abriss der sogenannten Essohäuser an der Reeperbahn. Damit ergreifen Ted Gaier und die Goldenen Zitronen Partei für die Bewegung Recht auf Stadt. In vielen deutschen Städten wehren sich Initiativen gegen die Spirale der Gentrifizierung: also gegen die kommerzielle Aufwertung von Wohnraum und die daraus folgende Vertreibung alteingesessener Bewohner.
"Ich bin in der Initiative für die Essohäuser, ein großer Gebäudekomplex an der Reeperbahn, mit der sogenannten Kult-Tanke, die bekannteste Tankstelle Europas wahrscheinlich, wo alles abgerissen werden soll. Der Klub Molotov gehört auch dazu, also diverse Klubs, die Tankstelle und 107 Wohneinheiten, was eine weitere Veränderung im Stadtteil bedeuten würde in Richtung Disneyisiserung von St. Pauli."
Auf das Lied gegen die Disneyisiserung von St. Pauli folgt ein weiterer Song, in dem es um Selbstbehauptung geht. Das ist mein Platz!
"'Ma Place' kommt woanders her, aus dem Theaterkontext."
Das Theater ist mittlerweile die zweite wichtige Bühne der Goldenen Zitronen. Schorsch Kamerun ist ein gefragter Regisseur, Ted Gaier arbeitet mit der Theatergruppe Gintersdorfer / Klaßen zusammen an dem Projekt Couper Decaler, mit Musikern aus der Elfenbeinküste.
"Bei 'Ma Place' geht es darum, was in Afrika wichtig ist auch bei der Gruppe Couper Decaler: die Selbstbehauptung. Es hat etwas Darwinistisches, die Disco ist in dem Fall das Symbol für den Platz in der Gesellschaft. Man guckt, wenn man in die Disco kommt, nach dem Platz vor dem Spiegel, das ist der Premiumplatz, da sehen dich alle, das kennen wir aus dem Hip-Hop."
Vom Premiumplatz vor dem Spiegel einer ivorischen Diskothek geht die Reise weiter zu einer Techno-Kirmes im Ruhrgebiet. Wieder ein Kampf um Raum, hier mit tödlichem Ausgang.
24. Juli 2010, Loveparade in Duisburg, 21 Tote, 541 Verletzte.
"Dass das ein hämischer Abgesang auf Techno sein soll, stimmt überhaupt nicht, Techno gibt´s natürlich immer."
Wie die Disco in der Elfenbeinküste und die Essohäuser an der Reeperbahn ist auch das Duisburg der Loveparade ein umkämpfter Ort. Ein Ort, an dem unterschiedliche gesellschaftliche und ökonomische Interessen aufeinanderprallen.
"Welche Bündnisse entstehen da mit diesem windigen Fitnesstypen? Was ist mit den Ahnen der Loveparade, die das dann auch noch wie eine Aktie abstoßen? Eigentlich ein Paradebeispiel dafür, wie Subkultur mit einem emanzipatorischen Approach durch eine lange Mühle geht und endet in so einer Katastrophe, wo es nicht mal mehr um öffentlichen Raum geht. Weil das Tolle an der Loveparade war ja, sich den Raum zu nehmen, im öffentlichen Raum einen Lifestyle zu repräsentieren, der einen Anspruch auf ein anderes Leben manifestiert."
Den Anspruch auf ein anderes Leben haben die Goldenen Zitronen nicht aufgegeben, bei allen Komplikationen und Widersprüchen, die das so mit sich bringt. "Changes" sollte das neue Album eigentlich heißen, Veränderungen.
"Diese Platte ist kein Change in dem Sinn, sondern hat ja eine Kontinuität zu unseren letzten beiden Platten. Das sind ja keine Brüche, auch wenn die Musik brüchig ist oder mit Brüchen arbeitet."
Seit fast 30 Jahren nun ist die Geschichte der Goldenen Zitronen eine Geschichte von Kontinuität und Brüchen – und ausgetragenen Widersprüchen. Viele finden das anstrengend. Fürs Erste ist nicht damit zu rechnen, dass Deutschlands größte Partei ihren Wahlsieg mit einem Gassenhauer der Goldenen Zitronen feiert.
Er will in Ruhe gelassen werden, aber er will nicht seine Ruhe haben. Da ist er wieder, Schorsch Kamerun, Sänger der Goldenen Zitronen, genervt von der Welt, also nervt er zurück. Mit "Scheinwerfer und Lautsprecher" beginnt das neue Album der Goldenen Zitronen, und sie kultivieren mal wieder bewusst ihr Genervtsein, schließlich sind sie damit nicht allein. Meint Ted Gaier, Mitbegründer der Hamburger Band.
"Der Text spricht ja für viele Leute, es gibt ja viele Leute, die sich darin wiederfinden, die keine Lust haben, von gut gelaunten Menschen angerufen zu werden, die einem irgendwas aufquatschen. Oder ein Radio anzuschalten, wo immer nur gute Laune ist und das Wetter, wenn´s regnet, wird gesagt, morgen ist wieder Sonne, anstatt zu sagen, es regnet halt."
Auch die Diktatur der guten Laune nervt. Im öffentlichen Sprechen wie im öffentlichen Raum. Der öffentliche Raum und die gesellschaftlichen Kämpfe um diesen Raum – das ist ein zentrales Thema des neuen Albums. Es geht um Plätze, um Städte, um Einkaufszentren und Wohnhäuser und darum, wer diese Orte nutzen darf. Orte zum Beispiel in St. Pauli, wo Ted Gaier lebt.
"Echohäuser" heißt dieser moderne Agitprop-Song, oder ist es Agit-Pop? "Echohäuser" ist das liedgewordene Echo auf den geplanten Abriss der sogenannten Essohäuser an der Reeperbahn. Damit ergreifen Ted Gaier und die Goldenen Zitronen Partei für die Bewegung Recht auf Stadt. In vielen deutschen Städten wehren sich Initiativen gegen die Spirale der Gentrifizierung: also gegen die kommerzielle Aufwertung von Wohnraum und die daraus folgende Vertreibung alteingesessener Bewohner.
"Ich bin in der Initiative für die Essohäuser, ein großer Gebäudekomplex an der Reeperbahn, mit der sogenannten Kult-Tanke, die bekannteste Tankstelle Europas wahrscheinlich, wo alles abgerissen werden soll. Der Klub Molotov gehört auch dazu, also diverse Klubs, die Tankstelle und 107 Wohneinheiten, was eine weitere Veränderung im Stadtteil bedeuten würde in Richtung Disneyisiserung von St. Pauli."
Auf das Lied gegen die Disneyisiserung von St. Pauli folgt ein weiterer Song, in dem es um Selbstbehauptung geht. Das ist mein Platz!
"'Ma Place' kommt woanders her, aus dem Theaterkontext."
Das Theater ist mittlerweile die zweite wichtige Bühne der Goldenen Zitronen. Schorsch Kamerun ist ein gefragter Regisseur, Ted Gaier arbeitet mit der Theatergruppe Gintersdorfer / Klaßen zusammen an dem Projekt Couper Decaler, mit Musikern aus der Elfenbeinküste.
"Bei 'Ma Place' geht es darum, was in Afrika wichtig ist auch bei der Gruppe Couper Decaler: die Selbstbehauptung. Es hat etwas Darwinistisches, die Disco ist in dem Fall das Symbol für den Platz in der Gesellschaft. Man guckt, wenn man in die Disco kommt, nach dem Platz vor dem Spiegel, das ist der Premiumplatz, da sehen dich alle, das kennen wir aus dem Hip-Hop."
Vom Premiumplatz vor dem Spiegel einer ivorischen Diskothek geht die Reise weiter zu einer Techno-Kirmes im Ruhrgebiet. Wieder ein Kampf um Raum, hier mit tödlichem Ausgang.
24. Juli 2010, Loveparade in Duisburg, 21 Tote, 541 Verletzte.
"Dass das ein hämischer Abgesang auf Techno sein soll, stimmt überhaupt nicht, Techno gibt´s natürlich immer."
Wie die Disco in der Elfenbeinküste und die Essohäuser an der Reeperbahn ist auch das Duisburg der Loveparade ein umkämpfter Ort. Ein Ort, an dem unterschiedliche gesellschaftliche und ökonomische Interessen aufeinanderprallen.
"Welche Bündnisse entstehen da mit diesem windigen Fitnesstypen? Was ist mit den Ahnen der Loveparade, die das dann auch noch wie eine Aktie abstoßen? Eigentlich ein Paradebeispiel dafür, wie Subkultur mit einem emanzipatorischen Approach durch eine lange Mühle geht und endet in so einer Katastrophe, wo es nicht mal mehr um öffentlichen Raum geht. Weil das Tolle an der Loveparade war ja, sich den Raum zu nehmen, im öffentlichen Raum einen Lifestyle zu repräsentieren, der einen Anspruch auf ein anderes Leben manifestiert."
Den Anspruch auf ein anderes Leben haben die Goldenen Zitronen nicht aufgegeben, bei allen Komplikationen und Widersprüchen, die das so mit sich bringt. "Changes" sollte das neue Album eigentlich heißen, Veränderungen.
"Diese Platte ist kein Change in dem Sinn, sondern hat ja eine Kontinuität zu unseren letzten beiden Platten. Das sind ja keine Brüche, auch wenn die Musik brüchig ist oder mit Brüchen arbeitet."
Seit fast 30 Jahren nun ist die Geschichte der Goldenen Zitronen eine Geschichte von Kontinuität und Brüchen – und ausgetragenen Widersprüchen. Viele finden das anstrengend. Fürs Erste ist nicht damit zu rechnen, dass Deutschlands größte Partei ihren Wahlsieg mit einem Gassenhauer der Goldenen Zitronen feiert.