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Mit ApoE gegen Alzheimer

Medizin. - Der wichtigste Risikofaktor für den Ausbruch der Alzheimer'schen Krankheit ist neben dem Lebensalter ein Gen namens ApoE. Doch was dieses Gen mit dem Gehirn zu tun hat, war lange unklar. Offenbar ist es dort an der Abfallentsorgung beteiligt – und diese Erkenntnis hilft vielleicht auch neue Medikamente gegen das Vergessen zu entwickeln, wie eine Studie in der heutigen Ausgabe der Zeitschrift "Science" zeigt.

Von Volkart Wildermuth |
    Es gibt mehrere Varianten des ApoE-Gens. Eine, die Nummer 4, erhöht das Risiko einer Alzheimer Erkrankung. Der Befund ist lange bekannt, aber er blieb rätselhaft. Das ApoE-Protein ist am Transport des Cholesterins im Blut beteiligt. Doch wie so viele hat es auch einen Nebenjob, es entfernt störende Eiweiße im Gehirn. Und Alzheimer ist eine Krankheit, bei der sich gleich zwei Eiweiße, das Amyloid und die Tau-Fasern, ansammeln und letztlich das Nervengewebe zerstören. Die zweite Aufgabe des ApoE hat vor einiger Zeit Professor Gary Landreth von der Case Western Reserve Universität im amerikanischen Cleveland entdeckt - und er fand einen Weg seine Grundlagenerkenntnis auch praktisch umzusetzen.

    "Wenn wir die ApoE-Menge im Gehirn erhöhen, dann wird mehr Amyloid abgebaut. Genau das gelingt mit dem Medikament Bexaroten. Mit dieser Medikamentenklasse können wir das Amyloid über ApoE beeinflussen."

    Bexaroten ist ein recht gut verträgliches Krebsmedikament, zudem reichen für eine mögliche Alzheimertherapie vergleichsweise niedrige Dosierungen. Das hört sich vielversprechend an. Gary Landreth erprobte Bexaroten deshalb an Mäusen, die schnell Amyloid im Gehirn ansammeln und dann auch Gedächtnisstörungen entwickeln.

    "Wir gaben den Mäusen das Medikament als Pille und schon nach ein paar Stunden sank die Amyloidmenge im Hirnwasser dramatisch. Und die festen Amyloidklumpen begannen sich nach drei Tagen abzubauen."

    Zurzeit werden mehrere Ansätze erprobt, das Amyloid im Gehirn von Alzheimerpatienten zu entfernen. So schnell wie Bexaroten wirkt bislang keiner.

    "Wir haben das Glück, das unser Medikament zwei Dinge gleichzeitig macht. Es erhöht die ApoE-Menge im Gehirn und verstärkt so die Müllabfuhr, die kleine Amyloidpartikel entfernt. Gleichzeitig aktiviert es die Immunzellen des Gehirns, die fressen die festen Amyloidklumpen auf."

    Auf diesem Weg ermöglicht das Medikament den Mäusen, auf längst Vergessenes zurückzugreifen, Das konnte Gary Landreth mit fünf Gedächtnistests belegen. Ein Beispiel.

    "Normale Mäuse bauen sich Nester aus Papiertaschentüchern. Alte Alzheimermäuse können das nicht mehr. Aber nach einer Behandlung von drei Tagen fangen sie wieder an, Nester zu bauen. Sie zeigen ein Verhalten, das sie schon vergessen hatten."

    Beeindruckende Ergebnisse, es gibt jedoch ein großes Aber. Trotz ihres Namens haben Alzheimermäuse kein Alzheimer. Sie wurden genetisch so manipuliert, dass sie Amyloidklumpen bilden, mit all den negativen Folgen für das Gedächtnis. Kein Wunder, dass sie profitieren, wenn ein Medikament das Amyloid beseitigen hilft. Im Gehirn menschlicher Patienten gibt es aber nicht nur Ablagerungen aus Amyloid, sondern auch aus Tau-Fasern und auch die sind tödlich für Nervenzellen. Ob Bexaroten auch diesen zweiten Krankheitsprozess beeinflusst, ist unklar. Versuche mit Tau-Mäusen laufen gerade. Und was ist mit Menschen, die die Risikovariante des ApoE-Gens besitzen? Hat das Medikament bei ihnen überhaupt einen Angriffspunkt? Solche Fragen lassen sich nur in Studien an Menschen klären. Landreth:

    "Wir arbeiten mit einem verträglichen und bereits zugelassenen Medikament. Da können klinische Studien schnell beginnen. In den nächsten Monaten werden wir testen, ob Menschen grundsätzlich genauso auf Bexaroten ansprechen wie unsere Mäuse. Wenn sich das bestätigt, können größere Studien beginnen. Wir machen das so schnell wie möglich."

    Inwieweit Bexaroten den Amyloidspiegel im Hirnwasser von Patienten senkt, wird sich schnell zeigen. Die entscheidende Frage lautet aber, ob das Medikament nicht nur ein Molekül im Gehirn, sondern auch das Gedächtnis beeinflusst. Die Antwort darauf wird noch auf sich warten lassen. Die größte Hoffnung für die künftigen Alzheimerpatienten liegt letztlich nicht in diesem oder jenem Medikament, sondern darin, dass die Forscher immer wieder neue Ansätze finden, um den schleichenden Gedächtnisverlust vielleicht einmal aufzuhalten.