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Mit Aspirin Krebs vorbeugen

Medizin. - Aspirin wird seit vielen Jahren genutzt, um einem Herzinfarkt oder einem Schlaganfall vorzubeugen. Zahlreiche Studien haben zudem Hinweise darauf geliefert, dass das Mittel auch ein Stück weit vor Krebs schützen kann – insbesondere vor Darmkrebs. Aber erst jetzt liegt in "Lancet" eine Studie vor, die strengen wissenschaftlichen Kriterien genügt.

Von Martin Winkelheide |
    Bei Menschen mit einem "Lynch-Syndrom" ist ein wichtiges Reparatur-System der Zellen defekt, sagt Professor Gabriela Möslein vom Helios St. Josefs-Hospital Bochum-Linden.

    "Das ist ein hoch effizientes System, was die häufig bei Zellteilungen auftretenden Mutationen, also kleinen Lesefehlern korrigiert."

    Weil solche Lesefehler nicht korrigiert werden, häufen sich genetische Fehler an. Menschen mit Lynch-Syndrom haben daher ein hohes Risiko, an Krebs zu erkranken. An Gebärmutterkrebs, Blasen- oder Hauttumoren und an Darmkrebs. Die Krebsentstehung läuft zudem im Zeitraffer ab. Dauert es gewöhnlich etwa zehn Jahre, bis aus einem gutartigen Polypen in der Darmschleimhaut ein Krebs wächst, so ist die Zeit bei Lynch-Patienten erheblich kürzer. Möslein:

    "Das heißt, vom klitzekleinen Polyp zu Krebs – ungefähr ein Jahr. Deswegen empfehlen wir diesen Patienten eine sehr engmaschige Vorsorge für den Dickdarmkrebs."

    Lässt sich mit Medikamenten der Krebsentstehung vorbeugen? Das fragten sich Forscher und starteten vor zwölf Jahren eine große internationale Studie, die CAPP2-Studie. Knapp 1000 Menschen mit Lynch-Syndrom nahmen teil. Die Hälfte der Teilnehmer nahm zwei bis vier Jahre lang täglich zwei ASS-Tabletten ein, also 600 Milligramm Acetylsalicylsäure. Die andere Hälfte bekam ein Scheinmedikament, ein Placebo. Bei der ersten Auswertung der Studie im Jahr 2008 zeigte sich kein Unterschied zwischen beiden Gruppen. Jetzt aber, drei Jahre später, ist ein deutlicher Effekt zu sehen, sagt Gabriela Möslein.

    "Bei diesen Lynch-Syndrom-Patienten konnten wir im Laufe der Jahre eine 50-prozentige Reduktion der Krebserkrankungen feststellen. Das ist enorm."

    Die Patienten haben seit Jahren kein ASS mehr genommen. Dennoch bekommen sie seltener Krebs. Wie kann das sein? Der genaue Wirkmechanismus ist noch unbekannt, sagt Studienleiter Sir John Burn, Professor für genetische Medizin an der Universität Newcastle.

    "Wir können uns das nur so erklären, dass Aspirin in die allerersten Schritte der Krebsentstehung eingreift. Offenbar treibt es Zellen mit schweren genetischen Fehlern in den programmierten Zelltod. Die Zellen sterben also, bevor sie zu einer Krebszelle werden können."

    Möglicherweise sind die Tumore, die trotzdem entstehen, dank ASS-Einnahme weniger aggressiv, vermutet John Burn.

    "Wir bitten alle Studienteilnehmer um Erlaubnis, Proben ihrer Tumore genauer untersuchen zu dürfen. Wir wollen die Tumore von Menschen aus der Aspirin-Gruppe vergleichen mit denen aus der Placebo-Gruppe. Wir wollen wissen, ob sie sich voneinander unterscheiden."

    Eine wichtige Frage konnte die CAPP2-Studie nicht beantworten: Ab welcher Dosis entfaltet ASS eine Schutzwirkung? Gabriela Möslein:

    "Es gibt eine Formel, dass, wer viel Aspirin über eine lange Zeit einnimmt, weniger Krebserkrankungen bilden wird, vor allem weniger Dickdarmkrebs aber auch andere Krebserkrankungen. Nur, wie viel Aspirin über was für einen Zeitraum, das ist noch nicht gut definiert, weil es eben noch keine evidenzbasierte oder prospektive auch Placebo-kontrollierte Studie gibt."

    In einer Folgestudie, sagt Gabriela Möslein vom Sankt Josef Hospital Bochum-Linden, soll jetzt versucht werden, die ideale Wirkstoff-Dosis zu finden. Denn auch wenn ASS in jeder Apotheke frei verkäuflich ist, ist der Wirkstoff nicht ungefährlich: Von 1000 Menschen, die 600 Milligramm ASS täglich über ein Jahr einnehmen, bekommt einer eine Magen-Darm-Blutung. Von 10.000 einer eine lebensbedrohliche Hirnblutung. Bei einer niedrigeren Dosierung würde auch das Risiko für gravierende Nebenwirkungen sinken. ASS für alle – zum Schutz vor Darmkrebs? Für diese Empfehlung ist es noch zu früh, sagt Gabriela Möslein. Zu viele Fragen sind noch offen.

    "Es darf als bewiesen gelten, nach dieser Studie, dass Lynch-Syndrom-Patienten von einer Aspirin-Einnahme profitieren. Übertragen auf die Allgemeinbevölkerung kann man es nicht."