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Mit Botox gegen Migräne

Etwa acht Millionen Deutsche nehmen täglich eine Kopfschmerztablette. Auf dem Deutschen Schmerz- und Palliativtag in Frankfurt haben Experten neue Erkenntnisse bei der Kopfschmerztherapie vorgestellt - unter anderem eine präventive Behandlung, die aus der Kosmetik kommt.

Von Brigitte Scholtes |
    Trotz der weiten Verbreitung der Krankheit gibt es immer noch ein Defizit in der Therapie, sagt Hartmut Göbel, ärztlicher Direktor der Neurologisch-Verhaltensmedizinischen Schmerzklinik Kiel. Denn man unterscheidet man mehrere Varianten: Die weitaus häufigste ist mit 54 Prozent der sogenannte Spannungskopfschmerz, und der kann verschiedene Ursachen haben; unter anderem Erbanlagen,. Hormone, Ernährung oder muskuläre Verspannungen. Aber auch der unkontrollierte Einsatz von Schmerzmitteln kann wiederum Kopfschmerzen auslösen. Das herauszufinden und entsprechend zu behandeln ist der Ehrgeiz der europäischen Mediziner, sagt Schmerzexperte Göbel:

    "Das amerikanische Konzept differenziert nicht, während wir mindestens drei oder vier Diagnosen differenzieren - Migräne, Spannungskopfschmerz, Medikamentenübergebrauch – und dann gezielt jede einzelne anpacken - so schreibt das auch die internationale Klassifikation vor – ist in Amerika die Lehrmeinung, es ist alles gleich, und wir behandeln das nicht selektiv. Und deshalb kommen die auch nicht in der Regel heraus aus diesem medikamenteninduzierten Dauerkopfschmerz. Deswegen finde ich unser europäisches Konzept, deutsches Konzept, wesentlich zielgerichteter und wesentlich effektiver."

    Für den Erfolg der Therapie kann das entscheidend sein. Dabei sollte der Patient durch eine Dokumentation mithelfen, sagt Astrid Gendolla, Fachärztin für Neurologie in Essen:

    "Da ist das Beste, ein Kopfschmerz-Tagebuch zu führen, damit man ein Instrument hat, das man als Grundlage des Kontaktes hat. Mit dem Tagebuch haben wir etwas, das wir belegen können, beweisen können, was wir behandeln können. Weil der Kopfschmerz-Patient, vor allem der Mensch, der chronische Kopfschmerzen hat, leidet ja auch darunter, dass er ein Symptom hat, was man nicht sieht und was ich aber auch nicht messen kann. Und das ist das einzige Instrument diese Dokumentation, auf der dann alles das beruht, was wir dann tun."

    Denn eine Migräne, unter der 38 Prozent der Patienten leiden, muss unter Umständen anders behandelt werden.
    Was eine chronische Migräne ausmacht, darüber sind sich die Experten noch nicht einig. Denn die kann auch eine Mischform aus beiden Kopfschmerzarten sein. Betroffen von einer chronischen Migräne sind nur 0,5 Prozent der Patienten, sagt Göbel:

    "Das ist eine kleine gezielte Gruppe, und genau die zu identifizieren ist die Kunst der speziellen Schmerztherapie, dass wir auch die richtige Patientengruppe identifizieren, die dann für diese spezielle Behandlung identifizieren, die dann entscheidend ist."

    Für diese Patienten gibt es jetzt nämlich Hoffnung: Denn in einer Studie hat man herausgefunden, dass Botulinumtoxin A, im Volksmund Botox, auch für die Behandlung von chronischer Migräne geeignet ist. Die Essener Fachärztin Astrid Gendolla hat die Studie, an der mehr als 1300 Patienten teilgenommen haben, begleitet:

    "In der Gruppe von Menschen mit chronischer Migräne ist die Applikation von Botulinumtoxinen geeignet, Kopfschmerztage zu reduzieren und zwar so, dass es statistisch signifikant ist, aber auch für den Patienten deutliche Lebensqualitätsverbesserung zeigt. Und aufgrund dieser Studienlage ist dann 2011, im September, die Zulassung für Deutschland erfolgt für eine Behandlung, die sowohl wirksam wie auch nebenwirkungsarm für den betroffenen Patienten ist."

    Dabei wird Botox an sieben definierten Kopf- und Halsmuskulaturbereichen injiziert, an der Nasenwurzel und darüber als auch an den Schläfen und am Übergang des Schädelknochens am Hinterkopf. Diese Therapie ist jedoch nur geeignet für Patienten, die nicht wegen Medikamenten-Übergebrauch an Kopfschmerzen leiden – und die an acht Tagen im Monat unter Migräne und an 15 unter Kopfschmerzen leiden. Das ist die sogenannte 0-8-15-Regel. Sowohl die gesetzlichen als auch die privaten Krankenkassen übernehmen inzwischen die Kosten für die Behandlung. Eine Behandlung kostet 600 Euro, die Wirkung hält aber über etwa drei Monate an, bei einer Mehrfachbehandlung sogar länger.