Suhrkamps Ausgabe bietet vier Abschnitte, betitelt mit: "Die Blumen des Kapitalismus", "Der Zivilist", "Gefrorene schwule Schildkröte" und "8 Seiten für Allah". Das erste Kapitel, erzählt Green, sei ein Gedicht, das er auf Tour geschrieben habe. Das zweite seien Notizen, die er im Alter von 17 bis 19 Jahren gemacht habe. Unter dem Schock des 11. September habe er sie in seinem New Yorker Zimmer aus der Schublade geholt und in den Computer getippt. Das dritte Kapitel sei ursprünglich die zweite Ausgabe seiner selbstverlegten Hefte gewesen. Nur das vierte Kapitel sei neu und erst nach dem Buchdeal entstanden. Der Ton des "magazine" reicht von jugendlich unbekümmert bis abgrundtief, ist ausschweifend und schief. Ähnlich wie die Songs, die er seit den "Moldy Peaches" entwickelt. Die skurrile Band, die er 1999 zusammen mit Kimya Dawson gegründet hat, war einmal sein Steckenpferd. Mit ihr schaffte er den Sprung in die New Yorker Antifolk-Szene – deren Wurzeln reichen weit zurück:
Es begann in den frühen Achtzigern als Reaktion darauf, wie schlecht die Westvillage-Folk-Szene geworden war. Nur das Westvillage schwelgte noch in Erinnerungen an die 60er Jahre-Folk-Szene, wer keine Verbindungen zu den 60ern hatte, wurde schlichtweg nicht anerkannt. Als dann die 80er kamen, begann nun jeder, der gut war in den 60ern, mieseste Musik zu machen. Es war das Gleiche in der Folk-Szene, all die Leute, die traditionellen Folk machen wollten, bei dem du über Dinge schreibst, die einen betreffen, sie kriegten kaum mehr Aufmerksamkeit und ihre Auftritte waren nicht wirklich beliebt. Deshalb entschlossen sie sich, ein wöchentliches "Open Mike" für alle zu veranstalten. Das brachte junge Leute mit ins Spiel und Sachen, die sie gerne hörten wie Punk Musik. Das war die neuere Musik zu der Zeit.
Anti-Folk und dessen freche Post-Punk-Parodie durch die "Moldy Peaches" haben Einlass in die Poetik der Green’schen Texte gefunden. Ein wilder Clash aus ironischen Aphorismen, dreckigem Streetslang, aufgelisteten Gemütszuständen, poetisch hochgeschraubten Banalitäten und narkotisierten Sprachfetzen. Sie bieten Einblick in das blumige Bewusstsein eines Youngsters in New York City. Charles Baudelaire und Jack Kerouac im gleichen Atemzug zitierend. Im Gestus bohemistisch. Inhaltlich bisweilen unhaltbar. Doch gibt es clevere Analysen der Gegenwart, die so manche Geschmacklosigkeit in den Schatten stellt.
Desert Storm, ich rufe dich heute nacht aus den Archiven der MTV News auf
Auf dass du am Abend im Yankee Stadion wiedererscheinen magst
In Armani gekleidet, Schecks über Tantiemen in deinen Taschen
Orientalische Gutsel im Waschraum schnüffelnd
Gegen den journalistischen Gedächtnisschwund prote-
stierend, der die westliche Welt blendet
Desert Strom, ich nehm dich mit auf Tournee
meine Religion wird dein Soundcheck sein
Ich werde durch deine knusprige Zigarette sprechen
Diese knusprige Zigarette, einbalsamiert mit dem Blut des Stinktiers!
F: Wo ist Hussein heute morgen?
A: Studiert die Magna Carta mit abgebrühter Distanz
Jerusalem, ich sehne mich danach, wieder durch die
Wüsteneien deiner Einkaufszentren zu ziehen
Schwemme an der Küste, Tripp Straße 79
Und verlange mein Königreich der verhedderten Nintendo-Kabel zurück.
Ambivalenz ist das Zauberwort, kein Text Adam Greens will sich eindeutig festlegen lassen. Weder in seiner religiösen Bestimmtheit, noch in seiner geschlechtlichen Identität. Häuptling Bagelherz tritt neben Allah. Gender ist eine lose Kategorie, mutiert von einer schulmädchenhaften, technisierten Coolness hin zur "gefrorenen schwulen Schildkröte". Obszönitäten schwingen in fast jeder Zeile mit, nah dran an einer Perversion. Postmodern und salonfähig. "Gefühlskubismus" nennt Green das:
In der kubistischen Kunst nimmst du ein physisches Objekt und betrachtest es aus verschiedenen Winkeln, dann stellst du alles nebeneinander. Mit meinen Sachen ist das ähnlich. Nimm eine Emotion und versuche, die verschiedenen Seiten dieser Emotion zu zeigen im gleichen Song. Das erzeugt einen Kontrast, es gibt so viele Gefühle zu so vielen Zeitpunkten, nimm vier oder fünf unterschiedliche, die alle um dieselbe Emotion kreisen. Es ist ein Kontrast, ich denke, es verleiht dem Ganzen Realismus und Tiefe, denn so ist das Leben in all seinen Facetten. Ich erinnere mich, gesagt zu haben, das sei fast wie ein Kubismus des Bewusstseins. Denn was die physische Welt ausmacht, was ein kubistisches Gemälde zusammenhält, ist der Lauf der Gefühle und das Bewusstsein, das etwas Surreales erzeugt, das etwas zusammenbringt, das mehr ist, als das, was wir tun. Die innere Landschaft ist die ganz normale Bedrohung.
Es ist ein Schreiben gegen die Zensur des Bewusstseins, vibrierend schön, wenn sich Textpassagen einer freejazzartigen écriture automatique hingeben. Adam Green hat eine Marktlücke für sich entdeckt, aus der die altbewährte Sehnsucht nach Authentizität spricht: Parallel zu seinen "magazines" ist sein neues Album "Gemstones" , auf Deutsch: Edelsteine, auf den Markt gekommen. Und er weiß, den Künstlermythos zu komplementieren. Seine Urgroßmutter sei Felice Bauer, verrät er, Kafkas ewige Verlobte.