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Mit dem Fahrrad durch Paris

Um den Autoverkehr in Paris zu verringern, setzt der Bürgermeister der Hauptstadt, Bertrand Delanoe, auf das Rad: Im Juli wurden in Paris 20.600 Fahrräder aufgestellt, die jeder Bürger gegen eine geringe Entleihgebühr nutzen kann. Bis Ende des Jahres soll das Fahrrad die Straßen von Paris erobert haben.

Von Frauke Ladleif |
    Jean-Marc Jacob steigt vom Fahrrad. Er ist gerade den beschwerlichen Hügel von Montmartre raufgefahren. Erschöpft rastet er das Rad in einen der Halter der Fahrradstation ein. Fünf weitere Fahrräder stehen dort. Alle haben das gleiche Design: ein stabiles aber weich geschwungenes Gestell, metallic-grau lackiert, einen großen, flügelartigen Lenker, an dem ein Korb befestigt ist. An der Seite steht in bunten Buchstaben: Vélib.

    "Ich habe heute zum ersten Mal Vélib benutzt, quasi meine Vélib-Taufe. Das war sehr amüsant, aber ein bisschen gefährlich. Die Autos sind noch nicht so an die Fahrräder gewöhnt. Außerdem fahren die Pariser sehr schnell und manchmal quer über die Wege."

    Jean-Marc kommt gerade von der Arbeit und ist auf dem Weg in ein kleines Café in der Rue Marcadet. Wie bei vielen Parisern schwingt eine gewisse Arroganz in seiner Stimme, so als könne ihn nichts mehr überraschen. Doch was sich die Stadt Paris da für ihre Einwohner ausgedacht hat, ist auch für ihn etwas ganz neues: ein enormes Fahrradausleihsystem als Ergänzung zu den traditionellen Transportmitteln. Das Projekt heißt Vélib, abgeleitet von dem französischen Wort für Fahrrad: Vélo. Matthieu Fierling ist stellvertretender Leiter des Projekts:

    "Vor Vélib lag der Anteil der Fahrräder im Straßenverkehr bei ein bis zwei Prozent. Mit Vélib verfolgen wir also die Idee, die Nutzung des Fahrrads zu fördern und den Parisern eine neue Möglichkeit der Fortbewegung zu bieten. Das Projekt gehört zu einem größeren politischen Vorhaben des Bürgermeisters, und zwar den Autoverkehr in Paris um bis zu 40 Prozent innerhalb von zehn Jahren zu reduzieren."

    Ein ehrgeiziges Ziel hat sich die Stadt da gesetzt: Kaum vorstellbar, wenn man sich einmal während der Rushhour auf die Pariser Straßen gewagt hat. Wie graue Lava bahnen sich dann die Autos während des allmorgendlichen Verkehrschaos den Weg durch die Stadt. Nun kommen noch unzählige Baustellen hinzu, die neue Bus- und Metrolinien schaffen - oder neue Fahrradwege. Für Jean-Marc ist dieses Chaos auch ein Grund, ab und zu auf das Fahrrad umzusteigen.

    "Momentan kann man nicht das Auto benutzen, es gibt zu viele Staus. Mit dem Fahrrad kommt man schnell voran, viel schneller als mit dem Auto. Aber man atmet eine Menge Abgase ein."

    Die Stadt will es jedem Pariser ermöglichen, quasi von Haustür zu Haustür zu radeln. Um dies zu erreichen, hat sie ein Netz von Fahrradstationen entwickelt, das dichter ist als das der Metro. An fast jeder Straßenecke sieht man seither elektronische Ausleihstationen, an denen mindestens 20 Fahrräder stehen oder abgestellt werden können. Dunkelgrau, mit einem unverkennbaren lila Leuchtstreifen, hat jede Station eine Stationssäule. Dort kann man per Touchscreen ein Rad ausleihen, indem man ein Tagesabonnement für ein Euro oder ein Wochenabonnement für fünf Euro kauft. Eine schöne Touristenattraktion, mag man da denken. Aber Matthieu Fierling wiegelt ab:

    "Die Idee von Vélib ist speziell für die Nutzung kurzer Strecken gedacht. Natürlich, das System steht auch Touristen offen. Aber man sollte sich bewusst sein, dass Vélib nicht für ganztägige Radtouren durch Paris gemacht ist. Das beweist schon der Tarif: Die erste halbe Stunde ist gratis, die zweite halbe Stunde kostet einen Euro, die dritte halbe Stunde zwei Euro und alle darauffolgenden vier Euro."

    Es ist Samstagnachmittag am Centre Pompidou, ein beliebtes Ausflugsziel im Herzen von Paris. Und tatsächlich, kaum einer der Touristen, die in Strömen an der Vélibstation Pompidou vorbeigehen, nimmt sich ein Fahrrad. Einige bleiben neugierig stehen, drücken ein bisschen auf dem Bildschirm der Stationssäule rum, gehen dann aber weiter. Ein spanischer Tourist ist regelrecht enttäuscht:

    "Ich habe viele Leute mit diesen Fahrrädern gesehen. Ich hab mich gefragt, warum alle die gleichen haben. Es ist bestimmt ganz nett damit einen Ausflug zu machen. Ich habe es dann einige Male versucht, aber es hat nicht geklappt. Zum Ausleihen braucht man eine Kreditkarte mit Chip. Ich habe nur eine mit Magnetstreifen."

    Anstatt der Touristen warten dafür mehrere Pariser an der Station. Sie haben ein ganz anderes Problem. Die Fahrradhalter sind mit 40 Rädern komplett belegt. Die Wartenden müssen sich also gedulden bis jemand ein Vélib ausleiht oder zu der nächsten Station fahren. Auch Jean-Marc ist dies bei seinem ersten Vélibversuch passiert:

    "Das Problem ist vom Stadtviertel abhängig. Es gibt einige, wo die Leute die Räder ausleihen und andere, in denen sie sie wieder zurückgeben. Es ist also manchmal schwierig, freie Stationen zu finden, und manchmal kann man sie dann überhaupt nicht abstellen."

    Morgens beispielsweise, wenn die Pariser zu Hunderttausenden aus den Randgebieten zur Arbeit in die kommerziellen Innenstadtviertel fahren. Viele benutzen nun die Vélibräder, so dass in der Innenstadt alle Stationen nach kürzester Zeit voll sind, wohingegen in den Randvierteln keine Fahrräder mehr zu finden sind. Eine wahre Welle von Radfahrern also, die nunmehr täglich den Straßenverkehr bestimmt.

    Doch wie sehr die Pariser ihr Vélib angenommen haben, wird besonders nachts deutlich: Es ist zwei Uhr morgens, Sonntag. Am Place de la République bildet sich eine große Traube um die Vélibstation. Jeder der Nachtschwärmer will noch eines der letzten freien und funktionstüchtigen Fahrräder ergattern. Greg und Francois haben es geschafft.

    "Nachts fahren keine Metros mehr, ab zwei Uhr nicht mehr. Während der Woche sogar ab ein Uhr. Also muss man notgedrungen ein Taxi nehmen, aber das ist teuer. Man müsste also dann auf den Nachtbus warten. Der kommt aber höchstens alle 30 Minuten vorbei. Außerdem fährt der oft Umwege. Mit dem Fahrrad brauchen wir nur 15, 20 Minuten."

    Doch so einfach wie bei Greg und Francois läuft es nicht immer. Die beiden hatten noch Glück. Ann und ihre Freundinnen wollen kurz nach ihnen ein Rad ausleihen, das erste Mal. Doch soweit kommt es erst gar nicht. Ein Mann hält sie davon ab:

    "Achtung, stopp, jemand hat alle Fahrradketten kaputt gemacht."

    "Ach man! Was ist los?"

    "Es gibt ein Problem. Alle Ketten sind rausgesprungen. Ich versteh das nicht. Es ist Samstagabend, die Leute sind betrunken und machen die Fahrräder kaputt."

    Für die jungen Französinnen ist das Abenteuer Vélib für heute Nacht beendet. Sie müssen ein Taxi nehmen, doch dass Vélib trotz einiger Probleme bereits jetzt, drei Monate nach der Eröffnung der ersten Fahrradstationen, ein voller Erfolg ist, beweisen die Zahlen. Mehr als fünf Millionen Mal wurden die Räder bereits genutzt, täglich sind das an die 80000. Und es werden immer mehr. In Paris spricht man schon längst von einer wahren Revolution, einer Vélorution. Auch andere große Städte haben schon ihr Interesse bekundet. Matthieu Fierling:

    "Wir haben den Bürgermeister von Chicago empfangen, den Bürgermeister von London ebenfalls. Vélib führt wirklich etwas ganz neues in der Stadt ein und es kann eine Antwort auf die Verkehrsprobleme vieler Metropolen sein."

    Jean-Marc hat die Vélib-Taufe jetzt hinter sich. Er kann sich fortan als Teil der radelnden Revolution sehen. Trotzdem warnt er mit seinem typischen Pariser Sarkasmus:

    "Momentan ist Vélib noch ein bisschen gefährlich, da weder die Fahrradfahrer selbst noch die Autos daran gewöhnt sind. Aber na ja, in zwei bis drei Jahren wird es sicherlich besser sein, mit ein paar Leuten im Krankenhaus."

    Lachend steigt er wieder auf sein Vélib und rollt den Hügel von Montmartre runter. Bergab macht es irgendwie doch mehr Spaß. Fahrrad bleibt eben Fahrrad, egal ob Vélib oder einfach nur Vélo.