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Mit der Blue Card auf Fachkräftesuche

Fachkräftemangel, Ingenieurslücke, unbesetzte Stellen - so tönt es aus der Industrie. Gleichzeitig haben es Studierende aus Drittstaaten schwer, nach dem Studium legal in Deutschland zu arbeiten. Das soll die neue Blue Card der EU ändern - doch das Zertifikat schränkt den Aufenthaltsstatus teilweise sogar ein.

Von Thomas Wagner |
    Nurjamal Omurkanova aus Kirgistan: "Das ist nicht einfach. Um dieses Stipendium zu bekommen, mussten wir diese Sprachtests in Kirgistan machen" und Patrick Botchak aus Kamerun: "Es ist schwierig, nach Deutschland zu kommen, Wir brauchten erstmal eine Kaution am Anfang, also für das erste Jahr - um die 8000 Euro" mussten etliche Klimmzüge unternehmen, um überhaupt erst nach Deutschland zu kommen. Beide gelten als hochbegabt: Nurjamal Omurkanova promoviert derzeit in Konstanz in Politikwissenschaften; Patrick Botchak arbeitet an seiner Doktorarbeit in Physik. Beide könnten sich danach ihre berufliche Zukunft sehr gut in Deutschland vorstellen. Zwingend, sagt Nurjamal Omurkanova, sei dies aber nicht:

    "Das wird davon abhängen, wo ich eine Stelle bekomme. Und wenn ich eine Stelle in Kanada und in Australien bekommen werde, dann würde ich es auch da ausprobieren."

    Das Beispiel zeigt: Junge Akademiker aus dem Ausland haben durchaus die Wahl, wo sie nach ihrem Abschluss arbeiten wollen. Es muss nicht unbedingt Deutschland sein. Doch der Bedarf hierzulande ist groß, momentan sind rund 150.000 Akademikerstellen nicht besetzt. Die neue Blue Card soll Deutschland als Arbeits- und Lebensmittelpunkt nun attraktiver machen.

    Die wichtigsten Eckpunkte: Hoch qualifizierte Bewerber aus dem Ausland dürfen nach Deutschland kommen, wenn sie eine Stelle finden. Allerdings müssen sie nachweisen, dass sie mindestens 44.800 Euro pro Jahr verdienen. Bislang lag diese Schwelle weitaus höher - bei 66.000 Euro. Für besonders gefragte Berufe, nämlich Ingenieure, sinkt sie noch deutlicher - auf 34.900 Euro.

    Doch viele Bildungsexperten fragen sich: Ist die Blue Card wirklich der große Wurf? Johannes Dingler leitet an der Universität Konstanz das Welcome Center und kümmert sich dort um die Belange ausländischer Doktoranden und Post-Docs. Für ihn besteht ein Grundproblem im neuen Blue Card- Konzept:

    "Meine Erfahrung ist, dass sich ein Land, das sich als klassisches Einwanderungsland definiert, es den Leuten deutlich einfacher macht. In Deutschland haben wir oft das Problem: Da ist nur ein Aufenthalt möglich, wenn es einen juristischen Aufenthaltszweck gibt. Ist dieser Grund abgelaufen, müssen die ausländischen Gäste Deutschland auch wieder verlassen. Das sind Probleme, mit denen wir wirklich konfrontiert sind. Wenn es wirklich solche Zwischenstadien gibt und kein Aufenthaltszweck vorhanden ist, gibt es kaum eine Möglichkeit, hierzubleiben. Das ist in den anderen Ländern durchaus anders."

    Was den Aufenthaltsstatus ausländischer Fachkräfte angeht, bringt die Blue Card sogar eine Verschlechterung: Denn wer die Blue Card bekommt, erhält damit nur eine auf drei Jahre befristete Aufenthaltserlaubnis. Danach muss er nachweisen, dass sein Arbeitsverhältnis fortbesteht. Erst dann darf er unbefristet bleiben. Nach der alten Regelung, die zwar den Nachweis eines höheren Jahresgehaltes einforderte, erhielten die ausländischen Fachkräfte dagegen von Anfang an unbefristeten Aufenthaltstitel. Was aber tun, wenn eine Fachkraft mit der Blue Card die Stelle verliert und die Dreijahresfrist abläuft? Darüber zerbricht sich gelegentlich auch der Physiker Patrick Botchak aus Kamerun den Kopf:

    "Jemand, der als Wissenschaftler schon gearbeitet hat und einen Job sucht - dann sieht es ein bisschen anders aus: Wenn man auf Arbeitssuche ist, dann sollte man genügend Zeit haben, um eine Arbeit zu suchen."

    Daneben taucht nach Ansicht von Johannes Dingler vom Konstanzer Welcome Center ein weiteres Problem auf. Häufig nämlich, sagt er, bewerben sich sogenannte Post-Docs, die nach ihrer Promotion befristet an der Uni gearbeitet haben, auf Stellen in der freien Wirtschaft. Nicht immer klappe das nahtlos, manchmal liege dazwischen einige Zeit. Eine Aufenthaltserlaubnis für diese Situation ist nach Ansicht von Johannes Dingler mit der neuen Regelung nicht gesichert:

    "Das scheint mir eines der Hauptprobleme der Blue Card zu sein: Wenn die praktisch hier schon Wissenschaftler sind und in die Wirtschaft oder in die Industrie wechseln. Wenn da eine Lücke klafft, scheint mir das immer noch nicht abgedeckt zu sein. Das ist ein Problem, mit dem wir jetzt immer noch zu kämpfen haben. Wenn die schon wirklich nur vier oder sechs Wochen zwischen dem Ende der Vertrag an der Uni und dem Arbeitsbeginn irgendwo in der Wirtschaft haben, ist das ein Riesenproblem."

    Positiv bewertet werden dagegen die neuen erweiterten Arbeitsmöglichkeiten für ausländische Studierende. Durften sie bislang pro Jahr nur an 90 Tagen ganztags oder 180 Tage halbtags arbeiten, können sie nun 120 ganze oder 240 so genannte halbe Arbeitstage Geld verdienen. Auch haben ausländische Absolventen länger Zeit, einen Job zu finden; nach 18 Monaten muss das jetzt der Fall sein. Nurjamal Omurkanova empfindet dies als große Erleichterung:

    "Auf jeden Fall ist es gut, dass man auch ein bisschen länger suchen kann. Wenn man in diesen zwölf Monaten eine Stelle sucht und keine Zusage kommt, hat man immerhin noch ein halbes Jahr mehr."

    Hinzu kommt, dass die Jungakademiker aus dem Ausland in diesen eineinhalb Jahren der Stellensuche unbeschränkt jobben und nebenher Geld verdienen dürfen. Patrick Botchak aus Kamerun:

    "Ich glaube, um sich hier in Deutschland für ein Jahr über Wasser zu halten, braucht man so um die 10.000 Euro, je nach Stadt. Und ich finde es schon schön, wenn man in dieser Zeit eine Arbeit macht, damit man genügend Geld zum Leben hat."