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"Mit der Linkspartei wird es nie eine Zusammenarbeit auf Bundesebene geben"

In der Debatte über mögliche rot-rote Koalitionen hat sich SPD-Fraktionschef Peter Struck gegen solche Bündnisse ausgesprochen. Man könne mit einer Partei, "die unseriöse politische Vorstellungen im Bereich der Innenpolitik, der Sozialpolitik hat, nicht zusammen regieren".

Moderation: Dirk Müller |
    Dirk Müller: Peter Struck, warum ist die Stimmung für die SPD seit Monaten auf dem Tiefpunkt?

    Peter Struck: Ich kann nicht erkennen, dass wir intern auf einem Tiefpunkt wären. Es ist natürlich so, dass die außenpolitischen Aktivitäten der Frau Merkel vieles überlagert haben, sie hat ja auch eine gute Arbeit gemacht sowohl als G8-Vorsitzende als auch als europäische Ratsvorsitzende. Wir werden uns jetzt eher der Innenpolitik wieder zuwenden. Es gibt auch eine Verunsicherung, das will ich gar nicht bestreiten, in meiner Partei durch die Neugründung der neuen Partei, der PDS mit anderem Namen und die Debatte natürlich über viele Maßnahmen, die wir durchsetzen mussten, die noch nachklingt. Aber das wird sich verlaufen.

    Müller: Gibt es eine Debatte über den Parteichef?

    Struck: Nein, ganz und gar nicht, in der Partei schon gar nicht, aber in den Medien offenbar. Es ist so, dass Kurt Beck die SPD stabilisiert hat. Wenn man einfach überlegt, Herr Müller, wir haben eine Reihe von Parteivorsitzenden in den vergangenen Jahren gehabt. Die große traditionelle SPD hat in wenigen Jahren Gerhard Schröder, Franz Müntefering, Matthias Platzek und jetzt wieder einen vierten Parteivorsitzenden gewählt. Und ich glaube, dass er die Partei stabilisiert hat, dass die Unsicherheit auch durch diesen personellen Wechsel beiseite geschoben worden ist und dass Kurt Beck wirklich auf einem guten Weg ist, die Partei auch noch weiter nach vorn zu bringen.

    Müller: Aber was bringt eine stabilisierte SPD, wenn die keiner mehr wählen will?

    Struck: Nun, so ist es ja nicht. Ich meine, man darf sich auch nicht verrückt machen lassen, weil in Bremen 23.000 Menschen PDS gewählt haben. Wenn es 5000 oder 10.000 weniger gewesen wären, dann wären sie nicht in die Bürgerschaft gekommen und man hätte die normale Situation gehabt. Jetzt ist alles ein bisschen sozusagen von den Medien besonders aufgebauscht worden, auch durch die Person des einen Parteivorsitzenden dort. Von daher sage ich: Man darf sich nicht verrückt machen lassen. Diese Partei ist Fleisch von unserem Fleisch, eindeutig, aber wir können auch diese Wähler wieder zurückgewinnen.

    Müller: Können Sie sich denn, Herr Struck, in Ihrer aktiven politischen Zeit an eine derartige Stimmungskrise, zumindest mit Blick auf die Umfragen, erinnern?

    Struck: Ja sicher, klar. Ich bin ja seit 1980 im Bundestag. 1983 kamen zum ersten Mal die Grünen, und es wurde uns prophezeit, die SPD geht kaputt. Die SPD ist nicht kaputt gegangen. In unserer Geschichte, 144 Jahre sind es bald, wurde das öfter mal prophezeit. Die SPD wird nie kaputt gehen, sie wird auch in hundert Jahren noch da sein, mal in der Regierung, mal in der Opposition. Also insofern wissen ich und die SPD-Mitglieder: Die Programmatik der SPD ist so stabil, dass wir da nicht in irgendwelche Panikreaktionen verfallen müssen.

    Müller: Wenn wir in die jüngste Vergangenheit gehen: War die SPD unter Gerhard Schröder in einer Blütezeit?

    Struck: Nun, sie war in einer schwierigen Zeit, wir haben ja schwierige Entscheidungen zu treffen gehabt auch zum Beispiel in der Innenpolitik die Agenda 2010, also die Gesetze, mit denen der Sozialstaat stabilisiert werden konnte. Auch außenpolitisch war es eine schwierige Zeit. Ich gehe nicht davon aus, dass die Meinungsumfragen, die heute kolportiert werden, das Wahlergebnis von 2009 sein werden.

    Müller: Aber kann es noch eine SPD "40 plus" geben?

    Struck: Ja, selbstverständlich, kein Zweifel.

    Müller: Mit wem an der Spitze?

    Struck: Kurt Beck an der Spitze.

    Müller: Sie sind relativ gelassen mit Blick auf die Umfragewerte. Warum sind Sie dennoch Verlierer der Koalition?

    Struck: Einmal ist es natürlich schon schwierig, das haben die Grünen genau so erlebt, als wir mit ihnen zusammen regiert haben: Die Person des Kanzlers oder in diesem Fall der Kanzlerin überstrahlt schon viel. Also alles, was an Erfolg erreicht worden ist, wird an der Person des Regierungschefs festgemacht, obwohl der Außenminister gute Vorarbeit geleistet hat, auch zum Europäischen Rat am vergangenen Wochenende, die Entwicklungshilfeministerin, was die Afrika-Entscheidung von Heiligendamm angeht, der Finanzminister, was die Hedgefonds-Entscheidung von Heiligendamm angeht - und in vielen Bereichen wir wirklich gute Vorarbeit geleistet haben. Aber das muss man einfach zur Kenntnis nehmen: Ein Kanzler ist in den Augen der Öffentlichkeit derjenige, der es letztlich bewirkt hat, obwohl seine Fachminister wesentlich dazu beigetragen haben, auch Sigmar Gabriel in bezug auf die Umweltbeschlüsse von Heiligendamm. Aber es wird sich alles relativieren, denn je näher die Bundestagswahl heranrückt, um so mehr wird auch klar werden, welchen Anteil an guter Regierungsarbeit sozialdemokratische Ministerinnen und Minister geleistet haben.

    Müller: Viele, Herr Struck, aus Ihrer Fraktion, also die sozialdemokratischen Abgeordneten kritisieren immer wieder Angela Merkel als nicht entscheidungsfreudig, als führungsschwach. Dennoch steht sie so gut. Ist das im Grund eine Kritik, die in erster Linie darauf zurückgeht, dass man immer noch Angela Merkel unterschätzt und immer unterschätzt hat?

    "Schon einiges an Frau Merkel auszusetzen"
    Struck: Also ich glaube, sie ist unterschätzt worden nicht von uns, sondern von ihren eigenen Parteifreunden. Es gibt ja den berühmten Pakt, zu denen dann so ehrgeizige Politiker wie Wulff oder Koch oder Herr Jung oder andere gehören, die im Grunde schon darüber ärgerlich sind, dass Frau Merkel an ihnen vorbeigelaufen ist. Sie stehen jetzt in Solidarität zu ihr, weil sie gar keine Alternative haben. Wir haben sie nicht unterschätzt. Ich glaube nur, dass schon klar ist, dass ein Regierungschef oder in diesem Fall eine Regierungschefin nicht in erster Linie Parteiinteressen wahrnehmen darf, sondern man muss das Land für die Regierung führen. Und da haben wir schon einiges an Frau Merkel auszusetzen.

    Müller: Beispielsweise?

    Struck: Mindestlohn. Also in Deutschland gibt es eine breite Zustimmung zu unserer Forderung, dass es einen Mindestlohn geben muss, dass es unzumutbar ist, dass Leute unter vier Euro pro Stunde arbeiten müssen und dann noch Sozialleistungen des Staates in Anspruch nehmen können, weil sie sonst nicht leben und ihre Familie ernähren können. Und da gibt es einen heftigen Widerstand in der CDU, in der CDU/CSU-Fraktion, und Frau Merkel war nicht in der Lage, diesen Widerstand zu überwinden. Ich erwarte von ihr, dass die Interessen der Menschen, die unter einem solchen Ausbeuterlohn leiden, auch wahrnimmt.

    Müller: Wenn ich Sie richtig verstanden habe, Herr Struck, gibt es immer noch keinen Kompromiss beim Mindestlohn, obwohl das viele Anfang vergangener Woche so verstanden haben.

    Struck: Wir haben einen Einstieg erreicht, die Tür ist einen Spalt breit geöffnet worden durch die Möglichkeit, bestimmte Branchen in das so genannte Entsendegesetz aufnehmen zu können oder durch die Möglichkeit eines Gesetzes aus dem Jahr 1952, das wir umformulieren werden, Tarifvereinbarungen zu erreichen oder Mindestlöhne zu erreichen. Aber das Hauptziel, das wir erreichen wollten, nämlich einen gesetzlich fixierten Mindestlohn, ist nicht erreicht worden. Das heißt, wir werden weiter für dieses Ziel kämpfen und werden es wahrscheinlich nur durchsetzen können in einer anderen Regierungskonstellation als der jetzigen.

    Müller: Das erinnert aber einige an den Verlauf der Debatte und den Streit um Rente mit 67. Der Mindestlohn ist auch eine wichtige Prestigeforderung. Warum schafft es die SPD nicht, sich durchzusetzen?

    Struck: Nun, eine Koalition lebt natürlich davon, dass es einen Kompromiss geben muss, wenn Frau Merkel als CDU-Vorsitzende und auch als Kanzlerin und Herr Kollege Kauder in solchen Verhandlungen sagen, wir machen das nicht, wir können es nicht durchkriegen in der CDU-Fraktion, dann kann ich das auch nicht ändern. Ich kann sie ja nicht zwingen dazu, wobei ich mir manchmal schon ein schärferes Wort, ein schärferes Eintreten der Kanzlerin wünschen würde. Was die Rente mit 67 angeht, war es ja kein Streitthema innerhalb der Koalition.

    Müller: Aber die SPD hat durch dieses Thema verloren, nicht die CDU.

    Struck: Ja, das stimmt. Wir haben verloren, weil die Menschen gesagt haben oder jetzt auch viele noch denken: Wie soll das denn gehen, wenn es keine Arbeitsplätze gibt für Ältere? Wie soll ich heute mit 50 Jahren noch 17 Jahre auf dem Bau arbeiten müssen oder auf dem Dach stehen müssen? Kurt Beck hatte als Beispiel den Dachdecker genannt, aber es kann genauso gut andere Berufe betreffen. Da war es so, dass die Vermittlungsmöglichkeiten, die man hat, im Grunde nicht ausreichen, um den Menschen die Notwendigkeit klar zu machen. Wir werden deshalb auch als SPD-Fraktion, als Partei, Ende des Jahres einen Beschlussvorschlag vorlegen über flexible Altersübergänge, das heißt, wir wollen prüfen: Kann man über Teilrente, über Erwerbsminderungsrente, über Erwerbsunfähigkeitsrente genau diese Problemfälle lösen, dass jemand wirklich nicht mehr auf dem Bau arbeiten kann oder woanders mit 67 und auch dann noch keine Rentenabschläge hinnehmen muss? Da stehen wir an der Seite der Gewerkschaften, indem wir das zusammen jetzt diskutieren und dann auch Vorschläge erarbeiten werden. Ich glaube, dass die Union dann auch da bereit wäre mitzumachen. Aber das müssen wir abwarten.

    Müller: Das haben Sie aber im vorigen Jahr dann nicht gewusst. Jetzt ist das Kind in den Brunnen gefallen, und die Politik muss jetzt kompensieren.

    Struck: Nein, wir haben es schon gewusst. Es war nur nicht möglich. Es bleibt dabei, dass beginnend mit dem Jahr 2012 das Renteneintrittsalter um einen Monat nach hinten geschoben wird, also 65 Jahre plus einen Monat. Nur haben wir auch im Gesetz festgelegt, auch auf Druck der SPD, dass im Jahr 2010 noch einmal eine Überprüfung stattfindet.

    Müller: Kommen wir, Herr Struck, noch einmal zurück zur Auseinandersetzung um den Mindestlohn. Da geht es ja auch um die Forderung aus den eigenen Reihen, die "Gerechtigkeitslücke", in Anführungszeichen, zu schließen. War die SPD in den vergangenen Jahren zu wenig sozialpolitisch unterwegs?

    Struck: Nein, ganz im Gegenteil. Wir haben ja mit Franz Müntefering jetzt seit 2005 den verantwortlichen Minister. Der ist ja nun wirklich nicht im Verdacht, Arbeiterverräter zu sein. Wir haben auch vorher mit Walter Riester einen entsprechenden Arbeitsminister gestellt. Und Wolfgang Clement als Arbeits- und Wirtschaftsminister hat durchaus sozialdemokratische Politik im Bereich des Arbeitsmarkts durchgesetzt. Es ist natürlich nur so: Angesichts der schlechten Entwicklung, die wir in Zeiten von Rot-Grün gehabt haben, war es nötig zu reagieren auf die Folgen der Globalisierung im Bereich des Arbeitsmarktes. Jetzt haben wir eine bessere Situation. Aber diese bessere Situation ist natürlich auch zurückzuführen auf die Maßnahmen, die zwischen 2002 und 2005 beschlossen worden sind.

    Müller: Wenn die SPD nicht als Partei wahrgenommen wird, die, wie Sie sagen, die soziale Gerechtigkeit eben nicht vernachlässigt hat, wie kann man dann den Aufstieg der Linkspartei, der Linken erklären?

    Der neue SPD-Fraktionsvorsitzende Peter Struck begrüßt die designierte Bundeskanzlerin Angela Merkel zur der Sitzung der SPD-Fraktion in Berlin.
    Struck mit Bundeskanzlerin Angela Merkel. (AP)
    "Wir haben die PDS ernst genommen"
    Struck: Es ist eine Partei, die verspricht, im Himmel ist Jahrmarkt und wir können alle da hin gehen, aber überhaupt natürlich keine konkreten Finanzierungsvorschläge für ihre programmatischen Aussagen für Ihre Wohltaten für das Volk vorgelegt hat. Und ich weiß ganz genau, dass viele Bürgerinnen und Bürger das auch erkennen werden. Die werden nicht hereinfallen auf solche Luftschlösser. Es ist nicht mehr das Thema, wer ist da Parteivorsitzender bei denen, mit denen sich gerade die Sozialdemokraten groß auseinander gesetzt haben, sondern es geht nur über die Inhalte, und zwar aggressiven Kampf gegen die PDS.

    Müller: Aber ist das so, dass man bislang diesen Faktor Linkspartei, diesen Faktor Oskar Lafontaine, wer auch sonst immer noch in diesem Führungsgremium mit von der Partie ist, dass man das doch nicht ernst genug genommen hat?

    Struck: Wir haben die PDS ernst genommen. Die PDS hat ja einen starken Rückhalt in den neuen Ländern. Und die PDS hat diesen starken Rückhalt, weil viele Bürgerinnen und Bürger dort mit den Folgen der Einheit, vor allem die Älteren, noch nicht fertig geworden sind. Es gibt eben ganz andere soziale Situationen. Es gibt Regionen in Ostdeutschland, die von hoher Arbeitslosigkeit belastet sind. Es gibt auch andere Leuchtturm-Regionen, wie wir sagen, in denen es gut läuft. Aber die PDS ist ein Faktor in den neuen Ländern. Die sogenannte Linke wird in westlichen Ländern, in den alten Bundesländern, keinen so großen Rückhalt finden. Also, Bremen ist nicht die Bundesrepublik Deutschland. Dass wir natürlich versuchen zu verhindern, dass diese neue Partei in den Bundestag mit einer beachtlichen Stärke kommt, das versteht sich von selbst. Es ist unser politischer Gegner, genau so wie im Wahlkampf natürlich auch die CDU und die FDP und die Grünen unser politischer Gegner sind.

    Müller: Aber gilt die Formel, je mehr Linkspartei, je größer die Linkspartei, desto weniger, desto kleiner die SPD?

    Struck: Nein, das muss nicht so sein. Wir wissen aus den Analysen aus Bremen her, dass jedenfalls auch die CDU und auch die Grünen gelitten haben unter dieser neuen Partei. Es ist eine Protesthaltung von manchen Wählern, die einfach signalisiert: Wir sind mit eurer Politik nicht mehr einverstanden. Wir müssen deshalb als Regierung eine ordentliche Arbeit machen. Für mich ist es wichtig zu sagen, dass ich auch interessiert bin am Erfolg der gesamten Bundesregierung, auch am Erfolg von Frau Merkel, weil die Menschen zu Recht erwarten, bei diesen großen Mehrheitsverhältnissen, die wir haben, dass wir ordentlich regieren.

    Müller: Aber Ihr Interesse, Peter Struck, am Erfolg auch der Union als Teil der Bundesregierung und am Erfolg der Bundeskanzlerin geht so weit, dass Sie dennoch ganz klar sagen, Ende 2009 ist Schluss.

    Struck: Ja, aus Demokratiegründen. Ich glaube nicht, dass es für ein Land gut ist, wenn einer sehr starken Regierung nur eine ganz verschwindende, sozusagen fast unbeachtliche Opposition gegenüber steht. Wir haben im Deutschen Bundestag mehr als eine Zweidrittelmehrheit, CDU/CSU und SPD. Im Bundesrat haben wir auch eine Zweidrittelmehrheit der regierenden Parteien. Es ist immer besser, wenn in einer Demokratie eine starke Regierung da ist und eine fast ebenso starke Opposition. Das schärft die Argumentationsvoraussetzung für die Regierung. Und von daher sage ich, es muss ein Ausnahmezustand bleiben, dass die Große Koalition regiert.

    Müller: Können Sie mit Blick nach vorne ausschließen, dass ein Bündnis, eine Koalition, eine Zusammenarbeit mit der Linkspartei nicht zustande kommt?

    Struck: Mit der Linkspartei wird es nie eine Zusammenarbeit auf Bundesebene geben. Weil: Man kann mit einer Partei, die unseriöse politische Vorstellungen im Bereich der Innenpolitik, der Sozialpolitik hat, kann man nicht zusammen regieren. Und man kann schon gar nicht mit Leuten zusammen regieren, die abgehauen sind aus der Verantwortung. Herr Lafontaine ist ja weggelaufen vor der Verantwortung, Herr Gysi auch. Mit solchen Leuten könnte ich überhaupt nicht zusammenarbeiten. Die scheuen ja die Arbeit.

    Müller: "Opposition ist Mist", hat einst Franz Müntefering gesagt. Das heißt, wenn es zum Schwur kommen würde, es würde nur mit der Linkspartei gehen, dass die SPD wieder mehrheitsfähig im Bundestag wird, dann geht man in die Opposition?

    Struck: Nie mit der PDS.

    Müller: Mit der Linkspartei?

    Struck: Nie mit der PDS.

    Müller: Warum gilt das für die neuen Länder nicht?

    Struck: Ich muss einfach zur Kenntnis nehmen, dass in den neuen Ländern die PDS eine andere Partei ist, als sie auf Bundesebene sich im Augenblick artikuliert und darstellt. Die PDS ist eine Partei, die schon Interessen der Bürger massiv jetzt über Mieterhilfen und andere Hilfen wahrnimmt. Ich muss einfach zur Kenntnis nehmen, dass sie dort ein politischer Faktor ist. Ich möchte gerne, dass natürlich die SPD stärker wird. Wir haben auch nur eine Koalition mit der PDS, das ist in Berlin. In anderen Bundesländern regieren wir dort, wo wir regieren, mit der CDU zusammen. Ich möchte nur, dass meine Partei der PDS auch durch aktive politische Arbeit Stimmen wegnimmt. Ich sehe sie nur nicht als vorübergehend an.

    Müller: Aber das ist ein taktisches Argument, Herr Struck, wie Sie argumentieren. Ist das denn für den Bürger, für den Wähler von außen hin erklärlich beziehungsweise für sich nachvollziehbar und erklärbar, wenn man sagt, wir können das in Berlin beispielsweise zusammen machen? Das ist ja nun keine kleine Stadt, das ist die Symbolstadt für die Bundesrepublik schlechthin. Aber im Bund, auch mit Blick auf den Zeitraum von vier, fünf Jahren, ist das unmöglich.

    Struck: Bei allem Respekt vor Berlin oder vor irgendeinem anderen Bundesland: Bundespolitik ist etwas anderes als Landespolitik. Und von daher muss man sagen, dass man klar feststellen muss, wir machen im Bundestag Sozialgesetze. Ich kann nicht mit einer Partei zusammen regieren, die den Leuten Geld schenken will ohne reale Grundlage. Und von daher muss ich sagen, es ist einfach innerlich absolut unmöglich, mit der PDS eine Vereinbarung, eine Koalition zu schließen. Insofern gibt es schon einen Unterschied zwischen der Bundeshauptstadt und der Landeshauptstadt Berlin.

    Müller: Also könnten wir jetzt hier einmal festhalten, um das Kapitel in unserem Gespräch zumindest jetzt zu beenden, das heißt, es wird kein Zeitpunkt kommen, wo die SPD bündnisfähig für die Linken wird?

    Struck: Was ist das denn für eine Frage, Herr Müller? Also, wir sind bündnisfähig. Umgekehrt muss die Frage gestellt werden. Die Linke ist nicht bündnisfähig für die SPD auf lange, lange Zeit.

    Oskar Lafontaine und Gregor Gysi von der Linkspartei verfolgen die Rede von Bundeskanzlerin Angela Merkel.
    Oskar Lafontaine (links) und Gregor Gysi im Bundestag (AP)
    Mahnung zur Geduld mit Afghanistan
    Müller: Wechseln wir das Thema, gehen wir auf die Außenpolitik. Afghanistan - ein großes Streitthema in den vergangenen Monaten. Die Kämpfe im Süden nehmen zu, die Opferzahlen nehmen entsprechend zu, auch unter Zivilisten. Kann Afghanistan so weitergeführt werden aus Sicht der internationalen Staatengemeinschaft, aus Sicht der ISAF-Truppen wie bislang?

    Struck: Zunächst einmal muss man Geduld haben bei diesem Land. Wenn Sie daran denken, dass wir im europäischen Bereich schon elf Jahre zum Beispiel in Bosnien-Herzegowina sind. Seit elf Jahren ist der Krieg vorbei, wir sind immer noch da. Da kann man nicht erwarten, dass wir in Afghanistan nach drei Jahren oder vier Jahren rausgehen, das kann man nicht erwarten. Das Land braucht unsere Hilfe, die Hilfe der Internationalen Staatengemeinschaft. Und um diese Hilfe abzusichern, braucht man Militär. Es gibt niemanden bei mir in der Bundestagsfraktion - abgesehen von solchen, die sagen, grundsätzlich darf kein deutscher Soldat im Ausland tätig werden -, der das bezweifelt. Wir werden das Mandat, das ISAF-Mandat, so nennen wir es ja, fortsetzen. Die Debatte muss eher darauf fokussieren, das sage ich auch als ehemaliger Verteidigungsminister, welche zivilen Möglichkeiten haben wir zu helfen? Es darf nicht im Vordergrund immer das Militär stehen, wenngleich es politisch wichtig ist, weil der Bundestag darüber entscheiden wird.

    Wir geben viel Geld über Sachleistungen in das Land hinein. Ich erwarte von der afghanischen Regierung, auch von Präsident Karzai, dass er ernsthaft dafür sorgt, dass Korruption in seinem Land unterbunden wird, dass der Drogenanbau reduziert wird. Es ist Aufgabe der Afghanen, gegen den Drogenanbau vorzugehen. Und von daher müssen wir Geduld haben. Das wird noch länger dauern, die internationale Präsens in Afghanistan über NATO und über andere Organisationen, als man das vielleicht am Anfang gedacht hat.

    Müller: Haben Sie denn, Herr Struck, das Gefühl, Sie haben ja Karzai jetzt angesprochen, dass der afghanische Präsident samt seiner Mannschaft, samt seiner Regierung, auch eventuell samt seiner Kompetenzen und Möglichkeiten das bislang nicht konsequent umgesetzt hat?

    Struck: Ich glaube, man muss ihm sagen, dass er viel energischer gegen die Korruption hätte vorgehen müssen. Ich sehe die Notwendigkeit, dass er auch mit anderen zusammenarbeiten musste, zum Beispiel zu Recht auch mit sogenannten gemäßigten Taliban, die ja nicht militant vorgehen, aber noch Rückhalt in der Bevölkerung haben, die man ja auch braucht. Aber mir fehlt es schon im Grunde an stärkerem Einsatz der Regierung des Präsidenten, was den Kampf gegen den Drogenanbau angeht und was die unmittelbare Hilfe für die Bauern angeht. Ich kann einem Bauern heute gar nicht verdenken, dass er Mohn anbaut, weil er damit seine Familie ernähren kann. Wir müssen ihm Alternativen bieten. Und da gibt es noch zu wenig von Seiten der afghanischen Regierung.

    Müller: Wird die afghanische Regierung dementsprechend unter Druck gesetzt?

    Struck: Die wird unter Druck gesetzt nicht nur von uns, sondern von anderen. Wir machen ja mehrfach Afghanistan-Konferenz. Frank-Walter Steinmeier, unser Außenminister, ist sehr engagiert auch Frau Wieczorek-Zeul und die anderen Nationen auch, weil jeder weiß, letztlich ist das kein Problem, das man militärisch lösen kann, sondern ein Problem, das nur über zivilen Wiederaufbau gelöst werden kann.

    Müller: Blicken wir, Herr Struck, auch noch einmal auf den Süden. Die Amerikaner sollen, so wird immer wieder geschrieben, die Korrespondenten berichten das, in der Politik ist es auch immer wieder einmal zu hören, solle martialisch vorgehen, das heißt, das Militär sehr massiv einsetzen und weniger diese zivile Komponente, von der Sie eben gesprochen haben, im Blickpunkt haben. Können die Amerikaner gemeinsam mit den Briten, mit den Kanadiern im Süden strategisch so weiter vorgehen wie bisher?

    Struck: Ich glaube, dass es ein Umdenken in der amerikanischen Administration, auch im Pentagon, gibt durch den Wechsel von Rumsfeld zum neuen Verteidigungsminister Bob Gates. Die Amerikaner haben am Anfang immer sehr unser Konzept, das sogenannte PRT-Konzept, also Wiederaufbaukonzept, kritisiert, das wir im Norden praktizieren. Jetzt gehen sie dazu über, das Gleiche im Süden zu machen. Es hat keinen Sinn zu versuchen, über Bombardierung das Land zu befrieden. Natürlich muss man gegen Terrorismus kämpfen, man muss gegen El Kaida und gegen militante Taliban kämpfen, aber der Schwerpunkt muss wirklich auf dem zivilen Wiederaufbau liegen. Und das ist auch jetzt inzwischen die Erkenntnis der Amerikaner.

    Müller: Im Herbst steht in Deutschland die Verlängerung der jeweiligen Afghanistan-Mandate an, unter anderem die internationale Schutztruppe ISAF. Auch die Tornado-Einsätze stehen zur Verlängerung an. Ist das jetzt ausgemachte Sache? Gibt es da kein Problem?

    Struck: Die Bundesregierung wird das beschließen, also wird entsprechende Verlängerungsbeschlüsse fassen, ich glaube, der Bundestag auch, abgesehen von einigen, die sagen, wir halten das grundsätzlich für falsch. Aber die großen Befürchtungen, die wir hatten durch den Aufklärungseinsatz der Tornados sind auch so nicht eingetreten. Von daher habe ich gegen die Verlängerung des ISAF-Mandates nichts einzuwenden.

    Müller: Was ist dem Anti-Terror-Einsatz, mit Enduring Freedom?

    Struck: Da muss man sehr genau überlegen. Aber es bleibt natürlich dabei, dass wir auch gegen den internationalen Terrorismus, der in Afghanistan sich manifestiert, vorgehen müssen, genau so wie wir am Horn von Afrika mit der Marine weiter unsere Aufgaben wahrnehmen. Es kommt darauf an, welche Entscheidung die Bundesregierung dann trifft. Der Bundestag wird sich damit zu beschäftigen haben. Ich bin nach wie vor dafür, dass wir auch ernsthaft unsere Kommandospezialkräfte hier in diesem Rahmen des Mandats "Kampf gegen den Terrorismus" tätig zu werden auch anbieten. Wir können uns nicht einfach rausschleichen.

    Müller: Wie groß ist denn der Widerstand in der Fraktion?

    Struck: Es gibt Debatten, aber Widerstand kann man das nicht nennen. Es gibt Debatten darüber, ob das gemacht werden soll. Wir werden im September eine ganztägige Konferenz in der Fraktion durchführen mit Afghanen, afghanische Regierungsvertreter mit "normalen", in Anführungszeichen, afghanischen Bürgern, die berichten, welche Wirkung dieser Einsatz der Bundeswehr hat. Dann, glaube ich, wird jedem Skeptiker auch deutlich werden, dass unser Einsatz notwendig ist.

    Müller: Die Stimmung ob des Tornado-Einsatzes in Ihrer Fraktion, das war nun sehr umstritten. Es hat viele Gegenstimmen gegeben im Bundestag. Nun gut, nun kann die Große Koalition sich das leisten. Aber ist die Skepsis eher gestiegen?

    Struck: Nein, ich glaube, die Skepsis ist eher zurückgegangen. Wir haben eine Arbeitsgruppe eingesetzt, die jetzt einen Bericht vorlegen wird, den wir in der nächsten Woche in einer ersten fraktionsinternen Beratung diskutieren werden. Es gibt niemanden, der ernsthaft den Rückzug der Bundeswehr aus Afghanistan verlangt.

    Müller: Herr Struck, kommen wir dann noch einmal zurück zur Innenpolitik. Energiegipfel in der kommenden Woche. Da geht es darum, vielerlei Beschlüsse in die Praxis umzusetzen. Kommt es da zum Schwur in der Großen Koalition?

    Struck: Ja, das ist dann schon eine Nagelprobe auch für die Vertreter der CDU/CSU in der Regierung. Denn das, was auf den Energiegipfeln beschlossen worden ist, also auf dem Gipfel G8 zum Beispiel in Heiligendamm auch mit Hilfe von Sarkozy, so dass Bush überzeugt werden konnte, ist schon dramatisch. Wir wollen unsere Erde nicht kaputt gehen lassen. Verbal bekennt sich fast jeder dazu. Aber wenn es dann konkret um die Umsetzung geht, dann wird es schon hart werden, auch innenpolitisch. Ich glaube schon, dass Frau Merkel Schwierigkeiten haben wird, durchzusetzen gegenüber der Automobilindustrie oder welchen Interessenverbänden auch immer, wie wir die CO2-Ziele, die wir uns gesetzt haben in Heiligendamm, in Europa durchsetzen können. Der Umweltminister Gabriel wird dazu Vorschläge vorlegen. Die SPD-Fraktion unterstützt diese Vorschläge für mehr Energieeffizienz und Energiesparen und dergleichen mehr. Aber da wird es noch harte Debatten geben.

    Müller: So Gipfel suggerieren immer große Erwartungen in der Öffentlichkeit. Wird dabei etwas herauskommen?

    Struck: Ja, ich denke schon, dass Sigmar Gabriel den Auftrag bekommen wird, als zuständiger Umweltminister und Energieminister Gesetzentwürfe dazu vorzulegen. Es wird dabei nicht herauskommen, was die Industrie will, die Energieversorgungsunternehmen, dass wir den Ausstiegsbeschluss aus der Kernenergie rückgängig machen. Manche in der Union wollen das ja auch. Es bleibt bei dem Nein zur Kernenergie.