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Mit der Oder als Mittellinie

Kleinen Mannschaften auf dem Land fehlt es oft an Mitgliedern - so geschehen im brandenburgischen Lunow an der deutsch-polnischen Grenze. Jetzt haben polnische Kinder die deutsche Fußballmannschaft gerettet und damit ein ganzes Dorf belebt.

Von Stephanie Rohde |
    "Von den Polen hab ich zum Beispiel diesen Trick hier gelernt, also wenn hier jemand ankommt, mach ich so und dann so, damit der nicht so richtig hinterherkommt."

    Der achtjährige Moritz Linke steht am Waldrand auf einem viel zu großen Fußballplatz, der so aussieht, als wäre hier früher einmal mehr los gewesen.

    Über den Platz rennen 15 weitere Kinder, zwei Trainer und einige Eltern sind auch dabei. Der Co-Trainer Frank Andreas erklärt den deutschen und polnischen Kindern, worum es beim entscheidenden Spiel um die Meisterschaft am Sonntag geht, Jadwiga Michalska übersetzt für die polnischen Kinder.

    "Das ist ein Mannschaftssport! Nur zusammen, du gewinnst nicht alleine und du auch nicht, nur zusammen gewinnen oder verlieren wir das, wobei verlieren tun wir ja selten."

    Die deutsch-polnische Mannschaft steht auf dem ersten Tabellenplatz in der Kreisliga, dabei spielen sie erst seit knapp einem Jahr zusammen. Ein Junge trägt ein T-Shirt mit der Aufschrift: "Together we win".

    Die polnischen Kinder verstehen mehr Deutsch, als die Deutschen Polnisch. Auf dem Platz stört das nicht, für die Absprachen beim Spiel reicht es. Die Kinder weisen sich gegenseitig darauf hin, wenn jemand auf der falschen Position steht, der Umgangston ist vergleichsweise zahm.

    Das grenzübergreifende Projekt ist entstanden, weil in der 1000-Seelen-Gemeinde Lunow nicht mehr genug Kinder leben, um eine große Fußballmannschaft zu bilden. John Klaue ist relativ groß, er trägt die Nummer 1 auf seinem Trikot und steht im Tor.

    "Ich find es auch gut mit den Polen, sonst hätten wir gar keine Mannschaft zusammengekriegt, weil dann wären wir zu wenige und hätten keine Auswechselspieler und ich finde gut, dass es hier so gut klappt, dass nicht hier jeder jeden haut."

    Berührungsängste werden überwunden
    Weil es auf der polnischen Seite auch keine Kindermannschaft gibt, werden David Choranje und Milos Vica mit den anderen polnischen Spielern jeden Dienstag mit einem Mannschaftsbus nach Lunow gefahren. David und Milos haben ihre Frisuren vom Bundesligastar Marco Reus abgeguckt. Mit den deutschen Kindern spielen die beiden gerne zusammen, weil:

    "Die lieben die Bundesliga, die möchten so sein wie die Bundesliga, das ist der beste Club."

    Das Begegnungszentrum Lunow hat die gemeinsamen Fußballtrainings organisiert, gefördert wird das Projekt mit mehr als 20.000 Euro vom deutsch-polnischen Jugendwerk Pomerania. Am Anfang hatten die Kinder noch Berührungsängste, es hat ein halbes Jahr gedauert, bis sie sich einander annäherten, erzählt Andrea Teichert, die Initiatorin des Projekts:

    "Am Anfang, wenn wir Mannschaften im Training gewählt haben, dann wählen die sich selbst, so dass wir immer eine deutsche und eine polnische Mannschaft hatten, aber je mehr sie die Stärken der anderen kennen lernen, wählen die sich auch mal nach dem Können."

    Nicht alle haben das deutsch-polnische Projekt von Beginn an unterstützt.

    "Manche haben uns auch den Rücken gekehrt, manche Kinder auch, wo die Eltern gesagt haben, oh da spielen ja polnische Kinder mit und manche haben die Mitgliedschaft auch ruhen lassen und sind jetzt aber wieder mit dabei, also man war schon ein bisschen vorsichtig am Anfang."

    Bei den Auswärtsspielen gebe es auch Eltern von anderen Clubs, die sich abfällig über die polnischen Spieler äußerten.

    "Ich denke mal, dass man diese Grenze wieder in den Köpfen erlebt, seitdem die polnische Seite in Deutschland fahren kann und uns besuchen kann, passieren auch diese Dinge, dass mal was weg kommt, auf polnischer Seite passiert das ja auch, seitdem ist die Arbeit für diese positiven Beziehungen, die es ja gibt, schwieriger geworden."

    Von den Eltern der polnischen Kinder könnte noch mehr kommen, findet der Betreuer Bernd Ehlke.

    "Wir haben auch die Möglichkeit mit dem Bus eingeräumt, damit die Kinder die Eltern mitbringen können, aber das ist nicht in Anspruch genommen worden, ich weiß nicht ob die Eltern kein Interesse haben, kann ich nicht sagen."

    Wenn die Saison zu Ende ist, fahren die Kinder gemeinsam für einige Tage in ein Ferienlager. Mit Projekten wie diesen belebt das 2006 gegründete Begegnungszentrum Lunow den kleinen Ort, der nicht von finanziellen Zuwendungen gestreichelt wird. Viele Familien sind weggezogen, die einzige Schule im Dorf wurde geschlossen. Damit das Gebäude nicht verfällt, hat das Begegnungszentrum Lunow dort Vereinsräume und einen Sportplatz eingerichtet.

    Für heute ist das Training zu Ende. Die Kinder steigen in den Bus, der sie nach Hause bringt. Den ersten Teil der Strecke fahren Deutsche und Polen noch gemeinsam. Bis zum Pokalspiel am Sonntag bildet die Oder wieder die Mittelfeldlinie.

    "Antreten, Einladen, fertig.
    Wir steigen als erster aus, wir steigen aus in Germany."

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