Archiv


Mit der Stimmgabel in Atome blicken

Physik.- "Haben Sie schon einmal ein Atom gesehen?" Das soll der österreichische Physiker Ernst Mach um 1900 gefragt haben. Er wäre erstaunt gewesen, dass gut 100 Jahre später sogar Studenten im Praktikum einzelne Atome sichtbar machen. Das Instrument dafür heißt Rasterkraftmikroskop.

Von Hellmuth Nordwig |
    Einzelne Atome zu erkennen, das ist inzwischen keine Herausforderung mehr. Franz Gießibl, Professor für Experimentalphysik an der Universität Regensburg, geht aber weiter ins Detail. Für seine Rasterkraftmikroskope heftet er feinste Nadeln, deren Spitze nur aus einem Atom besteht, an winzige Stimmgabeln. Die baut er aus handelsüblichen Quarzuhren aus.

    "Wenn man die öffnet, findet man da drin eine kleine Stimmgabel aus Quarz. Die hat zwei Zinken mit einer Länge von etwa vier Millimetern. Quarz hat nämlich die Eigenschaft, piezoelektrisch zu sein. Das bedeutet, wenn Sie Quarz verformen, wird an der Oberfläche eine elektrische Ladung erzeugt. Wenn Sie also eine Stimmgabel herstellen aus Quarz und diese Stimmgabel zum Schwingen bringen, dann werden im Rhythmus dieser Schwingungen an der Oberfläche Ladungen erzeugt, positive und negative. Wenn Sie da jetzt eine metallische Oberfläche draufbringen, können Sie diese Ladungen einsammeln und somit elektrisch messen, wie dieser Kristall schwingt."

    Diese Schwingung reagiert extrem empfindlich selbst auf winzigste Kraftfelder. Bringt man die Stimmgabel zum Beispiel in die Nähe einer Oberfläche, dann wird sie von den Atomen angezogen. Dabei schwingt sie langsamer, der Ton wird tiefer.

    Fährt man nun mit der Stimmgabel in sehr geringem Abstand über die Oberfläche hinweg, dann kann man jedes einzelne Atom und sogar noch feinere Strukturen hörbar machen.

    "Von allen Größen, die wir als Menschen messen können, können wir Frequenzen mit Abstand am genauesten messen, mittlerweile auf 18 Nachkommastellen genau. Das heißt, wenn man etwas in eine Frequenzänderung umwandeln kann, kann man eine sehr präzise Messung anstellen."

    Deshalb der Trick mit der Stimmgabel. Im Labor schwingt sie so schnell, dass das menschliche Gehör die Töne nicht hören kann. Außerdem kleben Franz Gießibls Mitarbeiter eine Zinke fest, denn zwei würden sich gegenseitig beeinflussen. Überhaupt ist so eine Messung nicht ganz einfach. Wo es auf jedes einzelne Atom ankommt, stören auch die Luft und der darin enthaltene Wasserdampf. Drei Tage lang hat der Doktorand Thomas Hofmann die Versuchskammer deshalb geheizt und ausgepumpt, bis das erforderliche Ultrahochvakuum erreicht war.

    "Die Oberfläche, auf der ich gerade messe, ist Graphen. Man sollte jetzt hier die Überstruktur von Graphen erkennen können, Atome sind auf dieser Skala nicht zu erkennen. Graphen ist eine einzelne Lage von Graphit. Das ist im Moment ein sehr modernes Material. Man erhofft sich davon, dass es zum Beispiel als Leiter in der Mikroelektronik einmal Kupfer ablösen könnte, weil es eine sehr hohe Strom-Tragfähigkeit und eine sehr hohe Elektronenbeweglichkeit hat. Und dieses Material erforschen wir hier."

    Die hoch empfindliche Stimmgabelmessung zeigt Einzelheiten, die Physiker in der Theorie vorhergesagt haben, die man aber zuvor nie sehen konnte. Auf einer Siliziumoberfläche lassen sich sogar die Elektronenwolken einzelner Atome erkennen. Das entspricht einer Auflösung von etwa einem Nanometer, dem millionsten Teil eines Millimeters. Und es ist auch zu sehen, wie die Atome im Kristall orientiert sind – vergrößert man sie nämlich so weit, sind sie keineswegs rund wie Äpfel. Eine konkrete Anwendung haben die Stimmgabel-Mikroskope aus Regensburg ebenfalls bereits gefunden.

    "Die Mikroelektronik geht in die Nanoelektronik über. Wenn jetzt bei den neuesten Prozessoren von Computern die Breite eines Leiters nur noch 35 Nanometer beträgt – das entspricht etwa 100 Atomdurchmessern, dann kommt es auf jedes einzelne Atom an. Und deswegen wird es immer wichtiger, Analyseinstrumente zur Verfügung zu haben, die es erlauben, die einzelnen Atome auch anzuschauen."