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Mit der Vespa durch London

Mit Zweitaktgeknattere geht es zu den Sehenswürdigkeiten der Metropole an der Themse. Der Feierabendverkehr ist zwar brutal, aber dafür lässt sich die kleine Vespa gut direkt an den interessanten Punkten parken.

Von Nadine Lindner |
    Da sind sie, unsere Reisegefährten. Zwei Vespas. In Weiß und Knallgrün lackiert. Sie werden uns durch London tragen – zu einer kleinen Stadtrundfahrt der ungewöhnlichen Art. Vorbei an alten und neuen Wahrzeichen. Mit dem Zweitaktknattern durch eine Weltstadt, die sich nicht nur im Jahr der Olympischen Spiele ständig verändert.

    Meine Vespapiloten sind Alexander und Oliver Eischeid. Zwei Brüder aus Köln, 34 und 38 Jahre alt. Sie sind Vespafahrer seitdem sie 18 sind. Vespafahren ist für sie Freiheit und Individualität. Sie lieben ihre Vespas. Und sie sind kreative Bastler wie Alexander Eischeid:

    "Hinter meinem Fahrzeug habe ich einen Einradanhänger, einen Pav-40-Anhänger. Was habe ich da drin? Ich sage ja immer, das ist kein Anhänger, sondern ein kleiner Caravan. Da habe ich einen selbst gefertigten Anstecktisch drin, den ich mit zwei Handgriffen an die Sitzbank montieren kann und zwei Klappstühle."

    Ihre Fahrzeuge sind liebevoll gepflegte Unikate.

    "Can you see the real me" - London und die Vespa, das geht natürlich nicht ohne den Kultfilm "Quadrophenia". Aus dem ist gerade der Eröffnungssong von der Band "The Who" zu hören. "Qudrophenia - A Way of Life" – das ist London im Jahr 1964, in dem sich zwei rivalisierende Jugendkulturen gegenüberstehen. Die "Rocker" und die "Mods" – die tragen smarte Anzüge, schlucken Pillen, hören "The Who" und fahren Motorroller – Lambrettas, aber natürlich auch Vespas.

    Unsere Vespa-Stadtrundfahrt startet im Südosten der Stadt, im Stadtteil Greenwich. Ein Stück britischer Seefahrergeschichte ist hier zuhause. Bekannt ist der Stadtteil natürlich als Ausgangspunkt der "Greenwich Mean Time", die zu Beginn des 20. Jahrhunderts nicht nur die Weltzeit war, sondern auch Seefahrern bei der Navigation half.

    Doch Greenwich steht nicht nur für alte britische Seefahrerromantik. Hier trifft auch das alte auf das neue London. Unser erster Halt ist der "Millenium Dome", eine riesige Veranstaltungshalle, die nun kurz "The O2" heißt. Nicht weit davon ist der neue Olympiapark. Heute gibt es hier ein Kino, einen riesigen Konzertsaal, ein Museum über britische Rockmusik – und für ein paar Tage hat hier auch ein kleines Vespamuseum seine Zelte aufgeschlagen.

    Bei unserem Reisegefährt ist der Besuch natürlich ein Muss. Auch hier stimmt der Soundtrack, ein DJ ist extra hier, um aufzulegen.

    Seit Ende der 1940er-Jahre rollt sie über Straßen, die Vespa. Das Geburtsland ist Italien, ihr Erfinder heißt Enrico Piaggio. Die Zeiten waren nicht einfach damals für den Tüftler: Die Häuser und Straßen Europas lagen in Trümmern, die Menschen mussten sparsam haushalten. Billige, private Transportmittel waren Mangelware. Und das nicht nur in Italien.

    Im kleinen Vespamuseum stehen sie nun, die Fahrzeuge aus den ersten Stunden. Mit dabei ist auch Brian Edwards, 72 Jahre alt, Vespafahrer seit 1957, ein echtes Londoner Original. Unter den kurzen, grauen Haaren blitzt in den freundlichen Augen eine Mischung aus Schalk und Wehmut auf, als er vor einer schwarzen Vespa – seiner schwarzen Vespa - steht.
    Auf dem Schwarz-Weiß-Foto, das am Lenker baumelt, ist seine Vespa zu sehen, darauf balancieren fünf Artisten, der junge Brian Edwards mittendrin.

    "Schauen sie sich das Datum an! Das war 1963. Eine unserer ersten Shows mit der Vespa. Wir sind immer wieder aufgetreten damit, das war schön. Ich habe immer noch eine Vespa und fahre sie auch noch. Aber nicht mehr so weit. Meine Frau sitzt hinten drauf und sie hält es nur noch 20 Kilometer lang aus. Spaß macht es uns beiden aber immer noch."

    Wir schwingen uns wieder auf die Vespas und brausen vom Südosten der Stadt von Greenwich in das Stadtzentrum. Nächste Station Tower Bridge.

    Unterwegs machen wir allerdings Bekanntschaft mit den zwei furchtbaren Ausbeulungen der Londoner Straßen: Nach unten gewölbt als Schlagloch oder nach oben gebeult als sogenannter "Speed Bump". An manchen Stellen erinnert die Strecke eher an einen olympischen Slalom als an eine Ausflugsfahrt.

    An einem gewöhnlichen Nachmittag kommt zu diesen zwei Herausforderungen noch der Londoner Feierabendverkehr hinzu. Autos, Taxis, Motorradfahrer, Rollerfahrer und absolut todesmutige Radler quetschen sich auf mehreren Spuren durch die Straßen der City. Vespapilot Oliver Eischeid ist schon viel rumgekommen, aber so etwas hat er nicht oft.

    "Der Verkehr in London, den wir erlebt haben, war ziemlich extrem. Das ist vergleichbar von meiner Warte nur mit Saigon, wie ich das erlebt habe, wo doch viel Chaos auf den Straßen herrscht."

    Doch der Blick auf die glitzernde Themse, auf die Tower Bride, entschädigt für alles. Der Vorteil des Vespafahrers: Ganz unkompliziert kann er für ein paar Minuten seine Gefährte an einer belebten Straße parken und sich in aller Ruhe umsehen.

    Auch hier finden das alte und das neue London auf wenigen Metern wieder zusammen. Da ist die Tower Bridge, eines der Wahrzeichen, da ist aber auch eine Parade zu Ehren des Thronjubiläums der Queen. Die Musikkapellen marschieren am Themseufer entlang. Nur wenige Meter daneben steht das Hochhaus "The Shard" - auf Deutsch: "Die Scherbe". Eine treffende Beschreibung für den bald zweithöchsten Wolkenkratzer Europas. Seine gläserne Fassade erinnert an einen Eissplitter. Obwohl er erst im nächsten Jahr fertig wird, reißen sich die Filmemacher in Hollywood schon jetzt um die Drehgenehmigungen.

    Wir fahren weiter in den Norden der Stadt, Richtung Tottenham. Ein Arbeiter und Einwandererviertel, heute zunehmend ein Anziehungspunkt für Künstler und Musiker. Den Tag lassen wir in einem gemütlichen Pub ausklingen. Es ist Europameisterschaft. Und egal, wo die Durstigen geboren sind, die an der Theke stehen. Heute Abend drücken sie alle der englischen Mannschaft die Daumen, rücken zusammen. Auch meine Vespapiloten Alexander und Oliver sind mittendrin. Und an diesem Fußballabend sind die Lichter des neuen London ganz weit weg. Was zählt, ist nur der Ball und - endlich – das Tor.