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Mit "Flexicurity" ins globalisierte Zeitalter

Die europäischen Staats- und Regierungschefs sind dem EU-Ratspäsidenten Tony Blair nicht gefolgt bei dessen Bemühungen, die europäische Wirtschafts- und Sozialpolitik auf einen neoliberaleren Kurs einzuschwören. Frankreich und Deutschland wollen die soziale Komponente nicht aus den Augen verlieren. Indes gilt Dänemark als Beispiel für einen erfolgreichen Mittelweg. Dort macht man mit dem Modell "Flexicurity" (Flexibilität und Sicherheit) hervorragende Erfahrungen. Marc-Christoph Wagner berichtet.

    Beratungsgespräch im Arbeitsamt: Christina Petersens ist begeistert. Die Stelle als Sekretärin in einem Verlag, die ihr Kurt Kaldor von der Kopenhagener Arbeitsvermittlung in Aussicht stellt, würde ihr gefallen. Spätestens nach einem Jahr wird ein Arbeitsloser in Dänemark, wie es heißt, aktiviert. Lehnt man das von der Arbeitsvermittlung gemachte Job- oder Fortbildungsangebot ab, wird das Arbeitslosengeld gekürzt. Von Anfang an muss jeder Arbeitslose einen Lebenslauf hinterlegen sowie dokumentieren, wann er sich wie bei wem bewirbt. Christina Petersen, 40 Jahre und Mutter von zwei Kindern, zeigt Verständnis:

    "Wer arbeitslos ist, erhält hierzulande eine relative hohe Unterstützung, etwa 80 Prozent des letzten Gehalts, und selbstverständlich kann der Staat dann auch verlangen, dass man sich aktiv um Arbeit bemüht. Ich finde es gut, dass die Arbeitsvermittlung hier einen so engen persönlichen Kontakt pflegt. Selbst wenn sie keine Jobs anzubieten hat, kümmert sie sich um eine Fortbildung."

    Das Gespräch zwischen Christina und Kurt Kaldor wirkt ebenso persönlich wie entspannt. Der Arbeitsvermittler fragt nach ihren Stärken und Schwächen, nach Vorstellungen und Wünschen, gibt Ratschläge und Tipps. Kaldor selbst versteht sich als Brückenbauer, nicht als Kontrolleur. Die meisten Arbeitslosen, sagt er, bemühen sich aktiv um Arbeit. Selbst wenn die staatliche Unterstützung im Vergleich zu anderen Ländern hoch sei – bequem leben könne man davon kaum! Nur den finanziellen Druck auf die Arbeitslosen zu erhöhen, ohne andererseits über ein entsprechendes Jobangebot zu verfügen, davon hält Kurt Kaldor nichts:

    "Dieser Weg führt in die Irre. Natürlich kann man die Leute dazu zwingen, sich auf jede beliebige Stelle zu bewerben, auch auf solche, für die sie überqualifiziert sind. Aber was bringt das? Die Unternehmen durchschauen das und die Arbeitslosen erhalten lauter Absagen, was ihr Selbstbewusstsein ja nicht steigert. Man sollte die Leute motivieren, anstatt sie zu peitschen."

    Leif Hansen, leitender Beamter der Arbejdsmarkedsstyrelsen, der für den Arbeitsmarkt verantwortlichen Behörde, ist stolz auf das Erreichte. Die in den neunziger Jahren initiierten Reformen hätten sich als erfolgreich erwiesen. In aller Welt interessiere man sich heute für das sog. Flexicurity-Modell, welches Flexibilität und Sicherheit miteinander kombiniert. Der Erfolg aber lasse sich nicht allein in Zahlen, Quoten und Statistiken ablesen, so Hansen. Das gesamte gesellschaftliche Klima sowie der Umgang mit der Arbeitslosigkeit habe sich verändert:
    "Das bedeutet, dass man in Dänemark keine Angst hat vor der Arbeitslosigkeit, diese ist nicht der Beginn einer sozialen Katastrophe."

    Am International Center for Business and Politics an der Kopenhagener Handelshochschule hat sich Professor Ove Kaj Pedersen intensiv mit dem dänischen Flexicurity-Modell und seiner Geschichte beschäftigt. Es ist eine Illusion, sagt er, eine erfolgreiche Arbeitsmarktpolitik von heute auf morgen gestalten zu wollen. Dies dauere Jahre und bedürfe der Anstrengung aller Seiten - der Arbeitgeber, Gewerkschaften sowie der Politik über die Parteigrenzen hinweg.

    "Das ist ja eines der Paradoxe: Immer wieder wird behauptet, der Nationalstaat und die Volkswirtschaft würden im Zuge der Globalisierung und Europäisierung eine immer geringere Rolle spielen. Der Erfolg des Flexicurity-Modells zeigt: das Gegenteil ist der Fall! Denn Flexicurity ist ja nichts anderes als eine nationale Strategie, die Arbeitgeber, Gewerkschaften und die Politik gemeinsam entwickelt haben, um im globalen Wettbewerb bestehen zu können."

    Auch Dänemarks Arbeitsminister Claus Hjort Frederiksen blickt optimistisch in die Zukunft. Für das kommende Jahr erwartet er eine Arbeitslosenquote von unter fünf Prozent. Würden auch die anderen EU-Staaten ihre Hausaufgaben machen, so Frederiksen lächelnd, ließen sich in Dänemark aber noch ganz andere Zahlen erreichen:

    "Ich sehe das große Problem darin, dass alle EU-Staaten, was den Arbeitsmarkt betrifft, ihr eigenen Süppchen kochen, wir in Brüssel aber auch viel zu viel regulieren. Seit ich Minister bin, befassen wir uns mit Arbeitszeitdirektiven, Regeln für Fernfahrer, usw., usf. - alles Dinge, die die Flexibilität des Arbeitsmarktes einschränken. Oft wird dabei vergessen, daß die eigentliche Herausforderung für uns nicht innerhalb Europas liegt, sondern in Asien, den USA und vielen anderen Orten der Welt."