"Ich fahr' auf 14 Tag' nach Swinemünde an 's blaue Meer…"
Auf 14 Tag' nach Swinemünde, der Stadt am Wind. Eine Reise, die sich damals – die Musik ist von 1927 - lohnte und die sich wieder lohnt. Die graue Stadt ist heute bunt, modern und abwechslungsreich, das Zentrum am Hafen, der große Park vor dem Kurviertel nahe der Ostsee. Wollen wir uns zu einem Rundgang verabreden?
Mit Herrn Pluciński. Ob er zu dieser Vormittagsstunde – wie immer - im Café sitzt, an dem Vierertisch vorn rechts? Zeitung lesend, Kaffee trinkend, das Geschehen draußen auf dem Kleinen Markt, beobachtend?
Als ich eintrete, erkenne ich den Historiker sofort: Schmales Gesicht, kurzes, graues Haar. Der frühere Museumsleiter hat einiges für die Annäherung von Polen und Deutschen in Świnoujście getan. Die ehemals deutsche Hauptstadt der Ostseeinsel Usedom. Damals eine Hafenstadt mit Senatoren, Matrosen, Windmüllern und schönen Frauen. Eine war Effi Briest, die Romanfigur von Theodor Fontane:
"Er lebte nur fünf Jahre hier, aber er hat einen sehr großen Einfluss auf die Swinemünder Geschichte hinterlassen."
Und darum treffen wir uns ziemlich genau dort, wo Papa Fontanes Apotheke gestanden haben mag.Humorvoll beschrieb Theodor das Haus in dem Erinnerungsbuch "Meine Kinderjahre":
"Im Erdgeschoss trennte ein gepflasterter Flur Apotheke samt Laboratorium von den Wohnräumen. Darüber stieg ein hohes Dach auf, in dem übereinander Böden lagen, mit Kräuterkisten und Gerümpel."
Der Dichter war ein kleiner Junge noch, als sein Vater die Familie zu dem Küstenort an der Pommerschen Bucht aus dem Brandenburgischen nachkommen ließ. Sein erster Eindruck, oft zitiert:
<im_74143>ACHTUNG: NUR FÜR SONNTAGSSPAZIERGANG VERWENDEN</im_74143> "Swinemünde war, als wir Sommer 1827 dort einzogen, ein unschönes Nest, aber zugleich ein Ort von besonderem Reiz. Wählte man, als Beobachtungsposten,den Kirchenplatz, zu dessen einschließenden Häusern auch unsere Apotheke gehörte, so ließ sich, obschon hier die Hauptstraße vorüberführte, wenig Gutes sagen, gab man aber die Innenstadt auf und begab sich an den 'Strom', wie die Swine genannt wurde, so verkehrte sich die bis dahin ungünstige Meinung in ihr Gegenteil."
Józef Pluciński und ich wollen, um die "bis dahin ungünstige Meinung in ihr Gegenteil" zu verkehren einmal ums Karree gehen. Von der Hausecke, zum Hafen hinunter, dort am Kai entlang zum ehemaligen Rathaus, dann wieder zurück zum "Kaffee Sonata", zu Plucińskis Stammlokal.
Wen treffen wir gleich an der Ecke? Klar, Fontane!
"Ich sehe sehr oft, dass die Swinemünder den Deutschen zeigen, Besucher, Touristen: oh gucken sie mal, da steht eine Tafel und hier wohnte deutscher Schriftsteller Theodor Fontane."
Die Tafel ist polnisch und deutsch beschriftet, mit einem runden Reliefbild des Schriftstellers.
"Das war meine Initiative. Ich war damals Museumsleiter in Swinemünde und ich betrachte es als meine Pflicht, meine Landsleute daran zu erinnern, dass Swinemünde nicht nur Stützpunkt für die Marine war, sondern auch ein Ort mit kultureller Tradition ist. Die Person Theodor Fontane war, ehrlich gesagt, vollkommen unbekannt."
Die alte Apotheke ist weg. An ihrer Stelle steht ein schlichter Wohnblock aus sozialistischer Zeit.
"Hier waren die Apotheke und der Weg ungefähr 100 Meter zur Swine, zum Hafen. Auch Theodor Fontane war begeistert für das Wasser. In seinem Buch steht geschrieben, am Ufer lagen stolze Schiffe, Segelschiffe mit Matrosen und war auch eine Kohlenumschlagplatz für Kohle, die Umladung machte die Menschen schmutzig, machte schwarze Gesichter. Frauen brachten Essen für ihre Männer zum Hafen, an der Swine. … und wir gehen zum Hafen, auf Fontanes Spuren."
"Hier liefen, vom abgeschrägten Ufer aus, Bretterflöße bis in den Strom hinein, darauf man, die Mädchen Wäsche spülend bei der Arbeit sah, immer in heiterer Unterhaltung untereinander oder mit den Schiffsleuten, die behaglich über die Bollwerkbrüstung gelehnt, ihnen zusahen."
Der Strom, die Swine, das ist der Hauptmündungsarm der Oder zur Ostsee. Das kleine Fischerdorf wuchs gerade zu einem der wichtigsten deutschen Seebäder heran. Der junge Theodor sah diese Anfänge. 1827, als Vater Fontane die Adler-Apotheke kaufte, war der Ort am linken Swineufer im Aufbruch – wie heute wieder.
"Das war die schönste Straße. Das war ein Zentrum für die Swinemünder. Es hieß früher Bollwerk. Hier standen Häuser von bedeutenden Swinemünder Bürgern. Wo wir stehen, war ein Fischmarkt, Fischmarkt, waren Schiffe und Hafenarbeiter und manchmal war eine Gruppe bei einer alten Frau, die Fische verkaufte."
Die Häuser der ersten Siedler wirkten wie Klein-Holland: Häuschen mit Garten, Blümchen und ein paar Windmühlen. Grundstück und Baumaterial gab es kostenlos, alle Häuser sollten – einstöckig - nach dem gleichen einfachen Muster gebaut werden. Alles einfach, auch das Essen:
"Das Beste Essen, das war Hering mit Kartoffel (!). Sogar der bedeutendste Bürger von Swinemünde, Senator Krause, das war ein großer Reeder, er hatte damals fast 50 Schiffe, er sagte immer, der richtige Pommer isst nur salzige Heringe und Kartoffeln, ja.
Etwas weiter, aber immer am Ufer, gab es schon zu Fontanes-Zeiten ein sehr elegantes, damals sehr elegantes Hotel."
Das Hotel "Drei Kronen" wurde in deutscher Zeit umgebaut, bekam einen Eckturm. Jetzt steht es bis auf ein paar Büroräume leer und ohne seinen Turm da. Die modernisierten Hotels, die neuen Restaurants mit schmackhaften Fischspeisen liegen nicht an der Swine, sondern an der Promenade, nahe der Ostsee.
Hier muss Effi Briest unterwegs gewesen sein, die tragische Hauptfigur aus Fontanes gleichnamigen Roman.
In Swinemünde, das Fontane in dem Buch als "Kressin" beschrieb, arbeitete Effis Ehemann als Landrat. Von ihrem Mann oft allein gelassen, ging Effi eine Liebesbeziehung zu dem neuen, verheirateten Bezirkskommandanten Crampas ein. Die endete, als Effis Mann nach Berlin versetzt wurde und alte Liebesbriefe von Crampas an Effi entdeckte. Beide Männer duellierten sich. Der Liebhaber starb. Die Ehe wurde geschieden. Effi überlebte die Schmach nicht.
Fontane hatte von der wahren Geschichte erfahren.
Die Effi Briest im Roman hieß in Wirklichkeit Elisabeth von Plotho.
Elisabeth war eine starke Frau. Nach der Scheidung, da war sie 34 Jahre alt, wurde ihr das Sorgerecht für die beiden Kinder genommen, ließ sie sich zur Krankenpflegerin ausbilden, pflegte dann mit Engelsgeduld Patienten. Jahrzehnte nach der Affäre vertraute sie sich ihrem Enkel an, dem Physiker Manfred von Ardenne. 99jährig starb sie – Verehrer hat sie bis heute.
Zurück nach Swinemünde am Ende des 19. Jahrhunderts. Etwas habe Józef Pluciński besonders gefallen, vertraut er mir an, als wir unseren Rundgang fortsetzen:
" Theodor Fontane hat geschrieben, dass Swinemünde war kleiner Ort, aber mit besonders schönen Frauen. Und wenn Sie sehen, hier und jetzt: Theodor Fontane hatte und hat bis heute recht! Unsere Stadt ist überfüllt mit besonders schönen Frauen."
Vor 20, 30 Jahren waren Effi Briest und Theodor Fontane den Swinemündern völlig unbekannt. Jetzt sehen sie es als Ehre an, solche Vorfahren gehabt zu haben:
"In unserem Gymnasium gab es eine Gruppe, die haben eine Veranstaltung nach Motiven von Theodor Fontanes 'Effi Briest' gemacht."
Die Jugendlichen waren begeistert und in dem Café, von dem aus wir unseren Rundgang begannen, zeigen sie eine Fotoausstellung zum Thema: Fontane in Swinemünde.
"Świnoujście, sehen Sie mal doch, ja, überall sind schöne Frauen, ja - besonders in Hochsaison. Es ist schwer ganz ruhig durch die Stadt gehen."
Beim Spaziergang durch eine Stadt voller schöner Frauen und mit Geschichte sind es nur noch ein paar Schritte:
"Gucken Sie mal, auf dem sogenannten Großen Platz haben wir zwei Apotheken. In der ganzen Stadt gibt es - weiß ich nicht - ungefähr 17 Apotheken. In der Fontane-Zeit war es nur eine: die 'Adler-Apotheke'."
<im_74142>ACHTUNG: NUR FÜR SONNTAGSSPAZIERGANG VERWENDEN</im_74142>Einmal ums Karree. Das war: Zum Hafen runter, am ehemaligen Rathaus wieder hinauf zu den großen Plätzen der Stadt. Nun sind wir – gegenüber der Christuskirche - wieder vor dem Wohnblock mit dem "Kaffee Sonata" im Erdgeschoss. Danke für die Führung, Herr Pluciński. Doch nun zu Ihnen:
"Wissen Sie, ungefähr 1993, oder '91 habe ich in unserer Zeitschrift die ersten Berichte über die Stadtgeschichte geschrieben. Von meinen Landsleuten nahmen das nicht alle mit Enthusiasmus. Ich bekam per Post, oder direkt, verschiedene Schimpfwörter und Fragen, wer bezahlt für meine Tätigkeit, welche Botschaft?"
Im Osten Polens geboren, verbrachte Pluciński seine Kinderjahre als Vertriebener in Kasachstan. Die Gefühle Heimatvertriebener kann er nachvollziehen, sie gehören auch zu seinen Erinnerungen. In Swinemünde schaute er auf die Stadtgeschichte, fand dabei deutsche Persönlichkeiten wie … Fontane. Heute beschimpft ihn hier keiner. Im Gegenteil, Polen und Deutsche seien sich näher den je, sagt er:
"Swinemünde ist das beste Beispiel, dass Millionen deutsche Besucher Einkäufer bedeutet. Sie besuchten unsere Stadt schon seit 1991. Es ist zu sehen: neue Häuser, renovierte Häuser und die Straßen und die Radwege. Das alles steht im Zusammenhang mit dieser Grenzöffnung!"
Ohne Kontrollen hin und her! Dann machen wir jetzt mal eins: wir wandern nach Deutschland, auf der neuen, durchgehenden Strandpromenade, auf der grenzüberschreitenden "EuropaPromenade" wie sie richtig heißt.
"Ja, das ist auch nicht schlecht. Doch die erste Idee, um eine Promenade zu bauen, ist vom Ende des 19. Jahrhunderts. Ein ehemaliger deutscher Unternehmer wollte eine Promenade und sogar eine Elektrobahn bauen, zwischen Bansin und Swinemünde."
Zwischen Heringsdorf und Swinemünde, genauer zwischen Bansin und Swinemünde - vier Küstenorte verbindet Europas neueste und längste Strandpromenade. Am deutschen Ende liegt das Seebad Bansin. Dort ist die schlanke, hochgewachsene Susanne Gahr Ansprechpartnerin für den Tourismus in der Region und für meine Frage, ob dies tatsächlich Europas längste Strandpromenade sei:
"Das ist Europas längste Strandpromenade. Vorher war die Promenade 8 1/2 Kilometer lang, da war's manchmal strittig. Mittlerweile ist das gar keine Frage mehr: 12 1/2 Kilometer ist garantierter Europarekord! Da wird so schnell sicherlich keine Region herankommen."
Solarzellen an der Promenade liefern Energie für die Lampen an der Teilstrecke Ahlbeck-Swinemünde. Auch einmalig. Und zur Promenade:
"Definitiv alles autofrei und natürlich auch separater Rad- und Fußweg, was in Deutschland schon größtenteils vorhanden war. Wo dann wirklich nicht zwei Spuren da waren, da gibt es eine breitere Strandpromenade. Von daher haben auch da Radfahrer und Fußgänger ihren separaten Platz."
Die Europapromenade, die Usedomer Bäderbahn, und der Europabus, verbinden den deutschen mit dem polnischen Teil der Ostseeinsel:
"Es sind ja heute schon Tagesgäste, die in Deutschland wohnen und dann auch mal nach Polen rüber fahren und andersrum, dass Urlauber sich in Swinemünde einmieten und zum Tagesausflug in den deutschen Teil der Insel fahren und reisen."
Auch Józef Pluciński begrüßt gern Tagesausflügler, erzählt ihnen vom alten Swinemünde und von "seinem" Świnoujście. Gern trifft er Mädchen und Jungen, die sich für die deutsch-polnische Stadtgeschichte interessieren.
Eine Begegnung endete so:
"Ein Junge, von ungefähr 14, 15 Jahren, sagte mir: 'Warum haben sie das nie geschrieben im Internet?' 'Wie soll ich das machen?' 'Ich zeige es ihnen!'
Das war vor drei Jahren und seit dem habe ich im Internet meine kleine Seite und jede Woche erscheint dort meine neue, kleine Geschichte von Swinemünde."
Auf 14 Tag' nach Swinemünde, der Stadt am Wind. Eine Reise, die sich damals – die Musik ist von 1927 - lohnte und die sich wieder lohnt. Die graue Stadt ist heute bunt, modern und abwechslungsreich, das Zentrum am Hafen, der große Park vor dem Kurviertel nahe der Ostsee. Wollen wir uns zu einem Rundgang verabreden?
Mit Herrn Pluciński. Ob er zu dieser Vormittagsstunde – wie immer - im Café sitzt, an dem Vierertisch vorn rechts? Zeitung lesend, Kaffee trinkend, das Geschehen draußen auf dem Kleinen Markt, beobachtend?
Als ich eintrete, erkenne ich den Historiker sofort: Schmales Gesicht, kurzes, graues Haar. Der frühere Museumsleiter hat einiges für die Annäherung von Polen und Deutschen in Świnoujście getan. Die ehemals deutsche Hauptstadt der Ostseeinsel Usedom. Damals eine Hafenstadt mit Senatoren, Matrosen, Windmüllern und schönen Frauen. Eine war Effi Briest, die Romanfigur von Theodor Fontane:
"Er lebte nur fünf Jahre hier, aber er hat einen sehr großen Einfluss auf die Swinemünder Geschichte hinterlassen."
Und darum treffen wir uns ziemlich genau dort, wo Papa Fontanes Apotheke gestanden haben mag.Humorvoll beschrieb Theodor das Haus in dem Erinnerungsbuch "Meine Kinderjahre":
"Im Erdgeschoss trennte ein gepflasterter Flur Apotheke samt Laboratorium von den Wohnräumen. Darüber stieg ein hohes Dach auf, in dem übereinander Böden lagen, mit Kräuterkisten und Gerümpel."
Der Dichter war ein kleiner Junge noch, als sein Vater die Familie zu dem Küstenort an der Pommerschen Bucht aus dem Brandenburgischen nachkommen ließ. Sein erster Eindruck, oft zitiert:
<im_74143>ACHTUNG: NUR FÜR SONNTAGSSPAZIERGANG VERWENDEN</im_74143> "Swinemünde war, als wir Sommer 1827 dort einzogen, ein unschönes Nest, aber zugleich ein Ort von besonderem Reiz. Wählte man, als Beobachtungsposten,den Kirchenplatz, zu dessen einschließenden Häusern auch unsere Apotheke gehörte, so ließ sich, obschon hier die Hauptstraße vorüberführte, wenig Gutes sagen, gab man aber die Innenstadt auf und begab sich an den 'Strom', wie die Swine genannt wurde, so verkehrte sich die bis dahin ungünstige Meinung in ihr Gegenteil."
Józef Pluciński und ich wollen, um die "bis dahin ungünstige Meinung in ihr Gegenteil" zu verkehren einmal ums Karree gehen. Von der Hausecke, zum Hafen hinunter, dort am Kai entlang zum ehemaligen Rathaus, dann wieder zurück zum "Kaffee Sonata", zu Plucińskis Stammlokal.
Wen treffen wir gleich an der Ecke? Klar, Fontane!
"Ich sehe sehr oft, dass die Swinemünder den Deutschen zeigen, Besucher, Touristen: oh gucken sie mal, da steht eine Tafel und hier wohnte deutscher Schriftsteller Theodor Fontane."
Die Tafel ist polnisch und deutsch beschriftet, mit einem runden Reliefbild des Schriftstellers.
"Das war meine Initiative. Ich war damals Museumsleiter in Swinemünde und ich betrachte es als meine Pflicht, meine Landsleute daran zu erinnern, dass Swinemünde nicht nur Stützpunkt für die Marine war, sondern auch ein Ort mit kultureller Tradition ist. Die Person Theodor Fontane war, ehrlich gesagt, vollkommen unbekannt."
Die alte Apotheke ist weg. An ihrer Stelle steht ein schlichter Wohnblock aus sozialistischer Zeit.
"Hier waren die Apotheke und der Weg ungefähr 100 Meter zur Swine, zum Hafen. Auch Theodor Fontane war begeistert für das Wasser. In seinem Buch steht geschrieben, am Ufer lagen stolze Schiffe, Segelschiffe mit Matrosen und war auch eine Kohlenumschlagplatz für Kohle, die Umladung machte die Menschen schmutzig, machte schwarze Gesichter. Frauen brachten Essen für ihre Männer zum Hafen, an der Swine. … und wir gehen zum Hafen, auf Fontanes Spuren."
"Hier liefen, vom abgeschrägten Ufer aus, Bretterflöße bis in den Strom hinein, darauf man, die Mädchen Wäsche spülend bei der Arbeit sah, immer in heiterer Unterhaltung untereinander oder mit den Schiffsleuten, die behaglich über die Bollwerkbrüstung gelehnt, ihnen zusahen."
Der Strom, die Swine, das ist der Hauptmündungsarm der Oder zur Ostsee. Das kleine Fischerdorf wuchs gerade zu einem der wichtigsten deutschen Seebäder heran. Der junge Theodor sah diese Anfänge. 1827, als Vater Fontane die Adler-Apotheke kaufte, war der Ort am linken Swineufer im Aufbruch – wie heute wieder.
"Das war die schönste Straße. Das war ein Zentrum für die Swinemünder. Es hieß früher Bollwerk. Hier standen Häuser von bedeutenden Swinemünder Bürgern. Wo wir stehen, war ein Fischmarkt, Fischmarkt, waren Schiffe und Hafenarbeiter und manchmal war eine Gruppe bei einer alten Frau, die Fische verkaufte."
Die Häuser der ersten Siedler wirkten wie Klein-Holland: Häuschen mit Garten, Blümchen und ein paar Windmühlen. Grundstück und Baumaterial gab es kostenlos, alle Häuser sollten – einstöckig - nach dem gleichen einfachen Muster gebaut werden. Alles einfach, auch das Essen:
"Das Beste Essen, das war Hering mit Kartoffel (!). Sogar der bedeutendste Bürger von Swinemünde, Senator Krause, das war ein großer Reeder, er hatte damals fast 50 Schiffe, er sagte immer, der richtige Pommer isst nur salzige Heringe und Kartoffeln, ja.
Etwas weiter, aber immer am Ufer, gab es schon zu Fontanes-Zeiten ein sehr elegantes, damals sehr elegantes Hotel."
Das Hotel "Drei Kronen" wurde in deutscher Zeit umgebaut, bekam einen Eckturm. Jetzt steht es bis auf ein paar Büroräume leer und ohne seinen Turm da. Die modernisierten Hotels, die neuen Restaurants mit schmackhaften Fischspeisen liegen nicht an der Swine, sondern an der Promenade, nahe der Ostsee.
Hier muss Effi Briest unterwegs gewesen sein, die tragische Hauptfigur aus Fontanes gleichnamigen Roman.
In Swinemünde, das Fontane in dem Buch als "Kressin" beschrieb, arbeitete Effis Ehemann als Landrat. Von ihrem Mann oft allein gelassen, ging Effi eine Liebesbeziehung zu dem neuen, verheirateten Bezirkskommandanten Crampas ein. Die endete, als Effis Mann nach Berlin versetzt wurde und alte Liebesbriefe von Crampas an Effi entdeckte. Beide Männer duellierten sich. Der Liebhaber starb. Die Ehe wurde geschieden. Effi überlebte die Schmach nicht.
Fontane hatte von der wahren Geschichte erfahren.
Die Effi Briest im Roman hieß in Wirklichkeit Elisabeth von Plotho.
Elisabeth war eine starke Frau. Nach der Scheidung, da war sie 34 Jahre alt, wurde ihr das Sorgerecht für die beiden Kinder genommen, ließ sie sich zur Krankenpflegerin ausbilden, pflegte dann mit Engelsgeduld Patienten. Jahrzehnte nach der Affäre vertraute sie sich ihrem Enkel an, dem Physiker Manfred von Ardenne. 99jährig starb sie – Verehrer hat sie bis heute.
Zurück nach Swinemünde am Ende des 19. Jahrhunderts. Etwas habe Józef Pluciński besonders gefallen, vertraut er mir an, als wir unseren Rundgang fortsetzen:
" Theodor Fontane hat geschrieben, dass Swinemünde war kleiner Ort, aber mit besonders schönen Frauen. Und wenn Sie sehen, hier und jetzt: Theodor Fontane hatte und hat bis heute recht! Unsere Stadt ist überfüllt mit besonders schönen Frauen."
Vor 20, 30 Jahren waren Effi Briest und Theodor Fontane den Swinemündern völlig unbekannt. Jetzt sehen sie es als Ehre an, solche Vorfahren gehabt zu haben:
"In unserem Gymnasium gab es eine Gruppe, die haben eine Veranstaltung nach Motiven von Theodor Fontanes 'Effi Briest' gemacht."
Die Jugendlichen waren begeistert und in dem Café, von dem aus wir unseren Rundgang begannen, zeigen sie eine Fotoausstellung zum Thema: Fontane in Swinemünde.
"Świnoujście, sehen Sie mal doch, ja, überall sind schöne Frauen, ja - besonders in Hochsaison. Es ist schwer ganz ruhig durch die Stadt gehen."
Beim Spaziergang durch eine Stadt voller schöner Frauen und mit Geschichte sind es nur noch ein paar Schritte:
"Gucken Sie mal, auf dem sogenannten Großen Platz haben wir zwei Apotheken. In der ganzen Stadt gibt es - weiß ich nicht - ungefähr 17 Apotheken. In der Fontane-Zeit war es nur eine: die 'Adler-Apotheke'."
<im_74142>ACHTUNG: NUR FÜR SONNTAGSSPAZIERGANG VERWENDEN</im_74142>Einmal ums Karree. Das war: Zum Hafen runter, am ehemaligen Rathaus wieder hinauf zu den großen Plätzen der Stadt. Nun sind wir – gegenüber der Christuskirche - wieder vor dem Wohnblock mit dem "Kaffee Sonata" im Erdgeschoss. Danke für die Führung, Herr Pluciński. Doch nun zu Ihnen:
"Wissen Sie, ungefähr 1993, oder '91 habe ich in unserer Zeitschrift die ersten Berichte über die Stadtgeschichte geschrieben. Von meinen Landsleuten nahmen das nicht alle mit Enthusiasmus. Ich bekam per Post, oder direkt, verschiedene Schimpfwörter und Fragen, wer bezahlt für meine Tätigkeit, welche Botschaft?"
Im Osten Polens geboren, verbrachte Pluciński seine Kinderjahre als Vertriebener in Kasachstan. Die Gefühle Heimatvertriebener kann er nachvollziehen, sie gehören auch zu seinen Erinnerungen. In Swinemünde schaute er auf die Stadtgeschichte, fand dabei deutsche Persönlichkeiten wie … Fontane. Heute beschimpft ihn hier keiner. Im Gegenteil, Polen und Deutsche seien sich näher den je, sagt er:
"Swinemünde ist das beste Beispiel, dass Millionen deutsche Besucher Einkäufer bedeutet. Sie besuchten unsere Stadt schon seit 1991. Es ist zu sehen: neue Häuser, renovierte Häuser und die Straßen und die Radwege. Das alles steht im Zusammenhang mit dieser Grenzöffnung!"
Ohne Kontrollen hin und her! Dann machen wir jetzt mal eins: wir wandern nach Deutschland, auf der neuen, durchgehenden Strandpromenade, auf der grenzüberschreitenden "EuropaPromenade" wie sie richtig heißt.
"Ja, das ist auch nicht schlecht. Doch die erste Idee, um eine Promenade zu bauen, ist vom Ende des 19. Jahrhunderts. Ein ehemaliger deutscher Unternehmer wollte eine Promenade und sogar eine Elektrobahn bauen, zwischen Bansin und Swinemünde."
Zwischen Heringsdorf und Swinemünde, genauer zwischen Bansin und Swinemünde - vier Küstenorte verbindet Europas neueste und längste Strandpromenade. Am deutschen Ende liegt das Seebad Bansin. Dort ist die schlanke, hochgewachsene Susanne Gahr Ansprechpartnerin für den Tourismus in der Region und für meine Frage, ob dies tatsächlich Europas längste Strandpromenade sei:
"Das ist Europas längste Strandpromenade. Vorher war die Promenade 8 1/2 Kilometer lang, da war's manchmal strittig. Mittlerweile ist das gar keine Frage mehr: 12 1/2 Kilometer ist garantierter Europarekord! Da wird so schnell sicherlich keine Region herankommen."
Solarzellen an der Promenade liefern Energie für die Lampen an der Teilstrecke Ahlbeck-Swinemünde. Auch einmalig. Und zur Promenade:
"Definitiv alles autofrei und natürlich auch separater Rad- und Fußweg, was in Deutschland schon größtenteils vorhanden war. Wo dann wirklich nicht zwei Spuren da waren, da gibt es eine breitere Strandpromenade. Von daher haben auch da Radfahrer und Fußgänger ihren separaten Platz."
Die Europapromenade, die Usedomer Bäderbahn, und der Europabus, verbinden den deutschen mit dem polnischen Teil der Ostseeinsel:
"Es sind ja heute schon Tagesgäste, die in Deutschland wohnen und dann auch mal nach Polen rüber fahren und andersrum, dass Urlauber sich in Swinemünde einmieten und zum Tagesausflug in den deutschen Teil der Insel fahren und reisen."
Auch Józef Pluciński begrüßt gern Tagesausflügler, erzählt ihnen vom alten Swinemünde und von "seinem" Świnoujście. Gern trifft er Mädchen und Jungen, die sich für die deutsch-polnische Stadtgeschichte interessieren.
Eine Begegnung endete so:
"Ein Junge, von ungefähr 14, 15 Jahren, sagte mir: 'Warum haben sie das nie geschrieben im Internet?' 'Wie soll ich das machen?' 'Ich zeige es ihnen!'
Das war vor drei Jahren und seit dem habe ich im Internet meine kleine Seite und jede Woche erscheint dort meine neue, kleine Geschichte von Swinemünde."