Hörtipp: Selbstsüchtige Gene. Revolutionieren Gene Drives Medizin und Naturschutz
Etwa 150 Kilometer von Rom entfernt, abgelegen in der italienischen Provinz, testen Wissenschaftler vom Imperial College London eine neue Form der Gentechnik. Die Käfige dort sind etwa so groß wie ein Klassenzimmer und umhüllt von feinen Netzen, sodass die vielen tausend Mücken darin nicht hinausgelangen können. Die Mücken gehören zur Gattung Anopheles und sind als Überträger der Malaria bekannt.
Im Innern der kleinen Tiere findet ein genetisches Experiment statt: Ein Gene Drive, auch genannt Gen-Antrieb oder Gen-Turbo. Eine bestimmte Genveränderung führt dazu, dass der Nachwuchs dieser Tiere zunehmend aus Männchen besteht oder dass weibliche Mücken unfruchtbar werden. Die Genveränderung verbreitet sich in einer Art Kettenreaktion, sodass früher oder später alle Mücken, die miteinander Kontakt haben, davon betroffen sind. Das Team um Tony Nolan vom Imperial College London hofft, dass das Experiment funktioniert, sodass sie bereits in wenigen Jahren ihren Gene Drive in Afrika zur Bekämpfung der Malaria einsetzen können.
Die Gen-Schere kopiert sich selbst
Die Forscher haben eine programmierbare Genschere (Crispr/Cas 9) in die Zellen der Mücken eingeschleust. Dort kopiert sich die Schere selbst, sodass sie auf zwei Partner-Chromosomen auftritt. So wird verhindert, dass die Gen-Schere verschwindet, wenn bei der Fortpflanzung die Hälfte der Chromosomen aussortiert wird. Die Folge: Die Gen-Schere in den Zellen verbreitet sich von Generation zu Generation immer weiter und führt letztlich zur Unfruchtbarkeit der gesamten Mückenpopulation, so die Idee der Forscher.
Gene Drives als Chance für den Artenschutz - Interview mit Prof. Dr. Gernot Segelbacher, Lehrstuhl für Wildtierökologie und -management der Universität Freiburg:
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Das gleiche Prinzip könnte neben der Mückenbekämpfung auch beim Artenschutz eingesetzt werden. Naturschützer der Organisation Island Conservation wollen mit dem Gene Drive eingeschleppte Tierarten bekämpfen und so die bedrohte Vogelwelt pazifischer Inseln retten.
"Der Gene Drive birgt weit weniger Risiken und hat keine unerwünschten Wirkungen auf das Ökosystem der Inseln", verspricht der Sprecher der Organisation Heath Packard. Die bisher verwendeten Giftköder hält er für weit bedenklicher, weil sie stets auch andere Arten schädigen.
Gene-Drive-Mäuse in Lauerstellung
Auch in Neuseeland könnte die Methode Anwendung finden, denn dort haben die Behörden das Ziel ausgegeben, die wichtigsten invasiven Arten bis 2050 auszurotten. Ohne Gene Drive, nur mit Gift und Gewehren, scheint dieses Ziel unerreichbar. Zwei Forschergruppen in den USA (A&M University Texas) und in Australien (University of Adelaide) haben bereits begonnen, einen Gene Drive in Mäuse einzupflanzen.
Noch sind die Ergebnisse nicht veröffentlicht, aber die Wissenschaftler um Paul Thomas von der Universität Adelaide haben bereits einen Plan, wie sie verhindern können, dass der Mäuse-Gene-Drive unbeabsichtigt auf andere Inseln überspringt. Sie durchsuchen das Erbgut der Mäuse nach Stellen, die spezifisch sind für einzelne Inseln. Den Gene Drive konstruieren sie dann so, dass er nur für diese Mäuse-Population funktioniert.
Hürden und Risiken beim Einsatz von Gene Drives - Interview mit Dr. Margret Engelhard, Leiterin des Fachgebiets Gentechnik am Bundesamt für Naturschutz:
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Kritik von Umweltschützern
Wann die ersten Mäuse mit Gene Drive ausgesetzt werden, ist heute noch nicht absehbar. Aber es wird noch mehrere Jahre dauern. Die Pläne der Artenschützer sorgten allerdings bereits für reichlich Widerspruch. Führende Umweltaktivisten sprachen sich für ein Moratorium aus. Der Gene Drive solle nicht im Freiland eingesetzt werden, solange Risiken nicht ausgeschlossen werden können.
Die vollständige Sendung können Sie nach Ausstrahlung im Rahmen unseres Audio-on-demand-Angebotes mindestens sechs Monate nachhören.