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Mit Härte gegen den Terror
Russisches Gericht verurteilt 57 Angeklagte

Im russischen Nordkaukasus ist der wohl längste und größte Anti-Terror-Prozess in der jüngeren Geschichte Russlands zu Ende gegangen. Alle 57 Angeklagten, die 2005 an einem bewaffneten Überfall auf die Stadt Naltschik teilgenommen haben sollen, wurden zu langen Haftstrafen verurteilt. Menschenrechtler kritisieren die Härte der Ermittlungen. Angehörige der Verurteilten sprechen von Folter.

Von Gesine Dornblüth | 24.12.2014
    Polizisten einer Spezialeinheit vor einem vergitterten Fenster in der nordkaukasischen Stadt Naltschik, aus dem Rauchschwaden austreten.
    Islamistische Terroristen hatten im Oktober 2005 Naltschik, die Hauptstadt der Republik Kabardino-Balkarien, überfallen. Am Ende gab es 145 Tote, darunter 35 Uniformierte, 15 Zivilisten, 95 Angreifer. (picture-alliance/ dpa/ dpaweb)
    Es war eine bedrückende Atmosphäre. Die Angeklagten saßen jeweils zu zehnt in Gitterkäfigen: die meisten bärtig, mit der runden Kopfbedeckung der Gläubigen. Um sie nicht durch die Stadt fahren zu müssen, hatte die Justiz eigens für den Antiterrorprozess eine Halle auf dem Gefängnisgelände von Naltschik gebaut. Der Gerichtssaal groß wie eine Schalterhalle. Neonlicht. Zu den Verhandlungen wurde das gesamte Stadtviertel abgesperrt. Auf den Straßen Männer mit Maschinenpistolen. Misstrauische Blicke.
    Die Urteilsverkündung dauerte nur wenige Stunden. Alle 57 Angeklagten wurden schuldig gesprochen, die meisten erhielten Haftstrafen zwischen zehn und zwanzig Jahren, fünf von ihnen lebenslänglich. Wladimir Markin, Sprecher der russischen Ermittlungsbehörde, äußerte sich zufrieden mit dem Urteil:
    "Anstelle eines islamischen Staates, den die Kämpfer im russischen Kaukasus errichten wollten, haben sie ein eigenes Gerichtsgebäude bekommen. In dessen Wänden haben sie nun ein gerechtes Urteil erfahren."
    Islamistische Terroristen hatten im Oktober 2005 die Hauptstadt der Republik Kabardino-Balkarien überfallen. Sie hatten die Polizeistationen von Naltschik gestürmt, die Kaserne, die Geheimdienstzentrale. Einen Tag dauerten die Kämpfe mit den Sicherheitskräften. Am Ende gab es 145 Tote, darunter 35 Uniformierte, 15 Zivilisten, 95 Angreifer.
    Mit Gewalt zu Aussagen gezwungen
    Das Menschenrechtszentrum Memorial hat das Verfahren beobachtet. Von dort heißt es, die Schuld vieler Männer sei bewiesen, sie müssten bestraft werden. Zugleich sei aber klar, dass einige der nun Verurteilten nicht an der Tat beteiligt waren. Valerij Chataschukov vom Menschenrechtszentrum in Naltschik:
    "Unter den Angeklagten waren einige ganz junge Männer, Minderjährige, die keinen Schuss abgegeben haben. Sie wurden von Freunden mitgenommen, einer bekam eine Pistole in die Hand und hat sie unterwegs weggeworfen und ist weggelaufen. Das ist alles in den Prozessakten."
    Zudem seien einige Angeklagte mit Gewalt zu Aussagen gezwungen worden. Mariam Achmetova, eine Angehörige.
    "Fast alle Männer sind mittlerweile Invaliden. Sie sind während der Ermittlungen gefoltert worden. Es wurden entsprechende Fotos veröffentlicht, aber die Staatsanwaltschaft hat das nicht anerkannt."
    Russische Antiterrorpolitik konnte keine Anschläge verhindern
    Die Verteidiger wollen das Urteil anfechten. Der Richterspruch fügt sich in die russische Antiterrorpolitik. Präsident Putin hat vor vielen Jahren angekündigt, Terroristen, so wörtlich, "auf dem Scheißhaus kaltzumachen". Das konnte Anschläge nicht verhindern.
    Zuletzt Anfang Dezember. In der tschetschenischen Hauptstadt Grozny lieferten sich militante Islamisten und Sicherheitskräfte stundenlange Gefechte. Mindestens 20 Menschen kamen ums Leben. Tschetscheniens Republikchef Ramzan Kadyrow kündigte daraufhin an, die Häuser der Angehörigen von Terroristen niederzubrennen und die Familien aus der Republik zu verbannen.
    In den Folgetagen wurden – nach Angaben von Menschenrechtlern - mindestens 15 Häuser zerstört, ohne rechtliche Grundlage. Präsident Putin musste dazu letzte Woche Stellung nehmen. Die Moskauer Journalistin Ksenia Sobtschak fragte Putin bei dessen großer Pressekonferenz:
    "Werden Sie als Jurist, als Garant der Verfassung, jene Bürger schützen, die jetzt außergerichtlichen Racheakten ausgesetzt sind?"
    Darauf Putin: Alle müssten sich an Recht und Gesetz halten, auch das Oberhaupt Tschetscheniens. Die Vorfälle würden untersucht. Es sei allerdings nicht gesagt, dass Kadyrows Leute die Häuser niedergebrannt hätten:
    "Im Übrigen werden solche Methoden leider, oder, wenn Sie wollen, zum Glück, weltweit im Antiterrorkampf angewandt. Vor allem in Israel."