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"Mit höllischen Grüßen"

Arno Schmidt, einer der bedeutensten Schriftsteller des 20. Jahrhunderts, lebte zurückgezogen. Kaum einer durfte ihn besuchen, wer Kontakt knüpfen wollte, musste schreiben. In dem neu erschienenen Band "Briefwechsel mit Kollegen" lässt sich die Korrespondenz Schmidts mit Schriftstellern wie Heinrich Böll, Alfred Döblin und Martin Walser nachlesen.

Von Wolfram Schütte |
    Es ist immer wieder erstaunlich, mit welchen Fundstücken aus dem Nachlass des 1979 gestorbenen Arno Schmidt die nach ihm benannte und von Jan Philipp Reemtsma gegründete Stiftung unser Interesse an dem "Solipsisten in der Heide” wachzuhalten und um immer neue Erkenntnis-Nuancen zu erweitern versteht. Denn nicht nur Frankfurt, nach einem Wort Goethes, "steckt voller Merkwürdigkeiten”, sondern ebenso und erst recht das zurückgezogene, öffentlichkeitsabweisende Leben und Arbeiten Arno Schmidts.

    Was die Arno-Schmidt-Stiftung im Lauf der letzten Jahrzehnte vorgelegt hat, ist, wie Schmidt in seinem späten Typoskript "Abend mit Goldrand” verlangte, ein fortgesetzter "Ahnen- und Enkeldienst” an ihrem Namensgeber, also Traditionsstiftung im Sinne einer laufend erneuerten Vergegenwärtigung von Autor und Werk. Nun gehört derlei Autorenpflege zu den Aufgaben einer jeden Stiftung; aber man kann nur von Glück sagen, dass der Hamburger Mäzen noch zu Schmidts Lebzeiten den Schriftsteller von allen materiellen Sorgen befreit und danach mit dessen Witwe Alice diese Stiftung gegründet hat. Reemtsma und der kundige Geschäftsführer der Stiftung, Bernd Rauschenbach, sind beide enthusiastische Schmidt-Aficionados und skrupulöse akademische Philologen, die ihre editorischen Tätigkeiten mustergültig und kontinuierlich betreiben.

    So hat die Stiftung nicht nur für einwandfreie, verlässliche Texteditionen von Schmidts publiziertem und unpubliziertem Oeuvre gesorgt; sondern sie hat den "Wortmetz im Steinbruch der Sprache” als erstaunlich stilsicherem Fotografen Respekt verschafft. In dem "Tagebuch Alice Schmidts von 1954” wurde sowohl die Genealogie von "Pocahontas” und dem "Steinernen Herzen” erkennbar, als auch das intime Selbstbildnis einer prekären Lebensgemeinschaft am Armutsrand. Und in den vergangenes Jahr edierten "Lesungen, Interviews, Umfragen” trat Arno Schmidt auf einer DVD und zwölf CDs sogar postum in Bild und Ton vor seine Leser.

    Nun also: der "Briefwechsel mit Kollegen”. Erschienen waren schon früher in der auf acht Bände geplanten Edition die Briefwechsel mit den engsten Vertrauten, ja man kann vorsichtig sagen: den nächsten Freunden, weil seinen entschiedensten Überlebens-Helfern Alfred Andersch, Wilhelm Michels und Eberhard Schlotter. Der umfangreiche briefliche Austausch mit seinem einzigen "Schüler” und Karl-May-Vertrauten, dem kürzlich verstorbenen Hans Wollschläger, wird ebenso in den nächsten Jahren erscheinen, wie die privat-familiären Briefwechsel oder die mit Archiven, Redaktionen, Verlagen - und mit seinen Lesern.

    Nur den wenigsten seiner Kollegen war es vergönnt oder erlaubt, bis zuletzt Arno Schmidts Briefpartner zu bleiben. Die meisten wurden nach einiger Zeit als störende Nachfrager und lästige Drängler entweder von Alice Schmidt abgewimmelt oder mit unmissverständlichem Schweigen bedacht. Zu ihm vordringen oder ihn besuchen durfte ohnehin noch kaum einer. So kann man grosso modo sagen, dass seine Kollegen für Arno Schmidt fast alle nur zeitweilige "Lebensabschnittsbegleiter” waren - und zwar während des prekären Lebensabschnitts, in dem das heimatvertriebene, mittellose Paar selbst noch nicht dauerhaft sesshaft geworden und Schmidt als Autor, falls überhaupt wahrgenommen, öffentlich noch "umstritten” war. Der Autor von "Seelandschaft mit Pocahontas” war ja sogar wegen "Gotteslästerung und Pornografie” polizeilich vernommen worden, und suchte jahrelang Publikations- und Erwerbsmöglichkeiten in dem ihm von jeher verhassten "Literaturbetrieb".

    Mit dem Umzug 1958 nach Bargfeld, Kreis Celle, und seit Schmidt 1955 in Ernst Krawehl vom Stahlberg-Verlag seinen ersten und einzigen kompetenten Lektor und Verleger gefunden hatte, waren das einander verschworene Ehepaar und der solitäre Autor aber endgültig gesettelt. Wenige Briefwechsel mit seinen Kollegen haben den Rückzug in die Bargfelder Klause und die immer rigider praktizierte Klausur noch einige Zeit überlebt - wie der mit Peter Rühmkorf.

    Der 27-jährige Rühmkorf und der 31-jährige Werner Riegel hatten Ihrem "Hausgott” - neben Benn und Brecht - seit Anfang 1956 den linksintellektuellen Hamburger "Studentenkurier” (nachmals "Konkret”) zugeschickt, Schmidt ihnen eine kleine Arbeit zur Publikation überlassen, die zusammen mit Riegels hymnischem "Porträt eines Dichters” (nämlich Arno Schmidts) erschienen war. Am 11. Juli 1956 war Riegel gestorben, acht Tage später beginnt der 42-jährige Schmidt die Korrespondenz mit dem Redakteur Rühmkorf:

    "Sehr geehrter Herr! Dank für die Zusendung Ihrer Zeitung: das ist der einzige Trost in der heutigen >Großen Zeit<, dass es noch Männer gibt wie Sie! (Und natürlich sterben auch die wieder unverantwortlich früh, wie Werner Riegel - und Konrad Adenauer wird 81!). Ich lege Ihnen eine kurze Geschichte bei, nur so zur Illustration unserer verwünschten Lage. Nächsten Monat erscheint ein neuer Roman von mir,>Das steinerne Herz<, und hochpolitisch dazu (leider fand sich in ganz Westdeutschland nur 1 Verleger - auch der erst, nachdem das Manuskript 2 Jahre ungedruckt im Spind gelegen hatte - der sich>nicht scheute<; und auch der hat´s nur nach sorgfältiger Kastrierung übernommen). Sobald der Band vorliegt, schicke ich Ihnen ein Exemplar: lesen Sie´s erst im Interessentenkreis; und legen Sie´s dann Werner Riegel auf`s Grab. - Prangern wir also weiter die fast schon wieder erreichte Einknopfbedienung in Politik und Literatur an: das>Zeitlose < wollen wir den artistischen Drückebergern als Treffpunkt überlassen! Gruß, Ihr Arno Schmidt"

    Kaum ist "Das steinerne Herz” bei ihm eingetroffen, antwortet Rühmkorf:

    "Ihr Buch ist ganz ungeheuer gut. Freudige Erwartungen wurden noch weit übertroffen. Ich schreibe Ihnen das gleich, weil mans sonst doch unterläßt - ich finde, man soll dem Autor ruhig die Begeisterung in statu nascendi offerieren. Sie sind die Sensation, die Mischung aus Wucht und Feinziselierung, auf die ich seit Jahren warte: Ich kannte andere Bücher von Ihnen, dies ist das Non plus ultra! Die Sprache wird ja allenthalben durch den Wolf gejagt, die Grammatik wird angetrümmert, die Logik zu Klump gefahren und an keiner Stelle Resultate, die noch Genußquanten injizieren."
    Es ist genau die ihm eigene Mischung aus Schnoddrigkeit und intellektueller Verve, die Schmidt in dem jüngeren Verehrer den Geistesgenossen, das "Gehirntier”, erkennen lassen. Da Rühmkorfs Rezension des Romans im "Studentenkurier" zugleich mit seiner Kolumne "Leslie Meiers Lyrikschlachthof” erschien, in der er die Lyrik von Hans Egon Holthusens und von Schmidts Darmstädter Nachbarn, dem Büchnerpreisträger Karl Krolow, polemisch ausweidete und ausbeinte, war Schmidt auf das Höchste entzückt:

    "Lieber Herr Rühmkorf, Schönsten Dank für den kräftigen Zuspruch! - Was ich dabei besonders apart finde, ist, dass Sie, genau auf der Rückseite, das Team Krolow-Holthusen auf die Hörner nehmen: selten sah ich einen so flotten (gleichzeitig unwiderleglichen) coup de pied au cul!: Sehr gut!"

    Und weil in der gleichen Nummer mit dem Arschtritt gegen die beiden Lyriker ein Leserbriefschreiber im "Studentenkurier” eine "persönliche Manifestation des Teufels” erkannte, fühlt sich der Atheist Schmidt erst recht dort zuhause:

    "Das verbindet uns einmal mehr: vor wenigen Tagen bescheinigte genau das Gleiche mir der >Mannheimer Morgen <. Ich verbleibe mit besten höllischen Grüßen. Ihr: Arno Schmidt"

    Der gut auf gegenseitige Wertschätzung und artistische und politische Opposition eingestimmte Briefwechsel mit Rühmkorf hält über die kommenden Jahre harmonisch an - vielleicht, ja bestimmt auch, weil sich die beiden, wie Schmidt an anderer Stelle schreibt, "nicht ins Gehege” kommen. Als Rühmkorf 1959 für seinen ersten Gedichtband "Irdisches Vergnügen in g” Verrisse erntet, stellt sich Schmidt ganz an seine Seite und - was er bei keinem anderen seiner Kollegen je tat - er ermuntert ihn:

    "Ihr Buch ist ausgezeichnet! Ich hatte bei der Lektüre das erste Mal seit Bestehen der Bundesrepublik das ganz=prachtvolle Gefühl des einzelnen Mannes, der, den Rücken nur vom Baum der deutschen Literatur gedeckt, pausenlos ganze Scharen von bekutteten oder uniformierten Lemuren die Nasen einzuschlagen hat - und auf einmal kommt Einer von hinten geschritten, stellt sich daneben, den >Morgenstern < in der Hand, drischt aufs herrlichst=entlastendst mit zu, und pfeift noch dabei! Wunderbar! Mischen Sie sich ja nur wieder in die Rudel der Besten der Nation: Sie ärgern die Kerls allalle, ob Regierung ob Journaille, viel mehr, wenn Sie schreiben, als wenn Sie schweigen."

    Rühmkorf durfte auch, was Schmidt niemand anderem erlaubte, nämlich Kritik an Schmidts Prosa äußern. In der "Gelehrtenrepublik” schien ihm "einiges daneben gegangen”, weil dort "die wortwandelnde Originalität an den Kalauer grenzt”. Dergleichen Despektierlichkeit ließ der literarische Debütant Schmidt noch nicht einmal Hermann Hesse durchgehen, dem Schmidt schon als 21-jähriger sehr ergeben und ehrfürchtig Gedichte geschickt hatte. 1950 kam ihm ein Rundbrief Hesses über das Debüt "Leviathan” vor Augen, in dem der einzig für seinen "Steppenwolf” von ihm geschätzte "Glasperlenspieler” zwar vom "Weltkatzenjammer” des "jungen schnoddrigen und sehr begabten Dichters” schrieb, jedoch auch als einen "möglicherweise nicht ungefährlichen, aber echten Visionär” lobte. Allerdings hatte Hesse Schmidts "etwas kokett betonte Liebe zum scheinbar Exakten, zu Mathematik und Astronomie” erwähnt. Das sollte sich rächen und verlangte Rache:

    "Sehr geehrter Herr Hesse! ROWOHLT sandte mir Ihre Beurteilung: Schade! Sie ist bedauerlich flach. Auf das Wort 'Weltkatzenjammer' hat schon NIETZSCHE den D.F.STRAUSS die rechte Antwort gegeben - Meine Liebe zur Mathematik ist nicht 'kokett betont': ich habe das Fach studiert, jahrelang als Geodät gearbeitet und eine 500 Seiten lange Logarithmentafel hergestellt. 'Jung und schnoddrig': habe mokant gelächelt: ich bin nämlich schon 40 durch. Als Gegengabe will ich Ihnen mein Urteil über Ihr Werk senden: Ein begabter Dichter: reich und faltig. Zweierlei fehlt ihm: naturwissenschaftliche Kenntnisse (oder doch deren Einwirkung und Auswertung), und das Erlebnis folgender Urphänomene: Soldat sein müssen, Krieg, Kriegsgefangenschaft, Hunger. Also kennt er ausreichend nur die friedliche Seite des Menschen. Ein Glücklicher. Dies bezeichnet seine Stellung in unserer Literatur: >die Stimme eines Sängers, die zwar keinen großen Umfang hat und nur wenige Töne enthält, aber diese gut und vom schönsten Wohlklange."

    Dieses Urteil, das den Literaturnobelpreisträger im Tessin von dem "unartigen Knaben” erreichte, der sich "wie ein beleidigter Konfirmand” reagiert habe, traf den doch nur gutmeinenden Hermann Hesse schwer, wie der Herausgeber Gregor Strick in seinem überaus reich und fundiert instrumentierten Kommentar annotiert. Vielfach hat der Herausgeber die Tagebuchaufzeichnungen der beiden Schmidts herangezogen, so dass dem offiziellen Briefverkehr mit Kollegen auch die privaten Urteile, Überlegungen, Ressentiments unterlegt sind.

    Aber nicht nur Hesse hat die hochfahrende, abweisende, kompromisslose Art des Mannes zu spüren bekommen, der eine respektvolle Bekanntschaft mit sich duldete, aber nur keine Intimitäten erlaubte. Zwar war er für jedes öffentliche Lob seines Oeuvres dankend zu haben - und die meisten Kollegen, die ihm ehrerbietig auf den "Knien ihres Herzens” schrieben, um mit Kleists Goetheadresse zu sprechen, wurden mit Widmungsexemplaren bedacht. Auch hat er, mit seinen bescheidenen Einflussmöglichkeiten und Mitteln für den einen oder anderen sich solidarisch verwandt. Aber wehe, wenn einer versuchte, ihn für den Literaturbetrieb - für den PEN-Club, die Gruppe 47 oder andere Autorentreffen - oder auch für ihm politisch durchaus willkommene Initiativen zu gewinnen: Da war mit ihm nicht zu rechnen und er zog sich automatisch zurück. Rabiater aber wurde Arno Schmidt, wenn einer seiner kollegialen Briefpartner, deren Rezensionen seiner Bücher er sich gefallen ließ, jedoch das gleiche von ihm erhoffte. Da war mit ihm nicht mehr zu spaßen.
    Als etwa der ihm als "Antichrist” sehr willkommene Karlheinz Deschner Arno Schmidts diplomatisch formulierte Brieffreundlichkeit über seinen ersten Roman öffentlich machen wollte, wird Schmidt wild:

    "Ich will Ihnen nicht verhehlen, dass, so sehr mir ihr Buch in manchen Teilen gesinnungsmäßig zusagt, ich es formal gar nicht schätze! Und da gerade dies, falls ich eine öffentliche Besprechung vorhätte, mein Ausgangspunkt sein würde; und ich von solcher Warte aus sehr scharf gegen Ihr Buch zu schreiben verpflichtet wäre: deshalb würde eine Veröffentlichung meines Privatbriefes - der eine persönliche Ermunterung, lediglich für Sie selbst, darstellen sollte - nichts weniger als mein Urteil über Ihr Buch wiedergeben."

    Wie nach diesem Brief der Kontakt mit Deschner abbrach, so brach auch der acht Jahre sehr enge freundschaftliche und familiäre mit dem spätromantisch-anarchistischen Ernst Kreuder, dem die Schmidts vielmalige Hilfen und Lebensfreundlichkeiten in ihrer schlimmsten Zeit der fünfziger Jahre verdankten. Kreuder war es auch, der Schmidt auf die Einnahmequelle durch kleine journalistische Arbeiten hinwies und sich dadurch teilweise selbst das Wasser abgrub. Er hatte gelegentlich "die lahme Fabel” oder Motivwiederholungen in Schmidts Erzählungen moniert, was ihm Schmidts spöttische Bemerkung als "Handlungsreisender” eintrug. Als Kreuder den mittlerweile nach Bargfeld aus dem verhassten Neo-Weimar namens Darmstadt entkommenen Schmidt um ein bis zwei Sätze zu Kreuders letztem großen Roman "Agimos oder die Weltgehilfen” für die Verlagswerbung bat und der Verlag "nachfasste", schreibt Schmidt nach der Lektüre des Buchs an den Kollegen:

    "Da wollte ich ursprünglich ausweichen; und es kurz machen: aber das hat bei einem Buch dieses Format ja immer viel Missliches - und ich bin auch ungern feige. Da habe ich Ihren Spieß einmal umgedreht, und eine >grundsätzliche< Stellungnahme abgegeben. Gelobt, was ich nur einigermaßen vertreten konnte, andererseits aber auch die Grenzen ganz klar und unmissverständlich abgesteckt; Sie konvergieren mehr und mehr zum>Priester< hinüber; ich zum>Hordenclown <. Das ist eine Entwicklung, die mit zunehmendem Alter unvermeidlich sein mag. Aber es ist eine Narretei, wenn Sie öffentlich und mit derart grobem Geschütz auf Uns=Andere feuern, und (uns) immer lächerlicher zu machen versuchen. Da habe ich mir denn doch einmal zurufen müssen: BIS HIERHER UND NICHT WEITER ! Ich schließe, im Gegensatz zu Ihnen, mit der - ich glaube doch toleranteren - Wendung, von der Welt, die groß genug ist, dass wir Beide darin Unrecht haben können."

    Die Diplomatie, die der finanziell abhängige freie Schriftsteller fast immer walten lassen musste, wenn er - wie mit dem jungen Rundfunkredakteur Dr. Martin Walser - korrespondierte, verdeckte doch oft sehr sein äußerst kritisches Urteil. Zwar sah Schmidt sich von dem Porträtisten Walser wirklich verstanden:

    "Sie sind der Erste (Einzige), der überhaupt erkannt und durch Beispiele bewiesen hat, was und wie viel ich vermag! Eine Quelle in der Wüste!"," schreibt er dem daraufhin verehrten Herrn Dr. Walser am 10. August 1952.

    Aber als er sich vier Jahre später zu Walsers ersten Erzählungen äußern muss, sieht er darin im Gespräch mit Alice nur einen "2. Aufguß von Kafka und Kusenberg zusammen genommen”. Diplomatisch ist davon in seinem Dankesbrief an Walser, der den Funk verlässt und Freier Schriftsteller wird, nicht die Rede. Zwar lobt er das Buch als "gut”, nennt "die Titelerzählung ein Kleinod"; aber erstaunlich ist, was er diesen Rosen als Dornen ahnungsvoll mitgibt und ihm große Sorge für Walsers Zukunft bereitet:

    ""1. Verlust der äußeren Realität. 2. Ihre Sprache tendiert zur --- ich will es >Gepflegtheit < nennen. Um Ihnen noch mehr heilsame Angst zu machen: 2 Bücher weiter in dieser Richtung, und Sie könnten (wohlgemerkt: könnten!) beim Kunstgewerbe landen!"

    Die Selbstsicherheit des Urteils, das kategorisch zwischen Gesinnungssympathie und ästhetischem Wagnis und Gelingen unterschied und keine Feigheit vor dem Freund kannte, hatte Arno Schmidt von Alfred Döblin übernommen. Aus seiner Hand 1951 in Mainz den Großen Literaturpreis entgegennehmen zu können, war wohl sein tiefwirkendstes persönliches Erlebnis als Autor. Döblin aber hat in Schmidt den eigenen Feuerkopf wieder erkannt und den späten Debütanten auf seinem einsamen, radikalen literarischen Weg bestärkt wie niemand sonst. Am 5. Februar 1952 schreibt er an Arno Schmidt:

    "Ich halte an dem Grundsatz fest, den ich schon ganz früh hatte: Nicht der elfenbeinerne Turm und nichts geschrieben für irgendeinen Zweck und Gebrauch, aber schreiben, wenn man dazu getrieben wird und so wie man es mag und keinen Blick über den Schreibtisch hinweggeworfen. Ich bin sehr mit Menschen verbunden und liebe Zusammenhänge, aber ich bin kein Milchkutscher, der die Milch für die tägliche Ernährung in die Häuser trägt. Ich habe seinerzeit Ihren 'Leviathan' gelesen und schon vor Wochen 'Brand´s Haide', es sind prachtvolle Stücke und man wird sich über Sie ärgern, nämlich andere, die es nicht so können, wie Sie. Sie haben noch viel vor sich und besitzen die schriftstellerischen Mitteln in besonderer Weise. Treiben Sie weiter, wie Sie der Geist es tun läßt, aufgeschlossen und zugleich sicher in sich. Zum Schluß verkünde ich Ihnen noch meinen Leibspruch: 'Ich wohn´ in meinem eigenen Haus, hab´ niemandem nichts nachgemacht und lache noch jeden Meister aus, der sich nicht selber ausgelacht'."

    Nach solchem Ritterschlag von Alfred Döblin blieb Arno Schmidt nur noch übrig, der zu werden, der er wurde. Und nachdem dieser erste Mentor 1957 gestorben war, gab es keinen unter seinen Kollegen, der ihm gleich kam. Statt mit ihnen weiterhin Briefe zu wechseln, nachdem Schmidt endlich in Bargfeld seinen Locus amoenus gefunden hatte und ungestört arbeiten konnte, schrieb der "Solipsist in der Heide” lieber an seinem Selbstgespräch fort und fort - bis zu seinem Ende am 3. Juni 1979. Seine letzten geschriebenen Worte im Fragment "Julia, oder die Gemälde” lauten:

    "Naja: erhebt sich die Frage: 'Iss Fleiß´ne Tugend?' (Müßte man erst noch eine andere Frage davor schalten): 'Ist Fleiß für Menschen & Tiere eine einfache (Lebens)Notwendigkeit?'""

    Arno Schmidt: Briefwechsel mit Kollegen
    Herausgegeben von Gregor Strick
    Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2007, 468 Seiten, 44,80 Euro