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"Mit Humor kann man auch das Leben verändern"

Über sieben Millionen Menschen haben "Ziemlich beste Freunde" hierzulande schon im Kino gesehen: die französische Tragikomödie über einen vom Hals abwärts gelähmten Multimillionär, der als Pfleger einen Kleinkriminellen aus der Pariser Vorstadt engagiert. Nun hat Abdel Sellou, das reale Vorbild für den Helfer, seine Version aufgeschrieben.

Von Susanne Neumann | 02.04.2012
    "Nein, ich bin nicht dieser große schwarze Modellathlet. Ich bin eher so ein kleiner dicklicher glatzköpfiger Shrek."

    Abdel Sellous Grinsen ist entwaffnend. Mit dem strahlenden, schwarzen Hauptdarsteller hat der grimmig blickende Algerier rein optisch erstmal gar nichts gemein – und das weiß er. Aber wie im Film hat er den vom Hals abwärts gelähmten Multimillionär Philippe Pozzo di Borgio mit seinem gewitzten, mitleidlosen Pragmatismus überzeugt:

    "Das einzige, was uns wirklich erst einmal geeint hat, war der Humor. Mit Humor kann man auch das Leben verändern, da konnte er meins verändern, und ich seins. Und ohne unseren Sinn für Humor hätten wir uns 20-30 Sekunden getroffen und er hätte mir einfach mein Papier unterschrieben. "

    Schließlich wollte Abdel Sellou nur den Wisch fürs Arbeitsamt, dass er's versucht hat mit der Bewerbung. Aber dann ist er geblieben. Über zehn Jahre lang ist er fast mit Philippe Pozzo di Borgo verschmolzen. Hat ihm beim Tod seiner Frau beigestanden, bei seinen schweren Depressionen. Das war kein Job, sagt er, das war sein Leben. Und das unterschied sich deutlich von seinem Leben davor.

    "Monsieur Pozzo beschreibt mich in seinem Buch als einen positiven Teufel, so eine Art Schutzteufel. Und ich seh mich mehr als einen diabolischen Teufel. Wie ein Virus der Gesellschaft."

    Mitschüler abziehen, Taschendiebstahl, Hehlerei. Die Liste von Abdel Sellous Straftaten ist lang, das Gewissen damals: nicht sonderlich schlecht. Dass seine Verwandten, zu denen ihn seine algerischen Eltern als Kleinkind abgeschoben hatten, sich Sorgen machten – geschenkt. Ein paar Monate Gefängnis – kein Problem.

    "Wichtig war mir vor allem, dass ich beschreibe, wer ich einmal war. Und heute gibt es diese Abdels immer noch in der Gesellschaft, nur dass ich nicht mehr dazugehöre. Und das war sehr wichtig, mich abzugrenzen und zu zeigen, was aus mir geworden ist: Jemand, der in die Gesellschaft eingegliedert ist, der sogar als gutes Beispiel dienen könnte, während ich früher eher der Albtraum der Gesellschaft war."

    Die gemeinsame Geschichte mit Monsieur Pozzo wird in "Einfach Freunde" nur gestreift, Abdel Sellous Buch ist vielmehr ein unterhaltsamer und humorvoll geschriebener Ausflug in die Zeit davor – über die er sich lange ausgeschwiegen hat. Auch gegenüber seinem Chef und Freund. Du hast mein Leben verändert, heißt das Buch im französischen Original. Und das auf verschiedenen Ebenen. Abdel Sellou ist weicher geworden. Wenn er der Teufel ist, dann ist Philippe Pozzo di Borgo für Abdel Sellou der Engel in dieser Geschichte. Es ging ihm nie ums Geld und diesen Lebensstandard, sagt er, und das glaubt man ihm sofort. Auch wenn sein Chef ihm mehrere Start-ups finanziert hat und er sie wieder in den Sand gesetzt hat. Aber von dem Riesenerfolg des Films etwa hat er nicht profitiert.

    "Ich liebe diese Frage. Das ganze Geld ging an eine Stiftung, die Zentren für behinderte Menschen aufbaut. Auch die fünf Prozent, die wir hätten kriegen können. Der Film hat mich psychologisch bereichert. Ich habe meinen Freundeskreis erweitert. Aber finanziell: wirklich gar nichts."

    Abdel Sellou betreibt mittlerweile eine Hühnerfarm in Algerien, Monsieur Pozzo lebt mit seiner neuen Frau in Marokko. Trotzdem sehen die beiden sich noch alle drei Wochen. Er sei sein Freund, sagt Abdel Sellou. Der erste. Und der einzige.