Viel ist über Masuren geschrieben worden - doch selten wurde Masuren so eindrucksvoll beschrieben wie von Marion Gräfin Dönhoff. Vor vier Jahrzehnten erschien ihr Werk "Namen, die keiner mehr nennt. Ostpreußen - Menschen und Geschichte". Darin finden sich auch die Tagebuchnotizen ihres "Rittes durch Masuren", die sie 1941 für ihren Bruder Dietrich aufzeichnete. Sie sind jetzt als Hörbuch auf CD erschienen: Mit Marion Gräfin Dönhoff durch Masuren, gelesen von Angelika Thomas.
27. September 1941 Nach wochenlangem Regen der erste wirklich leuchtend klare Herbsttag! Sißi und ich treffen uns am Morgen in Allenstein auf der Verladerampe des Güterbahnhofes. Soldaten, Urlauber, militärische Transporte - ein zeitgemäßes Bild. Wir satteln noch im Waggon, denn beide Pferde sind so unruhig, daß sie - einmal ihrem Gefängnis entronnen - keinen Augenblick stillhalten würden. Die Mäntel werden, sachgemäß zu einem länglichen Wulst zusammengerollt, hinten aufgeschnallt, die Satteltaschen befestigt. Dann kommen die Pferde unter großem Gewieher und Geschnaube aus dem Waggon.
Wir müssen quer durch ganz Allenstein, um in Richtung Lanskerofen den Weg über Jommendorf-Reußen zu erreichen, eine aufregende Angelegenheit, denn bei jedem Lastwagen und jeder Elektrischen sprengt einer von uns quer über die Straße. Endlich der ungewohnten Stadt entronnen, geht es gen Süden, zunächst noch auf einer Teerstraße, eingefaßt von Ebereschen, deren grellrote Beeren selbstbewußt und fröhlich den tiefblauen Himmel anstrahlen. Aber schon vor Reußen verlassen wir diese "Kunststraße" für eine Reihe von Tagen, während deren wir sie nur gelegentlich verächtlich kreuzen.
In Reußen erklimmen wir zwischen alten Holzhäusern einen steilen, sandigen Hang, und dann liegt vor uns, in allen Farben leuchtend, der riesige Komplex der südostpreußischen Forsten, in den wir jetzt eintauchen werden. Links ein blauer See, gesäumt von dunklen Fichten, rechts ein paar Kartoffelfeuer, deren Rauchsäule steil zum Himmel ansteigt, wie ein Gott wohlgefälliges Opfer, und davor eine Birke in der letzten Vollkommenheit ihrer herbstlichen Schönheit.
Solche Bilder: das Fallen der Blätter, die blaue Ferne, der Glanz der herbstlichen Sonne über den abgeernteten Feldern, das ist vielleicht das eigentliche Leben. Solche Bilder schaffen mehr Wirklichkeit als alles Tun und Handeln - nicht das Geschehene, das Geschaute formt und verwandelt uns. (...)
Dies ist der nördlichste Teil des Neidenburger Kreises - es ist echtes Masuren und wohl der ärmste Teil von Masuren. Hinter Dembenofen nach Ortelsburg zu wird der Boden immer leichter, Heidekraut und Sand, dann und wann eine krüppelige Kiefer und endlose flache Hügel mit grauem Steppengras. Es hat fast etwas Asiatisches, dieses Land - übrigens nennt auch unser Meßtischblatt einen der breiten Wege, auf dem wir ein langes Stück galoppieren, "Tatarenstraße".
27. September 1941 Nach wochenlangem Regen der erste wirklich leuchtend klare Herbsttag! Sißi und ich treffen uns am Morgen in Allenstein auf der Verladerampe des Güterbahnhofes. Soldaten, Urlauber, militärische Transporte - ein zeitgemäßes Bild. Wir satteln noch im Waggon, denn beide Pferde sind so unruhig, daß sie - einmal ihrem Gefängnis entronnen - keinen Augenblick stillhalten würden. Die Mäntel werden, sachgemäß zu einem länglichen Wulst zusammengerollt, hinten aufgeschnallt, die Satteltaschen befestigt. Dann kommen die Pferde unter großem Gewieher und Geschnaube aus dem Waggon.
Wir müssen quer durch ganz Allenstein, um in Richtung Lanskerofen den Weg über Jommendorf-Reußen zu erreichen, eine aufregende Angelegenheit, denn bei jedem Lastwagen und jeder Elektrischen sprengt einer von uns quer über die Straße. Endlich der ungewohnten Stadt entronnen, geht es gen Süden, zunächst noch auf einer Teerstraße, eingefaßt von Ebereschen, deren grellrote Beeren selbstbewußt und fröhlich den tiefblauen Himmel anstrahlen. Aber schon vor Reußen verlassen wir diese "Kunststraße" für eine Reihe von Tagen, während deren wir sie nur gelegentlich verächtlich kreuzen.
In Reußen erklimmen wir zwischen alten Holzhäusern einen steilen, sandigen Hang, und dann liegt vor uns, in allen Farben leuchtend, der riesige Komplex der südostpreußischen Forsten, in den wir jetzt eintauchen werden. Links ein blauer See, gesäumt von dunklen Fichten, rechts ein paar Kartoffelfeuer, deren Rauchsäule steil zum Himmel ansteigt, wie ein Gott wohlgefälliges Opfer, und davor eine Birke in der letzten Vollkommenheit ihrer herbstlichen Schönheit.
Solche Bilder: das Fallen der Blätter, die blaue Ferne, der Glanz der herbstlichen Sonne über den abgeernteten Feldern, das ist vielleicht das eigentliche Leben. Solche Bilder schaffen mehr Wirklichkeit als alles Tun und Handeln - nicht das Geschehene, das Geschaute formt und verwandelt uns. (...)
Dies ist der nördlichste Teil des Neidenburger Kreises - es ist echtes Masuren und wohl der ärmste Teil von Masuren. Hinter Dembenofen nach Ortelsburg zu wird der Boden immer leichter, Heidekraut und Sand, dann und wann eine krüppelige Kiefer und endlose flache Hügel mit grauem Steppengras. Es hat fast etwas Asiatisches, dieses Land - übrigens nennt auch unser Meßtischblatt einen der breiten Wege, auf dem wir ein langes Stück galoppieren, "Tatarenstraße".