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Mit oder ohne Deal
Der Brexit droht Chaos im Königreich zu säen

Während die Verhandlungen Großbritanniens über ein Freihandelsabkommen mit der EU kaum voranzukommen scheinen, droht die ohnehin Corona-geplagte britische Wirtschaft durch den Brexit zusätzlich einzubrechen. Offenbar sind viele britische Unternehmen auch nicht ausreichend für die Veränderungen gerüstet.

Von Burkhard Birke |
An einem Souvenierstand in London hängt das Schild "Sale"
Britische Unternehmen müssen sich auf den Brexit vorbereiten (dpa/Waltraud Grubitzsch)
"Unser Land steht kurz vor einer der größten Veränderungen der Handelsbedingungen seit sehr langer Zeit, und die Firmen wissen bei vielen wichtigen Dingen immer noch nicht, wie sie sich vorbereiten können."
Adam Marshall nimmt kein Blatt vor den Mund. Erst fünf von insgesamt 36 relevanten Fragen im Zusammenhang mit dem Brexit, Fragen zum Handel, zur Beschäftigung von EU Bürgern etc. seien zufriedenstellend beantwortet, kritisiert der Generaldirektor der Britischen Handelskammer.
Zwar bombardiert die britische Regierung die Unternehmen mit Informationen, aber: Man habe doch keine Zeit unzählige Seiten zu lesen. Es müsste eine vereinfachte Form geben, glaubt Joanna Lush von dem Unternehmen GX Glass in Kent.
Großbritanniens EU-Austritt - Der Brexit und seine AuswirkungenNach 47 Jahren Mitgliedschaft und vier Jahre nach dem Referendum verlässt Großbritannien am 31. Januar die Europäische Union. Doch auch danach wird es noch einiges zu klären geben: Bis Ende des Jahres gilt eine Übergangsfrist, in der beide Seiten ihre Beziehungen neu aushandeln wollen.
Hoffen auf einen Freihandelsabkommen mit EU
Sie ist froh, dass die Produktion nach dem Corona-Lockdown wieder läuft. Zeit, sich auf den Brexit vorzubereiten, bleibt da kaum.
"Jedes fünfte Unternehmen ist nicht vorbereitet. Die Hälfte der Unternehmen hat die Vorbereitungen wieder runtergefahren. Wir befinden uns mitten in einer globalen Pandemie. Der Brexit war aus den Schlagzeilen verschwunden, deshalb können wir nicht erwarten, dass die Firmen voll vorbereitet sind. Und offen gesagt trifft das auch auf die Regierung zu", sagte Caroyn Fairbairn, Generaldirektorin des Britischen Industrieverbandes unlängst in einem Fernsehinterview.
Allen Katastrophenmeldungen zum Trotz hofft sie noch auf einen Freihandelsvertrag mit der EU. 43 Prozent der britischen Exporte gingen zuletzt in die EU; 51 Prozent aller Importe stammten von dort. Tendenz seit dem Brexit-Votum klar rückläufig, aber: Die EU ist und bleibt wohl wichtigster Handelspartner. Gleich ob mit oder ohne Vertrag: Die Unternehmen und Behörden müssen sich rüsten.
"Auch bei einem Vertrag müssen die Händler 80 Prozent der Vorbereitungs-maßnahmen treffen, die sie bei einem no deal ergreifen müssten. Die Bürokratie wächst, es wird also auf alle Fälle zu Behinderungen beim Handel kommen", befürchtet Roger Dough.
Lange Warteschlangen bei Grenzkontrollen erwartet
Der konservative Präsident des Regionalrats der Grenzregion Kent ist gerade dabei einen Parkplatz für 7000 Laster einzurichten: So groß könnte der Rückstau am Ärmelkanal durch Kontrollen und neue Zollformalitäten werden. Die Grafschaft Kent plant zudem eine elektronische Zufahrterlaubnis einzuführen, um Staus zu vermeiden.
Vorgesehen ist zwar, auch die Grenzformalitäten elektronisch im Vorhinein abzuwickeln. Allen Appellen zum Trotz haben sich jedoch erst 19.000 von 145.000 Firmen für das von der Regierung angebotene vereinfachte Übergangsregime angemeldet, das weitgehend von Zollkontrollen absehen würde.
"Natürlich hat der Brite gesagt, er ist da flexibel und winkt da Dinge erst einmal durch und man kann dann Zollabfertigung später machen. Das wird aber für die EU Seite nicht gehen, denn die französischen Grenzbeamten, die müssen ja dann am Ende für die gesamte EU kontrollieren und die können nicht einfach durchwinken."
Britische Wirtschaft könnte einbrechen
Ulrich Hoppe, langjähriger Geschäftsführer der deutsch-britischen Handelskammer in London, befürchtet Chaos an der Grenze, Lieferengpässe und Wachstumseinbrüche, vor allem bei einem no deal. Um ein Prozent - um rund 25 Milliarden Pfund - könnte die ohnehin Corona-geplagte britische Wirtschaft durch den Brexit zusätzlich einbrechen, schätzen Ökonomen. Besonders betroffen wären die Lebensmittelbranche, die Pharmaindustrie, der Flugzeugbau und die Autobranche. Ulrich Hoppe:
"Die deutschen Automobilbauer, die hier produzieren, also BMW, aber auch VW mit dem Bentley, die sind natürlich dann beeinflusst, was sie dann zurück in die EU exportieren und den Außenzollsatz von 10 Prozent unter Umständen zahlen müssen, aber umgekehrt auch die deutschen Automobilbauer, die hierher exportieren. Der Eingangszollsatz von einem Volkswagen liegt dann auch bei 10 Prozent hier. Und da ist die Frage: Wie verhält sich der Konsument? Wie verhält sich die Konkurrenz? Jetzt hat natürlich Japan mit dem Vereinigten Königreich ein Freihandelsabkommen bereits abgeschlossen. Wir haben dann noch die Lieferketten-Disruption. Das trifft alle mit just in time. Das trifft aber auch gerade dann die Lebensmittel Discounter."