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Mit Retro in die Theaterzukunft?

Sie sind ein melancholischer Abgesang auf das italienische Großbürgertum: die drei Stücke von Carlo Goldoni, die Regisseur Claus Peymann derzeit am Berliner Ensemble inszeniert. Doch leider ist die Aufführung der "Trilogie der Ferienzeit" nur grobes Theaterhandwerk.

Von Hartmut Krug | 20.12.2009
    Regisseur Claus Peymann.
    Regisseur Claus Peymann. (AP)
    Viel äußere Aktion enthalten die drei Stücke von Carlo Goldoni aus den Jahren 1761/62 nicht, aber viel innere Spannung. Die Stücke dieser "Trilogie der Sommerfrische" oder "... der schönen Ferienzeit", wie sie am Berliner Ensemble in der sprachlich modern und modisch aufgemotzten Fassung von Jutta Ferbers und Hermann Beil heißen, werden, seit dies Giorgio Strehler 1954 am Wiener Burgtheater erstmals tat, stets an einem Abend gegeben.

    Wer diese drei Sittenkomödien, die ein melancholischer Abgesang auf das italienische Großbürgertum mit seinen Konventionen und moralischen Zweideutigkeiten sind, heute inszeniert, der muss entweder ein großer Komödienregisseur sein oder eine klare Vorstellung davon haben, was diese alten Geschichten uns heute bedeuten könnten. Claus Peymann ist bisher nicht gerade als ein Regisseur mit viel Humor und komödiantischem Geschick aufgefallen, allenfalls seine großspurigen Interviews, in denen er andere beschimpft und sich selbst preist, sind, wenn auch unfreiwillig, oft ungemein komisch.

    In einem Interview hat Peymann auch erklärt, warum er Goldonis Trilogie inszeniert:

    "Eine Gesellschaft, die auf Pump lebt, alle sind bankrott, alles kracht zusammen – das kommt mir alles sehr aktuell vor."

    So weit, so weit vielleicht richtig, doch auf dem Theater muss diese behauptete Aktualität erspielt und dramaturgisch entwickelt werden. Nichts davon in dieser Inszenierung, kein politischer Impuls, keine Aktualität, keine Interpretation, nur grobes Handwerk. In vier langen Stunden erweist sich Claus Peymann wieder einmal als ein Regisseur, der vor allem damit beschäftigt ist, seine Schauspieler auf die Bühne zu "stellen", heraus kommt ein Theater der gut ausgeleuchteten Arrangements.

    Im ersten Teil, in dem die Vorbereitungen auf die Landpartie gezeigt werden, die jeder, der zur Gesellschaft dazu gehören will, sich leistet, obwohl es sich die meisten ökonomisch gar nicht leisten können, geht es um Liebeshändel, um vermeintliche Liebe und erwartete Mitgift, um das neueste Kleid und darum, wer mit wem aufs Land fährt.

    Victoria: Und mein Bruder?
    Paolo: Der ist pleite.
    Victoria: Und da kann man nichts machen?
    Paolo: Sparen! Das ganze Leben ändern. Und vor allem auf die Ferien verzichten!
    Victoria: Auf die Ferien verzichten? Die Sommerferien müssen sein – mit allem drum und dran.
    Paolo: Und – wie lange, denken Sie, kann das noch so weitergehen?
    Victoria: Wenigstens so lange ich noch im Hause bin. Meine Mitgift liegt fest auf der Bank, und ich hoffe, bald zu heiraten.
    Paolo: Und inzwischen?
    Victoria: Inzwischen packen wir Koffer!


    In der Leere von Karl-Ernst Hermanns hohem, pinkfarbenen Salon, der mit einem Spiegel den Wohnraum der einen, mit einem Rhinozerus-Gemälde den einer anderen Familie bezeichnet, könnte man mit der äußeren Beweglichkeit der commedia dell´arte den gierig leidenschaftlichen Kampf um Geld und Liebe als Verkrampfungen aller Gefühle und Haltungen der Menschen versinnlichen. Doch wir sehen nur Verkrampfungen der Schauspieler, die von ihrem Regisseur zu hohlem Getobe und lautem Gebrüll angehalten sind. Das ist grausam unsensibles, hässliches Theater, dem der Einfall, die fitnessbewussten jungen Leute aufs Gymnastikrad zu setzen oder nackt, mit baumelndem Gemächt, Liegestütze machen zu lassen, weder gedanklich noch ästhetisch aufhilft.

    Der Realist Goldoni sagte, "Ich werde Charaktere geben, Gefühl, Handlungsablauf, Würde, Spiel". Von all dem ist nur, aber immerhin, gelegentlich das Schauspielerspiel zu sehen. Im zweiten Teil, mit dem Goldoni seine sich immer mehr verdüsternde Trilogie zur Comédie humaine werden lässt. Wenn in der Sommerfrische, für die Peymann sich schön anzuschauende, aber für das Beziehungsspiel der Figuren hinderliche Liegestuhlreihen hat an die Rampe stellen lassen, die fabelhafte Carmen Maja Antoni eine reiche ältere Frau spielt, die sich einen jungen, schmarotzerhaften Stutzer zu angeln sucht, dann besitzt das schauspielerische Kraft und bewusst ausstellende Komik. Und wie sich Corinna Kirchhoff durch die Rolle einer souveränen Frau, die sie bereits 1995 an der Schaubühne gespielt hat, mit hinreißenden Lach- und Kicherorgien bewegt, das verweist darauf, dass Goldoni Menschen zeigt, die stets Theater spielen.

    Im dritten Teil, wenn man zurück ist vom Lande, und sich die bunten Kostüme über das Weiß der Landpartie ins Schwarze geändert haben und Tschechowscher Trauerzauber über den Figuren liegt, den Claus Peymann mit äußerlichen Mitteln wie einem zerbrochenen Spiegel, mit Regen und tosendem Gewitter übertönt, bis schließlich Schnee stiebt, sind alle irgendwie versorgt, aber auch unglücklich. Und warum sich Giacinta, eine für die Zeit erstaunlich energische und selbstbewusste Frau, schließlich den Konventionen und ihrem Pflichtgefühl unterwirft und nicht den geliebten Mann heiratet, sondern einen, dem sie sich versprochen hatte, erklärt uns die Inszenierung genau so wenig, wie sie uns diese Figur überhaupt erklärt. Goldonis sensible Tragikomödie wird am Berliner Ensemble zu einem inszenatorischen Trauerspiel.