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Mit Sicherheit an Wolken kratzen

"Der Wolkenkratzer hat unseren Architekten neu zu denken gelehrt. Er ist ein Ausdruck unserer sorglosen jugendlichen Vitalität, des Genius von heute." – Edwin Avery Park, Architekt, 1927.

Von Sascha Ott |
    In der Mitte des 19. Jahrhunderts findet man in den europäischen und amerikanischen Großstädten kaum ein Haus mit mehr als fünf oder sechs Stockwerken. Technisch wären die Architekten zu dieser Zeit zwar schon in der Lage, auch deutlich höhere Gebäude zu errichten – aber es würden sich kaum Mieter für diese Häuser finden. Das mühsame Treppensteigen würde sie abschrecken. Auf der Industrieausstellung in New York präsentiert Elisha Graves Otis 1853 die Lösung dieses Problems: den Aufzug. Damit ist der Weg frei für Hochhäuser bis in den Himmel hinein.

    Franz Werner Nolte: "Wir sind hier genau in 150 Metern Höhe auf dem Post-Tower zu Bonn. Wir haben hier den unmittelbaren Blick auf das Siebengebirge, man kann nach Westen die Eifel erkennen und nach Norden die Stadt Köln."

    Franz Werner Nolte schaut durch den gläsernen Sichtschutz, der das Dach des Post-Towers umgibt hinunter auf das Bonner Rheinufer. Rechnet man die riesige Panoramascheibe mit ein, dann ist die Zentrale der Deutschen Post insgesamt genau 162,5 Meter hoch. Damit ist der Post-Tower das höchste Bürogebäude in Nordrhein-Westfalen. Gäbe es die Bankriesen in Frankfurt am Main nicht, wäre es sogar das höchste in ganz Deutschland. Franz Werner Nolte hat den Bau als Chef der Immobilienabteilung der Post von Anfang an begleitet. Er ist vor allem stolz darauf, dass der Post-Tower nicht nur ein sehr hohes und architektonisch außergewöhnliches Gebäude geworden ist, sondern auch ein ganz besonders sicheres.

    Franz Werner Nolte: "Ich behaupte einfach, und es mag vielleicht ein bisschen überheblich klingen, wir haben hiermit, mit diesem Gebäude das sicherste Gebäude der Welt. Nicht nur im Bereich des Hochhausbaus, sondern das sicherste Gebäude überhaupt."

    Ende des 19.Jahrhunderts wird die Entwicklung des Hochhauses vor allem in Chicago zügig vorangetrieben. Ein entscheidender Fortschritt ist dabei eine architektonische Neuerung: das Stahlskelett. Mit diesem leichten Traggerüst entsteht 1885 das Gebäude der Home Life Versicherung, das als eines der ersten Hochhäuser überhaupt gilt. Es ist 52 Meter hoch. In diesen Jahren wird auch ein Begriff immer häufiger für hohe Häuser verwendet, der bis dahin nur besonders hohe Zylinderhüte bezeichnete: "Skyscraper", der "Wolkenkratzer".

    Nach der Einführung des Stahlskeletts im amerikanischen Hochhausbau haben sich die grundlegenden Materialien für das Traggerüst ein Jahrhundert lang kaum verändert.

    Werner Sobek: "Man hat bis ungefähr 1985 in den Vereinigten Staaten ausschließlich Stahlhochhäuser gebaut und in Deutschland ausschließlich bis 1990 ungefähr Betonhochhäuser, die wenigen, die gebaut wurden."

    Prof. Werner Sobek vom Institut für Leichtbau der Universität Stuttgart.

    Werner Sobek:"Mittlerweile hat man aus unterschiedlichen Gründen Kombinationen dieser Werkstoffe eingeführt, sodass man heute weltweit sagen kann, dass die Idealkombinationen – Beton dort, wo er sinnvoll ist, Stahl dort, wo er optimal einsetzbar ist – verwendet werden. Dies führte zu einer deutlichen Beschleunigung der Bauzeiten zu einer Reduzierung der Baukosten und zum Verbrauch von weniger Material, was natürlich nicht nur ein Kostengesichtspunkt ist, sondern auch ein Energiegesichtspunkt."

    Stahl wird vor allem für die hochbelasteten senkrechten Stützen eingesetzt. Bereits vergleichsweise dünne Stahlträger im Kern des Gebäudes bieten eine hohe Tragfähigkeit und ermöglichen gleichzeitig den freien Ausblick nach draußen. Ein wichtiger Fortschritt für die Sicherheit der Hochhäuser ist, dass längst nicht mehr alle dieser Stahlstützen benötigt werden, damit das Haus stabil steht.

    Werner Sobek:
    "Viele der ganz alten Hochhäuser würden beispielsweise einstürzen, wenn Sie im Foyer eine der hochbelasteten Stützen wegsprengen würden, weil eben jede der Stützen gerade so an ihrer Leistungsfähigkeit dimensioniert ist. Neuere Konzepte erlauben es, dass ein, zwei Stützen, vielleicht auch drei oder mehr, auch an unterschiedlichen Stellen eines Gebäudes ausfallen können, vielleicht auch mal eine Decke zerstört werden kann, und dass das Gebäude zwar trotzdem dann verletzt aber immer noch standsicher ist."

    Bei den Anschlägen auf das World Trade Center am 11.September 2001 wurde diese Ausfalltoleranz für die tragenden Stützen überschritten. Das verbrennende Kerosin aus den beiden Flugzeugen erzeugte ein so gewaltiges Feuer, dass zu viele der Stahlträger ihre Stabilität verloren. Die Zwillingstürme stürzten ein. Die Ingenieure im Hochhausbau sehen es rückblickend einerseits als Zeichen für die große Zuverlässigkeit der Stahlkonstruktion, dass die Türme immerhin über eine halbe Stunde nach den Anschlägen standgehalten haben. Viele tausend Menschen konnten sich in dieser Zeit noch in Sicherheit bringen. Andererseits haben die Ereignisse von New York die Hochhausbauer auch gelehrt, dass es eine absolute Sicherheit nicht geben kann.

    Werner Sobek:
    "Die Frage, soll man zukünftige Häuser gegen jedwede Art derartiger Einwirkungen und Effekte dimensionieren. Ich bin der Meinung, das muss man nicht. Weil wenn ein Terrorist eine ingenieurmäßige Ausbildung hinter sich hat, dann kann er jedes noch mit soviel Sicherheit versehene Gebäude zum Einsturz bringen."

    Dennoch hat der 11.September die Diskussion um die Sicherheit in Wolkenkratzern deutlich beeinflusst: Ein solcher Anschlag galt zuvor als unvorstellbar – jetzt wird das Szenario aus New York häufig als Maßstab für neue Sicherheitskonzepte herangezogen. Immer wieder taucht auch die Frage auf: Wenn die Sicherheit in einem solchen Gebäude nicht zu gewährleisten ist, sollten dann überhaupt noch Häuser mit mehreren hundert Metern Höhe gebaut werden? Der Architekt Helmut Jahn hält das für den falschen Ansatz.

    Helmut Jahn:
    "Man kann Gebäude sehr sicher planen. Man kann Gebäude nicht planen für Ereignis, die am 11. September geschehen sind. Und ich glaube, man sollte sich dadurch nicht gehemmt fühlen. Nur Fortschritt verbessert die Welt."

    Solche fortschrittliche Sicherheit will Jahn mit den von ihm entworfenen Gebäuden demonstrieren. Zuletzt mit dem 2002 eingeweihten Post-Tower in Bonn

    Von der Dachterrasse aus führt uns Franz Werner Nolte über eine Treppe hinunter ins oberste Stockwerk, das ist der 41. Stock im Post Tower. Eigentlich müsste man von den "Post Towers" sprechen, denn es genau genommen sind es zwei Gebäude, die von einer durchgehenden Glasfassade eingehüllt werden.

    Nolte:
    "Diese beiden Gebäudeteile sind Kreissegmente, Kreisellipsen. Die sind gegeneinander leicht versetzt mit einem Abstand von etwas mehr als sieben Metern und sie sind beide selbstständig tragend."

    Getragen werden die beiden Gebäudeteile hauptsächlich von vier Kernen aus hochfestem Beton. Die Wandstärken betragen hier bis zu 80 Zentimeter. Das dient nicht nur der Stabilität des Gebäudes, sondern soll auch Schutz bei einem Brand bieten, denn durch diese Betonkerne verläuft bei einer Evakuierung des Gebäudes der Weg ins Freie.

    Nolte:
    "In jedem Kern ist ein Fluchttreppenhaus. Wir haben pro Etage etwa 25 Mitarbeiter pro Gebäudehälfte. Sprich: Etwa 12 bis 13 pro Etage können den Fluchtweg durchs Treppenhaus benutzen. Das ist einfach ein Komfort."

    Bei der Planung des Post Towers mussten die Architekten nachweisen, dass das Gebäude in etwa zwanzig Minuten evakuiert werden kann. Wir gehen von einem Büroraum aus den mit grün-weißen Pfeilen gekennzeichneten Fluchtweg entlang. Von jedem Raum darf der Weg ins Treppenhaus nicht länger als zwanzig Meter sein. Die Fluchttreppe muss mindestens einen Meter zwanzig breit sein, damit zwei Erwachsene sie nebeneinander hinunterlaufen können. Im Treppenhaus hat der Post Tower eine spezielle Anlage, um das Verrauchen des Fluchtwegs zu verhindern.

    Nolte:
    "Wir haben unten im Kellerbereich in der Sohle sehr große Generatoren stehen, die im Brandfall automatisch anspringen und Luft ins Treppenhaus von unten hineinblasen. Und somit hier Überdruck erzeugen. Sprich: In diesen Treppenhäusern ist der Luftdruck höher um einige bar als in den Außenbereichen und in den Büroräumen. Und somit kann der Rauch nicht dorthin sondern wird von dem Überdruck zurückgeschoben."

    Bei einem unangekündigten Evakuierungs-Alarm vor einigen Monaten war nach wenig mehr als fünf Minuten kein Mensch mehr im Gebäude.

    Ende der 20er Jahre erlebt New York ein bis dahin beispielloses Rennen um das höchste Gebäude der Welt: Fast zeitgleich werden das Chrysler Building und das Empire State Building gebaut. Als Walter Chrysler zugetragen wird, das Empire State solle sein Gebäude an Höhe überbieten, ändert er den Bauplan und lässt eine 27 Tonnen schwere Stahlkrone auf das Chrysler Building setzen, die ihm die entscheidenden Meter Vorsprung verschaffen sollen. Womit Chrysler nicht gerechnet hat: Auch der Architekt der Konkurrenz hat noch einen Trick in Reserve, erhöht das Gebäude kurzerhand um fünf Stockwerke und eine Spitze. Mit 381 Metern Höhe wird das Empire State Building 1931 zum höchsten Gebäude der Welt – und behält diesen Titel mehr als 40 Jahre lang.

    Das Brandschutzkonzept des Post-Towers wurde entwickelt unter der Leitung von Prof. Wolfram Klingsch. Der Ingenieur von der Universität Wuppertal gilt als einer der führenden Experten auf diesem Gebiet in Deutschland. In den immer höheren Wolkenkratzern haben sich seiner Ansicht nach die zentralen Aufgaben des Brandschutzes verändert: Die Entstehung und Ausbreitung eines Feuers zu verhindern, steht nicht mehr im Vordergrund.

    Klingsch:
    "Bei diesen hohen Hochhäusern ist die Frage der Evakuierungsqualität das Ausschlaggebende. Im Falle eines Brandes muss eine sehr schnelle Alarmierung der Nutzer dieser Etagen möglich sein und sie müssen auf sehr schnellen kurzen Wegen in sichere Bereiche, das ist zunächst der Treppenraum geführt werden."

    Aber wie geht es im Treppenraum weiter? In einem mehrere hundert Meter hohen Gebäude kann der Weg bis zum Ausgang im Erdgeschoss unter Umständen zu weit sein. Deshalb fordern Brandschutzexperten immer häufiger Sicherheitszonen, die innerhalb des Gebäudes liegen.

    Klingsch:
    "Bei diesen hohen Gebäuden kann man nicht mehr unbedingt davon ausgehen, dass eine Entfluchtung des Gebäudes über das Treppenhaus nach unten ins Freie sinnvoll ist. Sondern hier muss man dann daran denken, dass wir sichere Schutzzonen im Inneren des Gebäudes haben, die aufgesucht werden, wo die Personen in einem sicherheitstechnisch autarken Bereich sind, dort ausreichend lange verbleiben können. Das setzt voraus, dass wir diese Gebäude in Bezug auf die Brandwiderstandsfähigkeit der Bauteile anders bemessen."

    Das heißt, das Gebäude darf auch bei einem großen Feuer nicht einstürzen. Als Maßstab werden auch hier häufig die Ereignisse vom 11.September herangezogen. Dem World Trade Center wurde zum Verhängnis, dass durch die Wucht der Explosionen die Brandschutzisolierung von den Stahlstützen abgesprengt wurde.

    Klingsch:
    "Die Analyse des Zusammenbruchs dieser Gebäude hat gezeigt, dass wir vielleicht einige Veränderungen in der Bauweise bei bestimmten Konstruktionsarten vornehmen müssen. Was man vielleicht heute bei solchen Objekten berücksichtigen müsste, das sind brandschutztechnische Isolierungen, die eine ausreichende Explosionsdrucksicherheit haben. Das ist ein Aspekt, an den man bislang noch gar nicht gedacht hat."

    Aber auch mit dieser erhöhten Standfestigkeit stellt sich die Frage: Wie groß ist das Vertrauen der Menschen in eine Schutzzone im Haus, von der es heißt, hier könne man getrost den Einsatz der Feuerwehr abwarten? Die Bilder des 11.Septembers vor Augen gäbe es für viele im Ernstfall wohl nur ein Ziel: die Flucht ins Freie. Aber der Weg aus dem 40.Stockwerk zum Boden ist weit und möglicherweise von den Flammen versperrt. Um die Menschen auch aus großer Höhe retten zu können, entwickeln israelische Ingenieure zurzeit eine Art fliegenden Rettungsteppich. Eine 40 Meter große Plattform soll angetrieben von vier waagerechten Propellern an der Fassade hochsteigen und bis zu zehn Personen aufnehmen können. Im März soll der erste Prototyp der Rettungsplattform abheben.

    Es dauerte bis in die 70er Jahre bis das Wettrennen der Wolkenkratzers wieder aufgenommen wurde. 1972 erreichen die 110 Stockwerke des World Trade Centers eine Höhe von 417 Metern. Doch den Titel "Höchstes Gebäude der Welt" tragen die Zwillingstürme nur kurze Zeit, genauer: nur drei Monate. Dann wird das World Trade Center überflügelt vom Sears Tower in Chicago, der schließlich bei seiner Fertigstellung zwei Jahre später bis auf 442 Meter hinauf ragt. Diese Kränkung aus Chicago hat der New Yorker Stolz nur schwer verwunden.

    Nolte:
    "Wir stehen hier in einem sogenannten Sky-Garden. Dieser Sky-Garden ist eine geschlossene Verbindungsfläche zwischen diesen beiden Gebäuden. Und wir befinden uns hier auf dieser Fläche in einem sogenannten Außenbereich, obwohl wir den Eindruck haben, wir sind IN einem Gebäude."

    Nach jeweils neun Geschossen verbindet ein Himmelsgarten, ein Sky-Garden die beiden Teile des Post-Towers. Hier soll Platz für die Pausen und Treffen der Mitarbeiter geschaffen werden. Der Sky-Garden gehört aber brandschutztechnisch zu keinem der beiden Gebäude, sondern gilt als Außenfläche. Deshalb müssen hier die Wände nach den gesetzlichen Vorschriften einem Feuer neunzig Minuten lang standhalten. Das Problem ist nur: diese Wände sind aus Glas – also eigentlich alles andere als feuerfest. Franz Werner Nolte und seine Kollegen haben sich daher etwas einfallen lassen.

    Nolte:
    "Sie sehen hier unten an diesem Übergang von dieser Glasfläche, von dieser Sky-Garden-Fläche so kleine Hörnchen rausschauen mit so kleinen Düsen drauf. Das sind sogenannte Benebelungsanlagen. Im sogenannten Außenbereich muss diese Wand einem Feuer anderthalb Stunden standhalten. Das kann Glas bekanntlich nicht. Und mit dieser Benebelungsanlage wird halt der Luft der Sauerstoff entzogen und das Feuer kann sich somit nicht ausbreiten und den Schmelzpunkt des Glases nicht erreichen."

    Hinzu kommen die obligatorischen Sprinkleranlagen in allen Räumen und eine automatische Steuerung der Fenster, die im Brandfall verhindern soll, dass sich die Etagen mit gefährlichem Rauch füllen. Dennoch klingt es mutig, wenn Franz Werner Nolte erklärt, der Post Tower würde einen Anschlag, wie den auf das World Trade Center verkraften.

    Nolte:
    "Wir haben hier unser Haupttragwerk in den Treppenhäusern, da sind sogenannte Verbundstützen, die bestehen aus einem äußeren Mantel von 6 mm Stahl, dann ausbetoniert mit Beton, mit einem Tragkern auch aus Stahl und somit der Brandschutz ausreichend gewährleistet für einen möglichen vergleichbaren Anschlag wie in den USA."

    Glas hat sich in den vergangenen Jahren zum beliebtesten Fassadenmaterial der Architekten entwickelt. Auch innerhalb der Gebäude ersetzen immer mehr Glasscheiben die massiven Betonwände. Dadurch entstehen zwar einerseits Hochhäuser, die trotz ihrer Größe transparent und leicht wirken. Andererseits stellen diese Konstruktionen aber auch neue Herausforderungen an den Brandschutz. Noch empfindlicher als das Glas selbst ist dabei die Aufhängung der Scheiben, die meist aus hitzeempfindlichem Aluminium gefertigt ist. Daher hat Harri Gütter vom Brandschutzentwickler Bemofensterbau eine Aluminium-Konstruktion entwickelt, die auch großer Hitze standhält.

    Rütter:
    "Aluminium schmilzt normalerweise, bei etwas über 600 Grad Celsius. Wir haben hier über eine Stunde mehr als 1000 Grad. Wir schaffen das, weil wir einen Isolierkern einsetzen, der ganz massiv viel kristallin gebundenes Wasser enthält und der über den Verlauf der Prüfungszeit kontrolliert Wasser frei gibt und somit die Konstruktion kühlt."

    Was für ein Material er genau verwendet, um das Wasser in Kristallen zu binden und bei Hitze wieder abzugeben, lässt sich Harri Rütter nicht entlocken – Betriebsgeheimnis. Dafür preist er die Möglichkeiten, die sich für den Brandschutz eröffnen: eine wassergekühlte Glaswand.

    Rütter:
    "Tritt jetzt Hitze auf, dann setzt dieses Material Wasser kontrolliert über die gesamte Prüfungsdauer frei. Und dieser Wasserdampf ist innerhalb der Konstruktion und kühlt sie eben so lange ab, bis der Versuch beendet ist."

    "Coolfire" heißen die Fenster-Systeme, mit denen Rütter und seine Kollegen die modernen transparenten Hochhäuser widerstandsfähiger gegen Feuer machen wollen. Die gekühlten Scheiben sollen verhindern, dass sich ein Feuer innerhalb einer Etage ausbreitet oder die Flammen von einem Stockwerk zum nächsten überschlagen. Wenn es jenseits der Scheibe brennt, sollen die Menschen auf der Etage trotzdem ungefährdet zum rettenden Treppenhaus gelangen können. In den Labortests zumindest hat die Wasserkühlung funktioniert.

    Rütter:
    "Diese ganzen Systeme sind in offiziellen Prüfinstituten geprüft worden, das heißt, man baut die dort ein und macht tatsächlich ein Höllenfeuer. Das bedeutet bei diesen Konstruktionen über 90 Minuten, dass über 1000 Grad wirken, da können Sie während des ganzen Versuchs, wenn er denn positiv verlaufen ist, vor dem Element sich bewegen. Sie können auch durchaus 10 Zentimeter nur haben und es passiert Ihnen eben nichts."

    Für Architekten dürfte besonders reizvoll sein, dass man den wassergekühlten Glas-Aufhängungen aus Aluminium ihre Brandschutzfunktion nicht ansieht. Wenn beim Hochhausbau auch in Zukunft auf nahtloses Glas gesetzt wird, dann hat "Coolfire" durchaus eine Chance sich durchzusetzen.

    Europa spielte im Hochhausbau nie eine wirklich große Rolle. Die höchsten Gebäude des Kontinents, die Commerzbank und der Messeturm in Frankfurt erreichen noch nicht einmal die 300-Meter-Marke. Asien hingegen entwickelt in den 90er Jahren den Ehrgeiz, das Mutterland der Wolkenkratzer, die USA zu übertrumpfen. In Singapur, Hongkong und Shanghai wachsen die Türme immer höher in den Himmel. 1997 endlich ist es geschafft: Die Petronas Towers in Kuala Lumpur werden mit 452 Metern Höhe das höchste Gebäude der Welt. Und in Asien fällt schließlich auch die 500-Meter-Schallgrenze: Seit dem vergangenen Oktober erreicht das Finanzcenter "Taipeh 101" auf Taiwan eine Höhe von 509 Metern.

    Ein scharfer West-Wind pfeift um die Spitze des Post-Towers. Hier oben im obersten Sky-Garden, in mehr als 140 Metern Höhe ist davon nichts zu spüren – kein Zittern, kein Schwanken.

    Nolte:
    "Der obere Bereich des Hauses wird sich bei Windstärke sechs bis sieben nicht merklich bewegen. Die Bewegungen sind im Millimeterbereich und für den Körper in dieser Größenordnung nicht spürbar."

    Um diese Ruhe zu erreichen, mussten die Architekten die vier Kerne des Towers miteinander verbinden. Zwischen den Treppenhäusern sind an mehreren Stellen mächtige Kreuze aus Stahl zu erkennen.

    Nolte:
    "Dieses sogenannte, wie wir es nennen Andreaskreuz ist in fünf Ebenen nach Westen und fünf Ebenen nach Osten in den Bereichen der Kerne dieser beiden Hochhausbereiche angebracht und dient allein der Stabilität dieser beiden Gebäudehälften in Anführungsstrichen, um bei starken Winden gegen Verdrehen, gegen Verdrillen abzusichern."

    Für die Planung des Post-Towers wurden Daten von den meteorologischen Stationen der Umgebung eingeholt, um abschätzen zu können, mit welchen Windstärken gerechnet werden muss. Ein verkleinertes Modell des Gebäudes musste dann im Windkanal wechselnden böigen Winden, so wie sie in der Rheinaue häufig auftreten, standhalten. Damit der Post-Tower auf die angreifenden Winde mit einer gewissen Beweglichkeit reagieren kann, wurden im Gebäude an verschiedenen Stellen flexible Verbindungen angebracht. Franz Werner Nolte deutet auf eines der inneren Tragwerke.

    Nolte:
    "Dieses Tragwerk hält die Glasböden zwischen den Aufzügen. Wenn Sie jetzt nach rechts schauen oder auch nach links sehen Sie die Gelenke. Diese Tragarme sind gelenkig angebunden, um leichte Bewegungen innerhalb des Gebäudes aufzunehmen.

    Allzu große Belastungen der Konstruktion sind allerdings nicht zu befürchten. Die statischen Berechnungen ergaben, dass sich das Gebäude bei einem extremen Wind nur maximal 14 Zentimeter aus der Achse bewegen wird.

    Der Post-Tower steht in einer meteorologisch vergleichsweise gemäßigten Umgebung. Mit starken Orkanen ist am Rhein nur relativ selten zu rechnen. Wesentlich kritischer sieht die Situation zum Beispiel am Standort des neuen Wolkenkratzers "Taipeh 101" aus. Auf Taiwan ist mehrfach im Jahr mit Windgeschwindigkeiten von mehr als 200 Kilometern pro Stunde zu rechnen. Das Hochhaus ist wie ein Bambusstab aus einzelnen Segmenten aufgebaut und soll sich dadurch wie Bambus im Wind biegen können. Insbesondere die wechselnden Böen der Orkane können aber einem mehr als 500 Meter hohen Gebäude durchaus zu schaffen machen, erklärt der Ingenieur Jürgen Wacker.

    Wacker:
    "Wind ist nicht irgendwie eine tote Last wie ein Gewicht oder wie eine Schneelast, sondern es ist wirklich eine zeitlich veränderliche Größe. Das heißt, das Gebäude wird nicht nur schräg gestellt, sondern es bewegt sich auch nach vorne nach hinten, nach vorne nach hinten. Also bei 300 Meter hohen Gebäuden kann das durchaus auch schon mal im Bereich von ein Meter fünfzig bis zwei Meter sein."

    Die gesetzliche Grenze für diese Schwingungen sind unterschiedlich. Ein typischer Wert liegt bei einem Fünfhundertstel der Höhe, also einem Meter für ein 500 Meter hohes Gebäude wie das "Taipeh 101". Jürgen Wacker hat sich mit seinem Ingenieurbüro in der Nähe von Karlsruhe auf die Berechnung von Windeffekten an Hochhäusern spezialisiert. Er berechnet für Bauherren und Architekten das Windverhalten ihrer Entwürfe und entwirft gegebenenfalls Konzepte, wie die Stabilität erhöht werden kann.

    Wacker:
    "Die kann man beispielsweise erhöhen, in dem man den Gebäudekern, das ist also der innere Bereich des Hochhauses, wo die ganzen Fahrstuhlschächte und Ähnliches platziert sind, dass man den einfach noch massiver darstellt. Man kann den Gebäudekern auch vorspannen, das heißt, dass man einfach mit Stahlseilen künstlich eine Spannung erzeugt, die den Wind teilweise kompensiert. Das ist die zweite Methode. Die dritte wäre, dass man an der Gebäudespitze einen Dämpfer anbringt, der, wenn das Gebäude schwingt, die ganzen Schwingungen rausdämpft."

    Ein solcher Dämpfer wurde auch "Taipeh 101" verpasst. Hoch oben in der 88.Etage hängt eine riesige Stahlkugel. Sie wiegt 660 Tonnen, so viel wie sechs Diesel-Lokomotiven. Dieses Gewicht soll die Schwankungen des Wolkenkratzers verringern. Aber dem höchsten Gebäude der Welt drohen noch weitere Gefahren. In Taiwan bebt fast jeden Tag die Erde. Im März 2002 starben sieben Menschen, als bei einem Erdbeben zwei Kräne aus dem 56.Stockwerk in die Tiefe stürzen. Die Wirkung eines Erdbebens auf ein Hochhaus ist in vielen Dingen vergleichbar mit der eines Orkans.

    Wacker:
    "Der große Unterschied ist allerdings der, dass die Reaktion auf den Wind hauptsächlich im oberen Gebäudebereich dominiert wird, während das Erdbeben sich dahingehend auswirkt, dass der Boden, das heißt also das Fundament in horizontaler Richtung beschleunigt wird. Das ist der große Unterschied zwischen Erdbeben- und Windwirkung: Der Wind greift oben an, das Erdbeben greift unten am Fundament an."

    Und am Fundament liegt das dritte Sicherheitsrisiko für "Taipeh 101": Das Hochhaus wurde auf schlammigem Sumpfland errichtet. Stützpfeiler mussten 80 Meter tief in die Erde gerammt werden, um genügend Halt zu finden. Trotz allem: Die Konstrukteure sprechen von einem der sichersten Bauwerke der Welt.

    Seit fünf Jahren ist es geplant, ursprünglich in Melbourne – aber die australischen Behörden lehnten den Bau ab. Jetzt sollen im Sommer die Bauarbeiten für den nächsten Hochhaus-Riesen in Dubai in den Vereinigten Arabischen Emiraten beginnen. Auf einer künstlichen Insel soll ein 560 Meter hoher Wolkenkratzer entstehen. An diese Höhe wird ein anderes Projekt nicht heranreichen und dennoch erregte die Neubebauung der Fläche des ehemaligen World Trade Centers schon in der Ausschreibung mehr Aufmerksamkeit als irgendein anderes Bauprojekt der Zukunft. Die "Gardens of the World" des Architekten Daniel Libeskind sollen mit 541 Metern Höhe die neue Spitze Manhattans werden. Doch ob der Entwurf mit Museum und Gedenkstätte wirklich in der vorgesehenen Form ab 2005 gebaut wird, erscheint noch ungewiss.

    Auf unserem Weg durch den Post-Tower soll es jetzt etwas schneller abwärts gehen. 20 Aufzüge stehen bereit, um die Mitarbeiter der Post zu ihren Büros zu befördern. Damit es noch schneller geht, werden die Aufzüge von einem zentralen Rechner koordiniert. Das bedeutet für den Benutzer, dass er schon vor Betreten eines Aufzugs an einem Tableau angeben muss, in welche Etage er fahren möchte. Franz Werner Nolte möchte mit uns in den ersten Stock fahren.

    Nolte:
    "Dann drücke ich hier die eins und jetzt sagt das Tableau, dass ich den Aufzug "Dora" nehmen soll, also "D". Der Aufzug "D" hier vorn ... dort der erste... In den Aufzügen haben wir leider nicht die Möglichkeit, die Etage zu ändern, weil dann auch die Optimierung der Aufzugsfahrten dadurch gestört würde."

    Der Fahrstuhl "D" öffnet seine Türen und hinunter geht es aus dem 38. ins erste Stockwerk. Das geschieht mit einem beeindruckenden Tempo, bei dem empfindsamen Naturen durchaus ein bisschen schwindelig werden kann.

    Nolte:
    "Vielen Kolleginnen und Kollegen ist zu Anfang auch etwas schwummerig geworden, wir fahren jetzt auch mit sechs Metern in der Sekunde. Zwischenzeitlich haben wir eine Geschwindigkeit gehabt von vier Metern in der Sekunde. Das war dann dem ein oder anderen schon etwas zu langweilig, weil diese Höhe von 150 Metern ja auch eine bestimmte Zeit braucht, um sie erreicht zu haben."

    Die Sicherheitsstrategen im Hochhausbau haben sich in jüngster Zeit auch der Aufzüge angenommen: Noch 1996 beim Großbrand im Düsseldorfer Flughafen kamen sogar einige der Opfer nur deshalb ums Leben, weil der Aufzug sie direkt in den Bereich des Feuers transportierte hatte. Die Aufzüge im Post-Tower sind daher so programmiert, dass sie ihre Fahrgäste bei einem Feueralarm sofort in Sicherheit bringen.

    Nolte:
    "Er fährt sofort ins Erdgeschoss und öffnet sich automatisch, damit die Leute heraustreten können und einer möglichen Gefahr entgehen."

    Im Bereich der Aufzugstechnik wird darüber nachgedacht, die Fahrstühle noch intensiver bei der Evakuierung eines Hochhauses einzusetzen. Es werden Aufzüge entwickelt, die auch bei einem Großbrand gefahrlos benutzt werden können. Gerade für die obersten Stockwerke riesiger Wolkenkratzer könnte dies einen großen Gewinn an Sicherheit bedeuten. Das Schild "Im Brandfall nicht benutzen" gehört dann der Vergangenheit an.

    Futuristische Visionen von gigantischen Riesenhäusern, die ganze Städte enthalten, haben die Architekten seit Jahrzehnten fasziniert. Aber inzwischen werden solche Hirngespinste zum Teil ernsthaft geplant und entworfen, Modelle werden getestet und Standorte erwogen. In Shanghai träumen Ingenieure von einem Bionic Tower, der auf über 1200 Metern Höhe Platz für 100.000 Menschen schaffen soll. Ein künstlicher See rund um den Turm soll die Schockwellen der Erdbeben abfangen. Die Phantasie kennt keine Grenzen: Vor der Küste Japans könnte irgendwann auf einer künstlichen Insel der stählerne Berg X-Seed 4000 entstehen – 4000 Meter hoch, mit 800 Stockwerken. Pläne, die vor allem an eins erinnern: den biblischen Turmbau zu Babel.

    Schlaich:
    "Es ist prinzipiell überhaupt kein Problem ein 1000 Meter, von mir aus auch ein fünfzehnhundert Meter hohes Hochhaus zu bauen."

    Jörg Schlaich ist so etwas wie der "Elder Statesman" der deutschen Hochhaus-Ingenieure. Der emeritierte Professor der Universität Stuttgart war noch im vergangenen Jahr am Entwurf des Architekten-Teams "Think" für den Neubau des World Trade Centers beteiligt. Die Vision eines 1000 Meter hohen Wolkenkratzers hält er zwar für technisch machbar, aber ökonomisch unsinnig.

    Schlaich:
    "Die Kosten steigen dann so unproportional in die Höhe, weil eben dann die Tragkonstruktion immer mehr Platz für sich in Anspruch nimmt und nicht genutzt werden kann. Oder das Haus muss dann so groß werden, dass die Innenräume natürlich dann einfach nicht mehr attraktiv sind und die Außenräume sind dann zu wenig. Also das stößt einfach an wirtschaftliche Grenzen, nicht notwendigerweise an technische Grenzen."

    Ein solch hohes Gebäude würde auch ganz neue Fragen der baulichen Sicherheit aufwerfen. Insbesondere, da die meisten der besonders spektakulären Giganten in Regionen mit besonders hohem Erdbeben-Risiko geplant sind. Den Architekten Helmut Jahn erinnert die Jagd nach immer größeren Bauhöhen an die Risiken eines sportlichen Wettkampfs.

    Jahn:
    "So ein bisschen ist das wie in einem Hochleistungssport, Rennsport oder Segelsport. Diese Yachten oder diese Autos, die sind eben bis an die Grenzen entworfen und wenn zu viel Wind ist oder zu viel Geschwindigkeit ist, dann passiert eben was. Wenn man an die Grenzen geht, dann ist man sicher im Nachhinein manchmal schlauer, dass irgendetwas schief gegangen ist."

    Wir sind im ersten Stock des Post-Towers angelangt und folgen mit Franz Werner Nolte dem ausgeschilderten Fluchtweg.

    Nolte:
    "Wir werden über das Treppenhaus zwangsgeführt in einen sogenannten Fluchttunnel-Bereich. Dieser Fluchttunnel-Bereich ist ausgeschildert mit den Markierungen, sprich: weiße Pfeile auf grünem Grund. Diese Pfeile führen uns direkt ins Freie und nicht ins Foyer."

    Damit es in der Eingangshalle nicht zu langwierigem Gedränge kommt, führt der Fluchtweg direkt ins erste Kellergeschoss in ein etwa fünfzig Meter langes Tunnelgewölbe. Dann sind es nur noch wenige Schritte bis zum rettenden Ausgang.

    Nolte:
    "Die Flucht wird draußen enden, im Außenbereich, außerhalb des Gebäudes. Wir sehen auch diese grünen Pfeile, die zeigen uns den Weg. Wir sind jetzt schon im Außenbereich. Diese vergitterten Türen sind mit Panik-Verschlüssen, sprich, wir müssen diesem Pfeil nach den Hebel betätigen und die Türen lassen sich dann leicht nach außen öffnen. Und wir können dann nach links oder auch nach rechts ins Freie."

    "Ein Wolkenkratzer der sich auf Kosten seiner bescheideneren Nachbarn nach oben durchringt und diesen die Luft und das Licht stiehlt, ist ein groß an den Himmel geschriebenes Symbol des Wollens zur Macht – ein Symbol, das für unsere Zeit so charakteristisch ist." – Claude Bragdon, Architekt, 1918.