Mit 2:1 gewinnt Senegal gegen Polen bei der Fußball-WM 2018. Mindestens so spannend wie das Spiel sind die Erklärungen nachher, vor allem die von weißen Medienmenschen. Einige behaupteten hinterher, die Polen hätten "die ganze Begegnung über gegen das Tempo und das körperbetonte Spiel" der Senegalesen angekämpft. Und deshalb verloren. Nicht wegen deren klügeren Spielweise.
Beim genauen Hinsehen entpuppen sich solche Kommentare rasch als das heraus, was Sozialwissenschaftler als codierten Rassismus bezeichnen. Als Griff in die Kiste alter Vorurteile über das Können von schwarzen Sportlern. Angeblich besteht ihr Plus aus Athletik und Kraft. Nicht aus Technik und Taktik.
Intelligenz von dunkelhäutigen Spielern in Frage gestellt
Wie dieses Vorurteil gepflegt wird, zeigte eine im Sommer veröffentlichte Studie des amerikanischen Unternehmens RunRepeat und der englischen Fußballer-Gewerkschaft. Sie wertete die Fernsehkommentare von 80 Spielen der Saison 2019-20 in der englischen, französischen, italienischen und spanischen Liga aus. Das Ergebnis, ein regelrechter Trend: Spieler mit heller Hautfarbe wurden in Übertragungen häufiger wegen ihrer Intelligenz und ihres Arbeitseifers gelobt. Demgegenüber wurde die Intelligenz von dunkelhäutigen Kickern auffallend häufig in Frage gestellt.
Paul Ronto von RunRepeat: “Die Vorurteile in England waren eindeutig. Die Studie hat beim Fernsehsender SkySports dazu geführt, dass man alle Kommentatoren in eine Schulung geschickt hat. Denn offensichtlich war ihnen das gar nicht bewusst."
Medienmenschen sensibler zu machen, ist vergleichsweise einfach. Ganz anders sieht es mit den Vorurteilen unter den Fans aus. Wie die ticken, haben jetzt der Kanadier Sam Gregory und der Amerikaner Devin Pleuler im Rahmen einer separaten Studie nachgewiesen. Gregory arbeitet beim Major-League-Klub Inter Miami als Statistikspezialist. Pleuler in ähnlicher Funktion beim Toronto FC.
Strichmännchen statt Spieler
Aus diesem Zweck nutzten sie eine spezielle Computer-Software, um Echtszenen des schon erwähnten Senegal-Polen-Spiels so zu verfremden, dass sich in den Videoaufnahme nicht mehr bestimmen lässt: Welche Mannschaft besteht aus dunkelhäutigen Fußballern und welche aus weißen? “Da sehen die Spieler wie Strichmännchen aus. Man ist so in der Lage, ein Spiel so nachzubilden, dass es wie eine Fernsehübertragung aussieht”, sagte Gregory.
Die Original-Ausschnitte sowie das verfremdete Video wurden zwei unterschiedlichen Zuschauergruppen vorgespielt und deren Reaktionen miteinander verglichen.
Das Ergebnis? Verblüffend eindeutig: Nach dem Konsum der Original-Bewegtbilder behaupteten 70 Prozent, die schwarzen Spieler aus dem Senegal seien “athletischer und schneller” gewesen als ihre Gegner. Im Kontrast dazu kam die Gruppe, die keine Hinweise auf die Ethnien erhielt, zum gegenteiligen Ergebnis. Eine Mehrheit von 62 Prozent gab den Polen diese Attribute.
Mäanner- und Frauenfußball im Blindtest
Die Technik setzte Gregory noch zur Überprüfung eines weiteren Vorurteilsszenarios ein: Das gegenüber dem Fußball der Frauen im Vergleich zu dem der Männer. "Wenn sie erkennen können, ob es sich um ein Männerspiel oder um ein Frauenspiel handelt, sagen Leute eher, dass das Spiel der Männer besser ist. Aber als diese geschlechtsspezifischen oder körperlichen Merkmale wegfielen, sah es ein wenig anders aus.”
Wie anders? 57 Prozent der Zuschauer – allesamt Männer –fanden beim Anblick der Echtaufnahmen die Männerszenen attraktiver. Die Strichmännchen-Version in der Vergleichsgruppe ergab, dass hingegen 59 Prozent das Frauenspiel für besser hielten.
Diesen Unterschied hält Gregory statistisch bewertet übrigens nicht für eine große Nummer. Und trotzdem findet er es signifikant. "Wir wissen, dass viel mehr Geld in den Männerfußball gesteckt wird, dass die Zuschauerzahlen höher sind. Und die Gehälter. Alles ist irgendwie größer im Männerfußball. Die Frage war also, ob die Zuschauer den Unterschied zwischen Männer- und Frauenfußball überhaupt erkennen können, wenn man diese geschlechtsspezifischen Merkmale wegretuschiert. Wir haben nicht viele Beweise dafür gefunden, dass sie es können. Trotzdem gibt es die enormen Unterschiede in der Rezeption. Sie lassen sich zum großen Teil darauf zurückführen, welche Aufmerksamkeit die Medien und die Fans den Männern schenken.”
Argument gegen Zwei-Klassen-Gesellschaft
Ein brauchbares Argument für den Kampf gegen die Zwei-Klassen-Gesellschaft im Sport. Und eines, das die Frauen bei ihren Anstrengungen für Gleichbehandlung sicher von jetzt ab immer wieder auf den Tisch bringen werden. Wenn Fans im Blind-Test keinen wesentlichen Unterschied zum Qualitätsstandard der Männer feststellen können, sollten Männer auch nicht bevorzugt behandelt werden.