In der Königsstadt Leh, im hohen Norden Indiens hinter der Hauptkette des Himalaya gelegen, kann man die tibetische Kultur noch weitgehend unverfälscht erleben. Eine kurvenreiche Gasse führt vom Markt im Zentrum der Stadt zu einem buddhistischen Tempel. Nicht weit davon öffnet sich ein unscheinbares Tor, durch das man einen mit alten Bäumen bestandenen Innenhof betritt.
"Hier entsteht das Zentralasiatische Museum von Leh, das ist gleichzeitig das erste Museum in Leh, eine Auftragsarbeit der Regierung für den Bundesstaat Jammu und Kashmir. Das Museum erzählt die Geschichte Ladakhs vor dem Hintergrund des Karawanenhandels. Ladakh war ja früher ein Knotenpunkt auf einem Arm der Seidenstraße, und die ganze Geschichte und Kultur Ladakhs hat sich entwickelt durch einen regen Austausch mit Nachbarregionen. Man denkt natürlich vor allem an Tibet, die Tibeter haben den Buddhismus, die Schriftsprache, ganz viele Kulturelemente gebracht, aber auch aus Singhjang, Hunza, Gilgit im heutigen Pakistan, bis hin zu Bukhara, Samarkhand. Aus all diesen Regionen kamen doch wichtige Impulse für die ladakhische Entwicklung. Und seit 1947, durch die Teilung Indien-Pakistan, und danach die chinesische Besetzung Tibets sind all diese Grenzen jetzt militärische Sperrzonen. Der Karawanenhandel ist völlig zum Erliegen gekommen. Und um daran zu erinnern und das noch einmal aufzurollen wird jetzt dieses Museum gebaut. Und zwar ist hier die Stelle, wo sich früher die Karawanen niedergelassen haben. Es fließt hier ein kleines Bächlein durch, wir sind hier umgeben von etwa einem Dutzend uralter Weidenbäume, in deren Schatten wir sitzen. Und genau an diesem Ort, hat man gedacht, baut man dann auch das Museum hin. Und ich hab das dann so designed, dass wir in die Höhe gegangen sind, damit all diese Bäume stehen bleiben und der Besucher dann nach Besuch des Museum hier, so wie wir jetzt sitzen, sitzen kann und eine Tasse Tee trinken kann."
Der Bauleiter ist ein hochgewachsener Mann in den besten Jahren. Er trägt das ergraute Haar zu einem Zopf gebunden und hat häufig ein Lächeln auf den Lippen. Andre Alexander stammt aus Deutschland und ist einer der wenigen Experten für traditionelle tibetische Baukunst. Er entwarf den Museumsbau nach traditionellem Vorbild.
"Also das ganze Museum wird traditionell tibetisch-ladakhisch gebaut, das heißt ohne Einsatz von moderner Technik. Alles wird per Hand gemacht. Wir haben hier ein paar Steineklopfer, jeder Stein in der Außenmauer wird per Hand behauen, hinter uns ist der Schmied, der gerade die Werkzeuge der Steinmetze schärft, und etwas weiter weg sind die Zimmerleute, die gerade die Säulen, Stützen und Kapitelle für die nächste Decke anfertigen. Wir machen natürlich auch die Lehmziegel selber hier. Das oberste Stockwerk des Museums wird in Lehmziegeln gebaut."
Der Rohbau ist fast fertig, gerade wird das Flachdach aufgelegt. Immer wieder erklimmen Frauen die Stiegen und tragen frisch angerührten Lehm in großen Eisenschüsseln auf dem Kopf nach oben. Dort wird gerade eine Wand verputzt.
"Ich will versuchen, alle verschiedenen Komponenten der traditionellen Architektur zu verbauen. Also zuerst Steinmauer mit Lehmmörtel, da ist kein Kalk, nix drin, kein Zement, Holzstützen und dann das oberste Stockwerk eben mit Lehmziegeln. Die Eröffnung ist geplant für Juli 2011, wenn seine Heiligkeit der Dalai Lama das nächste Mal voraussichtlich Ladakh besucht, und wir hoffen sehr, das er als Ehrengast das Museum eröffnen wird."
Teepause. Andre Alexander und ein Dutzend Handwerker sitzen um ein Lagerfeuer, schlürfen süßen Milchtee aus kleinen Tontassen, tauschen persönliche Neuigkeiten aus, scherzen und lachen, planen die nächsten Arbeitsschritte. Es fehlt an Lehm, weil ein Lieferant streikt. Ein Zimmermann bittet um ein paar Tage Urlaub, damit er sich um seine kranke Mutter kümmern kann. Genehmigt! Andre Alexander pflegt einen lockeren und kollegialen Umgang mit seinen Arbeitern, das ist in Indien eher die Ausnahme. Aber Alexander ist auch kein gewöhnlicher Bauunternehmer.
Leh ist die Hauptstadt von Ladakh, einer Hochwüste ganz im Norden Indiens gelegen, an den Grenzen zu China und Pakistan. Ladakh bildet den westlichen Ausläufer der tibetischen Hochebene. Die alte Königsstadt ist von weitem kaum auszumachen, denn die meisten Häuser sind aus Lehm und aus dem Stein der umliegenden, kahlen Gebirgszüge gebaut, sie verschmelzen mit ihrer Umgebung.
Andre Alexander lädt ein zu einem Bummel durch die Altstadt. Der Palast des ehemaligen Herrschers thront über uns wie ein graues Monster. Weiter oben überragt ihn symbolträchtig ein weiß getünchtes buddhistisches Kloster. Am Hang unterhalb des Palastes breiten sich die Wohnquartiere aus. In den verwinkelten, mit großen Wackersteinen gepflasterten Gassen fühlt man sich um Jahrhunderte zurück versetzt. An vielen Gebäuden nagt der Zahn der Zeit. Bröckelnde Mauern und geborstene Balken verleihen manchen Orten einen Hauch Morbidität.
"Wir stehen hier sozusagen am Fuße des Palastes, noch ein letztes Stück Fels vor uns, man sieht aber auch noch die höchstgelegenen Wohnhäuser und einige der Palasttempel und Klöster, die den Palast umgeben. Der Palast selber hat die typischen geböschten Mauern, wie man sie von traditionellen tibetischen Gebäuden kennt, also ganz ähnlich wie der Potala-Palast in Lhasa, nur ein klein wenig kleiner. Hier haben wir neun Stockwerke, der Potala hat dreizehn. Es fällt auf, dass die linke Hälfte zerfallen ist, da ist kein Dach drauf, man kann durch die Fenster durchgucken, während die rechte Hälfte instand gesetzt ist, überall sieht man neues Holz, die Balkone sind neu gemacht, das Dach neu gedeckt. Der Palast wurde gebaut von König Senge Namgyal und seinem Vater Anfang des 17. Jahrhunderts. Sehr, sehr viele Häuser in der Altstadt stammen also auch aus dieser Zeit. Und bis in die frühen neunziger Jahre war der Palast eine Ruine. Der Archeaological Survey of India, also die offizielle indische Denkmalpflege kümmert sich jetzt seit ein paar Jahren darum."
Die tibetische Architektur sei sehr erdbebenresistent und ökologisch angepasst, schwärmt der Architekt, doch die Gebäude bräuchten auch Pflege. Ein kleiner Schaden im Dach könne mit der Zeit für das gesamte Gebäude bedrohlich werden:
"Wenn die Feuchtigkeit über längere Zeit einsickert, dann fängt das Holz irgendwo an zu faulen und kann dann brechen, weil es dann so weich und mürbe wie Papier wird. Dann kann es also den Lehmputz wegspülen, es kann sogar die ganze Lehmmauer auflösen, die Lehmziegel fangen an, sich aufzulösen. Irgendwann kann sich so ein ganzes Haus einfach auflösen und in einen Klumpen aus Lehm verwandeln, wenn es einfach zu viel regnet. Jedes Jahr regnet es mehr, als im Vorjahr, und jedes Jahr kommen Mönche zu uns und sagen: Wir haben Wasserschäden, könnt Ihr an unserem Dach was machen? Das heißt, hier lässt sich für mich eindeutig ein Klimawandel beobachten, und man muss also umdenken und sehen, wie man diese Lehmdächer besser abdichten kann. Die vielen historischen Wandmalereien, die Ladakh hat, die hätten nie solange gehalten, hätte es früher schon so viel geregnet, wie jetzt."
Andre Alexander sinniert über Mittel und Wege, die traditionellen Lehmhäuser besser vor Wasserschäden zu schützen. Weitere Gefahren drohen. Viele Familien bezögen heute ein modernes Haus in einem Vorort und überließen ihr Lehmhaus in der Altstadt dem Verfall, beobachtet Alexander:
#"Wie im Rest der Welt hat auch hier Fertigbauweise und gerade der Beton Einzug gehalten in Ladakh. Dazu kommt, in Ladakh gibt es die höchsten Löhne in ganz Indien für Bauarbeiten. Das hat zur Folge, dass wir sehr viele Wanderarbeiter aus Bihar, Punjab, aber aus Nepal haben, die einem also ein Haus für einen Bruchteil des Preises, die traditionelle Handwerker haben wollen, hochziehen. Da muss man sich große Sorgen machen. Wir haben beispielsweise letztes Jahr zwei junge Ladakhis als Handwerker angestellt, die jetzt eine richtige Zimmermannslehre auf der Baustelle machen. Alle beschäftigen lieber die Nepalesen oder Biharis, die es um die Hälfte billiger machen, und schneller arbeiten im Akkord, halt etwas gröber und nicht ganz so traditionell. Das ist also ein ganz wichtiger Aspekt der Arbeit, dass wir das am Leben erhalten."
Der wachsende Tourismus verdränge ebenfalls traditionelle Bauweisen, meint Andre Alexander und verweist als warnendes Beispiel auf Nepals Hauptstadt Kathmandu. Für jemanden wie ihn gibt es also genug zu tun! Zur Zeit bemüht er sich in Gesprächen mit dem Verband der Tourismus-Industrie, in Leh ein System für die ökologische Zertifizierung von Hotels und Gästehäusern aufzubauen.
Wir biegen von der Gasse ab in einen Innenhof, erklimmen eine enge Holzstiege und erreichen dann das Flachdach eines alten Hauses. Eine von Andre Alexanders Baustellen. Wir blicken auf eingestürzte Dächer und bröckelnde Mauern. Ende August hatte ein Wolkenbruch über Ladakh eine Schlamm-Lavine ausgelöst und zahlreiche Häuser schwer beschädigt.
"Also wir sind jetzt hier auf dem Dach und hier sieht man also, dass hier mehrere Häuser, die alle ganz eng aneinander gebaut sind, zum Teil dieselben Mauern sich teilen, dass hier in der Mitte also alles eingestürzt ist. Traditionell war Ackerboden eben sehr kostbar, das heißt, die Leute haben auf sehr engem Raum ganz eng beieinander gebaut. Und dadurch, dass eine Wand eingestürzt ist, sind natürlich gleich alle drei betroffen. Wir haben zwei sehr gute Maurer, die sind jetzt gerade fertig mit der Lehmmauer und verputzen jetzt diese Mauer mit der Hand, ganz traditionell, da kommt einfach Lehmputz, der wird an die Wand 'rangeworfen. Das ist dieses Klatschen, was man hört. Und zwei Frauen aus der Altstadt mischen ständig neuen Lehm an."
Die Behörden genehmigten seine Projekte zwar, verhielten sich ansonsten jedoch ziemlich lethargisch, meint Andre Alexander. Viele Bürger dagegen würden seine Arbeit aktiv unterstützen.
"Die Besitzer sind zu uns gekommen, gleich nach der Katastrophe, weil wir ja hier schon etabliert sind, und dann haben sie gesagt, wenn man also das ganze Haus und Schäden hier und da, dass man auch spätere Einstürze verhindert, dann würden sie sich auch beteiligen mit fünfzig Prozent. Wir haben jetzt einige Spenden bekommen nach dieser Flutkatastrophe, das heißt wir hoffen, wir können also noch mehr leisten."
Die Sanierungsarbeiten finanziert Andre Alexander über den Tibet Heritage Fund, die "Stiftung für tibetisches Erbe". Die Stiftung ist in Deutschland, Hongkong und in Indien als gemeinnützig registriert. Sie erhält Fördergelder aus der deutschen Entwicklungszusammenarbeit, von internationalen Kulturstiftungen und privaten Spendern. Mit einem Jahresbudget von rund einer viertel Million Euro betreut sie Sanierungsprojekte in Tibet, China, Indien und der Mongolei. Die UNESCO zeichnete die Arbeit des Tibet Heritage Fund zweimal mit Preisen aus.
In den siebziger und achtziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts, als Europas Jugend auf der Suche nach einem neuen Lebensgefühl die Welt erkundete, zog es Andre Alexander nach Asien.
"Also die Geschichte hat angefangen vor vielen Jahren in Lhasa, als ich als Student das erste Mal in Lhasa war. Ich bin durch ganz Asien gereist, ich war in Japan, China, und bin dann auch nach Tibet gekommen und hab mich sofort verliebt in Lhasa und Tibet und die Tibeter, das sind die wunderbarsten Menschen, und ganz faszinierende Tempel, und die Altstadt von Lhasa war unglaublich faszinierend, so wie man es nur aus mittelalterlichen Romanen kennt. Und dann war ich doch sehr erschreckt bei meinem nächsten Besuch war die Altstadt schon um ein ganzes Stück geschrumpft. Und ich habe dann erfahren, dass der offizielle Plan der chinesischen Behörden war, die ganze Altstadt abzureißen und durch Wohnbauten aus Beton zu ersetzen. Und ich dachte, das geht doch nicht, das kann man nicht machen. Und habe dann angefangen, ein Projekt aufzubauen, um diese Architektur zumindest zu studieren und zu dokumentieren, wenn man sie nicht bewahren kann."
Beim tibetischen Bürgermeister der Stadt fand Alexander ein offenes Ohr und erhielt die Genehmigung, ein Modellprojekt zu starten. Doch das war leichter gesagt, als getan, denn nur wenige Handwerker beherrschten noch die alten Techniken.
"Da hab ich also alte Handwerker gezielt gesucht, die noch vor der chinesischen Besetzung das Handwerk gelernt haben. Die waren dann wirklich in ihren Siebzigern. Und ich hab ihnen gesagt, ich will das genauso machen, mit den besten traditionellen Techniken, mit denen ihr den Potala-Palast und den Jhokram und all diese wunderbaren Sachen gemacht habt. Und unter deren Leitung haben die Leute zuerst gelacht, und haben gesagt, die sind so die Rentnerband, und die können doch nicht anständig arbeiten. Und dann haben die das wirklich hervorragend gemacht, und der Bürgermeister kam und hat gesagt, Mensch, davon brauchen wir mehr in Lhasa. Und dann konnten wir fünf Jahre lang restaurieren und viele Häuser vor dem Abriss retten."
Doch dann drehte der politische Wind und die Behörden machten Andre Alexander deutlich, seine Bemühungen seien nicht länger erwünscht. Im Jahr 2003 kam der Deutsche nach Leh, wo er "mit offenen Armen" empfangen wurde. In der Hauptstadt Ladakhs hat er seitdem 12 Häuser saniert, weitere fünf Projekte sind in Planung. Handarbeit sei eben auch sehr zeitaufwändig, fügt er beinahe entschuldigend hinzu. Daher hält er sich den größten Teil des Jahres in Leh auf. Dort bewohnt er mit seiner tibetischen Partnerin ein renoviertes Haus in der Altstadt. Ein weiteres Gebäude hat er renoviert und in ein Café umgebaut, mit dem er einen Teil seines Lebensunterhaltes erwirtschaftet.
Andre Alexander, der als Sohn eines Schornsteinfegers in Berlin-Kreuzberg aufwuchs, an der Technischen Universität Architektur studierte, hat seine Wurzeln nicht gekappt. Er unterhält eine Wohnung in Berlin, hält Gastvorlesungen an der Technischen Universität, hat dort eine Dissertation über tibetische Architektur eingereicht. Aber der Vergleich zu seiner Wahlheimat fällt für die deutsche Hauptstadt nicht sonderlich schmeichelhaft aus:
"Wer weiß, wie in Berlin die U-Bahn morgens um sieben aussieht, und was für Gesichter man da hat, wie die Leute da dreinstarren, wenn man da anfängt zu lachen oder Leute anzusprechen, denken die, man spinnt oder irgendwas ist mit einem faul. Dagegen wie leicht ist es in Tibet so einfach durch Augenkontakt, Zuzwinkern so, einen Kontakt herzustellen, ins Gespräch zu kommen, Freundschaften zu schließen. Das hat mich hier sehr, sehr fasziniert."
Kein Wunder also, wenn er hier auch den Lebensabend verbringen möchte:
"Also mein Traum ist natürlich, dass ich mich irgendwann mal in Tibet in einem Bergdorf zur Ruhe setze, da vielleicht noch ein paar Bücher schreibe oder Zeichnungen mache. Eher als in Deutschland. Aber ich mag auch noch Berlin, meine Eltern sind dort und ich hab dort auch noch einige Freunde. Also ich kehre immer wieder gerne zurück nach Berlin."
"Hier entsteht das Zentralasiatische Museum von Leh, das ist gleichzeitig das erste Museum in Leh, eine Auftragsarbeit der Regierung für den Bundesstaat Jammu und Kashmir. Das Museum erzählt die Geschichte Ladakhs vor dem Hintergrund des Karawanenhandels. Ladakh war ja früher ein Knotenpunkt auf einem Arm der Seidenstraße, und die ganze Geschichte und Kultur Ladakhs hat sich entwickelt durch einen regen Austausch mit Nachbarregionen. Man denkt natürlich vor allem an Tibet, die Tibeter haben den Buddhismus, die Schriftsprache, ganz viele Kulturelemente gebracht, aber auch aus Singhjang, Hunza, Gilgit im heutigen Pakistan, bis hin zu Bukhara, Samarkhand. Aus all diesen Regionen kamen doch wichtige Impulse für die ladakhische Entwicklung. Und seit 1947, durch die Teilung Indien-Pakistan, und danach die chinesische Besetzung Tibets sind all diese Grenzen jetzt militärische Sperrzonen. Der Karawanenhandel ist völlig zum Erliegen gekommen. Und um daran zu erinnern und das noch einmal aufzurollen wird jetzt dieses Museum gebaut. Und zwar ist hier die Stelle, wo sich früher die Karawanen niedergelassen haben. Es fließt hier ein kleines Bächlein durch, wir sind hier umgeben von etwa einem Dutzend uralter Weidenbäume, in deren Schatten wir sitzen. Und genau an diesem Ort, hat man gedacht, baut man dann auch das Museum hin. Und ich hab das dann so designed, dass wir in die Höhe gegangen sind, damit all diese Bäume stehen bleiben und der Besucher dann nach Besuch des Museum hier, so wie wir jetzt sitzen, sitzen kann und eine Tasse Tee trinken kann."
Der Bauleiter ist ein hochgewachsener Mann in den besten Jahren. Er trägt das ergraute Haar zu einem Zopf gebunden und hat häufig ein Lächeln auf den Lippen. Andre Alexander stammt aus Deutschland und ist einer der wenigen Experten für traditionelle tibetische Baukunst. Er entwarf den Museumsbau nach traditionellem Vorbild.
"Also das ganze Museum wird traditionell tibetisch-ladakhisch gebaut, das heißt ohne Einsatz von moderner Technik. Alles wird per Hand gemacht. Wir haben hier ein paar Steineklopfer, jeder Stein in der Außenmauer wird per Hand behauen, hinter uns ist der Schmied, der gerade die Werkzeuge der Steinmetze schärft, und etwas weiter weg sind die Zimmerleute, die gerade die Säulen, Stützen und Kapitelle für die nächste Decke anfertigen. Wir machen natürlich auch die Lehmziegel selber hier. Das oberste Stockwerk des Museums wird in Lehmziegeln gebaut."
Der Rohbau ist fast fertig, gerade wird das Flachdach aufgelegt. Immer wieder erklimmen Frauen die Stiegen und tragen frisch angerührten Lehm in großen Eisenschüsseln auf dem Kopf nach oben. Dort wird gerade eine Wand verputzt.
"Ich will versuchen, alle verschiedenen Komponenten der traditionellen Architektur zu verbauen. Also zuerst Steinmauer mit Lehmmörtel, da ist kein Kalk, nix drin, kein Zement, Holzstützen und dann das oberste Stockwerk eben mit Lehmziegeln. Die Eröffnung ist geplant für Juli 2011, wenn seine Heiligkeit der Dalai Lama das nächste Mal voraussichtlich Ladakh besucht, und wir hoffen sehr, das er als Ehrengast das Museum eröffnen wird."
Teepause. Andre Alexander und ein Dutzend Handwerker sitzen um ein Lagerfeuer, schlürfen süßen Milchtee aus kleinen Tontassen, tauschen persönliche Neuigkeiten aus, scherzen und lachen, planen die nächsten Arbeitsschritte. Es fehlt an Lehm, weil ein Lieferant streikt. Ein Zimmermann bittet um ein paar Tage Urlaub, damit er sich um seine kranke Mutter kümmern kann. Genehmigt! Andre Alexander pflegt einen lockeren und kollegialen Umgang mit seinen Arbeitern, das ist in Indien eher die Ausnahme. Aber Alexander ist auch kein gewöhnlicher Bauunternehmer.
Leh ist die Hauptstadt von Ladakh, einer Hochwüste ganz im Norden Indiens gelegen, an den Grenzen zu China und Pakistan. Ladakh bildet den westlichen Ausläufer der tibetischen Hochebene. Die alte Königsstadt ist von weitem kaum auszumachen, denn die meisten Häuser sind aus Lehm und aus dem Stein der umliegenden, kahlen Gebirgszüge gebaut, sie verschmelzen mit ihrer Umgebung.
Andre Alexander lädt ein zu einem Bummel durch die Altstadt. Der Palast des ehemaligen Herrschers thront über uns wie ein graues Monster. Weiter oben überragt ihn symbolträchtig ein weiß getünchtes buddhistisches Kloster. Am Hang unterhalb des Palastes breiten sich die Wohnquartiere aus. In den verwinkelten, mit großen Wackersteinen gepflasterten Gassen fühlt man sich um Jahrhunderte zurück versetzt. An vielen Gebäuden nagt der Zahn der Zeit. Bröckelnde Mauern und geborstene Balken verleihen manchen Orten einen Hauch Morbidität.
"Wir stehen hier sozusagen am Fuße des Palastes, noch ein letztes Stück Fels vor uns, man sieht aber auch noch die höchstgelegenen Wohnhäuser und einige der Palasttempel und Klöster, die den Palast umgeben. Der Palast selber hat die typischen geböschten Mauern, wie man sie von traditionellen tibetischen Gebäuden kennt, also ganz ähnlich wie der Potala-Palast in Lhasa, nur ein klein wenig kleiner. Hier haben wir neun Stockwerke, der Potala hat dreizehn. Es fällt auf, dass die linke Hälfte zerfallen ist, da ist kein Dach drauf, man kann durch die Fenster durchgucken, während die rechte Hälfte instand gesetzt ist, überall sieht man neues Holz, die Balkone sind neu gemacht, das Dach neu gedeckt. Der Palast wurde gebaut von König Senge Namgyal und seinem Vater Anfang des 17. Jahrhunderts. Sehr, sehr viele Häuser in der Altstadt stammen also auch aus dieser Zeit. Und bis in die frühen neunziger Jahre war der Palast eine Ruine. Der Archeaological Survey of India, also die offizielle indische Denkmalpflege kümmert sich jetzt seit ein paar Jahren darum."
Die tibetische Architektur sei sehr erdbebenresistent und ökologisch angepasst, schwärmt der Architekt, doch die Gebäude bräuchten auch Pflege. Ein kleiner Schaden im Dach könne mit der Zeit für das gesamte Gebäude bedrohlich werden:
"Wenn die Feuchtigkeit über längere Zeit einsickert, dann fängt das Holz irgendwo an zu faulen und kann dann brechen, weil es dann so weich und mürbe wie Papier wird. Dann kann es also den Lehmputz wegspülen, es kann sogar die ganze Lehmmauer auflösen, die Lehmziegel fangen an, sich aufzulösen. Irgendwann kann sich so ein ganzes Haus einfach auflösen und in einen Klumpen aus Lehm verwandeln, wenn es einfach zu viel regnet. Jedes Jahr regnet es mehr, als im Vorjahr, und jedes Jahr kommen Mönche zu uns und sagen: Wir haben Wasserschäden, könnt Ihr an unserem Dach was machen? Das heißt, hier lässt sich für mich eindeutig ein Klimawandel beobachten, und man muss also umdenken und sehen, wie man diese Lehmdächer besser abdichten kann. Die vielen historischen Wandmalereien, die Ladakh hat, die hätten nie solange gehalten, hätte es früher schon so viel geregnet, wie jetzt."
Andre Alexander sinniert über Mittel und Wege, die traditionellen Lehmhäuser besser vor Wasserschäden zu schützen. Weitere Gefahren drohen. Viele Familien bezögen heute ein modernes Haus in einem Vorort und überließen ihr Lehmhaus in der Altstadt dem Verfall, beobachtet Alexander:
#"Wie im Rest der Welt hat auch hier Fertigbauweise und gerade der Beton Einzug gehalten in Ladakh. Dazu kommt, in Ladakh gibt es die höchsten Löhne in ganz Indien für Bauarbeiten. Das hat zur Folge, dass wir sehr viele Wanderarbeiter aus Bihar, Punjab, aber aus Nepal haben, die einem also ein Haus für einen Bruchteil des Preises, die traditionelle Handwerker haben wollen, hochziehen. Da muss man sich große Sorgen machen. Wir haben beispielsweise letztes Jahr zwei junge Ladakhis als Handwerker angestellt, die jetzt eine richtige Zimmermannslehre auf der Baustelle machen. Alle beschäftigen lieber die Nepalesen oder Biharis, die es um die Hälfte billiger machen, und schneller arbeiten im Akkord, halt etwas gröber und nicht ganz so traditionell. Das ist also ein ganz wichtiger Aspekt der Arbeit, dass wir das am Leben erhalten."
Der wachsende Tourismus verdränge ebenfalls traditionelle Bauweisen, meint Andre Alexander und verweist als warnendes Beispiel auf Nepals Hauptstadt Kathmandu. Für jemanden wie ihn gibt es also genug zu tun! Zur Zeit bemüht er sich in Gesprächen mit dem Verband der Tourismus-Industrie, in Leh ein System für die ökologische Zertifizierung von Hotels und Gästehäusern aufzubauen.
Wir biegen von der Gasse ab in einen Innenhof, erklimmen eine enge Holzstiege und erreichen dann das Flachdach eines alten Hauses. Eine von Andre Alexanders Baustellen. Wir blicken auf eingestürzte Dächer und bröckelnde Mauern. Ende August hatte ein Wolkenbruch über Ladakh eine Schlamm-Lavine ausgelöst und zahlreiche Häuser schwer beschädigt.
"Also wir sind jetzt hier auf dem Dach und hier sieht man also, dass hier mehrere Häuser, die alle ganz eng aneinander gebaut sind, zum Teil dieselben Mauern sich teilen, dass hier in der Mitte also alles eingestürzt ist. Traditionell war Ackerboden eben sehr kostbar, das heißt, die Leute haben auf sehr engem Raum ganz eng beieinander gebaut. Und dadurch, dass eine Wand eingestürzt ist, sind natürlich gleich alle drei betroffen. Wir haben zwei sehr gute Maurer, die sind jetzt gerade fertig mit der Lehmmauer und verputzen jetzt diese Mauer mit der Hand, ganz traditionell, da kommt einfach Lehmputz, der wird an die Wand 'rangeworfen. Das ist dieses Klatschen, was man hört. Und zwei Frauen aus der Altstadt mischen ständig neuen Lehm an."
Die Behörden genehmigten seine Projekte zwar, verhielten sich ansonsten jedoch ziemlich lethargisch, meint Andre Alexander. Viele Bürger dagegen würden seine Arbeit aktiv unterstützen.
"Die Besitzer sind zu uns gekommen, gleich nach der Katastrophe, weil wir ja hier schon etabliert sind, und dann haben sie gesagt, wenn man also das ganze Haus und Schäden hier und da, dass man auch spätere Einstürze verhindert, dann würden sie sich auch beteiligen mit fünfzig Prozent. Wir haben jetzt einige Spenden bekommen nach dieser Flutkatastrophe, das heißt wir hoffen, wir können also noch mehr leisten."
Die Sanierungsarbeiten finanziert Andre Alexander über den Tibet Heritage Fund, die "Stiftung für tibetisches Erbe". Die Stiftung ist in Deutschland, Hongkong und in Indien als gemeinnützig registriert. Sie erhält Fördergelder aus der deutschen Entwicklungszusammenarbeit, von internationalen Kulturstiftungen und privaten Spendern. Mit einem Jahresbudget von rund einer viertel Million Euro betreut sie Sanierungsprojekte in Tibet, China, Indien und der Mongolei. Die UNESCO zeichnete die Arbeit des Tibet Heritage Fund zweimal mit Preisen aus.
In den siebziger und achtziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts, als Europas Jugend auf der Suche nach einem neuen Lebensgefühl die Welt erkundete, zog es Andre Alexander nach Asien.
"Also die Geschichte hat angefangen vor vielen Jahren in Lhasa, als ich als Student das erste Mal in Lhasa war. Ich bin durch ganz Asien gereist, ich war in Japan, China, und bin dann auch nach Tibet gekommen und hab mich sofort verliebt in Lhasa und Tibet und die Tibeter, das sind die wunderbarsten Menschen, und ganz faszinierende Tempel, und die Altstadt von Lhasa war unglaublich faszinierend, so wie man es nur aus mittelalterlichen Romanen kennt. Und dann war ich doch sehr erschreckt bei meinem nächsten Besuch war die Altstadt schon um ein ganzes Stück geschrumpft. Und ich habe dann erfahren, dass der offizielle Plan der chinesischen Behörden war, die ganze Altstadt abzureißen und durch Wohnbauten aus Beton zu ersetzen. Und ich dachte, das geht doch nicht, das kann man nicht machen. Und habe dann angefangen, ein Projekt aufzubauen, um diese Architektur zumindest zu studieren und zu dokumentieren, wenn man sie nicht bewahren kann."
Beim tibetischen Bürgermeister der Stadt fand Alexander ein offenes Ohr und erhielt die Genehmigung, ein Modellprojekt zu starten. Doch das war leichter gesagt, als getan, denn nur wenige Handwerker beherrschten noch die alten Techniken.
"Da hab ich also alte Handwerker gezielt gesucht, die noch vor der chinesischen Besetzung das Handwerk gelernt haben. Die waren dann wirklich in ihren Siebzigern. Und ich hab ihnen gesagt, ich will das genauso machen, mit den besten traditionellen Techniken, mit denen ihr den Potala-Palast und den Jhokram und all diese wunderbaren Sachen gemacht habt. Und unter deren Leitung haben die Leute zuerst gelacht, und haben gesagt, die sind so die Rentnerband, und die können doch nicht anständig arbeiten. Und dann haben die das wirklich hervorragend gemacht, und der Bürgermeister kam und hat gesagt, Mensch, davon brauchen wir mehr in Lhasa. Und dann konnten wir fünf Jahre lang restaurieren und viele Häuser vor dem Abriss retten."
Doch dann drehte der politische Wind und die Behörden machten Andre Alexander deutlich, seine Bemühungen seien nicht länger erwünscht. Im Jahr 2003 kam der Deutsche nach Leh, wo er "mit offenen Armen" empfangen wurde. In der Hauptstadt Ladakhs hat er seitdem 12 Häuser saniert, weitere fünf Projekte sind in Planung. Handarbeit sei eben auch sehr zeitaufwändig, fügt er beinahe entschuldigend hinzu. Daher hält er sich den größten Teil des Jahres in Leh auf. Dort bewohnt er mit seiner tibetischen Partnerin ein renoviertes Haus in der Altstadt. Ein weiteres Gebäude hat er renoviert und in ein Café umgebaut, mit dem er einen Teil seines Lebensunterhaltes erwirtschaftet.
Andre Alexander, der als Sohn eines Schornsteinfegers in Berlin-Kreuzberg aufwuchs, an der Technischen Universität Architektur studierte, hat seine Wurzeln nicht gekappt. Er unterhält eine Wohnung in Berlin, hält Gastvorlesungen an der Technischen Universität, hat dort eine Dissertation über tibetische Architektur eingereicht. Aber der Vergleich zu seiner Wahlheimat fällt für die deutsche Hauptstadt nicht sonderlich schmeichelhaft aus:
"Wer weiß, wie in Berlin die U-Bahn morgens um sieben aussieht, und was für Gesichter man da hat, wie die Leute da dreinstarren, wenn man da anfängt zu lachen oder Leute anzusprechen, denken die, man spinnt oder irgendwas ist mit einem faul. Dagegen wie leicht ist es in Tibet so einfach durch Augenkontakt, Zuzwinkern so, einen Kontakt herzustellen, ins Gespräch zu kommen, Freundschaften zu schließen. Das hat mich hier sehr, sehr fasziniert."
Kein Wunder also, wenn er hier auch den Lebensabend verbringen möchte:
"Also mein Traum ist natürlich, dass ich mich irgendwann mal in Tibet in einem Bergdorf zur Ruhe setze, da vielleicht noch ein paar Bücher schreibe oder Zeichnungen mache. Eher als in Deutschland. Aber ich mag auch noch Berlin, meine Eltern sind dort und ich hab dort auch noch einige Freunde. Also ich kehre immer wieder gerne zurück nach Berlin."