Schwanheim, ein dörflich anmutender Vorort von Frankfurt am Main. An der Hauptverkehrsstraße Fachwerkhäuser, ein Supermarkt. Auf dem Bürgersteig hat der Stadtbezirksverband der CDU einen Infostand aufgebaut: Klapptisch, zwei Windfahnen mit Parteilogo, junge Männer in orangefarbenen Jacken verteilen Parteibroschüren, es geht um die anstehende Oberbürgermeisterwahl in Frankfurt.
Auf dem Tisch liegen Flyer, Aufkleber, Kugelschreiber. Nicht jedoch der Koalitionsvertrag für eine künftige Bundesregierung, den die CDU mit CSU und Sozialdemokraten ausgehandelt hat. "Ja, den könnte man hier auslegen. Ich habe ihn mir mal ausgedruckt. Ich musste ein ganzes Paket Druckerpapier nachschieben", sagt Hermann Klimroth. Er gehört zu denen, die an diesem kalten Wintertag am Infostand ausharren.
Schaden durch Basisbefragungen?
Bei der Frage, ob nicht auch die einfachen CDU-Mitglieder über den Koalitionsvertrag abstimmen sollen, so wie die Sozialdemokraten, gehen die Meinungen hier auseinander. Hermann Klimroth ist dagegen.
Annett Kohaut, an diesem Morgen die einzige Frau am Infostand, wäre als CDU-Mitglied hingegen gern zum Koalitionsvertrag befragt worden: "Aus meiner Sicht: ja. Weil ich denke, dass man auch mal gucken sollte, ist man überhaupt zufrieden, wie das jetzt läuft."
Max Leitner und Tom Rausch, zwei Mitglieder der Jungen Union, verteilen Broschüren auf dem Bürgersteig. Sie betrachten Basisbefragungen skeptischer. Auch deshalb, weil sie im Internet sehen, wie Stimmung gemacht wird. Tom Rausch ist Student an der Frankfurter Goethe-Uni. Er sieht im Schicksal von Martin Schulz ein Beispiel dafür, wie sehr vermeintlich basisnahe Internethypes oder Shitstorms inzwischen das Bild von Politik und Politikern prägen.
"Unter dem Strich nicht demokratisch"
Auch angesichts der Kurzlebigkeit politischer Kampagnen im Netz will Tom Rausch das von der Juso-"No-Groko-Kampagne" befeuerte SPD-Mitgliedervotum nicht als Vorbild für die CDU sehen:
"Außerdem finde ich es generell dem Wähler gegenüber ungerecht, ganz offen gesagt, weil jetzt eine relativ kleine Anzahl an Menschen einen überproportionalen Einfluss auf den Koalitionsvertrag hat. Teilweise sogar Leute ohne die Staatsbürgerschaft oder unter 18 Jahren. Die jetzt mehr Gewicht haben als der Durchschnittswähler. Das kann eigentlich nicht sein. Das klingt erst mal sehr basisdemokratisch, sehr schön. Im Endeffekt unter dem Strich finde ich es aber eben nicht demokratisch."
So sieht es auch Christoph Degenhart, Professor für Staatsrecht an der Universität Leipzig: "Hier sollte man sich das Grundgesetz vielleicht noch einmal genau ansehen. Es heißt hier in Artikel 21: Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung mit. Aber Träger der politischen Gewalt ist nach wie vor der Souverän, das Volk. Und das sind nicht die Parteien. Hier wird also meines Erachtens die Parteiendemokratie, die Parteienstaatlichkeit zu sehr gestärkt gegenüber der demokratischen Bestimmung durch den Souverän."
Das Bundesverfassungsgericht allerdings hat wie schon 2013 alle Eilanträge abgewiesen, die imeinen Verstoß gegen Grundsätze der repräsentativen Demokratie sehen, wenn Parteimitglieder über die nächste Bundesregierung entscheiden.
"Damit macht sich die Partei kaputt"
Auch für Max Leitner ist das weniger eine juristische Frage, als eine des politischen Anstands. Er ist erst seit drei Monaten Mitglied der Jungen Union, jetzt verteilt er frierend vor dem Schwanheimer Supermarkt Handzettel für seine Partei. Wäre er Juso, dürfte er über die mögliche Große Koalition in Berlin mit abstimmen.
Doch dafür fehle ihm eigentlich die politische Erfahrung, äußert sich der Schüler am Infostand bescheiden: "Ich finde es halt ein bisschen schwierig, das von neu Beigetretenen abhängig zu machen. Das sollte man die Leute, die schon lange in der Partei sind, die Erfahrung haben, die auch schon gewählt wurden, entscheiden lassen. Aber nicht neu Eingetretene. Deswegen verstehe ich die Kampagne von Kevin Kühnert auch nicht. Warum schießt man gegen die eigene Mutterpartei? Das ist für mich überhaupt nicht nachvollziehbar und damit macht sich die eigene Partei nur kaputt."
Einig sind sich die CDU-Mitglieder an der Basis in Schwanheim darüber, dass die personelle Erneuerung in der eigenen Partei weniger zerstörerisch organisiert werden muss als bei den Sozialdemokraten.
Diese Erneuerung, die der Bundesparteitag zu Wochenbeginn eingeleitet habe, müsse nun aber zügig weitergehen, fordert Max Leitner:
"Ich persönlich sehe auch bei Merkel jetzt – das war jetzt ihre letzte Amtszeit. Und einige Kollegen von mir sehen das genauso. Und da ist es auch genauso richtig, dass jetzt langsam mal Nachschub kommt. In der aktuellen GroKo kann man ja auch sehen, dass teilweise schon Jüngere nachgezogen werden sollen. Da kann man einen neuen Führungswechsel machen, damit wir auch ein bisschen in die Zukunft schreiten können, weil meiner Meinung nach auch in der eigenen Partei nicht mehr so viel kommt."
Wiederentdeckung der Kommunalpolitik
Annett Kohaut plädiert ebenfalls dafür, dass sich die CDU stärker als bisher vor allem für die Jugend öffnet:
"Wir haben hier zum Glück relativ viele junge Leute, die engagiert sind, dass man die auch mal zur Wahl oder zum Gespräch kommen lässt. Einfach auch mal andere Stimmen zu hören, andere Ideen mit einzubringen."
Zum Beispiel die Ideen des jungen Schwanheimer Christdemokraten Tom Rausch, nämlich die lokale Demokratie wiederzuentdecken, statt immer nur auf die Debatten im Netz zu starren:
"Ich setze da ganz ehrlich auf die Kommunalpolitik, die jahrelang stiefmütterlich behandelt wurde, zu der viele Leute gar keinen Bezug mehr haben. In der Kommunalpolitik kann man den Leuten das Angebot machen, Politik vor der Haustür zu machen. Das geht jeden was an, da kann man mitreden."
Anett Kohaut hofft jedoch, dass es irgendwann auch mal in der CDU einen Mitgliederentscheid gibt – wie jetzt bei der SPD über die schwarz-rote Koalition:
"Ich glaube, dass braucht noch ein bisschen Zeit. Im nächsten Jahr nicht. Aber ich glaube: Wir gucken mal, wie es in vier Jahren aussieht."