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Mitgliederentscheid
SPD-Spitze fürchtet das Votum der Basis

Der Koalitionsvertrag zwischen Union und SPD ist ausgehandelt – aber für die Parteiführung der Sozialdemokraten ist die Arbeit noch lange nicht vorbei: Nun gilt es, vor dem anstehenden Mitgliederentscheid die Basis von der Vereinbarung zu überzeugen.

    SPD-Chef Sigmar Gabriel steht vor einem SPD-PLakat mit dem Schriftzug "Mitgliedervotum - Mitmachen. Mitentscheiden"
    SPD-Chef Sigmar Gabriel auf der Regionalkonferenz in Hofheim (Fredrik Von Erichsen / dpa)
    Es sind 474.820 Menschen, von denen die künftige Bundesregierung abhängt: So viele Mitglieder hat die SPD derzeit und diese sind nun dazu aufgerufen, über das Ergebnis der Koalitionsverhandlungen abzustimmen. Am 14. Dezember soll das Ergebnis feststehen. Stimmt die Basis mit "Nein", platzt die schwarz-rote Regierung - und die Parteiführung wäre schwer beschädigt.
    Diese geht deswegen schon einen Tag nach der Unterzeichnung des Koalitionsvertrags auf Werbetour an der Basis: Am Donnerstagabend trat Parteichef Sigmar Gabriel gemeinsam mit Hessens Landeschef Thorsten Schäfer-Gümbel in Hofheim bei Frankfurt/Main bei der ersten von mehreren Regionalkonferenzen auf. Die SPD habe viele Ziele erreicht, der Vertrag trage eine sozialdemokratische Handschrift, sagte er. "Ich finde, wir können uns sehen lassen." Generalsekretärin Andrea Nahles hatte sich schon zuvor optimistisch gegeben: "Wir können nach dem, was wir jetzt wissen, nur sagen: Das läuft klar auf ein Ja zu", sagte sie dem Sender n-tv mit Blick auf die geplante Mitgliederbefragung.
    Skepsis an der Basis
    Doch die Zustimmung der Mitglieder ist längst nicht sicher, in vielen Ortsverbänden herrscht Skepsis - etwa im Ruhrgebiet, das so gerne als "Herzkammer der Sozialdemokratie" bezeichnet wird. "Große Koalition ist der Todesstoß für die SPD", sagt etwa Raimund Runte aus dem Ortsverband Oberhausen Mitte, und kündigt ein "Nein" an. "Da stecken viele faule Kompromisse drin", ergänzt Susanne Zander, Ortsvereins-Chefin der SPD Duisburg-Neudorf.
    Die Erfurter SPD hat schon förmlich beschlossen, mit Nein zu stimmen. Gleiches kündigte Lars Winter, Landtagsabgeordneter in Kiel an: Die Kernthemen, die die SPD vor der Wahl gefordert habe, seien nicht erfüllt, kritisierte er im Deutschlandfunk.
    Parteilinke übt Kritik - und empfiehlt Zustimmung
    "Es gibt Befürworter und Gegner, das ist keine Frage", sagt Falko Grube, Sprecher der Sozialdemokraten in Sachsen-Anhalt. Landeschefin Katrin Budde "viele für die Entwicklung Ostdeutschlands wichtige Ergebnisse erzielt wurden - vor allem bei Mindestlohn und Rente". Auch der Chef der SPD Rhein-Hunsrück zählt zu den Unterstützern: "Mit einem für die Sozialdemokraten so guten Verhandlungsergebnis habe ich, ehrlich gesagt, nicht gerechnet" sagt er.
    Die Parteilinke kritisiert zwar den Verzicht auf Steuererhöhungen, gleichzeitig empfiehlt der Sprecher der Parlamentarischen Linken im Bundestag, Ernst Dieter Rossmann, die Zustimmung zum Koalitionsvertrag: "Wir dürfen als SPD nicht ein zweites Mal der Republik den Stinkefinger zeigen. Das darf nicht das sozialdemokratische Bild des Jahres werden", sagte er der "Welt" in Anspielung auf die Geste des einstigen Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück.
    "Eine Perversion des Ergebnisses der Bundestagswahl"
    Neben inhaltlicher Kritik gibt es auch Unmut über das Vorgehen der Parteispitze, die Zuteilung der Ministerien bis zur Entscheidung der Basis geheim zu halten: "Klar geht es bei der Mitgliederbefragung um Inhalte, allerdings halte ich es für wichtig zu wissen, welche Ressorts die SPD übernehmen würde", sagte der hessische SPD-Generalsekretär Michael Roth der "Bild"-Zeitung. Es mache einen Unterschied, ob die CDU oder die SPD das Arbeitsministerium bekomme.
    Deutliche Worte von Thomas Strobl
    Kein Freund des Mitgliederentscheids: CDU-Vize Thomas Strobl (picture alliance / dpa / Uli Deck)
    Die CDU als potenzieller Koalitionspartner der Sozialdemokraten hält wenig von der Mitgliederbefragung. CDU-Bundesvize Thomas Strobl kritisierte im "Spiegel", der Mitgliederentscheid führe dazu, "dass die SPD-Leute in den Verhandlungen immer nur die nächsten vier Wochen vor Augen haben und nicht die nächsten vier Jahre. Das ist schlecht." Der Präsident des CDU-Wirtschaftsrats, Kurt Lauk, sagte dem Magazin: "Dass das Schicksal unseres Landes in den Händen einiger Zehntausend SPD-Mitglieder liegt, ist eine Perversion des Ergebnisses der Bundestagswahl."
    EU-Parlamentspräsident Martin Schulz dagegen verteidigte den Entscheid im Deutschlandfunk-Interview als "moderne demokratische Entscheidungskultur".