Nivedita Anand ist eine "Person of Color", deren Mutter Deutsch ist und der Vater Inder. Sie studiert "Intercultural Studies" und Postkoloniale Theorie in Düsseldorf und bloggt unter dem Namen "Mixed-Race-Wonder-Woman" auf ihrer Seite "Identitti". Sie würzt ihre Texte mit einer Portion Pop, Sex und Provokation - und sie ist die Protagonistin in Mithu Sanyals Debutroman "Identitti".
Als sich herausstellt, dass die von der Heldin verehrte Professorin Saraswati gar keine Inderin ist, sondern eine Deutsche, entspinnt sich eine Debatte um kulturelle Aneignung, fluide Identitäten. Eine fluide Herkunft, so Mithu Sanyal, wäre durchaus möglich, "wenn die Welt eine andere wäre. Aber es gibt Rassismus in der Welt so wie sie ist."
Verletzende Form von Rassismus
Die Professorin in ihrem Buch nehme eine Abkürzung, erklärt Sanyal, in dem sie ihre persönliche Geschichte ändert, ohne die Welt ändern zu müssen. "Das sind lauter alte Wunden, die sie so nicht erfahren hat. Es ist ein Tabubruch."
Die postkoloniale Debatte sei nicht frei von Ausgrenzungen und Vorurteilen, bestätigt Sanyal. "Ich glaube, keine Debatte auf dieser Welt ist jemals frei von Ausgrenzungen und Vorurteilen." In ihrem Buch geht es ihr darum zu erzählen, wie wichtig so eine Identifikationsfigur für die Studentinnen ist. "Dann finden sie heraus, eine weiße Frau erklärt uns, was echter Rassismus ist. Das ist zutiefst verletzend."
Nackte Göttin
Es ist eine Tatsache, dass es nur wenige Rollenmodelle an deutschen Universitäten gibt, an denen Studentinnen und Studenten mit beispielsweise indisch-polnischen Eltern, wie die Autorin selbst, andocken können. Ein bisschen, sagt Sanyal, habe sie das Buch auch für sich selbst geschrieben. Auch wollte sie die hinduistische Göttin Kali in ein richtiges Licht rücken. Als die Briten nach Indien kamen, sind sie mit einer Göttin konfrontiert worden, die das Gegenteil von allem war, was Weiblichkeit bei ihnen bedeutete, erzählt sie.
"Sie war nicht weiß, sie war nackt, sie war gewalttätig und sie lag beim Sex oben. Dann hat sich der antikoloniale Widerstand unter ihrem Banner manifestiert, und deshalb sind die ganzen falschen Geschichten nach Europa gebracht worden, dass man Kali Menschenopfer bringen müsse, um diese Göttin zu diffamieren."
Humor entzaubert Rassismus
Zentral ist auch das Element der Selbstironie. Wenn die tiefen, traurigen Themen auch noch mit entsprechender Schwere formuliert würden, wäre es zu pathetisch, sagt Sanyal. In England setzen sich häufig Comedians mit Rassismus auseinander. "Dadurch werden Dinge sagbar, die vorher nicht sagbar waren. Mir ging es darum, mit diesem Humor über Dinge sprechen zu können, dann hat Rassismus viel weniger Macht über uns." Immer wieder arbeitet sie mit Tweets in ihrem Buch. Tweets, die ihr bekannte Persönlichkeiten geschickt haben. Sanyal hat Kolleginnen und Kollegen gebeten, ihr zu schreiben, wie sie auf so eine Geschichte der kulturellen Aneignung reagieren würden. "Ich war überrascht über die Großzügigkeit."
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Mithu Sanyal - "Identitti", Hanser Verlag, 423 Seiten, 22 Euro