Straßen-Umfrage:
Reporter: "Darf ich Sie kurz was fragen? Waren Sie früher in der DDR ein sogenannter Mitläufer?"
Antworten: "Was ist das für eine Frage? Was ist Mitläufer? Wir haben in diesem Land gelebt und in diesem Land gearbeitet. Wie jeder andere auch."
"Ich habe meine Pflicht als Bürger getan!"
"Wieso sollte ich mir was vorwerfen? Viele Sachen konnte man gar nicht verändern."
"Für mich war es kein Unrechtsstaat!"
"Dieses Land war in Ordnung. Wir haben gelebt in einem Haus, in dem wir 125 Ostmark Miete einschließlich Heizung bezahlt haben! Warum sollten wir denn dagegen aufbegehren?"
Eine Testumfrage in Ostberlin belegt: Früheres Mitläufertum ist nach wie vor ein heißes Eisen - selbst zwei Jahrzehnte nach dem Mauerfall. Der Buchautor und Filmemacher Roman Grafe, ein gebürtiger DDR-Bürger, spricht von mangelnder Geschichtsaufarbeitung.
"Es ist schlichtweg so, dass die Täter und die Opfer in den vergangenen 20 Jahren – Gott sei Dank - in den Blick kamen. Und gute Bücher, gute Filme, Radiosendungen dazu entstanden. Aber die Mitläufer – im Zweifel also die Mehrheit der DDR-Bürger – eher ausgeklammert wurden oder nur am Rande erwähnt wurden."
Grafe hat deshalb 20 ehemalige DDR-Bürger um einen Text über Anpassung und Widerstand im Osten gebeten. Und viele von ihnen lieferten schließlich ein Bekenntnis ab: Ja, wir haben mitgemacht. Wie der Schriftsteller Lutz Rathenow. Rathenow, ein mutiger Regimekritiker, hatte zuvor seinen Wehrdienst als Grenzsoldat geleistet.
"Warum kam ich an die Grenze? Weil ich dorthin wollte. Weil ich überzeugter Antipazifist und für revolutionären Terror war. Meine Grenzdienstbereitschaft war Feigheit gepaart mit Unlust an militärischer Ausbildung. Der Grenzdienst würde dafür keine Zeit lassen. Kein Exerzieren, wenig Strammstehen. Nur auf schönen Waldwegen acht Stunden herumspazieren und Leute bei Bedarf festnehmen oder erschießen."
Der 57-Jährige schreibt weiter: Er habe sich mitunter vor sich selbst geekelt; sei aber fast die gesamte Armeezeit angepasst gewesen. Rathenow zitiert einen Grenzer, der mit ihm auf Streife ging.
Es ist so langweilig. Käme doch endlich mal ein Flüchtling, da würde die Zeit schneller vergehen.
Krawczyk singt: So ein Sängerlein wie ich zum Beispiel habe wie ein Dackel jahrelang gebellt.
Bis ich aufs heikle Thema mit der Macht kam.
Da haben sie mich dann erst mal kalt gestellt.
Natürlich bin ich daran schließlich selbst schuld,
hätte ich mein Psalm durchs Blümchen doch gespuckt.
Ich weiß, das sehen die Herren seit jeher gerne,
man kann ja stehen, aber leicht geduckt.
Ob die Liedermacher Stephan Krawczyk und Wolf Biermann, ob Schriftsteller Erich Loest oder Regisseurin Freya Klier – ein Dutzend bekannter oppositioneller Künstler hat seine Mitläufer-Gedanken zu Papier gebracht. Zudem kommen zehn "normale", nicht prominente Ostdeutsche zu Wort. Und ihre Erinnerungen sind teilweise viel aufschlussreicher. So beschreibt Dora Claussner, Graveurin aus Gera, die täglichen Kompromisse in der DDR.
Mein Sohn ging zur Konfirmation - und auch zur Jugendweihe, um nicht anzuecken. Ich empfand das als normal: Damit dem Jungen nicht irgendwie ein Nachteil entsteht, keine Zulassung zum Studium oder so. Es dachten fast alle anders, als sie handelten - da war ich mir sicher.
Angst vor Bestrafung, Angst vor Karrierehürden, Angst vor Privilegienverlust. So reicht es häufig nur zu einem stillen Aufbegehren. Eine Frau erinnert sich an ihre Jugendweihe:
Wir feierten selbstverständlich nicht, sondern ließen den Akt über uns ergehen. Statt "Ja, das geloben wir" zu sagen, murmelten wir: "Ja, das glob` ich dir". Dann gilt das Jugendweihegelöbnis nicht, sagten wir uns. Ich wollte keinen Widerstand leisten.
Der Sammelband "Die Schuld der Mitläufer" zeigt: Die einen verdrängen bis heute ihr Mitmachen und Mitlügen. Die anderen kämpfen immer noch mit einem schlechten Gewissen. Die Texte bezeugen aber auch: Widerstand war möglich: Ein Mann verweigerte seine Unterschrift unter einen Propaganda-Aufruf, eine Frau protestierte gegen die Demagogie in den Schulen. Der Berliner Horst Schmidt berichtet von seinem Sohn, der NVA-Offizier werden sollte.
Er weigerte sich immer wieder. Schließlich wurde er gefragt, ob er auch bereit sei, an der Staatsgrenze seinen Dienst abzuleisten. Michael hielt nie mit seiner Meinung hinter dem Berg, und so antwortete er, dass er nicht daran denke, unbewaffneten Leuten in den Rücken zu schießen. Der Offizier bekam daraufhin einen regelrechten Wutanfall.
Das Perfide: Der Sohn unternahm später einen Fluchtversuch – und wurde dabei selbst erschossen.
Der tödliche Schuss traf Michael in den Rücken.
Krawczyk singt:
Es geht so lange gut, so lang das gut geht, so lange du dich an die Regeln hältst.
Doch wenn Du fällig bist, dann biste fällig, weil Du dann meistens auf die Schnauze fällst.
Roman Grafe, der Herausgeber der 200seitigen Aufsatzsammlung, hat bereits zwei Bücher über Grenze und Mauerschützen veröffentlicht. Der 41-Jährige ist im Osten aufgewachsen, aber im August 1989 in den Westen gegangen – mithilfe eines Ausreiseantrages. Bevor er weglief, lief er mit.
"Zunächst also das volle Programm, Junge Pioniere, FDJ, in der Schule zum Anpassen erzogen. Dann aber, vielleicht mit 15, mich gefragt: Was ist das für ein Staat, in dem Ausbrechen letztlich mit der Todesstrafe geahndet wird, also an der Grenze. Und möchte ich in einem solchen Staat leben? Und mir war klar: nein, das möchte ich nicht, ich möchte mich entziehen. Also dreieinhalb Jahre später war ich weg."
Das neue Buch von Roman Grafe über Anpassung und Widerstand hat – trotz vieler bewegender Aufzeichnungen – seine Schwächen. Die Auswahl der Autoren wirkt willkürlich; unter den Prominenten sind fast nur Künstler zu finden. Einige Aufsätze sind lustlos zusammen gebastelt und ohne roten Faden, wie der Aufsatz von Biermann. Zudem wird in dem Buch immer wieder moralisiert, anstatt zu erinnern. Unter vielen Texten finden sich Zahlen über Stasi, Kampfgruppen und Häftlinge – Zahlen, die nicht zu den persönlichen Texten passen und belehrend wirken. Auch das Abschlusswort wurde mit erhobenem Zeigefinger geschrieben. Hier vergleicht Grafe damaliges und heutiges Mitläufertum: Wer kämpfe jetzt für Tempo 100 auf Autobahnen, fragt er, wer protestiere gegen tödliche Sportwaffen?
"Und da denke ich, könnte dieses Buch auch für Westdeutsche oder für Nachgeborene in Deutschland heute eine Anregung sein, sich zu fragen: Was nehme ich heute hin? Wo schaue ich heute weg?"
Lohnt sich nun der Kauf des Sammelbandes – oder nicht? Ja, wenn man bereit ist, zwischendurch längst Bekanntes und Profanes zu überblättern. Nein, wenn der Leser ein durchgängig packendes Psychogramm des DDR-Mitläufers erwartet.
Krawczyk singt:
Doch wenn Du fällig bist, dann biste fällig, weil Du dann meistens auf die Schnauze fällst. Du liegst so lange drauf, so lang du drauf liegst – bis du dich selber auf die Füße stellst!
Das Buch "Die Schuld der Mitläufer. Anpassen oder Widerstehen in der DDR" herausgegeben von Roman Grafe. Im Pantheon Verlag erschienen. 204 Seiten kosten 14,95 Euro (ISBN: 978-3-570-55106-6). Jens Rosbach war der Rezensent.
Reporter: "Darf ich Sie kurz was fragen? Waren Sie früher in der DDR ein sogenannter Mitläufer?"
Antworten: "Was ist das für eine Frage? Was ist Mitläufer? Wir haben in diesem Land gelebt und in diesem Land gearbeitet. Wie jeder andere auch."
"Ich habe meine Pflicht als Bürger getan!"
"Wieso sollte ich mir was vorwerfen? Viele Sachen konnte man gar nicht verändern."
"Für mich war es kein Unrechtsstaat!"
"Dieses Land war in Ordnung. Wir haben gelebt in einem Haus, in dem wir 125 Ostmark Miete einschließlich Heizung bezahlt haben! Warum sollten wir denn dagegen aufbegehren?"
Eine Testumfrage in Ostberlin belegt: Früheres Mitläufertum ist nach wie vor ein heißes Eisen - selbst zwei Jahrzehnte nach dem Mauerfall. Der Buchautor und Filmemacher Roman Grafe, ein gebürtiger DDR-Bürger, spricht von mangelnder Geschichtsaufarbeitung.
"Es ist schlichtweg so, dass die Täter und die Opfer in den vergangenen 20 Jahren – Gott sei Dank - in den Blick kamen. Und gute Bücher, gute Filme, Radiosendungen dazu entstanden. Aber die Mitläufer – im Zweifel also die Mehrheit der DDR-Bürger – eher ausgeklammert wurden oder nur am Rande erwähnt wurden."
Grafe hat deshalb 20 ehemalige DDR-Bürger um einen Text über Anpassung und Widerstand im Osten gebeten. Und viele von ihnen lieferten schließlich ein Bekenntnis ab: Ja, wir haben mitgemacht. Wie der Schriftsteller Lutz Rathenow. Rathenow, ein mutiger Regimekritiker, hatte zuvor seinen Wehrdienst als Grenzsoldat geleistet.
"Warum kam ich an die Grenze? Weil ich dorthin wollte. Weil ich überzeugter Antipazifist und für revolutionären Terror war. Meine Grenzdienstbereitschaft war Feigheit gepaart mit Unlust an militärischer Ausbildung. Der Grenzdienst würde dafür keine Zeit lassen. Kein Exerzieren, wenig Strammstehen. Nur auf schönen Waldwegen acht Stunden herumspazieren und Leute bei Bedarf festnehmen oder erschießen."
Der 57-Jährige schreibt weiter: Er habe sich mitunter vor sich selbst geekelt; sei aber fast die gesamte Armeezeit angepasst gewesen. Rathenow zitiert einen Grenzer, der mit ihm auf Streife ging.
Es ist so langweilig. Käme doch endlich mal ein Flüchtling, da würde die Zeit schneller vergehen.
Krawczyk singt: So ein Sängerlein wie ich zum Beispiel habe wie ein Dackel jahrelang gebellt.
Bis ich aufs heikle Thema mit der Macht kam.
Da haben sie mich dann erst mal kalt gestellt.
Natürlich bin ich daran schließlich selbst schuld,
hätte ich mein Psalm durchs Blümchen doch gespuckt.
Ich weiß, das sehen die Herren seit jeher gerne,
man kann ja stehen, aber leicht geduckt.
Ob die Liedermacher Stephan Krawczyk und Wolf Biermann, ob Schriftsteller Erich Loest oder Regisseurin Freya Klier – ein Dutzend bekannter oppositioneller Künstler hat seine Mitläufer-Gedanken zu Papier gebracht. Zudem kommen zehn "normale", nicht prominente Ostdeutsche zu Wort. Und ihre Erinnerungen sind teilweise viel aufschlussreicher. So beschreibt Dora Claussner, Graveurin aus Gera, die täglichen Kompromisse in der DDR.
Mein Sohn ging zur Konfirmation - und auch zur Jugendweihe, um nicht anzuecken. Ich empfand das als normal: Damit dem Jungen nicht irgendwie ein Nachteil entsteht, keine Zulassung zum Studium oder so. Es dachten fast alle anders, als sie handelten - da war ich mir sicher.
Angst vor Bestrafung, Angst vor Karrierehürden, Angst vor Privilegienverlust. So reicht es häufig nur zu einem stillen Aufbegehren. Eine Frau erinnert sich an ihre Jugendweihe:
Wir feierten selbstverständlich nicht, sondern ließen den Akt über uns ergehen. Statt "Ja, das geloben wir" zu sagen, murmelten wir: "Ja, das glob` ich dir". Dann gilt das Jugendweihegelöbnis nicht, sagten wir uns. Ich wollte keinen Widerstand leisten.
Der Sammelband "Die Schuld der Mitläufer" zeigt: Die einen verdrängen bis heute ihr Mitmachen und Mitlügen. Die anderen kämpfen immer noch mit einem schlechten Gewissen. Die Texte bezeugen aber auch: Widerstand war möglich: Ein Mann verweigerte seine Unterschrift unter einen Propaganda-Aufruf, eine Frau protestierte gegen die Demagogie in den Schulen. Der Berliner Horst Schmidt berichtet von seinem Sohn, der NVA-Offizier werden sollte.
Er weigerte sich immer wieder. Schließlich wurde er gefragt, ob er auch bereit sei, an der Staatsgrenze seinen Dienst abzuleisten. Michael hielt nie mit seiner Meinung hinter dem Berg, und so antwortete er, dass er nicht daran denke, unbewaffneten Leuten in den Rücken zu schießen. Der Offizier bekam daraufhin einen regelrechten Wutanfall.
Das Perfide: Der Sohn unternahm später einen Fluchtversuch – und wurde dabei selbst erschossen.
Der tödliche Schuss traf Michael in den Rücken.
Krawczyk singt:
Es geht so lange gut, so lang das gut geht, so lange du dich an die Regeln hältst.
Doch wenn Du fällig bist, dann biste fällig, weil Du dann meistens auf die Schnauze fällst.
Roman Grafe, der Herausgeber der 200seitigen Aufsatzsammlung, hat bereits zwei Bücher über Grenze und Mauerschützen veröffentlicht. Der 41-Jährige ist im Osten aufgewachsen, aber im August 1989 in den Westen gegangen – mithilfe eines Ausreiseantrages. Bevor er weglief, lief er mit.
"Zunächst also das volle Programm, Junge Pioniere, FDJ, in der Schule zum Anpassen erzogen. Dann aber, vielleicht mit 15, mich gefragt: Was ist das für ein Staat, in dem Ausbrechen letztlich mit der Todesstrafe geahndet wird, also an der Grenze. Und möchte ich in einem solchen Staat leben? Und mir war klar: nein, das möchte ich nicht, ich möchte mich entziehen. Also dreieinhalb Jahre später war ich weg."
Das neue Buch von Roman Grafe über Anpassung und Widerstand hat – trotz vieler bewegender Aufzeichnungen – seine Schwächen. Die Auswahl der Autoren wirkt willkürlich; unter den Prominenten sind fast nur Künstler zu finden. Einige Aufsätze sind lustlos zusammen gebastelt und ohne roten Faden, wie der Aufsatz von Biermann. Zudem wird in dem Buch immer wieder moralisiert, anstatt zu erinnern. Unter vielen Texten finden sich Zahlen über Stasi, Kampfgruppen und Häftlinge – Zahlen, die nicht zu den persönlichen Texten passen und belehrend wirken. Auch das Abschlusswort wurde mit erhobenem Zeigefinger geschrieben. Hier vergleicht Grafe damaliges und heutiges Mitläufertum: Wer kämpfe jetzt für Tempo 100 auf Autobahnen, fragt er, wer protestiere gegen tödliche Sportwaffen?
"Und da denke ich, könnte dieses Buch auch für Westdeutsche oder für Nachgeborene in Deutschland heute eine Anregung sein, sich zu fragen: Was nehme ich heute hin? Wo schaue ich heute weg?"
Lohnt sich nun der Kauf des Sammelbandes – oder nicht? Ja, wenn man bereit ist, zwischendurch längst Bekanntes und Profanes zu überblättern. Nein, wenn der Leser ein durchgängig packendes Psychogramm des DDR-Mitläufers erwartet.
Krawczyk singt:
Doch wenn Du fällig bist, dann biste fällig, weil Du dann meistens auf die Schnauze fällst. Du liegst so lange drauf, so lang du drauf liegst – bis du dich selber auf die Füße stellst!
Das Buch "Die Schuld der Mitläufer. Anpassen oder Widerstehen in der DDR" herausgegeben von Roman Grafe. Im Pantheon Verlag erschienen. 204 Seiten kosten 14,95 Euro (ISBN: 978-3-570-55106-6). Jens Rosbach war der Rezensent.