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Mitmachschau "Open Codes" in Karlsruhe
Die Ambivalenz des Digitalen

Als "Open Code" wird etwas bezeichnet, das frei zugänglich alle mitgestalten können und dürfen. So auch das Konzept der gleichnamigen Ausstellung im Zentrum für Kunst und Medien in Karlsruhe. Eine Mitmachschau als ein großes Nachdenken darüber, was derzeit technisch und kulturell vor sich geht.

Von Peter Backof |
    Das Werk "manifest" von Peter Weibel in der Ausstellung "Open Codes" - ein Industrieroboter verfasst die Maschinenrechtserklärung
    "Die Würde der Apparate ist unantastbar", schreibt der Roboter aus dem Kunstwerk "manifest" von Peter Weibel (dpa / Uli Deck)
    Erkenne dich selbst als digitales Wesen! Das ist das Motto der Schau "Open Codes", das zwischen den überbordend vielen Dingen, Objekten, Informationen auf 1.000 Quadratmetern im Zentrum für Kunst und Medien in Karlsruhe förmlich im Raum schwebt. Da begegnet man sich selbst am Eingang noch ganz konventionell als Spiegelbild - und dann wird es kompliziert. Bernd Lintermann, Medienwissenschaftler und einer von Dutzenden von Künstlern der Schau, erklärt:
    "Eine Transformation in einen digitalen Code. Wir tragen ja einen Code mit uns herum, das ist der genetische Code, der definiert, wie wir aussehen."
    Entsprechend begegnet man seinem eigenen Klon als Projektion an der Wand. Ein Rechner produziert dieses Bild im Nu. Was die Rechenleistung angeht, ein Klacks, so gescannt und analysiert zu werden.
    Furcht statt Euphorie
    Und dann geht es weiter, durch mehrere Ebenen digitaler Art. Wenn man an die Konsequenzen denkt, was es heißt, "digital" zu "sein", dann könnte einem doch etwas mulmig werden. Da gebe es aktuell in Japan einen Hersteller smarter Toiletten, aus denen sämtliche Personendaten direkt an Krankenkassen geleitet werden können. Als wäre die Tür zur Nasszelle permanent offen. Die Krankenkasse würde einen jederzeit als braven oder schludrigen Bürger taxieren können. Schöne neue Welt?!
    "Ja, die Ambivalenz, die zeigen wir direkt. Wir wollen ja nicht irgendwas verherrlichen, sondern es geht darum, aufzuklären, was gerade in der Gesellschaft passiert. Vor 20 Jahren war so eine große Euphorie da, was man in Zukunft alles mit Medien machen kann. Das ist gewichen der Furcht, was andere Leute mit der Technologie und mit mir machen."
    Bernd Lintermann hat, hier mal als Künstler, einen Modulraum gestaltet: "Das Verschwinden der Bücher". Da setzt man sich an einen Schreibtisch, auf dem ein aufgeschlagenes Buch liegt, mit weißen Seiten, ganz ohne Text. Man blickt auf, durch eine Glasscheibe und plötzlich erscheint einem doch das Schriftbild. Als Holografie und entkoppelt vom "Datenträger", dem guten alten Buch. Zeitenwende, pathetisches Wort: passt, um den Code unserer Zeit zu beschreiben.
    "In zwanzig Jahren habe ich einen kleinen Stöpsel. Den klebe ich an meine Stirn und der regt meine Neuronen an. Und dann wird mir entweder ein visuelles Bild vom Buch projiziert oder es wird mir vielleicht vorgelesen."
    Soll das heißen, ich kann dann mit jenem Stöpsel zu Bette gehen und habe am Morgen das Buch gelesen?
    "Ja! Aber dann habe ich auch keinen Spaß mehr daran. Lesen macht ja auch Spaß."
    Nichts muss bleiben, wie es ist
    Martin Luther King: "I have a dream..."
    Da ist sie wieder, diese Ambivalenz des Digitalen. Man begegnet ihr auf dem offenen Parcours der Schau alle paar Meter und mit viel Ironie aufgestellt. Da haben es Wissenschaftler in Cambridge geschafft, ein mp3 von Martin Luther Kings berühmter Rede in einem menschlichen Genom zu speichern und andernorts wieder zu decodieren. Und da verfasst ein grobschlächtiger Industrieroboter eine Maschinenrechtserklärung: Die Würde der Apparate sei unantastbar, heißt es. Doch Spaß und Euphorie werden sofort gebrochen, durch Infotexte etwa. Militärische Belange und kommerzielle Interessen seien die eigentlichen Triebfedern technischer Innovation, heißt es auch.
    Codes - vom Morsecode bis zur verschlüsselten Mail und der Genetik der Zukunft. In acht Kapitel teilt die Schau das Zeitenwenden-Thema auf. Als Besucher ist man halb fasziniert, halb überfordert. Das Macht aber auch die Qualität von "Open Codes" aus: Das ist eine Einladung, mit zu philosophieren und neu zu gestalten. Nichts muss so bleiben, wie es ist.
    "Ein Code ist ein Übersetzungsbuch sozusagen",
    meint Christian Wölke, studentischer Mitarbeiter am ZKM und Chaos-Computer-Club-Mitglied. Ihn wundert, dass man nach Jahrzehnten der Entwicklung von Computertechnologie immer noch eine Tastatur und eine Maus brauche und schlägt als Innovation ein seltsames Objekt aus zwei sich umwindenden U-Formen vor:
    "Diese Form kann alle Buchstaben des Alphabets darstellen, einfach, indem man sie dreht."
    Die Schreibprozedur erinnert etwas an Gehörlosensprache. Man braucht nur noch einen Buchstaben, wie praktisch. Ob sich das durchsetzen wird? Wer weiß. Ohne Experimente, Zufall und Spieltrieb, nichts Neues. Genau das ist die Atmosphäre der Schau. Vom Kronleuchter, der theoretisch ein paar hundert Jahre lang einen Roman morst bis zur Bakterien-Batterie als neuesten Versuch, ein Perpetuum Mobile in die Welt zu setzen, gibt hier viel Neues zu entdecken.
    Die Ausstellung "Open Codes" ist vom 20.10.2017 bis zum 05.08.2018 im Zentrum für Kunst und Medien in Karlsruhe zu sehen. Der Eintritt ist frei. Die Eröffnung wird am 20.10.2017 ab 10 Uhr auch als Livestream übertragen.