Die meisten der mehreren Tausend Migranten aus Mittelamerika hätten aus den verschiedenen Medien von dem Fußmarsch Richtung Norden erfahren und sich dann spontan angeschlossen, erklärt der Journalist und Soziologe Moritz Krawinkel, der für die Hilfsorganisation Medico International arbeitet.
Sie hätten "oftmals alles stehen und liegen gelassen", um diese Möglichkeit wahrzunehmen, in einer großen, Schutz bietenden Gruppe Richtung Norden zu gelangen. Die Menschen seien angesichts der Strapazen müde, aber sehr motiviert, beschreibt Krawinkel die Stimmung. Die Motivation, in die USA zu gelangen, sei nicht zu brechen.
Flucht vor erbärmlichen Lebensbedingungen
In den Orten, in denen die Migranten haltmachten, gebe es große Hilfsbereitschaft und Solidarität. Getragen werde die Hilfe vor allem von zivilgesellschaftlichen Organisationen und Freiwilligen, erklärte Krawinkel: "Es gibt eine mitreisende Infrastruktur."
Viele der Menschen fliehen vor erbärmlichen Lebensverhältnissen und der Arbeitslosigkeit. Doch es gebe auch andere Gründe: "Gleichzeitig sind viele von den Maras, den gewalttätigen Jugendbanden, bedroht."
"Die Menschen haben ein unglaubliches Gottvertrauen, dass sie an ihr Ziel kommen werden", sagte Krawinkel. Die Androhungen des US-Präsidenten Donald Trump, Soldaten an die mexikanische Grenze zu verlegen, machten auf die Flüchtlinge keinen großen Eindruck.
Sandra Schulz: Zu Fuß sind sie unterwegs - inzwischen sind tausende Migranten auf dem Weg in Richtung USA. Die Mehrheit von ihnen hat sich in Honduras auf den Weg gemacht. Aus Guatemala kommen welche, und Mitte der Woche brachen etwa 1.000 Menschen in El Salvador auf. Die Menschen fliehen vor Armut und Gewalt und hoffen auf Asyl in den USA und ehrlicherweise auch auf ein besseres Leben. US-Präsident Donald Trump spricht einige Tage vor den Midterm Elections von einer Invasion und will beim Asylrecht noch mal nachschärfen.
In Juchitán in Mexiko, einige hundert Kilometer von der Grenze entfernt hatten viele Menschen auf dem Weg zur US-Grenze eine Ruhepause eingelegt. Dort konnte sich Moritz Krawinkel von der Hilfsorganisation Medico ein Bild machen. Ihn haben wir vorhin erreicht, und als erstes habe ich ihn gefragt, ob die Menschen denn jetzt schon wieder unterwegs seien.
Moritz Krawinkel: Ja, heute Morgen um fünf ist die Gruppe wieder aufgebrochen. Die Leute sind kaum zu halten länger an einem Ort. Sie haben diese Ruhepause gestern sehr gebraucht, haben Wäsche gewaschen, ihre Blasen gepflegt und sich mal richtig ausgeruht, aber heute Morgen um fünf ging es dann wieder weiter. Rund 50 Kilometer in Richtung des Bundesstaates Veracruz und in Richtung der mexikanischen Hauptstadt Mexikostadt.
Sie haben "alles stehen und liegen gelassen"
Schulz: Lässt sich das sagen, wie ist dieser Flüchtlingstrack organisiert, oder wie hat er sich gebildet?
Krawinkel: Die Leute haben, vor allen Dingen die Honduraner und Honduranerinnen, haben erzählt, dass sie aus den Medien, sozialen Medien und aus dem Fernsehen von dieser Karawane oder dieser entstehenden Karawane erfahren haben und sich dann spontan angeschlossen haben, oftmals alles stehen- und liegengelassen haben, ihre Liebsten Hals über Kopf verlassen haben, um diese Möglichkeit zu nutzen, Richtung Norden zu gelangen in dieser großen Schutz bietenden Gruppe.
Schulz: Wie geht es den Menschen, die Sie angetroffen haben?
Krawinkel: Die sind sehr motiviert. Sie sind müde. Es sind viele Kinder dabei. Unter den etwa 7.000 Menschen hier sind knapp 1.000 Kinder. Das sind natürlich ungeheure Strapazen, diese Strecken, die da zurückgelegt werden, aber die Motivation und die Entschlossenheit, bis in die USA zu gelangen, ist nicht zu brechen.
Schulz: Wie machen die Familien das? Laufen da alle oder werden die Kinder da getragen?
Krawinkel: Viele haben Buggys dabei, und andere tragen ihre Kinder wechselnd dann auch, und viele Familien laufen auch in Gruppen mit, zum Teil mit sich gebildeten Freundschaften auf der Reise oder schon dann eine ganze Gruppe aus einem Stadtteil aufbricht, dass die Leute sich schon länger kennen und dann die Verantwortung teilen auch.
Versorgung "ziemlich improvisiert"
Schulz: Wie sind die Menschen versorgt?
Krawinkel: Gestern in diesem Tagescamp war es so, dass immer wieder Wagen der Stadtverwaltung gekommen sind, Wasser gebracht haben zum Waschen, zum Duschen und immer wieder auch Pickups mit Lebensmitteln dorthin gelangt sind. Heute ist es jetzt so, 50 Kilometer weiter, dass immer wieder auch Privatwagen vorgefahren sind. Aus einem Kofferraum werden Klamotten verteilt, ein anderer bringt Wasserflaschen, andere verteilen Saftpäckchen an die Kinder. Es gibt eine große Hilfsbereitschaft und Solidarität in den Orten, in denen diese Karawane Halt macht.
Schulz: Also das ist von der Bevölkerung organisiert und von Hilfsorganisationen. Gibt es auch Hilfe des mexikanischen Staates?
Krawinkel: Der mexikanische Staat ist präsent. Die Polizei ist allgegenwärtig auf der Route und auch um die Camps herum. Gleichzeitig sind dort Menschenrechtsorganisationen, die staatlich sind, aber ich glaube, getragen wird das tatsächlich vor allem von zivilgesellschaftlichen Organisationen, von Freiwilligen. Ich habe mit einem Arzt gesprochen, Mexikaner in den USA, der jetzt eine Woche runtergekommen ist mit Medikamenten und viel Verantwortung übernimmt dann in so einer Woche.
Schulz: Wie gehen die Hilfsorganisationen jetzt mit der Tatsache um, dass dieser Track ja unterwegs ist, dass man da keine festen Versorgungslager installieren kann?
Krawinkel: Das ist ziemlich improvisiert. Heute ist dann, als die Menschen schon angekommen sind, wurde dann angefangen, den Sonnenschutz, der auch gestern aufgebaut war, wieder aufzubauen. Es gibt eine mitreisende Infrastruktur, muss man sagen, was die von den Hilfsorganisationen zum Teil gestellte Kinderbetreuung angeht, um denen ein Angebot machen zu können oder auch eine Infrastruktur, um sich vor der großen Hitze und der Sonne schützen zu können.
Flucht vor "erbärmlichen Lebensbedingungen"
Schulz: Und wovor genau sind die Menschen auf der Flucht? Warum haben sie sich auf den Weg gemacht?
Krawinkel: Wir haben beide Varianten gehört: Viele sind tatsächlich vor den erbärmlichen Lebensverhältnissen geflohen, vor der Arbeitslosigkeit, dass sie fortläufig kein Auskommen finden, um ihre Familien zu versorgen. Gleichzeitig sind viele von ihnen von den Maras, also den gewalttätigen Jugendbanden, bedroht, zum Teil erwartet sie der Tod, wenn sie zurückkommen. Wenn man da rekrutiert wird und sagt, ich will nicht mitmachen, dann kann man eigentlich nur noch die Flucht ergreifen.
Schulz: Wie lange werden die Menschen jetzt brauchen, bis sie an der US-mexikanischen Grenze angekommen sind?
Krawinkel: Das ist schwer zu sagen, wie lange das dauern wird. Es gab Verhandlungen über einen Bustransport, der aber von der mexikanischen Regierung untersagt wurde. Jetzt sind die Leute wieder zu Fuß und per Anhalter dann unterwegs und setzen vor allem auf die Unterstützung der Zivilgesellschaft in den Orten, durch die sie reisen. In Oaxaca wurden sie von einer regionalen Menschenrechtsorganisation begleitet, die die Situation beobachtet und die immer auch den Nachzüglern geholfen hat, die auf dem Track dann zurückbleiben. Diese Aufgabe wird jetzt übergeben an der Bundesstaatsgrenze an Veracruz. Dort finden dann Gespräche statt mit anderen Organisationen, um das dann weiterzureichen.
"Menschen haben unglaubliches Gottvertrauen"
Schulz: Und wie sind die Vorstellungen, wenn sie dann an der Grenze sein werden? Gehen die Menschen davon aus, dass sie die Chance haben werden, wirklich auch in die USA zu gelangen?
Krawinkel: Die Menschen haben ein unglaubliches Gottvertrauen darein, dass sie an ihr Ziel kommen werden. Das ist primär die USA, das kann aber auch ein anderer Ort sein, an dem sie ein Leben in Würde und Sicherheit führen können. Sie sind nicht so festgelegt. Auch in den USA haben die Wenigsten konkrete Orte, die sie angeben, sondern es geht um die USA und die Möglichkeit zu arbeiten und zeigen zu können, wie gut sie arbeiten können, um auch dieses Bild zu entkräften, dass da eine Invasion stattfindet von Leuten, die Böses wollen, sondern die Leute wollen zeigen, dass sie arbeiten können, wollen Geld verdienen, wolle ihre Familien versorgen.
Schulz: Jetzt hält Donald Trump ja rhetorisch dagegen und auch mit der Ankündigung, die Grenze massiv militärisch aufzurüsten oder dort aufzustocken. Wie werden diese Meldungen diskutiert, wie viel Eindruck machen die?
Krawinkel: Das wird zu Kenntnis genommen. Eindruck macht es tatsächlich nicht so richtig. Ein Mann aus El Salvador sagte uns, das letzte Wort hat Gott, nicht Donald Trump. Das ist so ein bisschen die Einstellung, mit der die Leute da rangehen. Wie gesagt, sie wissen nicht unbedingt, auf was sie sich auf dieser Reise noch einlassen. Sie wissen nicht unbedingt, wohin diese Reise führt, aber sie wissen sehr genau, aus welchen Umständen sie fliehen und warum es kein Zurück mehr gibt.
Schulz: Trump sagt ja auch, es gäbe das Angebot, in Mexiko zu bleiben. Warum ist das keine Option für die meisten?
Krawinkel: Der mexikanische Präsident hat angeboten, dass die Menschen in Oaxaca und Chiapas, den ärmsten Bundesstaaten Mexikos bleiben können, dort eine Gesundheitsversorgung und Arbeitserlaubnis bekämen. Das, was wir gehört haben, war die Antwort, dass das nicht der Grund ist, warum die Leute aufgebrochen sind, sondern es schon darum geht, tatsächlich bessere Lebensbedingungen sich zu erlaufen, muss man sagen und nicht stehen zu bleiben im Süden Mexikos.
Schulz: Moritz Krawinkel von der Hilfsorganisation Medico über den Flüchtlingstrack aus Mittelamerika.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.