Die Kurzfassung der Forsa-Studie zur Inklusion aus Sicht der Lehrer könnte so lauten: Der Zustand in Gesamtdeutschland ist schlimm, im Osten, in Mitteldeutschland, ist er im Zweifel noch ein bisschen schlimmer. Die Studie wurde zum zweiten Mal erstellt, es ist also ein Vergleich mit den Werten von 2015 möglich. Viel hat sich nicht geändert. Immer noch die gute Hälfte aller Lehrer, 54 Prozent, halten die gemeinsame Beschulung von Kindern mit und ohne Behinderung grundsätzlich für sinnvoll. Dennoch sind deutlich über die Hälfte, 59 Prozent, dafür, alle bestehenden Sonder- und Förderschulen zu erhalten. Nur zwei Prozent würden diese ganz abschaffen. Die Lehrer misstrauen also ihren eigenen Fähigkeiten, Inklusion für alle zu garantieren. Sehr zu Recht, meint Rolf Busch, Vorsitzender des Thüringer Lehrerverbandes. Für ihn ist es bezeichnend:
Rolf Busch: "Dass immerhin ein Viertel sagen, sie haben an keiner speziellen Fortbildung zur Inklusion teilgenommen. Gleiche Zahl, 24 Prozent, jeder vierte Lehrer, der im inklusiven Unterricht unterrichtet, hat vorher keinerlei Erfahrungen sammeln können. 30 Prozent sagen, dass sie nicht an irgendwelchen berufsbegleitenden Fortbildungen teilnehmen. Und eigentlich der Skandal: 81 Prozent sagen: Inklusion war nicht Teil der Lehrerausbildung."
In Thüringen gilt seit 14 Jahren der Vorrang gemeinsamer Beschulung
Und das, wo zum Beispiel in Thüringen seit 14 Jahren der Vorrang gemeinsamer Beschulung gilt. Den Grund für die überaus schlechte Vorbereitung der Lehrer auf die Inklusion im Studium sieht Busch vor allem im hohen Durchschnittsalter der Lehrer im Osten, da angesichts sinkender Schülerzahlen in den letzten 20 Jahren nur wenige Lehrer neu eingestellt wurden. Aber auch an Geld mangele es vor allem im Osten: Die Integrationsklassen hätten noch deutlich häufiger als im Bundesdurschnitt keine verringerte Schülerzahl. Und die Lehrer werden in Mitteldeutschland auch noch deutlich seltener von Sozial- und Sonderpädagogen, von Schulpsychologen und Schulkrankenschwestern unterstützt. Deutschlandweit fehlen einem Drittel der Lehrer, die inklusiv unterrichten, Ansprechpartner für fachlichen Rat; nur jeder siebte sieht sich bei physischen und psychischen Belastungen durch den Unterricht unterstützt.
Rolf Busch: "Es ist nach wie vor ein desaströses Bild von inklusiver Schule in Deutschland und auch in Thüringen, Sachsen, Sachsen-Anhalt. Und wir Pädagogen erleben Tag für Tag, welch enorme Belastung das für die Kollegen im inklusiven Unterricht ist. Und es mangelt buchstäblich an allem."
Deshalb fordern die Lehrerverbände der mitteldeutschen Länder eine konsequente Doppelbesetzung aus Lehrer und Sonderpädagogen, multiprofessionelle Teams, geeignete Schulbauten, kleinere Klassen und angemessene Aus- und Fortbildung. Ludger Thieler, seit 20 Jahren Förderschullehrer in Sachsen-Anhalt, meint, dass die Kinder die Opfer von Gesetzen würden, für deren wohlgemeinte Ziele es an der Umsetzung mangele. Seine Förderschule zum Beispiel sei darauf ausgerichtet, Kinder mit sozialen und emotionalen Problemen fit zu machen für die Regelschule.
"Schule braucht auch viel mehr Personal, was nicht nur Wissen vermittelt"
Ludger Thieler: "Und dann scheitern diese Kinder oftmals wieder in diesen Regelschulen. Und dann haben wir sie wieder. Und die Biografien dieser Kinder sind von Abbrüchen gekennzeichnet. Wenn sie zurückkommen, gibt es oftmals noch größere Probleme. Und deshalb braucht Schule auch viel mehr Personal, was nicht nur Wissen vermittelt, sondern erzieherisch tätig ist. Und da hapert es massiv – gerade bei diesen Kindern im sozial-emotionalen Bereich."
Das Fazit der mitteldeutschen Lehrerverbände aus der Forsa-Umfrage: Die Inklusion scheitert, auch in Mitteldeutschland, an der Wirklichkeit.