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Mittelrhein
Von Burg zu Burg

Am Mittelrhein, zwischen Bingen und Koblenz, stehen an beiden Ufern Burgen Spalier – es ist die Region mit der höchsten Burgendichte Europas. Manche Burgen sind zugänglich und werden von Besuchern förmlich überrannt, andere liegen im Dornröschenschlaf, wieder andere sind in Privatbesitz und versperrt, oder es sind nur noch Ruinen.

Von Alexander Musik |
    Das Rheintal mit dem Loreleyfelsen.
    Das Rheintal mit dem Loreleyfelsen (picture-alliance / dpa / Thomas Frey)
    Kapitän Jürgen Brilmayer, Schiffsführer auf der MS Rhenus und Veteran auf der Strecke zwischen Bingen und Rüdesheim, startet auf Höhe St. Goar den CD-Player. Und das alte Lied erklingt wieder an Deck, wo die Fahrgäste sich, dicht gedrängt, bei Kaffee und Kuchen, Bockwurst und Bier amüsieren. Dreimal täglich, stromaufwärts, stromabwärts.
    "Rheinromantik? Tja. Also, ich sag' mal, wir haben hier einen Job, man muss ständig konzentriert und achtsam sein. Aber man hat trotzdem immer noch die Möglichkeit, nach außen zu gucken, das Ufer links und rechts, das Gebirge hier, je nachdem wenn man morgens fährt, man sieht Tiere sehr viele. Oder auch in der Lesezeit, die Menschen, die dann in den Weinbergen arbeiten. Es ist schon interessant."
    Aus seiner rundumverglasten, komfortablen Kabine schaut Brilmayer konzentriert auf den Fluss, die 120 Meter breite Fahrrinne des Rheins ist mit roten und grünen Tonnen markiert. Schiffe auf Talfahrt werden per Funk Schiffen auf Bergfahrt angekündigt. Es herrscht dichter Verkehr auf dem Fluss. Und an den Ufern auch: Tag und Nacht sausen Dutzende Personenzüge vorbei, dazwischen dröhnen endlos scheinende Güterzüge. Das Dröhnen hallt im Rheintal wieder – in den verträumten und verlärmten Häuserzeilen aus Fachwerk, teilweise sind die Geleise zum Greifen nah. In Boppard, St. Goar, Lorch, Kaub, Bacharach oder Oberwesel. Daneben die Uferstraßen: PKW, Wohnmobile, Motorräder ziehen vorbei. Parallel laufende, teils bis zum Anschlag genutzte Verkehrsadern. Als statischer Kontrapunkt dazu thronen auf Plattformen in luftiger Höhe, dem rheinischen Schiefergebirge abgerungen, die Burgen: Rheinfels, Rheinstein, Sooneck, Stahleck, Lahneck, Pfalzgrafenstein, Burg Katz, Burg Maus. Und all die anderen.
    Die MS Rhenus legt in Trechtingshausen nahe Bingen an. Ein Schild weist vom Anleger zur Burg Rheinstein, die fast über dem Fluss zu hängen scheint. Rheinstein ist ein Kleinod. Jeder Giebel, jedes Türmchen, jede Terrasse strahlt die Vorstellung aus, die sich ihre Besitzer aus dem 19. Jahrhundert vom Mittelalter machten. Heute gehört Rheinstein Markus Hecher und seiner Familie:
    "Wir nähern uns hier der Burg. Und damit kommen wir immer mehr in die Natur hinein. Das ist ja auch eine der Besonderheiten der Burg Rheinstein, dass man keine direkte Zufahrt zur Burg hat. Das heißt, wir kommen nicht mit dem Auto an die Burg ran, sondern wir müssen diese Serpentine hier rauflaufen zur Burg, die 360 Meter hat, aber immerhin 45 Höhenmeter überwindet. Für den Transport haben wir so einen Schmalspurtraktor oder wir haben so eine Monorack-Bahn, so eine Einschienenbahn, da wissen wir uns schon zu helfen."
    Hecher managt die Burg, sein Sohn führt das Burgrestaurant. Beide Generationen wohnen auf der Burg. Markus Hechers Vater, einst Opernsänger in Tirol, hat Rheinfels im November 1975 gekauft. Er war fasziniert von der Idee, ein Burgherr zu sein. Ein Idealist, sagt der Sohn über ihn, der keine Ahnung davon hatte, was es bedeutete, eine Burg zu erhalten:
    "Hier, diese Burg Rheinstein sollte verkauft werden, sie war bis dato noch in Adelsbesitz, durch Erbfolge noch im preußischen Haus integriert. Die letzte adelige Eigentümerin aus dem Preußenhaus wollte es verkaufen. Dann wurde es spannend, als sich hierfür eine Sekte interessierte, und zwar die Hare-Krishna-Mönche. Das waren so Bettelmönche, die waren in den 70er-Jahren sehr aktiv. Das war so die auslaufende Hippie-Zeit, also im kriminellen Milieu etwas behaftet durch dubiose Geschäftsgebaren. Da war man nervös hier in der Region, dass eine solche Gruppe ein Kulturgut kriegen sollte. Man versuchte das zu unterbinden. Da ist damals mein Vater eingesprungen, hat die Burg gekauft. War zu dem Zeitpunkt schon in einem sehr desolaten Zustand, war schon sehr runtergekommen, sehr verwirtschaftet, von dem Inventar war sehr viel veräußert - es sah schlimm aus."
    Markus Hecher schüttelte nur den Kopf, als der Vater der Familie damals stolz sein neues Anwesen präsentierte. Doch wir sind eine sehr positiv gestimmte Familie, sagt er, und wir finden für jedes Problem eine Lösung.
    1,3 Millionen Euro Zuschuss gab es von Bund und Land für die Sanierung seiner Burg. Im Rahmen eines Zehnjahresplans von 1996 bis 2007 wurden damit immer neue Baustellen angegangen. Die Bewerbung um den Welterbestatus half, das Geld lockerzumachen. Es gilt dennoch, immer neue Geldquellen anzuzapfen und Partner zu gewinnen, denn die Arbeit an der Burg hört nie auf, sagt der Burgherr.
    Begehungen mit Geologen, Straßenbauverwaltung und Denkmalschützern sind an der Tagesordnung. Hier ein Fels, der gesichert werden muss. Dort ein Weg, der abrutschen könnte – und Besucher verletzen. Oder ein Gitter, das Kinder vom Besuch einer Aussichtsplattform abhalten soll, ist nicht hoch genug. Denn Rheinstein dürfen die Besucher selbst erkunden, geführte Touren gibt es nicht:
    "Wenn jemand zu mir sagt: Oh, sie sind Burgherr, sage ich immer. Ich bin mehr Knecht als Herr eines solches Objektes, ja. Das ist natürlich ein bisschen ironisch gemeint, aber es liegt auch ein Stück Wahrheit drin, weil man hier als reiner Familienbetrieb natürlich auch selber immer ran muss und Hand anlegen muss. Und auch die komplette Verantwortung dafür hat und somit knechtet einen dieses Objekt schon ab und zu mal."
    Die Hechers wohnen im ehemaligen Gesindehaus von 1830 auf dem Burghof. Rheinstein ist ihr Lebensmittelpunkt, so, wie es die Burg für ihre Bewohner von einst war: ein unangreifbarer Platz mit Wehr- und Wohnturm, Rittersaal und Kemenate, ein Platz mit Panoramablick, ein Fluchtpunkt. Und mit viel Geschichte in ihren Mauern, die die Besitzer vor den Hechers neugierig und gierig werden ließ.
    "Das Problem war, dass schon die Vorbesitzer hier auf der Burg - ich sage jetzt mal - hausten, die Verträge mit der damaligen Eigentümerin, mit der Herzogin Barbara zu Mecklenburg, abgeschlossen hatten, haben aber so Kleinigkeiten vergessen wie Verträge einzuhalten und zu bezahlen. Und somit musste sie dann mit dem Staatsanwalt diese Bewohner hier wieder rauskriegen. Nur die haben der Burg natürlich auch Schaden zugefügt. Hier wurden Wände aufgeschlagen, weil man gedacht hat, da ist ein Schatz zu finden. Im Innenbereich wird mit Fachwerk gearbeitet, dem entsprechend, wenn sie das abklopfen, haben sie viel Hohlraum und hören das. Da hat man hinter jedem Hohlraum vermutet, dass da was zu finden ist."
    In den vergangenen Jahrzehnten haben der Österreicher Markus Hecher und seine Familie die Burg in ein Schmuckstück verwandelt. Haben Originalmobiliar zurückgekauft, die Burgküche so ausgestattet, wie sie im 19. Jahrhundert benutzt wurde, haben die großen Prunkzimmer und die kleinen Kemenaten mit alten Musikinstrumenten, Stichen und Wandbespannungen liebevoll dekoriert.
    "Das ist der Rittersaal, das ist der schönste und größte Raum der Burg. Wir haben das aufwendig in den 80er-Jahren restaurieren lassen. Hier ist auch bei den Lichtverhältnissen wunderbar zu sehen unser Bestand an Fenstern: Wir haben den größten und wertvollsten Bestand an Buntglasfenstern auf einer Mittelrheinburg. Das hängt einfach damit zusammen: Dieser Preußenprinz, der sich die Burg wieder aufbauen ließ, hat diese Fenster woanders gekauft, ersteigert. Und hat sie dann hier einsetzen lassen, damit wollte er Mittelaltergefühle in seine Burg hinein bekommen."
    Über steile Treppen, gerade breit genug für eine Person, geht es auf eine Terrasse mit Rundumblick. Markus Hecher kann sich nicht vorstellen, die Burg jemals wieder zu verkaufen. Er lebt mit ihr und von ihr, sagt er.
    "Da fährt ein Schiff vorbei. Das ist das, was man halt wunderschön vorfindet auf der Burg, weil sie halt so nah am Fluss liegt, dass man direkt mit dem Fluss in Verbindung steht. Man hat so ein bisschen Titanic-Gefühl, als wenn man da oben auf dem Schiff steht und unter einem ist das Wasser. Hier so die Lichtverhältnisse sind natürlich wunderbar jetzt, das ist halt auch das Mittelrheintal. Wenn sie jetzt hier herunter gucken, dahinten haben wir schon gleich wieder die nächste Burg. Unten im Rheintal liegt eine kleine Kapelle, die Clemens-Kapelle. Der Fluss schlängelt sich hier so durch, das ist Rheinromantik pur. Abzüglich der Geräusche, das ist Gegenwart pur."
    Die Rheinromantik endet auf Höhe des Steinbruchs unweit der Burg. Die Bagger der Hartsteinwerke Sooneck vergrößern Tag für Tag die Wunde im Berg. Mindestens bis Juli 2019 wird hier noch sogenannte Grauwacke abgebaut. Über ein langes Förderband rumpeln die Steinblöcke vom Berg auf bereit stehende Frachtschiffe; sie werden etwa im niederländischen Küstenschutz verbaut. Die UNESCO-Kommission hatte offenbar nichts gegen die Wunde einzuwenden, als sie die Region in ihre Welterbe-Liste aufnahm. Und auch der Leiter der Generaldirektion Kulturelles Erbe, Thomas Metz, sieht den Eingriff in die Landschaft nicht als ein großes Problem an:
    "Man soll einmal deutlich machen, dass das Thema Steinindustrie und Steinabbau immer ein Thema dieses Tals gewesen ist. Und es immer auch die Flussstraße war, die dazu geführt hat, dass man die Steine irgendwohin transportieren konnte. Es gab einen sehr intensiven und regen Schieferbergbau auch im Tal, also es gehört mit zum Tal. Ich kann mich erinnern, dass der Steinbruch eines der Themen war - aber eben nur eines der Themen. Der Steinbruch ist endlich, es ist eine bestimmte Zeit, wo es dort Abbaugenehmigungen gibt und irgendwann erlischt diese Genehmigung, dann wird der Steinbruch rekultiviert."
    Unweit des Steinbruchs wird gerade die Burg Sooneck saniert. Hier bekommt ab Mai eine Burgerbloggerin für sechs Monate eine Kemenate und ein Stipendium. Die junge Dame soll, so stand es in der Ausschreibung, durchaus auch auf die wunden Punkte am Mittelrhein aufmerksam machen: den Verkehr, den Bevölkerungsschwund, den Leerstand, die häufig altbackenen touristischen Angebote.
    Die Fähre zwischen St. Goar und St. Goarshausen, auf der anderen Rheinseite, fährt bis Mitternacht. Die Partnerstadt von St. Goarshausen ist das japanische Inuyama. Auch Inuyama ist eine Touristenstadt mit Burg und Fluss. Von St. Goarshausen bringen Busse Touristen hinauf zum Loreley-Felsen und dem Besucherzentrum auf dem Bergplateau. Unten, am Eingang zur Altstadt, verweist ein Schild zu einem Wanderweg auf die Burg Katzenelnbogen. Sie ist der Loreley am nächsten. Vielleicht hat sie ja deshalb 1989 der japanische Millionär Satoshi Kosugi gekauft. Kosugi, ein Freund der Burgen und der Rheinromantik. Die Wanderung zur Burg Katz – so heißt sie schlicht im Volksmund - endet an einem verschlossenen rostrot gestrichenen Tor. Privatbesitz. "Eine Besichtigung der Burg ist nicht möglich", steht auf einem Schild. Auch auf das Klingeln hin öffnet niemand. Burg Katzenelnbogen steht leer.
    Doch, wie sich herausstellt, gehört ein ehemaliger Stadtturm von St. Goarshausen zur Burg dazu, die die Grafen aus dem Geschlecht der Katzenelnbogen ab 1360 bauen ließen. Mittlerweile ist er im Besitz von Otto Schamari. Der Weinbauingenieur hat den Wohn- und Wehrturm aus dem 14. Jahrhundert zu einem Weinlokal umgebaut, inklusive Loreley-Museum.
    "Die Burg war meines Erachtens gut erhalten in der damaligen Zeit. Sie wurde ja benutzt in der Zeit. Reicharbeitsdienst. Dann nach dem Krieg war es Internat von dem Institut Hoffmann, das jetzige Gymnasium, war oben Internat in der Burg. Dann lange Jahre bis 1985 war es, dass sie dort in die Bundesvermögensverwaltung in Bonn gehörte. Dann ist sie meistbietend ausgeschrieben worden. Da hat sie der Japaner für 4,3 Mio. Mark erworben. Der wollte sie natürlich ausbauen, der wollte noch einen Anbau machen, um sie als Hotel zu nutzen, aber das hat man ihm versagt. Das ging dann bis zum Oberverwaltungsgericht, wurde abgelehnt: Denkmalschutz."
    Die Stadt St. Goarshausen wollte oder konnte damals nicht mit dem reichen Mann aus Japan mithalten, was in der Presse für viel Spott und Häme sorgte: Eine Burg an einem mythenbeladenen Ort, wo Deutschland am deutschesten ist, an einen Japaner verscherbeln, der sie zu einem Luxushotel speziell für Japaner umbauen will? Die Stadt behielt damals nur den Stadtturm in ihrem Besitz.
    "Ich denke heute, wo wir Weltkulturerbe sind, würde das wahrscheinlich nicht mehr passieren. Da würde man eher sagen: Wir nehmen sie doch in Landesbesitz und versuchen sie, touristisch zu öffnen und zu nutzen. Das ist halt schade. Seine Tochter war schon mal hier, er ist ja auch mittlerweile betagt, er ist ja Unternehmensberater und hat oft Gäste. Welcher Art, weiß ich nicht. Aber sie sind meistens nur eine Nacht da. Und dann sind sie wieder weg."
    Die Grafen von Katzenelnbogen, die in Raubrittermanier Zölle kassierten, hatten in ihren Turm auch gleich ein neun Meter tiefes Verlies eingelassen. Für zahlungsunwillige Schiffsbesatzungen.
    Wieder hat ein amerikanisches Kreuzfahrtschiff unterhalb der Marksburg angelegt. Die Marksburg, ebenfalls rechtsrheinisch in der Nähe von Koblenz gelegen, ist die "einzige unzerstörte Höhenburg" am Rhein, so locken die Werbebroschüren. Und es ist die Burg mit den meisten Parkplätzen. Auch das ein unschlagbares Argument für die Gäste, wie sich zeigt. 165.000 Besucher pro Jahr, die Hälfte von ihnen kommt in Bussen, die sich den engen Fahrweg zur Burg hinauf quälen.
    Am Besuch des Burg-Souvenirshops führt für viele kein Weg vorbei. Kinder äußern Wünsche, die die Eltern kaum ablehnen können. Und Anja Sturm, die hier arbeitet, hat alle Hände voll zu tun.
    "Wir führen Kettenhemden, die extra angefertigt werden. Wir haben Handschuhe da, Armbrüste für Kinder wie auch für Erwachsene. Es gibt Bierbecher, Ton-Bierbecher, es gibt Weinkrüge. Natürlich führen wir auch Kitschartikel wie die Silberlöffel, wo die Marksburg drauf ist oder Flaschenöffner. Das brauchen wir natürlich auch für unsere ausländischen Gäste, Japaner, Amerikaner, die nehmen gerne solche Silberlöffel zum Beispiel mit."
    Auf der Burgterrasse nebenan ist mittlerweile Gerd Wagner eingetroffen. Er wohnt auf der Marksburg, verwaltet sie und ist auch Vorsitzender der Deutschen Burgenvereinigung, die hier seit 1899 ihren Sitz hat. Wagner, ausgebildeter Lehrer, legt einen riesigen eisernen Schlüssel vor sich auf den Tisch.
    "Große Tore, große Schlüssel, sage ich immer, das ist ein ziemliches Monster, weil, das ist tatsächlich das Eingangstor zur Burg, das sehr dick ist. Der Schlüsselkasten ist auf der Rückseite angeschraubt, also muss man die Tür erst mal durchstechen, um sie öffnen zu können. Ich muss aber zugeben, dass wir das auch deswegen beibehalten, weil es auch n bisschen Show ist für die Touristen, wenn die so einen großen Burgschlüssel sehen."
    Wagner hat volles Verständnis dafür, wenn ein Burgbesitzer sein Eigentum für sich nutzen will, weil es durch zu viele Besucher beschädigt werden könnte. Andererseits sind er und seine Burgenvereinigung schon neugierig, Burgen auch von innen zu sehen. Bis 1500 gab es 25.000 Burgen in Deutschland, sagt Wagner, fast jedes Dorf hatte eine. Heute sind die meisten überwachsen, verfallen, auch weil der Eigentümer sich den Erhalt nicht mehr leisten kann. Oder sie stehen zum Verkauf:
    "Das ist ein ganz schwieriges Geschäft. Und ich kann wirklich Privatleuten nur abraten, sich eine Burg zuzulegen, weil, das ist ein Trauerspiel, das kostet viel Geld."
    Für den Burgenerhalt in Deutschland werden 150 Millionen Euro jährlich ausgegeben. Viel zu wenig, findet Wagner.
    "Wenn ich dran denke, dass die deutsche Oper in Berlin ist mit 350 Millionen saniert worden, dann relativiert sich diese Zahl für ein ganzes Land, für die ganze BRD. Da relativieren sich 150 Millionen ganz erheblich."
    1890 waren fast alle Burgen, die heute das Rheintal säumen und der Landschaft das romantische Gepräge geben, Ruinen. Als sie wiederaufgebaut wurden, hat niemand den Denkmalschutz gefragt, denn es gab ihn nicht. Die Bauherren ließen ihrem Mittelalterspleen freien Lauf. Und so entsteht die Irritation, dass die nie zerstörte Marksburg wie eine Fantasieburg aus dem 19. Jahrhundert aussieht und andere um Jahrhunderte älter wirken und es doch nicht sind.
    Spielte diese Irritation eine Rolle, als 1988 eine japanische Delegation an die Deutsche Burgenvereinigung herantrat mit dem Wunsch, die Marksburg abzutragen und in Japan wieder aufzubauen?
    "Da wir die Gesellschaft zur Erhaltung deutscher Burgen und nicht zum Abbau deutscher Burgen sind, haben wir uns natürlich geweigert, die Marksburg herzugeben, haben aber die Erlaubnis gegeben, sie zu kopieren. Und sie steht also tatsächlich im Maßstab 1:1 dort, auf einem kleinen Hügel am Pazifischen Ozean. Strange anzusehen vor türkisblauem Wasser, allerdings nur die Kernburg, Zwingermauern und Tore sind nicht dort, nur die Kernburg."
    Die Grafen von Katzenelnbogen waren auch linksrheinisch aktiv. Ab 1245 ließ man - ebenfalls als Zollburg - Rheinfels bauen, eine lang auf den Felsen hingestreckte Burganlage mit vielfachen Um- und Zubauten; mit Minen- und Wehrgängen, Wallgraben, mehreren Höfen - und einem Luxushotel. Im Vorhof zur Burg, hoch über St. Goar, parken unter einem Baldachin die entsprechenden Limousinen dazu. Der junge Schweizer Historiker Fabian Link, der in Frankfurt lehrt, nennt das, was er hier auf Burg Rheinfels sieht Verrummelung:
    "Allerdings ist die Verrummelung der Burgen, das war schon ein Thema in den 20er- und 30er-Jahren. Im Nationalsozialismus gab es von der KdF, also von Robert Lay inszeniert oder organisiert, gab es Burgenfahren für Arbeiter zum Beispiel mit Schiffen. Da steuerte man jede Burg an und hatte vielleicht eine halbe Stunde Zeit und wurde dann durch die Burg geschleust, hat viel Dreck hinterlassen. Und auch das war etwas, wo sich ältere Burgenforscher nicht identifizieren konnten: Repräsentation ist gut, Förderung durch Nationalsozialisten ist auch perfekt. Aber die Verrummelung im Sinne eines Massenstaates, das war etwas, wo die Leute nicht kongruent gingen. Was eine sehr typische Differenz ist zwischen Wissenschaftlern und nationalsozialistischem Staat."
    Link hat über Burgen zu Zeiten des Nationalsozialismus geforscht. Burgen wurden als Kulisse eines künstlichen Idylls inszeniert, sagt er. 100 Meter hinter dem Burgtor: der Eingang zum Großen Keller, ein Zubau aus dem 15. Jahrhundert. Link steigt eine breite Treppe hinab, die in den riesenhaften Gewölbekeller führt, der von Leuchtern nur schwach erhellt wird. Ein Lagerplatz für ein 200.000-Liter-Weinfass für die auf Rheinfels stationierten Soldaten war das einmal, wie eine Tafel ausweist.
    "Es gibt leider keine Quellen über die Verwendungszwecke der Burg Rheinfels, was hier genau passiert ist, ist ganz schwer ausfindig zu machen, weil vieles einfach nicht mehr da ist. Entweder durch den Bombenabwurf der Alliierten zerstört oder selber zerstört. Aber hier könnte man sich natürlich sehr gut vorstellen - das erinnert jetzt wieder an die Wewelsburg von Heinrich Himmler - das hier tatsächlich kultische Feiern abgehalten wurden. Das darf man nicht hochschaukeln, dass Burgen nur kultische Verwendung hatten, sondern das kann auch ganz trivial sein für irgendwelche Hochzeitsfeiern, für irgendwelche Führergeburtstage, für Stadtfeiern, historische Umzüge und so weiter und so fort. So ein Keller mit so einer düsteren Atmosphäre würde sich ganz besonders eignen für solche Feiern."
    Burgen als betont offen stehender Erholungsort für die Bevölkerung und als abgeschotteter Rückzugsort für die SS – die seltsame Ambivalenz, die Burgen im Dritten Reich ausmachte, blieb bis 1945 ungelöst, sagt der Historiker. Unabhängig davon war die wieder aufgebaute Burg stets auch ein martialisches Symbol.
    "Nationalsozialismus ist nicht denkbar ohne das Moment des Krieges, des Kampfes, des sich Bewährens, dass die Nationalsozialisten sich bewähren müssen im Kampf. Und auch da waren Burgen als Symbol genutzt eines Abwehrwillens, eines Kampfwillens, sich nicht zu ergeben, Wiederaufbauten symbolisierten das Wiederauferstehen des neuen Deutschlands. In neuem Glanz, in neuer Wehrhaftigkeit."
    Eine imaginierte Erinnerungslandschaft, nennt es Fabian Link, die nach 1945 mehr oder weniger bruchlos weitergeführt wurde, indem man sie einfach semantisch umfunktionierte und die NS-Ideologie aus der Erinnerung tilgte: der Fluss, das alte Gemäuer, der Wein, das Mittelalter - wunderschöne Requisiten für ein neues Kapitel Rheinromantik.
    Die Requisiten haben sich bis heute nicht geändert. Und sie funktionieren, jedenfalls auf Burg Stahleck, auf Höhe Flusskilometer 543 gelegen, genau in der Mitte des Welterbegebiets, in Bacharach. Begonnen wurde der Bau irgendwann Ende des 11. Jahrhunderts, jahrhundertelang regierten hier die Wittelsbacher, es folgte Belagerung auf Eroberung, bis zur nächsten Belagerung und Zerstörung. 1815 mussten die Franzosen die nunmehrige Burgruine, die so lange als Zollburg und als Lagerplatz für die Weine aus Bacharach diente, nach den Bestimmungen des Wiener Kongresses an Preußen abtreten. Seit 1925 ist Burg Stahleck als Jugendherberge hergerichtet, eine der ältesten Deutschlands. 168 Betten, 46.000 Übernachtungen. Von der Burgterrasse aus kann der Blick kilometerlang den Rhein entlang schweifen, bis zur nächsten Flussbiegung. Der Steinbruch ist weit weg, der Verkehr nur ein fernes Rauschen. Und es ist leicht zu verstehen, weshalb spontane Besucher schon viel Glück haben müssen, um hier noch ein Zimmer zu bekommen.