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Mittelschicht in Bedrängnis

Eine Frau metzelt im Medikamentenrausch ihren Mann, einen gerade aus der Haft entlassenen Börsenmakler, nieder. Mit bissigem Unterton suggeriert Soderberghs Film, dass im Kontext von Leistungsstress und Selbstoptimierung Drogenkonsum längst üblich geworden ist.

Von Rüdiger Suchsland |
    Eine lange, ruhige Kamerafahrt, deren Fokus sich auf ein einzelnes Fenster eines mehrstöckigen Gebäudes verengt, erinnert zu Beginn des Films an die Paranoiathriller der 70er-Jahre, und auch ein wenig an Hitchcock. Aber das New Yorker Stadtviertel, das man sieht, wirkt seltsam unglamourös für einen Hollywood-Film, und auch die Musik ist viel spärlicher eingesetzt, als man es aus dem Kino Amerikas sonst gewohnt ist. Ein rein funktionaler Anfang. Von seiner allerersten Einstellung an hat "Side Effects" die Anmutung eines Independent-Films, der sich an klassischem Kino-Handwerk orientiert.

    Die Handlung kreist um Emily, eine junge Frau, die sich rasch als Nervenbündel entpuppt. Ihr Mann, ein Börsenmakler, kommt nach ein paar Jahren Haft wegen Insiderhandels wieder frei - und sie nicht mit der neuen Situation zurecht: Emily, gespielt von Hollywoods Shootingstar Rooney Mara, hat eine Vergangenheit aus Therapeutenbesuchen, Medikamentenmissbrauch und Depressionen - und diese Vergangenheit kommt nun mit Macht zurück.

    Nächtliche Schlafwandeleien, viel zu viele Pillen in immer neuen Rezepturen und Kombinationen, ein gut aussehender Nervendoktor und ein Selbstmordversuch im Auto sind die Zwischenstationen auf einem Weg, der nach einer guten halben Filmstunde damit endet, dass Emily ihren sich gerade im Wall-Street-Milieu resozialisierenden Göttergatten im Medikamentenrausch mit dem Küchenmesser niedermetzelt und sich dann erst mal schlafen legt. Am nächsten Morgen ruft sie dann schockiert die Polizei und kann sich ansonsten an nichts erinnern. Die Ermittler haben ihre Zweifel...

    Jetzt kommt ihr Psychiater ins Spiel. Er heißt Jonathan Banks und versucht zu beweisen, dass sie nicht wusste, was sie tat. Die Polizei sucht einen neuen Sündenbock und konzentriert sich von nun an auf Banks' ärztliches Fehlverhalten. Ein Nebenwirkung ganz eigener Art.

    Soweit die Ausgangsposition von Steven Soderbergh angeblich letztem Film - es könnte schlechter aussehen, wenn es mit dem Kino zu Ende geht.

    Doch nach 26 Filmen in den vergangenen 24 Jahren insistiert dieser variantenreichste unter Amerikas Autorenfilmern, "Side Effects" werde sein letztes Kinowerk sein auf absehbare Zeit. Vielleicht nicht das Ende, aber "eine Pause", nicht von der Regie überhaupt, aber vom Kino. In das Soderbergh allerdings schon in zwei Monaten zurückkehrt: In Cannes läuft im Wettbewerb der Filmfestspiele seine fürs Fernsehen entstandene Arbeit über den schwulen Las-Vegas-Star Liberace - gespielt von Michael Douglas.

    Soderbergs jetzt angekündigte Abschiedsvorstellung erinnert schon darin ans klassische Studiokino, als dass er klar und effektiv inszeniert ist, alles Überflüssige und Ornamentale abgestreift hat.

    Nachdem er wie eine Slasher-Version von "Desperate Housewives" begann, bietet der Mittelteil nun das sarkastische Porträt einer medikamentensüchtigen amerikanischen Mittelstandsgesellschaft, in der in erster Linie frustrierte Ehefrauen, depressive Geliebte und Burnout geplagte Karriereweiber mit ganzen Paletten von Pillen jonglieren, inklusive der jeweiligen Wirkungsverstärker, Verträglichkeitshelfer und Antidota.

    Und die Ärzte verdienen als Interessenvertreter der Pharmafirmen dazu. Im gegenwärtigen spätkapitalistischen Kontext aus Leistungsstress, Effizienzdenken und Selbstoptimierung haben Drogen, so suggeriert zumindest der Film mit bissigem Unterton, ihre feste soziale Funktion, ihr Konsum sei längst zum Standardverhalten der Moderne geworden: "Sie verändern einen nicht. Sie machen es nur leichter, man selbst zu sein." heißt es einmal über die beliebtesten Mittel.

    Im letzten Drittel rückt dann der von Jude Law gespielte Psychiater ganz in den Vordergrund. Während er noch nicht versteht, was ihm geschieht, wird er zum Spielball fremder Kräfte, entgleitet ihm allmählich sein Leben - ein kafkaeskes Netz, das er zerreißen muss, um sich auch innerlich zu befreien. So wird diese Story zu einem Psychothriller, der gar nicht mehr vage an Hitchcock erinnert, ein Drama um Schuld und um deren Übertragung von einer Figur auf eine andere. Und um Manipulation.

    Man kann in "Side Effects" eine Blaupause erkennen für eine Moderne, die sich aus Voyeurismus und Lüge, aus Schaulust, Wahrheitsscheu und Selbstmanipulation zusammensetzt.

    Wie schon in seinen amoralischen "Ocean's"-Filmen, wie in dem Wunschmaschinen-Melo "Solaris", in dem einfach zu entspannten neoliberalen "The Informant" oder auch seinem romantischsten Film "Out of Sight" verdampft das moraltrunkene Wahrheitspathos, das andere Filme dominiert. Einmal mehr gelingt es Soderbergh, viele Dinge anders zu machen als seine Kollegen, und durch seinen selbstbewussten, originellen und sehr freien Umgang mit Erzähl- und Genreregeln sein Publikum zu verblüffen.