Jeanette und Thomas sind Opernsänger von Beruf, das Paar ein eingespieltes Team. Sie singt Sopran, er ist Bariton und gemeinsam touren sie mit ihrer kleinen Kammeroper durch die ganze Welt. Vor drei Jahren haben sie begonnen, sich ein weiteres Standbein aufzubauen. In einem alten Bauernhaus in Meißen, das sie von Grund auf sanieren müssen, betreiben sie seit Kurzem ein Hofcafé und einen kleinen Laden für Wein, Olivenöl und Spezialitäten. In der benachbarten alten Scheune richten sie ein Hoftheater ein:
"Wir wollen im Prinzip ein kleines Theater schaffen. Wir wollen das Umfeld dazu schaffen, in Form von Gastronomie, dass man es auch wirtschaftlich absichern kann, ohne dass man auf Subventionen oder zu lang auf den Staat angewiesen ist, die man sowieso nicht bekommt."
Einladend präsentiert sich der ehemalige Kuhstall, mit liebevoll saniertem Gewölbe und schönen Sandsteinsäulen, langen Holztischen und hellen Ikea-Korbstühlen. Die Künstler mussten beim Ausbau des Stalls selber Hand mit anlegen, um die Kosten zu dämpfen. Auf die Frage, ob sie sich zur Mittelschicht zählen, stutzen sie einen kurzen Moment:
"Ich würde sagen: Nein!" - "Warum?" - "Weil wir schwankende Einkünfte haben aufgrund dessen, dass wir freiberuflich sind. Wir sind seit 1989 künstlerisch tätig, erst fest angestellt und seit 1996 freiberuflich tätig, haben auch ein eigenes Tourneetheater aufgebaut und sind jetzt dabei, eben um uns auch für später abzusichern, noch einmal ein neues Unternehmen aufzubauen, eben weil man nicht sicher sein kann, dass ich mit der Kultur meine Altersversorgung absichern kann."
Keine Definition, was Mittelschicht tatsächlich ist
Was und wer gehört zur Mittelschicht in Deutschland? Diese Frage lässt sich gar nicht so einfach beantworten, denn es gibt keine einheitliche Definition. Und die Meinungen gehen weit auseinander. Es gibt allerdings verschiedene Ansätze, um Gesellschaftsschichten voneinander abzugrenzen: "Als wir angefangen haben, uns mit der Thematik der Entwicklung der Mittelschicht in Deutschland auseinanderzusetzen, sind wir auf das Problem gestoßen, dass wir schlicht und einfach keine allgemein verbindliche Definition, was Mittelschicht tatsächlich ist, oder wie sie sich abgrenzt oder konstituiert, schlicht und einfach nicht gefunden haben", sagt Markus Grabka vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin, der als Ökonom die Mittelschicht erforscht.
Vorbei die Zeiten, als die Grenze zwischen Unter- und Mittelschicht an der sogenannten "Kragenlinie" verlief. Unterschieden wurde dazumal zwischen dem körperlich tätigen Arbeiter und den, meist besser bezahlten Angestellten, die ihrer Arbeit im Büro in Schlips und Kragen nachgingen. Noch heute findet sich diese Klassifizierung im Englischen wieder, in der Unterscheidung zwischen Blue- und White-Collar-Jobs.
Unterschied zwischen Arbeitern und Angestellten wurde abgeschafft
In Deutschland wurde diese klassische Trennung im Jahr 2003 aufgehoben, als die IG Metall und der Arbeitgeberverband Gesamtmetall ein Entgelt-Rahmenabkommen, ERA genannt, für alle Beschäftigten abschlossen. In der Deutschen Rentenversicherung wurde der Unterschied zwischen Arbeitern und Angestellten übrigens erst zwei Jahre später, nämlich 2005 abgeschafft. Seitdem haben Wissenschaftler ein Problem. Der Leipziger Soziologe Holger Lengfeld: "Das ist eben anders als in der Physik. Da weiß man, was ein Meter ist, und das ist exakt definiert, in den Sozialwissenschaften ist das nicht der Fall. Also wer ist oben, wer ist unten, damit variieren die Lebenschancen, das bedeutet, das erwartbare Maß an materiellem Wohlstand, an Sicherheit, an materieller Sicherheit, an Wohlbefinden und an Ansehen der Person, wie auch an gesellschaftlichem Einfluss. Und die Frage dabei ist sozusagen, was sind die wichtigsten Gründe wo jemand in dieser Hierarchie, in dieser Schichtung letztlich landet in seinem Leben."
Heute ziehen Sozialwissenschaftler vor allem Bildung und Qualifikation heran, um den wirtschaftlichen Status zu bestimmen. Danach gilt ein Berufsabschluss als Mindestanforderung für die Zugehörigkeit zur Mittelschicht. Diskutiert wird, ob das mittelfristig noch ausreichend ist oder ob Abitur und Studium erforderlich sein werden, um zur Mittelschicht gerechnet zu werden.
Ökonomen hingegen richten sich in der Frage, wie gesellschaftliche Schichten unterschieden werden können, nach dem Haushaltseinkommen. Das Einkommen ist für sie das zentrale Status-Merkmal, in dem sich viele soziologische Kriterien widerspiegeln. Hier gilt: Je höher die Bildung, desto höher ist im Normalfall auch das Einkommen. Folgt man diesem Ansatz, der das durchschnittliche Einkommen, das sogenannte Medianeinkommen als Messlatte anlegt, so gilt ein Einpersonenhaushalt mit einem Einkommen zwischen 1.300 und 2.460 Euro netto als klassische Mitte. Ein Paar ohne Kinder zählt bereits ab 2.000 Euro netto dazu, während eine Familie mit zwei kleinen Kindern 2. 750 Euro netto benötigt, um sich gleichfalls zur klassischen Mittelschicht zählen zu dürfen.
Mittelschicht als stabilisierender Faktor
Ungeachtet der unterschiedlichen Definitionen und Kategorien - Soziologen, Politologen und Wirtschaftswissenschaftler sind sich einig, dass die Mittelschicht eine tragende Funktion in der bundesdeutschen Gesellschaft einnimmt. Auch Markus Grabka vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung ist dieser Ansicht: "Die Mittelschicht in Deutschland bildet die stabilisierende Kraft der gesamten Gesellschaft und vor allem bildet sie den Anker zwischen den unteren Schichten und der Oberschicht in Deutschland."
Grabka ist Mitautor einer Mittelschichtsstudie, die im Frühjahr dieses Jahres für Aufsehen sorgte. Die Untersuchung, die die Mittelschicht ganz pragmatisch anhand der Einkommenshöhe definierte, kam zu dem Schluss, dass die Mittelschicht in Deutschland erkennbar schrumpfe.
"Und zwar hatte der Anteil der Einkommensmittelschicht noch in den 80er-Jahren noch einen Anteil von etwa 65 Prozent, nach der Wiedervereinigung ist das ein klein wenig zurückgegangen, weil die Einkommensniveaus verständlicherweise in Ostdeutschland niedriger waren, aber bereits in den Jahren etwa 1996/1997 hatte sich das wieder auf das gleiche Niveau, also etwa 65 Prozent stabilisiert.
Und seitdem beobachten wir in Deutschland einen relativ starken Rückgang der Einkommensmittelschicht, aktuell mit unseren letzten verfügbaren Zahlen ist dieser Anteil der Mittelschicht nur auf etwa 56 Prozent gesunken."
Faktoren für das Schrumpfen der Mittelschicht
Die Erkenntnis des Berliner Wirtschaftswissenschaftlers Grabka deckt sich mit den Ergebnissen einer großen Studie der Bertelsmann-Stiftung aus dem Jahr 2012. Auch sie kam zu dem Schluss, dass der Anteil der Mittelschicht an der Gesamtbevölkerung seit 1997 um 5,5 Millionen Menschen abgenommen hat. In Prozenten ausgedrückt sank der Anteil der Mittelschicht bis 2012 von 65 auf 58 Prozent. Das sind 7 Prozent weniger. Zugleich wuchs der Anteil der Menschen in den unteren und untersten Einkommensschichten um knapp vier Millionen Menschen. Der Ökonom Markus Grabka nennt zwei Hauptfaktoren:
"Ich sehe als maßgebliche Faktoren für das Schrumpfen der Mittelschicht in Deutschland die Veränderung am Arbeitsmarkt. Und zwar in der Art und Weise, dass eben sehr hoch qualifizierte Beschäftigungsgruppen verstärkt entsprechend nachgefragt werden in der Wirtschaft, währenddessen Geringqualifizierte zunehmend Probleme haben, entsprechend Ihre Arbeitskraft am Arbeitsmarkt zu verkaufen, was sich in entsprechend geringerer Entlohnung für diese Gruppen auswirkt. Und zum zweiten ist es schlicht und einfach auch der Wandel hin zu einer Dienstleistungsgesellschaft und Dienstleistungsberufe an Bedeutung gewinnen. Dese werden aber vor allem im Vergleich zu Tätigkeiten im Industriesektor typischerweise geringer entlohnt."
Wachsende Unsicherheit
Seit Ende der 90er-Jahren verzeichnen Ökonomen des Berliner Forschungsinstituts eine Zunahme der Einkommensungleichheit sowie eine Verschlechterung der Aufstiegsmöglichkeiten in Deutschland. In Folge dessen sei die Einkommensmittelschicht tatsächlich geschrumpft, sagt Grabka. Der Befund ist umstritten. Das Arbeitgebernahe Institut der Deutschen Wirtschaft beispielsweise widerspricht: die Mittelschicht sei in etwa so groß wie nach der Wiedervereinigung. Doch vielleicht hängt die unterschiedliche Einschätzung auch damit zusammen, dass es so viele unterschiedliche Definitionen von Mittelschicht gibt. Sicher ist: Die Angst des Mittelstands vor dem Abstieg ist gewachsen. Das spürt auch der Opernsänger aus Meißen:
"Es ist anders geworden, die Unsicherheit ist einfach da. Man weiß nicht, wo geht es hin, kann ich in den nächsten 10, 15 Jahren noch das Gleiche machen, wie bisher? Das ist eigentlich so der Knackpunkt und was passiert, wenn ich dann meinen Job nicht mehr ausüben kann? Was wird dann mit mir? Dann bin ich 15 Jahre älter geworden. Kriege ich dann noch eine Anstellung, krieg ich keine mehr? Oder gehöre ich dann zum großen Heer der Arbeitslosen, ja und werde Nutznießer der Sozialsysteme?"
Laut einer Studie der Bertelsmann-Stiftung machte sich bereits 2012 jeder Vierte latente Sorgen, seinen Status zu verlieren. Das waren deutlich mehr, als noch zur Jahrtausendwende. Einen Grund für diese Entwicklung sehen die Forscher darin, dass immer weniger Menschen der Aufstieg aus den unteren Einkommen in die Mittelschicht gelingt. Und selbst eine gute Ausbildung sei heutzutage kein Garant mehr für ein Leben in gesichertem Wohlstand, sagt die Sopranistin Jeanette mit Blick auf den beruflichen Werdegang ihrer ältesten Tochter: "Unsere große Tochter hat Lehramt studiert und hat während der Zeit ihres Studiums zwei Kinder geboren. Und auf Grund der zwei Kinder bekommt sie keine Festanstellung als Lehrerin, obwohl sie einen sehr, sehr guten Abschluss gemacht hat."
Im Dienstleistungssektor ist der Anstieg der Sorgen am stärksten
Die Berufswelt hat sich gravierend verändert, das schafft Unsicherheiten auch und gerade in der Mittelschicht, wie der Leipziger Soziologe, Prof. Holger Lengfeld konstatiert: "Und hier können wir, gemessen an der Vorstellung, dass der Arbeitsplatz und damit der Arbeitsmarkt das zentrale Feld der Lebenschancen ist, können wir feststellen, dass in Westdeutschland schon seit Mitte der 80er-Jahre, für Gesamtdeutschland seit Anfang der 90er-Jahre alle Schichten sich zunehmend vor Arbeitsplatzverlust sorgen, bis etwa 2005. Und interessanterweise ist die sogenannte "mittlere Mitte", also die gut qualifizierten, angestellt im Dienstleistungssektor, im Versicherungs- und Bankenwesen und Pflegeberufen oder in sozialen Dienstleistungen, dort ist der Anstieg der Sorge am stärksten von allen Schichten, auch stärker als in den unteren Schichten."
Zeitarbeit statt Festanstellung
Die Unsicherheit rührt unter anderem aus den Folgen der Globalisierung und der umfassenden Digitalisierung für den Arbeitsmarkt. So sind befristete Arbeitsverhältnisse längst die Norm und nicht mehr die Ausnahme. Manche Arbeitsverträge selbst im Wissenschaftsbereich haben im Extremfall eine Laufzeit von nur einem Monat. Projektarbeit ist weit verbreitet, nicht immer wird diese auch gut bezahlt. Die Arbeitsmärkte sind flexibler und durchlässiger geworden, es gibt Zeitarbeit und Minijobs. Für viele sind die Rentenbeiträge sehr hoch, gleichzeitig müssen jüngere Arbeitnehmer später mit niedrigeren Rentenzahlungen rechnen. Langfristige Lebensplanung wird schwierig unter solchen Bedingungen. Für die Mitte der Gesellschaft bedeutet das Stress, wie der Leipziger Mittelschichtsforscher Prof. Holger Lengfeld ausführt. Die unteren beruflichen Schichten seien im Umgang mit den Unwägbarkeiten der neuen Arbeitswelt fitter, wenngleich sie sich statistisch die größten Sorgen um ihre Arbeitsplätze machen.
"In dem Lebensentwurf dieser Menschen ist die Tatsache, dass man auch mal arbeitslos wird und zur Arbeitsagentur geht und Hartz IV bezieht kein Stigma. Es ist unangenehm, niemand will das, aber es gehört zum Lebenslauf dazu. Anders ist es mit Angehörigen der Mitte, die nach unten absteigen. Dort ist man gewissermaßen hilflos, man hat keine Mittel damit umzugehen, auch das soziale Umfeld wird anders reagieren. Für diese Personen, für die wahren Absteiger aus der Mitte, sind diese Arbeitslosigkeitserfahrungen tatsächlich ein Problem."
Dank der guten Konjunktur in den letzten Jahren habe in Deutschland die Sorge der mittleren Mitte wieder abgenommen, dass man das aktuelle Niveau des Lebensstandards nicht mehr halten kann, erklärt der Berliner Wirtschaftswissenschaftler Markus Grabka: "Beobachten wir überraschenderweise in den letzten Jahren: die historisch geringsten Sorgen und höchsten Zufriedenheitswerte. Aber allgemein erkennt man aber trotzdem auch aus anderen Surveys, dass die Verunsicherung trotz alledem zugenommen hat, man muss nur auf eine andere Art und Weise die Menschen befragen. Wenn man zum Beispiel die Wahrnehmung im Hinblick auf die zunehmende Einkommensungleichheit erfragt, so ist erkennbar, dass wir trotz alledem einen Höchststand von Beunruhigung im Hinblick auf Einkommensungleichheit beobachten und auch die Wahrnehmung, dass dies als gesellschaftliches Problem an Bedeutung gewonnen hat."
Latente Unzufriedenheit
Der Soziologe Heinz Bude spricht von einem "Unbehagen" der bürgerlichen Mitte. Ein Unbehagen, das sich auch im Wahlverhalten widerspiegelt. So lässt sich seit einigen Jahren beobachten, dass die Mittelschicht sich zunehmend von den klassischen Parteien und auch vom System der repräsentativen Demokratie abwendet. Viele würden sich finanziell und steuerlich einseitig belastet fühlen oder von der Politik nicht mehr respektiert, sogar im Stich gelassen. Infolge dieser latenten Unzufriedenheit wenden sie sich neuen Protestbewegungen und alternativen Parteien zu, zeigen sich anfällig für populistische Parolen der islam- und fremdenfeindlichen PEGIDA oder der Euro-kritischen, nationalistischen "Alternative für Deutschland" - AFD.
Für die in der DDR aufgewachsene Dresdner Buchhändlerin Susanne Dagen kommt diese Entwicklung nicht überraschend. Sie beobachte sowohl eine politische als auch wirtschaftliche und moralische Verunsicherung in ihrem Umfeld. Eine Ursache dafür sei auch der politische Umgang mit der Flüchtlingsfrage, der bei vielen Bürgern eine gewisse Ohnmacht ausgelöst habe, meint Dagen: "Ich betrachte das gesellschaftliche Klima eigentlich als eines, was mich sehr – und da stehe ich ganz gewiss nicht alleine da – an eine ausgehende DDR-Zeit erinnert, und zwar an die DDR 1987.
1987 ist eine totale Depression gewesen, eine Situation wo man, glaube ich, nicht wirklich daran gedacht hat und auch nicht damit gerechnet hat, dass sich diese Situation mal verändert. Ob das jetzt meinungspolitisch ist, ob das einen freiheitlichen Hintergrund hat, ob das natürlich auch einen wirtschaftlichen Hintergrund hat, das muss jeder für sich selbst entscheiden, aber ich empfinde die Situation auch aus der Maßgabe heraus, worüber ich mit meinen Kunden spreche, als eine sehr Bedeutende."
Unsicherheit wegen der Zukunftsaussichten
Seit 1995 führt Susanne Dagen gemeinsam mit ihrem aus Köln stammenden Lebensgefährten Michael Bormann das Loschwitzer Buchhaus. Das kleine alte Haus, liegt in unmittelbarer Nähe zum berühmten "Blauen Wunder", der großen geschwungenen blauen Eisenbrücke über die Elbe. Das Sortiment in Ihrem kleinen Laden mit rund 50 Quadratmetern umfasst gut 8.000 Bücher, ausgewählte Literatur. Die Inhaber kennen ihre Kunden und empfehlen passgenau. Sie führen ihr Geschäft und das benachbarte Kulturhaus wie ein kleines Familienunternehmen. Angestellte haben sie keine, die beiden halbwüchsigen Töchter helfen ab und an im Laden mit und bei Veranstaltungen. Wirtschaftlich sei es schwieriger geworden, sagt Michael Bormann, das liege nicht zuletzt daran, dass vor allem junge Menschen weniger Bücher lesen und vieles direkt im Netz konsumieren würden.
Die Verunsicherung der Menschen in der Mittelschicht kann er durchaus nachvollziehen, wenngleich er sich mit seinem kleinen Familienunternehmen selbst nicht zur Mittelschicht dazurechnen möchte: "Wenn man sich überlegt, welche Aufbauarbeit hier seit 1989 geleistet worden ist und noch zu leisten ist, das sind ja dann, hier nun spätestens nebenan im Kulturhaus sagen wir mal ein Kredit, der uns 20 Jahre beschäftigen wird, das heißt nicht, dass man 20 Jahre Stagnation möchte, aber man braucht eine gewisse Planungssicherheit, man möchte zumindest von den äußeren Rahmenbedingungen so wenig irgendwie erdrutschartige Bewegungen haben, sodass man das Gefühl hat, die ganzen Rechnungen können so nicht mehr aufgehen, weil irgendwie andere Sachen dazu kommen oder Belastungen dazukommen, die man bisher nicht auf dem Schirm hatte und die dann einfach aber auch wirtschaftliche und zeitliche Kräfte übersteigen."
Die Zahl der Unzufriedenen wächst
Was passiert, wenn sich ein Teil der Mittelschicht, die eine tragende Säule unserer Gesellschaft ist, überfordert oder gar allein gelassen fühlt? Der Leipziger Soziologe Holger Lengfeld sagt, wenn die Mitte schrumpft, wächst die Zahl der Unzufriedenen, die sich an den Rand gedrängt fühlen. Einige ziehen sich zurück, werden apathisch, wählen nicht mehr. Die anderen suchen sich ein Ventil: Rechts- und linkspopulistische Parteien erhalten mehr Zuspruch, auch von enttäuschten Mittelschichtswählern.
"Die Pegida-Bewegung hat reagiert und tut es nach wie vor - auf die Ablehnung des Multi-Kulturalismus. Und die Pegida-Bewegung hat sehr viel Zulauf natürlich erhalten durch die Flüchtlingskrise und das Krisenmanagement der deutschen Regierung spielt dabei eine Rolle."
Droht hier Gefahr für unser freiheitlich-demokratisches System? Frage an den Berliner Ökonomen Markus Grabka. Bröckelt die Mitte?
"Warum die Schwächung der Mittelschicht in Deutschland ein Problem darstellen kann ist vor allen Dingen, dass das bisher gerade in Deutschland geltende Leistungsversprechen, dass sich nämlich Leistung lohnt und entsprechend sich die Menschen, wenn sie sich ausreichend einsetzen, auch die entsprechenden Früchte davon profitieren könne, dass dieses in Deutschland in zunehmendem Maße nicht mehr so gilt. Sondern die Gefahr besteht, dass gerade Personen verstärkt aus der Mittelschicht abrutschen und aus dieser Einkommensposition häufig nicht mehr herauskommen."