"Der Ministerpräsident und der Chef der Opposition treffen sich am Abend, um die Krise zu lösen und um Neuwahlen zu vermeiden." Seit Tagen ist die Regierungskrise in Dublin Aufmacher im irischen Fernsehen. Die stellvertretende Ministerpräsidentin Francis Fitzgerald soll, als sie noch Justizministerin war, davon gewusst haben, dass die Spitze der irischen Polizei einen Whistleblower diskreditieren wollte. Der einfache Polizeibeamte hatte vor über zehn Jahren gemeldet, dass seine Vorgesetzten die Verkehrssünder-Datei manipulierten und Verwandten die Strafpunkte strichen.
Neuwahlen kämen zur Unzeit
Wegen dieser Polizeiaffäre sind schon mehrere Top-Beamte und Politiker zurückgetreten. Selbst der Erzbischof von Dublin, Diarmuid Martin, schaltet sich ein und warnt vor Neuwahlen. "Darunter würden die Menschen leiden. Unsere Gesellschaft würde noch mehr polarisiert. Hinterher müssen Sie ja doch eine Regierung bilden. Das kann man auch jetzt tun."
Die Regierung von Leo Varadkar, der vor einem halben Jahr Enda Kenny als Regierungschef ablöste, verfügt von Beginn an im Parlament über keine eigene Mehrheit. Sie wird von der größten Oppositionspartei Fianna Fail toleriert. Deren Antrag, die Stellvertreterin Varadkars solle zurücktreten, wird als Ende der Tolerierung verstanden.
Varadkar und Oppositionschef Micheal Martin ringen jetzt um eine Lösung. Denn Neuwahlen, die praktisch zeitgleich mit dem für die Republik Irland so eminent wichtigen EU-Gipfel am 14. und 15. Dezember zusammenfallen, kämen absolut zur Unzeit.
Das Karfreitags-Abkommen und der Brexit
Noch ein Erzbischof meldet sich zu Wort, Justin Welby aus Canterbury, der ranghöchste Bischof der englischen Kirche. "Es ist im Kern eine Frage der Identität. Irland, Nordirland - Unionisten und Nationalisten. Es geht um das Karfreitags-Abkommen."
Das Abkommen beendete 1998 die Troubles, die blutigen Unruhen in Nordirland. Mit dem Brexit droht jetzt die Gefahr, dass die Grenze zwischen Nordirland und der Republik Irland zur Außengrenze der EU wird. Ein schwerer Schlag für die Menschen jenseits und diesseits dieser Grenze.
Die irische Regierung droht, darüber beim EU-Gipfel Mitte Dezember ein Veto einzulegen. Sie schlägt vor, dass Nordirland dann eben in der EU-Zollunion bleiben soll. Die Chefin der nordirischen DUP, Arlene Foster, von deren Tolerierung wiederum Theresa May in London abhängig ist, lehnt das kategorisch ab. "Dann gäbe es eine Grenze in der Irischen See zwischen Nordirland und Großbritannien. Ich wäre verrückt, wenn ich das nicht aufzuhalten versuche."
Wer setzt sich durch – Dublin oder London?
Auch die britische Regierung in London lehnt den irischen Vorschlag ab, dass nur Großbritannien, nicht aber Nordirland die Zollunion verlässt. "Wir können keine abschließende Antwort auf die Frage finden, wie die Grenze aussehen wird," erklärte gestern Handelsminister Liam Fox: "Wenn wir nicht wissen, wie am Ende das Verhältnis von uns zur EU aussehen wird. Die EU lehnt das ab, aber der Zeitpunkt bis zu unserem Austritt rückt immer näher."
Die EU pocht darauf, dass es unter anderem ausreichende Fortschritte in der Nordirland-Frage geben soll, bevor grünes Licht für Phase Zwei der Verhandlungen gegeben wird. London will jetzt eine Schlussrechnung in Höhe von kolportiert 40 Milliarden Euro begleichen, aber der Streit mit Dublin steht jetzt im Vordergrund. Wer setzt sich durch - Dublin oder London?
"Ich habe gehört, was Handelsminister Liam Fox gesagt hat", zeigt sich die irische Europaabgeordnete Mairead McGuinness alarmiert. "Er will das Problem der Grenze zurückstellen. Ich hoffe, dass London uns hier nicht als Geiseln nehmen will. Dafür ist das viel zu ernst."