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Mitwachsende Herzklappen

Patienten mit Herzfehler erhalten bisher mechanische Herzklappen oder Herzklappen von Organspendern. Jetzt gibt es neuartige Herzklappen, die mitwachsen und auch sonst deutlich weniger Probleme bereiten.

Von Michael Engel |
    "Heute geht's mir gut. Ich hab' keinerlei Beschwerden. Ich bin berufstätig, kann Sport machen. Eigentlich, mir geht's gut."

    2010 bekam Marion Schlieske aus Burgwedel eine mitwachsende Herzklappe - als eine der ersten Patienten weltweit. Die Vorteile dieser besonderen Herzklappe haben sie überzeugt:

    "Ich hatte ja nun drei Möglichkeiten. Die mechanische Herzklappe hat ja nun den Nachteil, dass man dann Macumar einnehmen muss, also zeitlebens Blutverdünnungsmittel. Die biologische Herzklappe hält nicht ewig. Zwischen zwei und 15 Jahren. Oder halt diese Tissue-Engineerte mit der Hoffnung, dass sie zeitlebens belassen werden kann."

    Die 51-Jährige entschloss sich für's Tissue Engineering. Für eine Herzklappe, die aus einem gespendeten Organ gewonnen wird, um sie dann in besonderer Weise aufzubereiten.

    Mehrere Tage lang werden die isolierten, menschlichen Herzklappen eines Organspenders bei "Corlife" in Hannover in einer Flüssigkeit geschüttelt. Bei diesem Waschvorgang – so Dr. Michael Hader – werden alle Zellen entfernt:

    "Danach – nachdem man das gemacht hat - muss man immer und immer wieder mit Wasser nachspülen oder auch mit physiologischer Kochsalzlösung, sodass man die Reste entfernt. Deswegen werden die Gefäße in einen Schüttler gestellt, der das dann gewährleistet und der auch die entsprechende Temperatur halten kann."

    Nach der Prozedur bleibt eine weißliche Struktur aus Kollagen übrig, die von der Form her der ursprünglichen Herzklappe sehr ähnlich ist. Kollagen besteht aus Proteinfasern, ist sehr elastisch und auch ohne Zellen von Anfang an funktionsfähig. Diese dezellularisierten Herzklappen kommen – steril verpackt – in die Medizinische Hochschule Hannover. Dort werden sie von Dr. Samir Sarikouch implantiert:

    "Nachdem das Herz an die Herz-Lungenmaschine angeschlossen worden ist, wird es zum Stillstand gebracht. Und der Herzchirurg eröffnet das Herz und nimmt in dem Fall den Ersatz der Lungenschlagaderkappe vor. Und dann wird die Neue an der gleichen Stelle implantiert, durch Nähte wieder mit der Kammer verbunden und mit der Lungenschlagader verbunden."

    47 Patienten – vor allem Kinder, teilweise aber auch Erwachsene - wurden an der Medizinischen Hochschule Hannover mit den speziellen Herzklappen versorgt. Die Klappen wachsen mit, was besonders bei kleinen Patienten von Vorteil ist. Außerdem machen sie keine Geräusche wie mechanische Klappen. Und sie werden offenbar auch nicht abgestoßen, wie das mit Klappen passiert, bei denen das Spendergewebe nicht entfernt wurde.

    "Sie sind auch hinsichtlich ihrer mechanischen Eigenschaften überlegen. Das heißt, sie weisen keine "Engen" auf. Und sie weisen keine Undichtigkeiten auf, während die anderen Klappen schon eben nach relativ kurzer Zeit eben diese Zeichen zeigen."

    Seit drei Jahren verwenden Hannoversche Mediziner die dezellularisierten Herzklappen. Der jüngste Patient war gerade mal sechs Wochen alt – mit einem Herzklappendurchmesser von nur zehn Millimetern. Erwachsene haben die dreifache Größe. Da die neuartigen Klappen mitwachsen, bleiben den Patienten viele Folgeoperationen erspart.

    Samir Sarikouch: "Nachdem, was wir jetzt wissen, scheint es so zu sein, dass die Klappen mitwachsen. Das muss aber natürlich an einer großen Zahl an Patienten wirklich bestätigt werden. Und das ist eben Ziel dieser Untersuchung an mehreren Hundert Patienten, das Wachstumspotenzial dieser Klappen zu überprüfen. Wir haben erst Erfahrungen von wenigen Jahren damit. Sie sind besser, als alle anderen, die wir haben. Und deswegen schauen wir optimistisch in die Zukunft und überprüfen die Ergebnisse."

    Noch in diesem Sommer beginnt eine europäische Studie mit 200 Patienten, um die Langzeitverhalten der neuartigen Herzklappen zu erkunden. Neben Hannover als einziger deutsche Klinik sind auch Leiden, London, Padua, Paris und Zürich beteiligt.