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Mobbing digital

Mit den sozialen Medien haben auch die sozialen Konflikte ihren Siegeszug im Internet angetreten. Mobbing, Rufmord, üble Nachrede betreffen Firmen und Unternehmen, aber auch Privatpersonen und vor allem Jugendliche. Der Autor und Reputationsmanager Christian Scherg nennt Gegenmaßnahmen.

Christian Scherg im Gespräch mit Christoph Heinemann |
    Christoph Heinemann: Jeder dritte Schüler wird im Netz gemobbt. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie der Techniker-Krankenkasse in Nordrhein-Westfalen. Genauer: 36 Prozent der Jugendlichen und jungen Erwachsenen zwischen 14 und 20 Jahren werden Opfer übler Nachrede im Internet. Und es ist kein Zufall, dass eine Krankenkasse diese Zahlen veröffentlicht, denn viele der Geschädigten müssen anschließend medizinisch oder psychologisch behandelt werden.
    Als besondere Dreckschleuder gilt unter Jugendlichen die Internet-Plattform iShareGossip.

    O-Töne Jugendliche: "Auf iShareGossip wird jeder als Hure bezeichnet. Auch wenn man denjenigen nicht kennt, werden da meistens - also nur um seine Aggressionen los zu werden, schreiben da die anderen Beleidigungen rein." - "Ich finde es echt schade, dass Leute aus der Schule die eigenen Freunde betrügen und Lügen weitererzählen. Das finde ich echt Scheiße." - "Das ist ein bisschen doof, dass es anonym gezeigt wird, und man kann auch nichts dagegen unternehmen so wirklich." - "Also dadurch gehen sehr viele Freundschaften kaputt!"

    Heinemann: Dass die digitale keine bessere Welt ist, das hat sich inzwischen herumgesprochen. Kommunikation per Mausklick funktioniert im Guten wie im Schlechten, und das spüren auch Unternehmen. "Während es Jahrzehnte dauern kann, eine positive Reputation aufzubauen, braucht es im Internet nur wenige Momente, sie zu zerstören." Dieser Satz stammt aus einer Pressemitteilung des Berliner Ambition-Verlages, der damit für ein Buch wirbt, das in diesen Tagen erschienen ist: "Rufmord im Internet", Untertitel: "So können sich Firmen, Institutionen und Privatpersonen wehren". Autor ist Christian Scherg, der einem Beruf nachgeht, den er uns jetzt gleich erklären wird. Zunächst einmal guten Morgen!

    Christian Scherg: Guten Morgen, Herr Heinemann.

    Heinemann: Herr Scherg, womit beschäftigt sich ein Reputationsmanager?

    Scherg: Ja. Ein Reputationsmanager beschäftigt sich mit dem guten Ruf oder mit dem Ruf überhaupt erst mal seiner Klienten, mit der Abwehr von Angriffen auf die Reputation von Personen und Unternehmen. Leider muss ich sagen, dass die Arbeit des Reputationsmanagers oftmals viel zu spät anfängt, nämlich dann, wenn ein Angriff schon stattgefunden hat.

    Heinemann: Wie funktioniert Rufmord im Internet?

    Scherg: Es gibt da unterschiedlichste Wege. Man kann allerdings sagen, dass das perfide an Rufmord im Internet die Nutzung von sozialen Netzwerken ist.

    Heinemann: Facebook, Twitter und so weiter?

    Scherg: Richtig, genau. Weil diese halt eine extrem hohe Verbreitung haben, werden diese halt entsprechend auch, können diese positiv genutzt werden, um Informationen zu verbreiten - dafür sind sie ja eigentlich auch da -, aber sie können halt auch sehr schnell dafür genutzt werden und sehr einfach genutzt werden, um ...

    Heinemann: Können Sie Beispiele mal nennen von Personen oder von Unternehmen, die Opfer eines solchen Angriffs geworden sind?

    Scherg: Nestlé ist ein Beispiel. Der Angriff erfolgte über ein Video, was Greenpeace erstellt hat, wo es darum ging, dass ein blutiger Orang-Utan-Finger in einem Schokoriegel gelandet ist.

    Heinemann: Da ging es inhaltlich um die Abrodung von Wäldern ...

    Scherg: Richtig! Es ging um die Abrodung des Regenwaldes und damit verbunden die Einschränkung des Lebensraumes für Orang-Utans, und um das sehr drastisch darzustellen, hat Greenpeace ein Video gedreht, wo halt ein blutiger Orang-Utan-Finger in einem Schokoriegel halt zu sehen war.

    Heinemann: Und was macht man dann als Unternehmen?

    Scherg: Nun, was Nestlé gemacht hat, ist halt, dieses Video nach Möglichkeit überall wieder zu entfernen und dieses Video auch zu verbieten und da massiv gegen vorzugehen, was wiederum zur Gegenreaktion geführt hat, nämlich dass dieses Video tausendfach halt weitergegeben worden ist und überhaupt erst mal diese Welle, diesen sogenannten "shitstorm", wie es immer so schön heißt, also letztendlich diese Welle von diffamierender Kritik, höchst emotional, ausgelöst hat.

    Heinemann: Insofern die Frage: Reagiert man lieber, oder lässt man es lieber sein?

    Scherg: Gute Frage! Das hat halt immer was mit der speziellen Situation zu tun. Wichtig ist halt nur, dass man auf entsprechende Szenarien vorbereitet ist, und da sind wir wiederum bei der Tätigkeit des Reputationsmanagers, der gerade in Unternehmen dafür sorgt, dass man halt hier auch für die Geschwindigkeit, in der Social Media funktioniert, also Facebook und Twitter, gerüstet ist und entsprechende Prozesse und vor allem halt eben auch die Manpower dafür hat und die Kompetenz.

    Heinemann: Also mal konkret: Wenn ich hier feststelle, jemand hat da ins Internet geschrieben, der Heinemann, diese dumme Nuss, stellt immer nur dämliche Fragen, dann habe ich ein Problem. Was mache ich dann?

    Scherg: Ich weiß nicht, ob Sie ein Problem haben damit, weil ich hoffe, Sie haben ein so ...

    Heinemann: Richtig toll finde ich es nicht.

    Scherg: Nein, natürlich nicht! Aber Sie stellen so viele interessante und gute Fragen vielleicht und viele Ihrer Fans da draußen würden vielleicht direkt schreiben - und das ist auch ein ganz wichtiger Aspekt -, ...

    Heinemann: Es gab schon Gesprächspartner, die das anders gesehen haben. Okay, Klammer auf, Klammer zu, wir reden weiter.

    Scherg: Aber das Entscheidende ist ja, dass es halt auch im Social Media selbst Heilungsprozesse gibt. Es gibt die ganzen Heinemann-Fans da draußen, die werden sich wahrscheinlich alle zusammenrotten, Demonstrationen machen und entsprechend auch im Social Media diesem Negativkommentar entsprechend etwas entgegnen. Das ist beispielsweise, nehmen wir Apple. Natürlich gibt es auch Personen, die Apple nicht gut finden und die Produkte von Apple ganz furchtbar finden, aber es gibt genügend sogenannte "Brand Advocates", also die, die halt diese Marke leben und diese Marke vor allen Dingen lieben, die entsprechend hier positiv reagieren und diese Negativkommentare auch wieder auffangen. Das heißt, wenn Sie ein gutes Produkt haben, wenn Sie tolle Fragen stellen, dann können Sie sich ja sicher sein, dass es auch andere gibt, die Ihre Fragen gut finden, dass sich das halt auch von selbst bereinigt. Das ist eben auch Social Media.

    Heinemann: Das war interessant. Das Netz verfügt über Selbstheilungskräfte?

    Scherg: Das ist so! - Nehmen wir das Beispiel Hoteliers auf Bewertungsportalen wie HolidayCheck. Wenn sie ein tolles Hotel haben, müssen sie doch eigentlich davon ausgehen können, dass sie auch zufriedene Gäste haben und die das halt eben auch positiv bewerten. Das heißt, im Grunde genommen geht es ja nur darum, vielleicht noch mal ein gewisses Anreizsystem zu bieten, dass halt auch zufriedene Gäste hier auch noch mal bei HolidayCheck eine Wertung abgeben. Aber Angst müssen doch im Grunde genommen auch nur diejenigen haben, die halt hier ein schlechtes Hotel oder eine negative Dienstleistung anbieten.

    Anders herum, wenn ich das vielleicht noch ergänzen darf, ist es natürlich so, dass gerade die, die sich besonders hervortun, natürlich auch Opfer werden können, und da sind wir wieder bei Rufmord.

    Heinemann: Das heißt, ich kann als derjenige, der jetzt einen Urlaub buchen möchte, mich nicht unbedingt auf die Bewertungen, die ich im Internet lese, verlassen? Das kann im Guten wie im Schlechten gefälscht sein?

    Scherg: Das ist so. Natürlich tun die Betreiber dieser Plattformen ihr Möglichstes, um das natürlich weitestgehend auszuschließen. Aber es ist halt wie überall letztendlich: Die einen rüsten hoch, die anderen auch, und es gibt teilweise tatsächlich auf diesen Bewertungsportalen einen richtigen Krieg, der ausgebrochen ist.

    Heinemann: Christian Scherg, Autor des Buchs "Rufmord im Internet". - Gehen wir mal zurück zu dem Fall, den ich eben geschildert habe: Schülerinnen und Schüler sind in einem gewissen Alter auch noch sehr zerbrechliche Menschen. Was raten Sie solchen jungen Leuten oder deren Eltern, die jetzt feststellen, dass sie im Netz gemobbt werden?

    Scherg: Das ganz Schlimme an dieser Situation ist eben genau das, Herr Heinemann, was Sie zu Beginn gesagt haben, nämlich die psychologische Komponente. Wenn Sie schon als gestandener Moderator trifft, dass jemand vielleicht Ihre Fragen kritisiert, ...

    Heinemann: Ich habe mich daran gewöhnt!

    Scherg: ..., dann ist es natürlich bei einem jungen Menschen umso schlimmer, wenn er tatsächlich auf einer Plattform wie beispielsweise IShareGossip, wo es darum geht, eben diesen Pausenhofklatsch tatsächlich ins Internet zu treiben, anonymisiert, deswegen halt um ein Vielfaches verstärkt, auch in der Deutlichkeit, auch in der Härte. Da ist es eben so, dass die Kinder, Jugendlichen gar nicht wissen, wie sie da in erster Linie mit umgehen sollen. Das sieht man halt eben auch auf diesen Portalen, dass sie sich versuchen, tatsächlich argumentativ zu wehren. Da haben sie aber leider Gottes gegen eine anonyme Gruppe relativ wenig Chancen. Das heißt, hier geht es in erster Linie darum, natürlich psychologisch tätig zu werden, das heißt, die Eltern sollten sich intensiv mit dem jungen Menschen auseinandersetzen und mit den Anfeindungen, die da im Internet über sie oder über ihn stehen. Dann sollte die Schule definitiv informiert werden, und auch wenn man sagen muss, dass die Polizei grundsätzlich Schwierigkeiten hat, oftmals tätig zu werden, weil die Server beispielsweise im Ausland stehen, sollte man aber auch darüber nachdenken, halt hier Anzeige zu erstatten.

    Heinemann: Ist das Problem in den Schulen angekommen?

    Scherg: Ja bei den Jugendlichen, aber nein bei den Lehrern. Das heißt, das Problem ist definitiv da, aber es fehlt grundsätzlich einfach vielfach auch die Zeit oder die Medienkompetenz, sich mit diesem Thema intensiv auseinanderzusetzen. Die Lehrer wissen gar nicht, welche Plattformen es hier gibt, wo die Jugendlichen sich bewegen, auch welche Gefahren da auch lauern. Das muss man ja auch ganz klar sagen. Es gibt eine ganze Menge Beispiele, die dann immer mal wieder hochkochen, wenn ein Jugendlicher einen Selbstmordversuch hinter sich hat, dann wieder sprechen die Medien darüber. Aber es gibt - und das sind ja genau die Zahlen, mit denen Sie auch am Anfang aufgemacht haben - eine ganz große Dunkelziffer von jungen Menschen, die tatsächlich alltäglich nicht nur, wie es vielleicht bei uns früher war, Attacken auf dem Schulhof über sich ergehen lassen müssen, sondern mittlerweile eben auch im Internet.

    Heinemann: Und eine der Gefahren ist, dass das Netz eben nichts vergisst.

    Scherg: Das kommt eben noch dazu, dass wir mittlerweile einfach im Laufe der Zeit eine ganz andere digitale Vita, eine ganz andere digitale Biografie haben. Nehmen wir das Beispiel vom "Star Wars"-Kid. Das ist ein etwas dicklicher Junge gewesen, der ein Video gemacht hat, wo er mit, ich glaube, es war so ein Angelstab Bewegungen wie aus "Star Wars" mit dem Lichtschwert nachgemacht hat. Das ist halt von jemandem, der es gefunden hat, hochgeladen worden ins Internet bei YouTube und dieses "Star Wars"-Kid wird halt eben immer dieses "Star Wars"-Kid bleiben. Egal was er irgendwie noch macht, er ist halt dieses "Star Wars"-Kid. Es gibt 5000 Remakes, es gibt Remixe, wo noch andere Musik druntergelegt worden ist, und man muss halt einfach in Betracht ziehen, dass dieser Online-Pranger, diese Dinge auf ewig im Internet bleiben.

    Heinemann: Sind die Strafverfolgungsbehörden auf das Cyber-Mobbing eingestellt?

    Scherg: Auch da muss ich aus Erfahrung sagen Nein, was an der Komplexität der Materie liegt. Wir haben es hier tatsächlich mit Servern irgendwo im Ausland zu tun, wir haben es mit ganz, ganz schwierigen Situationen zu tun, wo es mittlerweile Tools gibt, wo man hundertfach, tausendfach in Sekundenschnelle Dinge ins Internet bringen kann. Da wird halt extrem auf der einen Seite hochgerüstet, und wir haben keine vernünftige Gesetzgebung, wir haben noch nicht mal einen übergreifenden Code of Conduct, also eine moralische Regelung, sondern die ist halt von Forum zu Forum unterschiedlich. Man kann darauf hoffen, dass die Administratoren und die Betreiber sich hier daran halten, aber es ist eben auch nur eine Hoffnung. Ansonsten fehlt halt hier gerade der Polizei auch tatsächlich die Handhabe.

    Heinemann: Sagt Christian Scherg, der Autor des Buchs "Rufmord im Internet", Untertitel: "So können sich Firmen, Institutionen und Privatpersonen wehren". Das Buch ist in diesen Tagen im Buchhandel erschienen. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Scherg: Ich bedanke mich bei Ihnen, Herr Heinemann.