Kate Maleike: Erniedrigende Bilder, intime Videos, Psychoterror über das Internet – schnell verbreitet, schnell gemacht. Digitales Mobbing, Cybermobbing, ist ein Thema, das unser miteinander immer häufiger vor Herausforderungen stellt und die Frage aufwirft, warum machen Menschen eigentlich sowas, und was kann man dagegen wirklich wirksam tun. Nach Erkenntnissen des Bündnisses gegen Cybermobbing haben besonders die Fälle am Arbeitsplatz zugenommen in Deutschland, und darüber wollen wir jetzt sprechen mit Uwe Leest vom Bündnis. Guten Tag!
Uwe Leest: Schönen guten Tag!
Maleike: Wie verbreitet ist denn Cybermobbing im Arbeitsumfeld?
Leest: Ja, leider ist das sehr verbreitet, denn wir haben eine Studie aktuell gemacht, da sind über 30 Prozent in Deutschland, Österreich und der Schweiz, die gesagt haben, dass sie schon einmal am Arbeitsplatz Mobbingopfer wurden.
Anonymes Mobbing breitet sich aus
Maleike: Kann man also sagen, dass sich das Thema verschärft hat?
Leest: Ja, wir haben vor vier Jahren eine Studie gemacht, und leider muss man auch hier wieder feststellen, dass die Zahlen zu 2014 sich weiter erhöht haben, nämlich dass Mobbing um 6,4 Prozent und das Cybermobbing ist sogar um 13,6 Prozent gestiegen, also gerade das Mobben über das Internet anonym. Es hat sich weiter auch am Arbeitsplatz ausgebreitet.
Maleike: Und wie passiert das, wann hören die Nickeligkeiten auf, wann wird es tatsächlich zum Mobbing, und wer sind die Täter?
Leest: Also Täter im Unternehmen ist im Grunde jeder, das heißt, auch der Vorgesetzte kann da mitmobben. Man mobbt von oben nach unten, von unten nach oben, und Mobbing wird ja definiert als ein häufiges, also wiederkehrendes Ereignis. Also Menschen müssen da mehrfach gemobbt werden, dass man überhaupt vom Mobbing spricht, und das hat am Arbeitsplatz ganz unterschiedliche Auswirkungen zwischen dem direkten Mobben, das heißt, dass man den Kollegen kennt, und dem anonymen Mobben, wo man nicht weiß, ist es der Kollege vis-à-vis, oder ist das einer aus der anderen Abteilung oder vielleicht sogar mein Chef.
Hierarchieformen fördern das Mobbing
Maleike: Können Sie mal so ein Beispiel sagen, was besonders typisch ist für Mobbing am Arbeitsplatz?
Leest: Das ist ganz klassisch. Zum Beispiel, Sie gehen in eine Arbeitssitzung und haben vorher von Kollegen Informationen bekommen, um sich vorzubereiten für die Sitzung, und dann stellen Sie auf einmal fest, dass das die falschen sind, oder Sie werden in der Arbeitssitzung von ihrem Chef oder von ihren Kollegen sozusagen gegenüber der versammelten Kollegenschaft öffentlich diffamiert oder angegangen.
Maleike: Und womit hat das denn zu tun? Ist das der Druck am Arbeitsplatz, der sich da Bahnen bricht, oder was sind die Gründe für diese Steigerung, die Sie festgestellt haben?
Leest: Da gibt es verschiedene Gründe. Die eine ist natürlich, die Sie eben angesprochen haben, die Arbeitsbelastung. Die Arbeitsbelastung am Arbeitsplatz steigt weiter, und was wir festgestellt haben ist auch, dass gewisse Hierarchieformen in Unternehmen gerade das Mobbing sozusagen fördern. Das heißt, wenn man starre Hierarchien hat und ich will nach oben, dann begibt man sich natürlich auch manchmal auf einen Weg, den Konkurrenten aus dem Feld zu schlagen, und das tut man dann nicht mit Inhalten und mit Leistungen und Qualität, sondern da mobbt man den anderen auch schon mal beiseite.
Maleike: Was kann man denn dagegen tun?
Leest: Also es gibt verschiedene Perspektiven, die man da betrachten muss. Das eine ist vielleicht, das Unternehmen selber muss dafür sorgen, dass man eine Unternehmenskultur hat, die natürlich offen ist, die kommunikativ ist, und wenn es zu solchen Fällen kommt, dass man im Unternehmen auch einen Ansprechpartner hat. Selbst als Betroffener ist es ganz wichtig, dass man natürlich offen damit umgeht, also sich nicht zurückzieht, sondern dass man mit seinen Kollegen, mit seinem Vorgesetzten, mit dem Betriebsrat, dass man das anspricht und dieses Thema damit sozusagen in die Öffentlichkeit trägt und damit auch dem Täter signalisiert, also ich verstecke mich nicht, ich habe keine Angst, sondern ich zeige mich.
Höhere Verbreitung durch das Internet
Maleike: Jetzt haben natürlich die neuen Medien und die neuen technischen Möglichkeiten, die wir alle so in unserem Arbeitsumfeld inzwischen haben, einen großen Vorteil, der für dieses Thema fast fatal ist: Man kann relativ schnell Dinge in einen großen Zirkel bringen, ohne dass man dafür auch persönlich steht. Ist das das Dilemma der neuen Technik?
Leest: Wirt haben natürlich ein ganz großes Dilemma, das ist nämlich das Thema Anonymität auf der einen Seite, also dass ich anonym jemanden diffamieren kann, und auf der anderen Seite haben wir natürlich dann – Sie haben es angesprochen – diese Verbreitung. In einem Unternehmen sind es dann auf einmal 100, 200, 500, 1.000 Mitarbeiter, Kollegen, die sofort sehen, wenn ich zum Beispiel mit irgendwelchen Bildern verunglimpft werde. Das hat natürlich eine Dynamik, die die neuen Medien mit sich bringen und die es uns natürlich auch … Ich hätte jetzt beinah gesagt, wir sind noch im Lernprozess, damit umzugehen, obwohl wir es schon 20 Jahre haben, aber das ist ein Prozess, da müssen wir genau hinschauen, und da müssen wir auch als Erwachsene lernen, das vielleicht zu hinterfragen und damit auch restriktiver umzugehen.
Maleike: Herr Leest, in dieser Woche hat ja der Fall einer Schülerin in Berlin wieder für große Diskussionen gesorgt über das Thema Mobbing an Schulen. Auch wenn noch nicht ganz geklärt ist, ob der Selbstmord tatsächlich mit Mobbing zu tun hatte, wenn Erwachsene zunehmend mobben, ist das ja kein gutes Vorbild für die Schüler.
Leest: Ganz im Gegenteil, weil Kinder leben ja von den Vorbildern, die wir ihnen als Erwachsene geben, und wenn man sich anschaut, dass – weil Sie gerade von Suizid gesprochen haben in Berlin –, selbst wenn Sie die Erwachsenen befragen, dann sind immerhin 12 Prozent der Betroffenen, die von Mobbing und Cybermobbing betroffen sind als Erwachsene, die in unserer Studie gesagt haben, ich habe schon mal darüber nachgedacht, mich umzubringen.
Mobbing und Cybermobbing sind keine Kavaliersdelikte
Maleike: Gehen wir noch mal an die Schulen. Was muss da aus Ihrer Sicht passieren, damit klarer schon dort diese null Toleranz gegenüber dieses Themas vielleicht auch stärker etabliert und gelebt wird?
Leest: Wir haben insgesamt ein gesellschaftliches Problem, das Thema Respekt zueinander, miteinander, das müssen wir stärker sozusagen in den Schulen wieder manifestieren. Wir müssen die Jugendlichen mit den Medien vertraut machen, nicht nur, wie man sie bedient, sondern vor allen Dingen, was man damit auslöst, und das heißt Prävention betreiben. Auf der anderen Seite ist es ganz wichtig, vom Gesetzesgeber endlich in Deutschland, wie es auch schon in Österreich seit zwei Jahren ein Cybermobbinggesetz zu erlassen, um ganz deutlich den Tätern zu zeigen, wo die Grenzen sind und vor allen Dingen auch eine Orientierung zu geben und auch den Juristen, sprich den Staatsanwälten und den Richtern, dort eine Orientierung zu geben, denn Mobbing und Cybermobbing sind keine Kavaliersdelikte, sondern sind Straftatbestände, die ja leider auch manche Menschen auch in den Tod treiben können.
Maleike: Soweit Uwe Leest vom Bündnis gegen Cybermobbing. Die Fälle von Erwachsenenmobbing vor allem am Arbeitsplatz nehmen also zu. Vielen Dank, Herr Leest!
Leest: Ich danke Ihnen!