Startklar – Die Mobilfunknetzausrüster buhlen um den Aufbau der ersten 5G-Netze
Scheibchenweise – Virtuelle Netze sollen jedes mobile Kommunikationsbedürfnis befriedigen
Randständig – Edge-Computing verspricht schnelle Interaktion überall im Netz
Handelbar – Der Mobilfunk befeuert Geschäfte mit den Sensor-Daten von Autos
Scheibchenweise – Virtuelle Netze sollen jedes mobile Kommunikationsbedürfnis befriedigen
Randständig – Edge-Computing verspricht schnelle Interaktion überall im Netz
Handelbar – Der Mobilfunk befeuert Geschäfte mit den Sensor-Daten von Autos
Gleicher Ort, gleiche Zeit. Es ist Ende Februar in Barcelona. Und die Welt des Mobilfunks versammelt sich wie jedes Jahr in der katalanischen Metropole auf dem Mobile World Congress. Dort treffe ich Antje Williams wieder, 5G-Expertin bei der Deutschen Telekom und ich frage sie, was sich denn beim neuen Mobilfunkstandard in diesem einem Jahr seit unserem letzten Interview eigentlich getan hat:
"Auf jeden Fall ist es Realität geworden. Was man sieht ist, dass die Standardisierung fertig geworden ist. Wir haben die ersten Antennen im Feld, alle Operator, wir auch. Wir haben hier jetzt bei der Messe die ersten Endgeräte gesehen, 5G-Endgeräte. Das ist jetzt das Neueste am Markt. Und ja, es wird konkreter insgesamt. Ich glaube, das ist das Wesentliche."
Das war auch schon abzusehen, dass sich bei diesem Mobile World Congress tatsächlich alles um 5G drehen wird – denn schon letztes Jahr standen die Firmen quasi alle in den Startlöchern mit diesem Thema. Aber es fehlten eben die ersten Endgeräte und die ersten Installationen im Feld, wie die Insider sagen, also im realen Betrieb. Das alles gibt es nun und wird auch gezeigt. Allerdings: Bei einem 5G-Handy, das ausgeschaltet in einer Glasvitrine präsentiert wird, da hält sich dann die Begeisterung selbst bei kompletten Nerds völlig im Rahmen. Sieht aus wie ein Handy – na und?
Neue Möglichkeiten durch 5G
Spannender wird es da schon bei den ersten Endgeräten für "Fixed Wireless". Auch die sind zwar optisch nicht unbedingt der Brüller, aber sie sollen in Zukunft ein Problem lösen, das ganz viele Internet-Zugangsanbieter quält: Mit Fixed Wireless kann man bequem die letzte Meile für den Internetanschluss überbrücken. Von der Glasfaser vor dem Haus geht es einfach per Mobilfunk in die Wohnung. Das also wird eine der vielen wichtigen Aufgaben von 5G in der Zukunft sein. Und eines von vielen Geschäftsmodellen, mit denen die Mobilfunkanbieter hoffen, demnächst dann wieder ordentlich Geld verdienen zu können. Meine Interview-Verabredungen habe ich deshalb auch hauptsächlich auf dieses Thema ausgerichtet – welche neuen Möglichkeiten werden durch 5G eröffnet?
Einer der großen Netzausrüster muss selbstredend auch dabei sein. Davon gibt es ja nicht mehr so viele, was übrigens mit ein Grund ist für die auch auf dem Mobile World Congress nicht enden wollende Diskussion um den Aufbau des 5G-Netzes mit Produkten chinesischer Hersteller. Eigentlich gibt es nur noch vier richtig große Player in diesem Bereich: Es sind Huawei und ZTE aus China, Ericsson aus Schweden und Nokia aus Finnland. Wobei Nokia das Produkt einer langandauernden Fusionitis ist. Gleich vier ehemals große Ausrüster stecken heute in dieser Firma drin: Siemens, Alcatel, Lucent und Nokia selbst.
Für Endkunden, Industrie und autonomes Fahren
Ich bin mit Martin Beltrop verabredet und lasse mir von ihm noch einmal erklären, was 5G eigentlich von den bislang existierenden Mobilfunknetzen unterscheidet:
"5G ist zunächst mal - so wie es da steht, nach 2G kam 3G, kam 4G, jetzt kommt 5G - steht erst einmal als neue Mobilfunkgeneration. Aber es gibt hier wesentliche Änderungen zu all dem, was wir kennen. Da ist zum einen, dass wir jetzt massiv mehr Kapazität natürlich bekommen. Das Ganze wird alles schneller für uns als Konsumenten. Wir werden dort keine Wartezeit mehr haben und wir werden auch wirklich neue Sachen erfahren können, wie zum Beispiel Virtual Reality und Augmented Reality. 4K-Videos werden wir uns anschauen können über die Luft-Schnittstelle und werden halt viel höhere Daten-Kapazitäten zur Verfügung haben mit sehr niedrigen Latenzzeiten.
Aber gerade diese niedrigen Latenzzeiten, die haben noch einen zweiten Aspekt. Und das ist nämlich der Wert für die Industrie. Es geht halt hierum, dass wir die ganzen Sachen, die in der Industrie sich herumbewegen, dass wir die mithilfe von 5G miteinander verbinden können. Und dadurch können wir ganz neue Potenziale schaffen im Rahmen von Industrie 4.0 oder im Rahmen von den verbundenen und selbstfahrenden Autos, werden sich ganz neue Möglichkeiten ergeben, die auch uns als Konsumenten natürlich treffen werden. Das selbstfahrende Auto ist ein sehr gutes Beispiel."
5G - "das zentrale Nervensystem der Zukunft"
Respekt, schon im ersten Statement von Beltrop war alles an Buzzwords drin, was die Branche so an Schlüsselwörtern aufzubieten hat: Virtual Reality, Augmented Reality, Industrie 4.0 und selbstfahrende Autos. Und natürlich das 5G-Generalschlüsselwort, mit dem alles andere begründet wird: niedrige Latenz oder, um es auf Deutsch zu sagen, geringe Verzögerungszeiten. Die nämlich werden bei 5G so kurz sein, dass vieles in diesem Netz möglich wird, was bislang nur mit verdrahten Geräten funktionierte. Vor allem im industriellen Umfeld war das bislang ein Problem, denn Steuerbefehle an Produktionsmaschinen vertragen in der Regel keine allzu großen Verzögerungen, sondern verlangen im Gegenteil sehr exaktes Timing im Millisekunden-Bereich. Da bietet 5G jetzt neue Möglichkeiten an, die mit den alten Mobilfunknetzen so noch nicht da waren.
Das sieht auch Andreas Müller so, den ich auf der Pressekonferenz der Global Information Organisation treffe. Die GIO ist eine Metaorganisation von ganz vielen Industrieverbänden weltweit aus unterschiedlichsten Bereichen wie der Autoindustrie, dem Maschinenbau, der IT oder der Kommunikationsbranche, die sich dem Thema 5G verschrieben hat. Müller spricht mit mir als Chef der 5G ACIA, die 5G-Allianz für Vernetzte Industrie und Automation, die erst vor kurzem auf der Hannover-Messe Industrie 2018 gegründet wurde:
"In unserer Vision der Fabrik der Zukunft sind eigentlich nur noch die Wände, der Boden, die Decke fest und statisch und alles andere ist hoch flexibel, mobil und einfacher konfigurierbar. Das heißt, wir haben dann mobile Robotik beispielsweise, fahrerlose Transportsysteme, neue Assistenzsysteme für den Menschen, so dass sich der Mensch relativ schnell auf neue Anforderungen einstellen kann. Und alles funktioniert natürlich nur, wenn ich eine gute Vernetzung habe zwischen diesen einzelnen Bausteinen, den Komponenten. Die Vernetzung sollte drahtlos sein, damit alles flexibel und mobil ist. Und gleichzeitig haben wir relativ hohe Anforderungen, was Zuverlässigkeit anbelangt, Reaktionszeiten, Echtzeitfähigkeit. Und deswegen ist 5G eigentlich so das zentrale Nervensystem der Zukunft aus unserer Sicht, das das alles erst mal in dem Maße ermöglicht, wie wir das gerne haben möchten."
Lokale Datennetze für Fabriken
Wie das konkret aussehen kann, das versuchen jetzt die Mobilfunk-Firmen in Modellprojekten herauszufinden. So hat die Deutsche Telekom AG zusammen mit dem Leuchtmittelhersteller Osram in Schwabmünchen bei Augsburg ein Campus-Netz errichtet. Antje Williams frage ich, was das ist, ein Campus-Netz:
"Was wir darunter verstehen, ist im Endeffekt ein bestimmtes Gebiet, was mit Mobilfunk ausgerüstet werden soll. Und da geht es darum, Bedürfnisse der Industrie zu befriedigen. Ob es eine Produktion ist oder ein Logistikzentrum oder ein Hafen oder ein Flughafen. Dort sind bestimmte Notwendigkeiten, die nach einer Mobilfunktechnik fragen, weil sie einer fixen Infrastruktur, die häufig heute da noch vorhanden ist, überlegen ist. Und das ist das, was wir da jetzt machen wollen."
Was sich da im Gespräch so abstrakt anhört, das wird dann mit einem Blick auf die technischen Details, die uns Journalisten auf Charts während der Pressekonferenz gezeigt werden, etwas konkreter. Das Gelände der Osram AG in Schwabmünchen wurde für das Campus-Netz mit zusätzlichen Mobilfunkantennen ausgestattet. Die ganz normalen Funkzellen des Mobilfunkanbieters werden jetzt von einer ganzen Batterie von kleineren Funkzellen innerhalb der Fabrikhallen unterstützt. So entstand ein zwar physisch einheitliches, aber logisch zweigeteiltes Mobilfunknetz auf dem gesamten Werksgelände. Eines für die öffentliche Kommunikation – und eines ganz privat, nur für den Fabrikbetrieb. "Dual Slice" nennt die Telekom diesen Ansatz, was mich persönlich etwas wundert, weil es bei 5G noch den Begriff des Network-Slicings gibt, der leicht damit verwechselt werden kann.
Und noch eine wichtige Komponente kommt in solch einem Campus-Netz hinzu: Ein Data-Center, also ein Hochleistungsserver, mit direkter Verbindung zu diesem privaten Mobilfunknetz. Auf diesem Rechner können dann all jene Computerprogramme laufen, die den Fabrikbetrieb in Echtzeit steuern. Bei Osram geht es zunächst mal um die automatischen Transportkarren in den Hallen, deren Arbeit so kontrolliert wird. Dieses gemischte Doppel aus spezieller Mobilfunk-Netzstruktur und integrierter Rechenleistung - und das wird einem wirklich bei jedem Vortrag über 5G eingehämmert – diese Kombination ist quasi die Zauberformel, die 5G zum Fliegen bringen soll.
"Edge Computing" - Rechnen am Rand des Mobilnetzes
Klar, dass sie auch einen Namen hat: "Edge Computing". Auf deutsch: Rechnen am Rand des Mobilfunknetzes. Martin Beltrop von Nokia erklärt mir, dass man mit Edge Computing sehr genau die Bedürfnisse digitalisierter Produktionsbetriebe im Zeitalter von Industrie 4.0 abdecken kann:
"Bei dem Thema Industrie 4.0 geht es auch darum, vor allem die ganzen Maschinen miteinander zu vernetzen. Nun ist es aber in einer Industriehalle so, dass die Daten, die dort anfallen, viele von denen haben eigentlich nur Sinn in dem lokalen Kontext. Eine Maschine muss mit einer anderen kommunizieren. Also die Daten dort in das gesamte Netzwerk erst einmal bis in irgendein Datencenter, welches sehr, sehr weit weg, ist zu transportieren, wäre ineffizient und würde auch natürlich allein durch die Lichtlaufzeit schon zu einer hohen Latenzzeit führen.
Das heißt, mit Edge Computing können wir ein gesamtes Netzwerk in einer Industriehalle bauen, und selbst in einer Industriehalle können wir dies dann in unterschiedliche Scheibchen schneiden, sodass zum Beispiel ein Roboter sein eigenes Netzwerk hat oder eine Reihe von Robotern, die dort miteinander arbeiten. Wir haben dann ein weiteres Netzwerk, welches zum Beispiel für automatische Fahrzeuge in der Industriehalle sein kann. Wir haben ein weiteres, welches für den Betriebsschutz dann verwendet werden kann. Und das alles ist dann halt nur möglich, weil wir die Edge-Fähigkeiten haben, dass wird dort das Network-Slicing abbilden könnten und die Daten lokal halten, wenn sie lokal gehalten werden sollen und wenn es sinnvoll ist."
Die Abschaffung der Netzneutralität?
Als mir Beltrop das erklärt, wird mir aufs Neue deutlich, wie sehr die Welt des guten alten Internets zu Hause und die des neuen mobilen Internets über 5G auseinanderklaffen. Denn die Netzwerkausrüster präsentieren ja mit dem Network-Slicing ein Konzept, beim dem die allermeisten Verfechter eines freien Internets sofort auf die Barrikaden gehen müssten. Network-Slicing ist die komplette Abschaffung der Netzneutralität. Das Netz wird in logische Einheiten zerlegt, eben diese Slices, deren Kernmerkmale wie Datenübertragungsrate, Reaktionsgeschwindigkeit oder Transportzuverlässigkeit vom Kunden bestellt und bezahlt werden. Von wegen alle Daten sind gleich. Unterstützt wird dieses Konzept nicht nur durch intelligente, software-gesteuerte Router und Switches, sondern auch durch adaptive Funkzellen, die etwa durch Beamforming, also durch die gezielte Gestaltung der Funk-Ausleuchtzonen, variabel auf unterschiedliche Belastungssituationen angepasst werden können.
"Deswegen sprechen wir bei 5G auch vom Netzwerk der Netzwerke. Wir können mit Hilfe von Software dieses eine physikalische Netzwerk virtuell in mehrere Netzwerke aufteilen. Diese Netzwerke können unterschiedliche Parameter haben, was die Verfügbarkeit angeht, was die Kapazität angeht, was auch zum Beispiel die Reaktionszeiten dort angeht. Und dieses virtuelle Netzwerk setzt sich jetzt auf dieses 5G-Netzwerk drauf. Das kann mithilfe von Software-Algorithmen dort abgespaltet werden. Und so kann man so ein Scheibchen nehmen und einem bestimmten Verwendungszweck zur Verfügung stellen."
5G im Stadion
Beltrop hat noch ein Beispiel parat, um die Vorzüge der neuen Technik zu erklären, diesmal Fußball. Denn Fußball geht ja bekanntlich immer und macht sich gut, wenn es darum geht zu erzählen, wie durch 5G neue Dienstleistungen entstehen können, die man am Ende auch zu Geld machen kann. Darum geht es ja schließlich auch auf dem Mobile World Congress – ums Business und die Frage, wie man mit 5G Geld verdienen kann.
"Dadurch, dass wir jetzt in dem Netzwerk auch Rechenkapazität zur Verfügung haben und die Möglichkeit, Daten zu verarbeiten, haben wir ganz neue Möglichkeiten, dort Dienste anzubieten. Zum Beispiel im Bereich von Inhalten in einem Stadion. Die Kameras, die dort installiert sind, die laufen dort zusammen im Technikraum, und von diesem Technikraum aus können wir den Inhalt direkt in das Mobilfunknetz vor Ort einspielen. Das heißt, wir können das dann auch mit sehr niedrigen Verzögerungszeiten dem Stadionbesucher zur Verfügung stellen. Das heißt, er sieht eigentlich, was auf dem Platz passiert, ohne eine Verzögerung, ohne eine merkliche Verzögerung kann er das Ganze auch aus unterschiedlichen Blickwinkeln auf seinem Smartphone nachvollziehen.
Wenn er zum Beispiel gerade sehen möchte, wie der gegnerische Trainer auf ein Tor, welches gerade gefallen ist, reagiert, kann dies in Echtzeit passieren, indem er sich einfach zur Kameraposition, die gerade den gegnerischen Trainerbank zeigt, indem er dort einfach mal drauf schaltet und live viel näher am Ort des Geschehens als einfach nur im Stadion sich das Spielfeld anzuschauen. Das wäre zum Beispiel eine Möglichkeit. Also, der Inhalt, die Bilder bleiben lokal und können direkt an die Besucher dort weitergeleitet werden, das ist eine typische Verwendung, wo wir die lokale Kapazität eines Netzwerks benutzen."
Telemedizin, Augmented Reality, Autobranche
Überall auf der Messe springen einem solche Beispiele entgegen, die klarmachen sollen, wozu die neuen Qualitäten der 5G-Netze eingesetzt werden können. Würde man die einzelnen Exponate zählen, dann hätte das Thema Telemedizin übrigens eindeutig die Nase vorn, wo es vor allem um die schnelle und sichere Übertragung von hochaufgelösten Videos aus dem OP-Saal oder dem Notarztwagen geht. Der andere Burner auf der Messe: Augmented-Reality-Spiele – Pokemon Go grüßt 5G. Erstaunlich zurückhaltend beim Thema 5G hingegen erscheinen mir die ganzen Automobil-Hersteller, die zahlreich auf dem Mobile World Congress ausgestellt haben. Auf dem Stand von BMW bin ich mit Fatih El-Dwaik verabredet, der sich eigentlich mit der Entwicklung von neuen Konzepten für Interaktion von Auto und Insassen kümmert. Ihn frage ich, ob 5G für die Autoindustrie denn auch so ein wichtiges Thema ist:
"5G ist ja für uns als Automobilhersteller einerseits wegen der Datenrate sehr wichtig, von der anderen Seite wegen des Themas Quality of Service, das heißt die Möglichkeit durch das Thema Net-Slicing eine Garantie für die Datenübertragung zu bekommen, und ein drittes und wichtiges Thema, wir können auch über die 5G-Technologie so eine Art Fahrzeug-zu-Fahrzeug-Kommunikation machen, ohne dass eine Basisstation in der Nähe ist. Besonders für das ganze Thema Sicherheit und Übertragung von sicherheitskritischen Informationen zwischen den Fahrzeugen z.B. Glatteis und so weiter ist als wichtiges Thema, was erst durch 5G enabled wird."
Bordunterhaltung ist datenhungrig
Auf dem Stand allerdings wird mir etwas anderes präsentiert – nämlich eine Virtual-Reality-Show, die einem das neue Fahrerlebnis im autonomen Auto der Zukunft vermitteln soll. Fatih El-Dwaik und sein Team haben sich Gedanken darüber gemacht, wie man mit diesem Auto kommuniziert – und die Ergebnisse visualisiert. In der Virtual-Reality-Demo sitze ich in einem Auto und fahre durch eine Großstadt. Die Hände habe ich dabei frei, denn Lenken ist ja nicht nötig. Zeige ich mit dem Finger auf eines der Gebäude, die an mir während des Trips draußen vorbeiziehen, dann erscheinen auf der Windschutzscheibe eingespiegelt die passenden Informationen dazu. Irgendwann reicht es mir dann mit dem Sightseeing und ich gucke ins Entertainment-System. Kino-Time: Die Fahrerkabine wird verdunkelt und ein Hollywood-Streifen läuft an. Das ist alles noch Zukunftsmusik – eben nur in der virtuellen Realität möglich. Und doch soll mir die Demo klarmachen, worauf es im autonomen Auto der Zukunft ankommen wird, nämlich auf gute Unterhaltung. Und die ist extrem datenhungrig:
"Das Wichtigste ist für uns das Thema die schnelle Datenübertragung. Das wird immer wichtiger, sowohl für das Entertainment, aber auch für das autonome Fahren, weil wir eine hochaufgelöste Karte in dem Fahrzeug haben, wo man relativ schnell hin und her schicken wollen. Dann kommt das ganze Thema Verkehrssicherheit und die Teilnahme an dieser Infrastruktur. Themen, wo wir glauben, dass wir auch das Fahren für den Kunden auch sicherer machen können überall auf der Welt. Und wie gesagt, die ganze Fahrzeug-zu-Fahrzeug-Kommunikation, das ist auch ein wichtiges Thema."
Jedes moderne Auto ist eine Datenschleuder
Zum Thema Auto und Mobilfunk hatte ich mir noch einige andere Firmen ausgesucht, die ich auf dem MWC besuchen will. Denn das zeichnete sich schon weit vor dem Kongress an der Flut der Presseeinladungen ab: Das Auto dominiert auch diesen Kongress immer stärker. Der IT-Dienstleister Hewlett Packard Enterprise (HPE) hat zusammen mit dem Autozulieferer Continental eingeladen, weil die beiden eine neue Cloud-Plattform für den Handel mit Auto-Daten etablieren wollen – und zwar auf Blockchain-Basis. Während die Projektverantwortlichen von HPE und Continental die Plattform präsentieren, wird mir eines wieder ganz klar: Jedes moderne Auto ist eine sagenhafte Datenschleuder und der Mobilfunk der Saugrüssel für die Datensammelstation beim Autohersteller.
Die ganzen Sensoren im Auto, die den Zustand der Straßen, die Belastung der Räder, die gefahrene Strecke, die Bremsaktivitäten, die Ortungsdaten oder was auch immer registrieren - diese Sensoren verrichten ihre Arbeit nicht nur, damit Autofahren sicherer wird. Sie verrichten Ihre Arbeit auch, damit die Autohersteller die Daten vergolden können. Sie werden gesammelt und mit statistischen Methoden in Echtzeit ausgewertet.
"Ohne genügend Daten kann ich keinen guten Service bringen"
Was entsteht, sind sogenannte Premium-Services für besonders anspruchsvolle Automobilisten. Christian Reichenbach von Hewlett Packard Enterprise gibt Beispiele dafür:
"Wir sehen, dass mehr und mehr Informationen im Auto und Services im Auto auf Daten basieren. Ohne genügend Daten kann ich keinen guten Service ins Auto bringen. Services fürs Parking, diese Services sind intelligente Navigation. Aber auch Services, die Leben sichern, haben wir auf der Straße irgendwelche Situationen wie beispielsweise Blitzeis oder Aquaplaning, die gefährlich werden können für die Fahrer. Und genau diese Daten sind essenziell, um diese Services anzubieten."
Das Verzwickte an der Geschichte für die Autohersteller ist, dass diejenigen, die die teuersten Premiumservices anbieten wollen, oftmals gar nicht die besten Daten haben. Denn dieses Geschäft läuft über Masse: Nur wenn ganz viele Autos aktuelle Informationen aus der Traktionskontrolle des Bordcomputers liefern, können daraus zuverlässige Straßenzustandsberichte mit Aquaplaning- oder Blitzeiswarnung generiert werden. Die Flotte, die ein Autohersteller auf der Straße hat, muss also groß sein, sonst klappt das nicht. Hinzu kommen auch noch regionale Unterschiede in der Verbreitung einer Automarke. Und so kann es sein, dass ein erfolgreicher Hersteller von Mittelklasseautos bessere Daten hat als der Premiumhersteller, der sie eigentlich gerne haben würde.
"Das Problem, das wir sehen heute, ist dass die Hersteller nur Zugriff auf die Daten von ihrer eigenen Flotte haben und die durchaus in vielen Regionen begrenzt sein kann. Wenn wir aber diese Mobility Services anbieten wollen, dann brauchen wir mehr Daten. Stand heute teilen die Auto-Hersteller die Daten nicht wirklich miteinander, weil sie noch keine Plattform haben, die ihnen das ermöglicht."
Austausch der Fahrdaten über Blockchain
Die wollen nun der IT-Dienstleister und der Autozulieferer an den Start bringen. Und damit das Ganze kein bürokratisches Monster wird, bei dem zunächst einmal Heerscharen von Anwälten der Autofirmen Kontrakte mit allen Beteiligten aushandeln, haben sich die beiden Unternehmen der Blockchain-Technologie bedient. Die Blockchain ist ein elektronisches Transaktionsregister auf Basis einer verteilten Datenbank. Dadurch, dass die Blockchain nicht an einem zentralen Ort gespeichert wird, sondern an ganz vielen, werden Manipulationen an den Einträgen erschwert und vor allem transparent gemacht. Die Blockchain der Autodaten-Plattform hat also die Aufgabe, jede Transaktion, jeden Datenverkauf zwischen den Marktteilnehmern zu dokumentieren.
"Unser Ansatz ist natürlich, das zu automatisieren. Das bedeutet, dass, sobald ein Hersteller einen bestimmten Mobilitäts-Service seinen Fahrern anbietet und dieser Service in der Qualität sinkt, weil nicht genug Datensätze vorhanden sind, dass dann automatisch entsprechende Daten auf der Plattform zugekauft werden, um ein Qualitätslevel und Niveau zu halten."
Auf die Idee, Daten aus den Autos zu teilen, um bessere Dienstleistungen anbieten zu können, ist auch die Firma von Fotis Liotopoulos in Thessaloniki gekommen. Per Zufall treffe ich den Chef von SBoing am griechischen Gemeinschaftsstand, auf meinem Weg zum nächsten Termin. Liotopoulos präsentiert eine Navigationsapp für das Smartphone, die nicht nur den besten Weg von A nach B anzeigt, sondern zwischendurch auch noch Daten sammelt:
"Die App zeichnet die Fahrtrouten auf, während man sie offline auch als Navigationssystem nutzen kann. Sobald es eine Internetverbindung gibt, werden die Daten auf unsere Server geschickt, und wir können daraus Informationen über die allgemeine Verkehrssituation oder die Straßen gewinnen. Wenn es eine mobile Internetverbindung gibt, dann geschieht das auch während der Fahrt mit aktuellen Informationen."
Bei SBoing allerdings werden diese eingesammelten Daten nicht verkauft, sondern für ein Community-Projekt verwendet, nämlich für das Open-Street-Map-Projekt. Rund 4,3 Millionen Menschen sind laut Wikipedia an diesem Projekt beteiligt und haben eine offene Datenbank mit Geoinformationen angelegt, aus der sich Navigationssysteme wie SBoing frei bedienen dürfen. Aber das, was viele Open-Street-Map-Teilnehmer bislang händisch gemacht haben, nämlich am Rechner zu Hause oder mit der Smartphone-App auf der Straße die Datenbank mit ständig neuen Geo-Informationen zu füttern, das macht SBoing nun automatisch. Liotopolous erklärt mir das am Beispiel einer Straße in der Stadt. Wenn SBoing anhand der zurückgelieferten Routendaten irgendwann einmal feststellt, dass eine Straße nur noch in eine Richtung befahren wird, dann wird aus der Straße folgerichtig eine Einbahnstraße. Die Daten im Kartenmaterial werden automatisch aktualisiert.
Punktesystem als Anreiz zum Datenteilen
Bislang nutzen rund 100.000 Menschen, vor allem in Griechenland diese App, doch schon in diesem Jahr soll die Million geknackt werden – denn Crowdsourcing ist bekanntlich in. Aber die App lockt auch mit Belohnungen:
"Die andere Sache ist, dass wir ein Belohnungssystem eingebaut haben mit einer digitalen Währung. Wenn unsere Nutzer sagen, ich schicke meine Verkehrsdaten auch wieder zurück ans System, dann werde ich dafür mit SBoing-Punkten belohnt. Und diese Punkte kann ich sammeln und einlösen. Das ist also wie ein Spiel. Und das Spielprinzip hinter unserem System macht es interessant und attraktiv."
Das begreife ich schnell, denn so funktioniert ja ein Großteil der digitalen Wirtschaft. Doch eins habe ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht ganz begriffen: Woher kommt das Geld für die Belohnungen und vielleicht auch ein bisschen Verdienst für die Firma? Denn vom Open-Street-Map-Projekt als nicht-kommerzielle Bewegung bestimmt nicht. Also frage ich gleich nach dem Klassiker in solchen Fällen – wo ist die Werbung? Das ginge auch, sagt Liotopolous – aber seine Firma hat sich was anderes einfallen lassen:
"Wir haben ein System entwickelt, eine Plattform, mit der Verkehrsunternehmen Umfragen machen können. Das ist Teil eines Projektes der Europäischen Union mit dem Namen Metrics. Die Unternehmen können eine Umfrage planen und wir zerlegen den Fragebogen in kleine Häppchen, und schicken sie an unsere Nutzer. Die werden für ihre Antworten belohnt. Und wir können die Kampagne so steuern, dass sie auch ihre Ziele erreicht."
Da hat sich die kleine Firma aus Griechenland also einiges vorgenommen, genauso wie die Großen der Branche. Das mobile Internet und das nun entstehende 5G-Netz werden sicher noch ganz viele Geschäftsmodelle hervorbringen. Mal sehen, was kommt.