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Mobilität der Zukunft
"Wir müssen uns auf der Straße den Platz neu aufteilen"

E-Tretroller hält der Mobilitätsexperte Andreas Knie grundsätzlich für eine gute Idee. Da der Gehweg den Fußgängern vorbehalten sein müsse, blieben dafür aber nur Radwege oder Straßen, sagte er im Dlf. Dort müsse den Autofahrenden ein wenig von ihrem bisherigen Platz weggenommen werden.

Andreas Knie im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann |
Eine Frau testet bei der "micromobility expo" auf der Messe Hannover einen E-Roller.
"Eine geile Karre", sagt Professor Andreas Knie über den E-Tretroller. Auf den Gehweg gehöre er aber definitiv nicht. (picture alliance / Julian Stratenschulte)
Dirk-Oliver Heckmann: Professor Andreas Knie ist Leiter der Forschungsgruppe Wissenschaftspolitik am Wissenschaftszentrum Berlin, Professor für Soziologie an der TU Berlin und Experte für Verkehr und Mobilität, insofern bewandert in allen Fragen der Mobilität. Deswegen war meine erste Frage an ihn: Ist er schon mal mit einem E-Tretroller gefahren?
Andreas Knie: Ja, habe ich natürlich auch schon gemacht. Ja, selbstverständlich.
Heckmann: Und wie war’s?
Knie: Gut! Das ist schon, wie sagt man neudeutsch, eine geile Karre. So ein Tretroller bringt einen über Entfernungen ganz schnell von A nach B, wie man das vorher nicht gewohnt war, denn ich bin ja noch der Generation angehörig, die das vorher noch mit Muskelkraft machen konnten, und das ist jetzt mit den neuen Dingen doch wirklich einfacher.
E-Tretroller können konstruktive Lösung sein
Heckmann: Verkehrsminister Andreas Scheuer will ja, dass diese Fahrzeuge schnell auf die Straße beziehungsweise in den Verkehr kommen. Sinnvoll oder Schnapsidee?
Knie: Nein, es ist sinnvoll. Sie lösen nicht die Probleme, die wir überall haben, aber sie können für die Problemlösung eine konstruktive Lösung sein, denn es ist gut, wenn wir diese Angebote haben, denn dann können die Menschen von der Bushaltestelle, von der U-Bahn, von der S-Bahn, vom Fernbahnhof mal die berühmten letzten Meilen, die letzten Meter nach Hause oder zu einem anderen Umsteigepunkt schaffen, und das hilft Leuten dann insgesamt und das macht den öffentlichen Nahverkehr damit auch attraktiver, und deshalb ist es eine gute Idee.
"Der Gehweg ist für die Menschen ein Refugium"
Heckmann: Jetzt ist ja die Frage, wo sollen die Benutzer von Tretrollern fahren? Andreas Scheuer wollte ursprünglich, dass diese Fahrzeuge, die bis zu zwölf Kilometer in der Stunde fahren, auf dem Gehweg fahren sollen. Die sollen jetzt aber wie die schnelleren Tretroller auch auf den Fahrradweg. Scheuer kommt damit der Kritik aus verschiedenen Bundesländern entgegen. Ist das eine sinnvolle Entscheidung?
Knie: Ja, die ist auch überfällig, denn wir müssen mal festhalten, dass der Gehweg wirklich für Menschen vorbehalten ist, die zu Fuß gehen. Alles, was fährt, muss auf die Straße. Der Gehweg ist für die Menschen ein Refugium. Hier können sie sich in einem öffentlichen Raum gefahrlos aufhalten. Menschen, die weniger gut gehen können, Menschen, die schneller gehen können, aber Menschen, die vor allen Dingen gehen können, haben da ihren Platz. Alles was fährt, auch wenn es nur langsam fährt, gehört auf die Straße und da liegt der Hase im Pfeffer. Natürlich haben wir dann mehr Verkehr auf der Straße. Das heißt, wir müssen uns auf der Straße den Platz neu aufteilen.
Heckmann: Dazu komme ich gleich noch mal. Aber noch mal zurück zur ursprünglichen Frage. Das heißt, Sie würden sagen, Konflikte zwischen Fahrradfahrern und E-Scootern, die sind geringer als die zwischen Tretrollern und Fußgängern?
Knie: Ja, ganz eindeutig. Auf dem Fußgängerweg ist viel mehr los. Der ist auch viel mehr zu schützen. Denn stellen Sie sich ältere Menschen vor, stellen Sie sich Menschen mit Behinderungen vor, stellen Sie sich Menschen vor, die einfach noch jung sind. Die haben ein großes Problem, wenn da irgendwas vorbeikommt, was fährt. Das ist auf der Straße und das ist selbst auf Fahrradwegen einfacher. Dort sind die Menschen schneller unterwegs. Dort ist ein wesentlich besserer Verkehrsfluss vorgesehen. Das heißt, es ist deutlich besser, diese Tretroller auf der Straße, entweder auf dem Fahrradstreifen oder insgesamt auf der Straße zu haben. Natürlich muss dann auch der Raum, den diese Fahrzeuge dann befahren, gegenüber den Autos geschützt werden. Das ist ganz klar.
Heckmann: Wie bewerten Sie denn, dass der Verkehrsminister auf so eine Idee gekommen ist, die er jetzt wieder einpackt?
Knie: Der Verkehrsminister möchte natürlich nicht den Autofahrenden Platz wegnehmen. Der ist ja nun bekannt für die Förderung des Autofahrens und da wird alles, was den Autofahrern gefährlich werden könnte, einfach auf den Gehweg verbannt. Das war die einfache Lösung. Aber wir leben in Deutschland mittlerweile in einer aufgeklärten Republik, wo Menschen tatsächlich auch sich artikulieren können, und von daher ist es sehr schlau von ihm, jetzt zu sagen, wir müssen auch mit diesen neuen Dingen, wie zum Beispiel Tretrollern, auf die Straße. Das heißt, wir müssen tatsächlich den Autofahrenden dann ein wenig von ihrem bisherigen dominanten Platz wegnehmen.
Widerstand aus den Bundesländern hat was bewirkt
Heckmann: Das heißt, Sie würden in der Tat sagen, Andreas Scheuer, der Verkehrsminister hat mit seiner Idee, die langsamen Tretroller zumindest ursprünglich auf dem Gehweg fahren zu lassen, Lobbyarbeit für die Autofahrer gemacht?
Knie: Klar! Das ist bisher seine Politik gewesen. Jetzt ist es gut gewesen, dass der Widerstand aus den Ländern gekommen ist. Es war ja nicht klar, wenn der Bundesrat jetzt im Mai abstimmt, ob das dann durchgegangen wäre. Es ist jetzt ein Gebot der Vernunft, tatsächlich Tretroller auch auf die Straße zu bringen und wie gesagt damit ein Problem anzugehen, wem gehört zukünftig die Straße, wer soll auf dieser Straße fahren. Diese Debatte werden wir jetzt haben.
"Wir brauchen einfach mehr Platz für Fahrradfahrende"
Heckmann: Sie haben es schon mehrfach angesprochen, dass jetzt auch darüber nachgedacht werden muss, wie die Straße dann neu aufgeteilt werden muss. Der ADFC, Der Allgemeine Deutsche Fahrradclub, der hat schon gesagt: Wenn jetzt die Scooter noch mit auf die Fahrradwege draufkommen, dann brauchen wir mehr Platz. Wird das kommen?
Knie: Ja, das wird kommen. Auch die Fahrradwege sind jetzt schon zu schmal. Die Fahrradstreifen müssen größer werden. Wir haben in den letzten zehn Jahren quasi eine Verdoppelung des Fahrradfahrens erlebt, aber einen marginalen Ausbau der Infrastruktur. Das heißt, wir brauchen einfach mehr Platz für Fahrradfahrende, und das ist auch gut so, weil diese Fahrradfahrenden – das können wir mit unseren wissenschaftlichen Studien belegen – kommen meistens aus dem Auto. Das heißt, wir müssen das Signal geben, dass Menschen auch gerade kurze Verbindungen, wenige Kilometer lang, sehr, sehr gut mit dem Fahrrad bewältigen können, wenn sie denn Platz auf der Straße haben, und den bekommen sie, denn mit jedem Autofahrer, der dann aufs Fahrrad steigt, fehlt dann einer auf der Straße. Das heißt, wir können die Straßenräume begrenzen für den fahrenden Verkehr. Aber was vor allen Dingen wichtig ist: für den parkenden Verkehr. Denn das Problem ist ja nicht das Auto, was fährt, sondern das Auto, was einfach parkt, und das meistens 23 Stunden am Tag.
Ein Radfahrer befährt einen farblich abgesetzten Radweg auf der Kaiserstraße in der Innenstadt von Karlsruhe. 
Mehr Platz für Fahrradfahrer, fordert Professor Knie. (imago / Ralph Peters)
Heckmann: Man könnte aber auch sagen, Herr Knie, wenn man die Spuren für die Autos verringert und verkleinert, dass dann die Staus, unter denen die Städte zu leiden haben, noch größer werden.
Knie: Nein, weil wir wollen ja auch die Menge der Fahrzeuge reduzieren. Wir wollen den Besetzungsgrad der Fahrzeuge erhöhen. Dafür sind jetzt diese vielen On Demand Verkehre, wie wir sie in Berlin als BerlKönig oder als Clever Shuttle oder als Moja und Joky unterwegs haben, erste Probebohrungen, die mehr Menschen in ein und dasselbe Auto zu bringen. Das heißt, das reduziert die Zahl der Autos, und wir wollen, dass diese Autos dann einen weniger dominanten Platz haben, dass sie dann nicht mehr parken können, dass sie fahren, und das ist der Teil der Verkehrswende, der sagt, wir wollen mehr Mobilität, aber wir müssen das nicht mehr an das alte Gerät Auto binden, was wie gesagt dann den größten Teil seiner Zeit einfach nur herumsteht. Das können wir schlauer machen.
Heckmann: Der Allgemeine Deutsche Fahrradclub hat auch gefordert, diese langsamen E-Scooter, die ursprünglich auf dem Fahrradweg fahren sollten, ganz zu streichen, herauszunehmen aus der Verordnung, aus der Erlaubnis, denn sie vertrügen sich nicht mit den Fahrrädern, denn sie seien einfach langsamer. Ist das so richtig? Würden Sie das auch so sehen?
Knie: Das wissen wir, ehrlich gesagt, noch nicht. Wir sollten das auf jeden Fall erst mal machen, um zu gucken, was passiert. Wir haben auch langsam fahrende Fahrradfahrende, denn je mehr Menschen mit dem Fahrrad fahren, desto mehr Menschen sind es auch, die jetzt nicht professionelle Fahrradfahrer sind. Das heißt, wir werden eine sogenannte Differenzierung auch in den Geschwindigkeiten bekommen. Wir werden hier nur reine Fahrradstraßen, Fahrrad-Schnellstraßen bekommen. Das heißt, wir sollten tatsächlich erst auch mit den niedrigen Geschwindigkeiten der Tretroller auf Fahrradwegen es probieren, und wenn es dann nicht klappt, müssen wir noch mehr Platz auf der Straße für die vielen schnell fahrenden Fahrräder reklamieren. Aber wir sollten es jetzt erst mal so machen, wie es jetzt scheint, dass es dann so beschlossen wird.
Verbindungen müssen besser werden
Heckmann: Sie haben es gerade schon angedeutet. Wir haben viel diskutiert in den letzten Tagen über E-Tretroller, aber eine Lösung der Verkehrsprobleme in den Städten ist der E-Tretroller auch nicht.
Knie: Nein. Er ist eine gute Ergänzung. Der öffentliche Nahverkehr muss besser werden. Er muss auf eine neue Qualitätsstufe gehoben werden, nicht nur mehr Busse, mehr Straßenbahnen, mehr Bahnen, sondern auch die Verbindungen zu den Bahnen, die Verbindung der Menschen, damit die in diese Bahnen kommen, muss besser werden. Wir brauchen eine Punkt zu Punkt Verkehrserschließung. Das heißt, ich will ja nicht immer nur zu einer U-Bahn laufen müssen, sondern ich will dort abgeholt werden, wo ich bin, und ich möchte auch dort genau hingebracht werden, wo ich hin will. Das muss zukünftig nicht mehr mit dem eigenen Fahrzeug gemacht werden, das dann da vorher stand und das da nachher wieder steht, wie es in den letzten 40, 50 Jahren der Fall war, sondern das muss mit einem Sitzplatz-Sharing passieren. Das heißt, entweder fahre ich selber, oder ich werde gefahren. Jedenfalls wird das Auto, nachdem ich es nicht mehr benutze, für andere genutzt. Das heißt, es ist eine viel effizientere Auslösung. Das heißt, wir werden den Wunsch der individuellen Mobilität vom tatsächlichen Verkehrsgerät entkoppeln, damit wir dann mehr Menschen auf viel weniger Autos packen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.