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Mobilität in der Stadt
"Der Radverkehr kommt noch deutlich zu kurz"

Greenpeace hat untersucht, wieviel Geld in den sechs größten deutschen Städten in sicheren Radverkehr investiert wird. Das sei meist weniger als fünf Euro pro Kopf pro Jahr, sagte Greenpeace-Verkehrsexpertin Marion Tiemann im Dlf. Man brauche deutlich mehr Geld - aber auch mehr Platz und Rechte für Radfahrer.

Marion Tiemann im Gespräch mit Britta Fecke |
    Eine Fahrradfahrerin fährt auf einer Fahrradstraße an der Außenalster
    Radverkehr sei nicht nur Klimaschutz, sondern auch gut für saubere Luft, meint Marion Tiemann von Greenpeace (Daniel Bockwoldt/dpa )
    Britta Fecke: Wer in einer großen deutschen Stadt mit dem Fahrrad fährt, der wird es kennen. Man muss nicht nur die spontanen Rechtsabbieger im Blick haben, die einem rasant die Vorfahrt nehmen und schlimmstenfalls auch das Leben. Man muss auch auf die Beifahrertüren achten, die oft unachtsam in den Radweg geöffnet werden. Radfahren ist für die Umwelt und Luft der Städte das Beste, neben Laufen, aber es ist auch eine der gefährlichsten Arten der Fortbewegung.
    Die Umweltorganisation Greenpeace hat nun untersucht, wieviel Geld in den sechs größten deutschen Städten ausgegeben wird. Ich bin jetzt verbunden mit Marion Tiemann, Verkehrsexpertin bei Greenpeace. Frau Tiemann, wieviel investieren denn diese sechs großen deutschen Städte in die Sicherheit der Radwege?
    "Mehr Platz, mehr Geld, mehr Rechte"
    Marion Tiemann: Das ist nicht sehr viel. Die sechs größten Städte Deutschlands investieren (die meisten) deutlich weniger als fünf Euro. Stuttgart ist gerade bei fünf Euro. Köln bewegt sich eher bei 2,80, Hamburg 2,90, München sogar 2,30. Wir haben dafür Haushaltspläne verschiedener Jahre betrachtet und rausgesucht, unter welchen Posten was für den Radverkehr dabei ist, und daraus Mittelwerte berechnet. Im Gegensatz dazu, nur um es mal einzuordnen, gibt Kopenhagen rund 35 Euro pro Kopf und Jahr für Radverkehr aus. Da sieht man, da ist Luft nach oben.
    Fecke: Was ist denn außer dem Geld noch notwendig, um die Radwege sicherer zu machen?
    Tiemann: Radverkehr in Deutschland braucht jetzt – das haben wir ja eben schon gehört -, was wir in der Hitze des Sommers selber erlebt haben, wie wichtig der Klimaschutz ist, aber auch, was für eine zentrale Schlüsselrolle das Fahrrad gerade in Städten dabei spielt. Dafür braucht der Radverkehr für die Verkehrswende mehr Platz, mehr Geld, mehr Rechte. Mehr Platz heißt, dass Kommunen generell mehr Platz auf den Straßen, aber auch innerhalb ihrer Verkehrspolitik dem Fahrrad geben und Zufußgehenden, aber auch Radfahrenden Vorrang geben in der Verkehrspolitik. Mehr Geld, dass Kommunen, aber auch die Bundesregierung mehr Geld in die Hand nimmt, um Radfahrende zu schützen, aber auch mehr Rechte. Der rechtliche Rahmen des Straßenverkehrs muss angepasst werden. Der ist total veraltet, nicht mehr zeitgemäß, weil er sehr autofokussiert ist.
    "Das Straßenverkehrsgesetz ist bisher sehr autofokussiert"
    Fecke: In den Niederlanden ist es ja so: Wer einen Radfahrer anfährt oder überfährt, ist automatisch schuld, egal wie verkehrswidrig sich der Radfahrer verhalten hat. Meinen Sie das mit Rechte anpassen?
    Tiemann: Nein. Ich meine mit Rechten, dass das Straßenverkehrsgesetz bisher sehr autofokussiert ist und gerade Kommunen wenig Spielraum haben, um zum Beispiel fahrradgerechte Verkehrspolitik zu machen, um ihre Straßen umzubauen, um dem Auto Platz zu nehmen, um ihn mehreren Menschen wie Fußgängern und Radfahrern zu geben. Stichwort Autojustiz, dass Leute, die Rennen veranstalten, auch mit anderen Konsequenzen zu rechnen haben. Das ist nur ein kleiner Teil davon, aber es geht da wirklich um das große Ganze und darum, wie Städte ihren Menschen ein Leben ohne Auto in der Stadt ermöglichen können.
    Fecke: Mit Blick auf Stickoxide und Feinstaub geht das ja Hand in Hand. Die Städte, die Sie untersucht haben, müssen Teile ihrer Innenstadt für Dieselmotoren sperren. Stuttgart und Köln hat das Problem ja auch. Da würde ja ein besserer Ausbau des Radverkehrs Hand in Hand gehen?
    "Mir kommt der Radverkehr noch deutlich zu kurz"
    Tiemann: Genau das ist der Punkt, denn Radverkehr ist nicht nur Klimaschutz, sondern auch gut für saubere Luft, dementsprechend auch gut für unsere Gesundheit. Die Städte, die wir betrachten, haben alle ein Stickoxid-Problem, teilweise auch Feinstaub-Problem. Da geht es um die Abgase, die gesundheitsschädlich sind. Das sieht man ja auch an der Debatte um Fahrverbote, wobei ganz häufig in der deutschen Debatte, worüber ich mich dann immer wundere, vergessen wird, dass es nicht nur um Fahrverbote geht, um den Punkt, dass Dieselautos nicht mehr in die Stadt können, geht, sondern im Kern geht es um die Gesundheit von Stadtbewohnern und Stadtbewohnerinnen. Deswegen muss da jetzt schnell gehandelt werden. Mir kommt da der Radverkehr noch deutlich zu kurz, gerade weil es ja eine super kostengünstige und schnelle Lösung für das Luftproblem wäre.
    Fecke: Vielen Dank für diese Informationen – Marion Tiemann war das, Verkehrsexpertin bei Greenpeace.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.