Bund und Länder haben einen verschärften Lockdown über Ostern beschlossen. Wie Bundeskanzlerin Angela Merkel sagte, werden der Gründonnerstag und der Karsamstag als Ruhetage definiert und mit weitgehenden Kontaktbeschränkungen vom 1. bis zum 5. April verbunden. Professor Dirk Brockmann, der am Institut für Biologie der Berliner Humboldt-Universität unter anderem über komplexe Systeme forscht und am Robert-Koch-Institut die Projektgruppe leitet, die sich mit der epidemiologischen Modellierung von Infektionskrankheiten beschäftigt, begrüßt diese Beschlüsse. Sie könnten "einen sehr positiven Effekt haben, weil eine ganze Reihe von Tagen dann quasi Ruhetage sind, also Sonntage". Dies habe beim allerersten Wellenbrecher im Frühjahr genau vor einem Jahr dazu geführt, "dass viele Leute sich da verhalten haben wie an Sonntagen, dass sie praktisch gar keine Aktivitäten hatten", sagte Brockmann. Und das habe dann einige Wochen später einen sehr starken Effekt auf die Fallzahlen gehabt. Wie stark er diesmal ausfallen werde, sei aber noch unklar. Es sei jedenfalls besser als gar nichts.
"Wir sind mitten in der dritten Welle", warnte Brockmann. "Das heißt, die Intensivstationen werden immer voller, auch mit jüngeren Menschen". Um etwas dagegen zu tun, müsse das Impfen hochgefahren und in den Betrieben systematisch getestet werden. In den Schulen sei Wechselunterricht "ein sehr effektives Werkzeug, weil das die Schulen ausdünnt, weil nicht mehr so viele Menschen in einem Raum sind." Schulen seien wie ein Knoten in einem Netzwerk, der viele, viele Familien verbinde. Der Wechselunterricht halbiere die Kontakte.
Das Interview in voller Länge
Sandra Schulz: Die Beschlüsse, die wir jetzt aus der Nacht sehen, sind die aus Sicht des Modellierers eine gute Antwort auf das Pandemie-Geschehen?
Schulz: Dieser Blitz-Shutdown, der jetzt für Ostern gelten soll, für fünf Tage, was sagen Sie, welchen Effekt könnte das haben?
Brockmann: Das könnte nach meiner Ansicht einen sehr positiven Effekt haben, weil eine ganze Reihe von Tagen dann quasi Ruhetage sind, also Sonntage. Das hat sich im Vergleich zum Beispiel zu dem allerersten Wellenbrecher im Frühjahr genau vor einem Jahr gezeigt, dass viele Leute sich da verhalten haben wie an Sonntagen, dass sie praktisch gar keine Aktivitäten hatten, und das hatte dann einige Wochen später, ein, zwei Wochen später einen sehr starken Effekt auf die Fallzahlen, weil sehr viel weniger Kontakte stattfinden.
"Wir haben momentan einen exponentiellen Anstieg"
Schulz: Und das würden Sie auch bei so einem knappen Zeitraum, bei fünf Tagen sehen?
Brockmann: Das muss ich dann sehen. Es ist jedenfalls besser als gar nichts. Es kann natürlich auch sein: Der positive Effekt wird, nehme ich an, sichtbar sein. Ob er ausreicht, oder wie stark er dann den Schwung der dritten Welle einknickt, das wird sich dann zeigen.
Schulz: Es kamen ja schon in der vorletzten Woche alarmierende Zahlen vom Robert-Koch-Institut mit der Prognose, dass es schon im April zu hohen Inzidenz-Werten kommen könnte. Die Größenordnung von 300 ist da genannt worden. Würden Sie sagen, dass die Gefahr jetzt gebannt ist?
Brockmann: Na ja, das würde ich erst mal so nicht sagen. Auf jeden Fall sind diese Zahlen realistisch, weil wir momentan in einem exponentiellen Anstieg sind, bei dem sich die Fallzahlen alle zwei Wochen etwa, vielleicht sogar noch auf einer kürzeren Skala verdoppeln. Wenn man das extraponiert bis Ostern, dann sind wir in dieser Region von 40 bis 50, 60.000 Neuinfektionen jeden Tag bis Mitte April. Natürlich werden diese Maßnahmen sich positiv darauf auswirken, aber wie stark, das lässt sich nur sehr, sehr schwer berechnen.
Schulz: Jetzt ist die Frage ja, da der Impfstart zwar langsam gelaufen ist, aber er ist gelaufen, die nach der Währung. Neue Inzidenzen, wie Sie sie gerade nennen, 50, 60.000, das hätte in Zeiten vor der Impfung nach einem echten Horrorszenario geklungen, weil sich prognostizieren lässt, wie viele schwere Verläufe es gibt, wie viele Menschen auf Intensivstationen landen, wie viele Menschen sterben. Aber wie ist das jetzt mit der neuen Währung, die die Impfungen ja auch einpreisen muss?
"Wir sind mitten in der dritten Welle"
Brockmann: Die Modellierungen berücksichtigen natürlich so etwas wie die Impfrate. Wir können jetzt sehen, momentan werden jeden Tag etwa 200.000 Erstimpfungen gemacht, und das wird auch mehr werden. Aber wir müssen auch sehen, dass wir diese Zahl deutlich erhöhen. Etwa rund zehn Prozent der Bevölkerung haben eine Erstimpfung bekommen. Wir sind mitten in der dritten Welle. Das heißt, die Intensivstationen werden dann auch immer voller, auch mit jüngeren Menschen. Die Peak-Belegungen sind 60- bis 80-Jährige. Das Infektionsgeschehen findet auch bei jüngeren statt, die auch Long Covid entwickeln können. Zehn bis 20 Prozent der Menschen können langwährende Schäden von Covid bekommen. Das muss man auch berücksichtigen. Natürlich verschiebt sich das alles, aber man darf jetzt nicht denken, weil die über 80-Jährigen, die ein sehr hohes Risiko haben, daran zu sterben, weil das gebannt ist durch die Impfung, dass man das jetzt auf die leichte Schulter nehmen könnte oder so.
Schulz: Was die Beschlüsse aus der Nacht jetzt neu ermöglichen, das sind Ausgangsbeschränkungen. Da wird zwar keine Uhrzeit genannt, aber das ist ein Szenario, das greifen kann, wenn die Inzidenz bei mehr als 100 liegt. Warum bringen diese Ausgangsbeschränkungen so viel?
"Alles was Kontakte reduziert, bringt was"
Brockmann: Alles was Kontakte reduziert, bringt ja was. Es ist immer eine Frage, wieviel genau so eine Maßnahme bringt gegenüber anderen Maßnahmen. Wir haben gesehen, es gibt verschiedene Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die untersuchen, wo Kontakte stattfinden. Es wird ja auch immer über die Rolle der Schulen gesprochen. Eine Strategie, die sehr wichtig ist, neben Ausgangssperren etc., da guckt man eher ins Ausland und versucht zu verstehen, wo das ganz genau funktioniert hat, zum Beispiel in Großbritannien oder auch in anderen Ländern. Man hofft, dass die Kontakte, die da stattfinden, einen substanziellen Anteil haben.
Ganz wichtig ist aber in meinen Augen, dass gerade in den Betrieben systematische Teststrategien gemacht werden, weil im Privaten hat es sich auch in dem Lockdown, der bis zum 1. März gedauert hat, sehr stark reduziert. Da werden natürlich auch immer noch Kontakte stattfinden. Das zeigen auch verschiedene Modelle. Aber auch in den Betrieben muss systematisch getestet werden.
Schulz: Im Fokus sind auch immer wieder die Schulen und auch die Kindertagesstätten. Wir hatten da lange eine relative Schwarz-Weiß-Diskussion, die immer ging zwischen entweder Schulen auf oder Schulen zu. Jetzt gibt es seit einiger Zeit, seit diesem Frühjahr vielfach Wechselmodelle. Lässt sich darüber schon was sagen, welche Rolle die jetzt in der Pandemie spielen?
Wechselunterricht "ist ein sehr effektives Werkzeug"
Brockmann: Ich weiß, dass verschiedene Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler Wechselmodelle tatsächlich auch in Computer-Simulationen untersucht haben. Das ist ein sehr effektives Werkzeug, weil das die Schulen ausdünnt, weil nicht mehr so viele Menschen in einem Raum sind. Sie müssen sich eine Schule vorstellen als ein Knoten in einem Netzwerk, der viele, viele Familien verbindet. Wenn jetzt eine Schule 400 Schüler hat, dann verbindet diese Schule 400 Familien und kann im Prinzip in diese 400 Familien das Virus eintragen. Der Wechselunterricht halbiert das.
Dann muss man aber auch dazu sagen, dass gerade in den Schulen eine sinnvolle Screening-Teststrategie sehr sinnvoll sein kann. Man muss nicht jeden Tag alle Schüler testen. Es reicht schon, das zeigen Studien zum Beispiel aus Harvard und von der Universität Colorado, dass man alle zwei Tage testet und auch nur 50 Prozent der Schülerinnen und Schüler. Das kann schon einen enormen Einfluss haben, dass man asymptomatische Fälle identifiziert.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.