"Ich habe nicht einen einzigen Sklaven in Katar gesehen. Die laufen alle frei rum."
Auf dem Höhepunkte der Debatten über die Menschenrechtssituation im WM-Gastgeberland 2022 wollte Fußballfunktionär Franz Beckenbauer sein Expertentum in Sachen Sklaverei unter Beweis stellen. Das brachte ihm viel Spott ein, war damals doch schon klar, dass Sklaverei im 21. Jahrhundert in anderen Erscheinungsformen auftritt als früher.
In Katar ist es noch heute so, dass Ausländer nicht etwa dorthin verkauft werden, sondern freiwillig zum Arbeiten einreisen. Aber das dortige System bindet jeden ausländischen Arbeitnehmer an den Arbeitgeber. Der muss zustimmen, wenn der Arbeitnehmer das Land verlassen, ein Bankkonto eröffnen oder einen Führerschein beantragen will, berichtet Korrespondent Carsten Kühntopp. Und auch wer sich von einem schlechten oder gar tyrannischen Boss trennen möchte, brauche dazu dessen Einverständnis.
Neue Definition von Sklaverei
Unter moderner Sklaverei werden heute auch Zwangsarbeit, Zwangsprostitution, die Versklavung von Kindern und häusliche Knechtschaft verstanden. Die Nichtregierungsorganisation "Walk Free Foundation" dokumentiert solche Fälle. Sie definiert moderne Sklaverei als eine Situation, in der einer Person die Freiheit genommen wird, den eigenen Körper zu kontrollieren, oder die Freiheit, eine bestimmte Arbeit abzulehnen. Solche Personen können leicht ausgebeutet werden – vor allem durch Drohungen, Gewalt, Machtmissbrauch oder Täuschung.
In ihrem "Global Slavery Index" (Link zur Homepage) geht die Organisation davon aus, dass im Jahr 2016 weltweit 45,8 Millionen Menschen in 167 Ländern versklavt sind. Proportional zur Bevölkerung seien die meisten Menschen in Nordkorea betroffen, nämlich 1,1 von 25,1 Millionen Einwohnern. Viele seien in Arbeitslagern eingesperrt, viele Frauen würden in Nachbarländer wie etwa China zwangsverheiratet und dort sexuell ausgebeutet. Die meisten der versklavten Menschen, nämlich 58 Prozent, lebten in nur fünf Ländern: in Indien, China, Pakistan, Bangladesch und Usbekistan.
Das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen, UNICEF, schätzt, dass weltweit etwa 168 Millionen Kinder zwischen 5 und 14 Jahren zur Arbeit gezwungen werden (Link zur Homepage). Viele sichern damit das Überleben ihrer Familie – in der Textilindustrie, auf Plantagen, in Bordellen, in Haushalten und als Bettler. In mehr als 30 Krisengebieten weltweit werden Schätzungen zufolge etwa 300.000 Kinder als Kindersoldaten ausgebeutet.
Fälle von Sklaverei auch in Deutschland
Auch Deutschland findet sich auf der Liste der "Walk Free Foundation", wenn auch zusammen mit anderen Ländern auf dem letzten Rang. Der Schätzung zufolge werden hier etwa 14.500 Menschen ausgebeutet. Das Bundeskriminalamt geht sogar davon aus, dass jährlich einige 10.000 Frauen nach Deutschland geschleust und hier zwangsprostituiert werden.
Im Regionalreport der Stiftung (Link) heißt es, dass es bei den Fällen in Europa vor allem darum und auch um Zwangsarbeit gehe. Meistens seien es Frauen aus Rumänien, Bulgarien, Litauen und der Slowakei, denen die Papiere abgenommen würden; sie würden vergewaltigt, gewaltsam in unwürdigen Arbeits- und Lebensbedingungen gehalten und zur Prostitution gezwungen. Auch für Arbeitsmigranten und Flüchtlinge, die seit 2015 nach Europa kommen, besteht laut der Foundation ein hohes Risiko, ausgebeutet zu werden.
Kriminalität dieser Art gibt es sogar in gesellschaftlich höheren Kreisen. 2011 machte ein Fall aus Berlin Schlagzeilen. Dabei hatte ein saudi-arabischer Diplomat jahrelang seine indonesische Haushälterin wie eine Sklavin gehalten. "Sie musste 17 Stunden am Tag arbeiten, hatte keinen freien Tag", erzählt Paula Riedemann, Projektkoordinatorin bei der Hilfsorganisation "Ban Ying", dem Hessischen Rundfunk.
Sie "bekam nur zu essen, was übrig blieb, und wurde physisch und psychisch misshandelt." Kein Einzelfall: Jedes Jahr melden sich etwa zehn Frauen bei Ban Ying, die es in ihrem Job nicht mehr aushalten. In bestimmten Regionen der Welt gibt es Riedemann zufolge mehr Fälle als aus anderen – weil Diplomaten ihre Hausangestellten so hielten, wie es in ihren Heimatländern üblich sei.