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Moderner Fünfkampf
"Das ist Treten auf einen Menschen, der am Boden liegt"

Fünfkampf-Präsident Michael Scharf hat harsche Kritik am Umgang mit Annika Schleu geübt. Die Fünfkämpferin sei durch die Ereignisse im Springparcours traumatisiert worden. Man müsse dringend das Reglement überarbeiten, sagte er im Dlf. Athletin und Bundestrainerin treffe keine Schuld.

Michael Scharf im Gespräch mit Astrid Rawohl |
Die deutsche Fünfkämpferin Annika Schleu weint bitterlich nach ihrem Auftritt beim Springreiten.
"Traumatisiert" und "in Schockstarre" sei Fünfkämpferin Annika Schleu nach ihrem Auftritt beim Springreiten gewesen, sagt Fünfkampf-Präsident Michael Scharf im Dlf. (dpa / picture alliance / Sven Simon)
Nach dem Olympia-Drama um Annika Schleu im Modernen Fünfkampf gab es nicht nur Kritik am Reglement, sondern auch Konsequenzen für Bundestrainerin Kim Raisner. Raisner war für ihr Verhalten beim Frauen-Wettkampf im Modernen Fünfkampf durch den Weltverband von den Olympischen Spielen in Tokio ausgeschlossen worden. Raisner habe das Pferd von Annika Schleu anscheinend mit der Faust geschlagen, begründete der Weltverband seine Entscheidung am Samstag. Schon zuvor hatte DOSB-Präsident Alfons Hörmann bei einer Pressekonferenz in Tokio mitgeteilt, dass Raisner keine Aufgaben mehr in Tokio wahrnehmen würde.

Der Gewinn der Goldmedaille war für Schleu am Freitag in Tokio greifbar nah gewesen, doch das ihr zugeloste Leih-Pferd Saint Boy verweigerte mehrfach. Die 31-Jährige blieb deshalb ohne Punkte und kam am Ende auf Rang 31. Danach gab es heftige Kritik an der Sportlerin und an Bundestrainerin Raisner. "Hau mal richtig drauf! Hau drauf!", hatte sie - im Fernsehen deutlich hörbar - Schleu zugerufen. Die sichtlich überforderte Athletin hatte daraufhin verzweifelt mit der Gerte das verunsicherte Pferd angepeitscht. Hörmann sagte, dass das internationale Regelwerk im Fünfkampf "dringend" einer Überarbeitung bedürfe, konkrete Vorschläge wollte er aber nicht machen.
Players - Podcast zu Olympia
Players - Der Sportpodcast (Deutschlandradio)

Schleu "traumatisiert" und "in Schockstarre"

Nach dem Drama hagelte es heftige Kritik in den sozialen Medien. Der Vorwurf: Tierquälerei. Zu viel für die 31-jährige Schleu, die mittlerweile ihren Instagram-Account gelöscht haben soll. Unter ihren Beiträgen wurde sie heftig angegriffen und beschimpft.
Michael Scharf, Präsident im Deutschen Verband für Modernen Fünfkampf (DVMF), übte im Deutschlandfunk nun harsche Kritik am Umgang mit der Athletin. Schleu sei durch die Ereignisse im Springparcours traumatisiert worden und in Schockstarre verfallen. "Das was danach kam, ist das dann auf einen Menschen, der am Boden lag, auch noch getreten wurde. Das ist für mich sehr fragwürdig."
Das Pferd Saint Boy von Annika Schleu aus Deutschland verweigert den Sprung.
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Scharf nahm auch Bundestrainerin Raisner in Schutz. Zwar habe diese nicht adäquat reagiert. "Aber versuchen sie mal in so einer Situation adäquat zu reagieren", sagte der DVMF-Präsident. Zu einem vermeintlichen Faustschlag der Trainerin lägen ihm keinerlei Beweise und Informationen vor. "Für mich sieht das ein bisschen aus wie Sündenbock", sagte Scharf, der als Direktor Leistungssport beim Landesportbund Nordrhein-Westfalen arbeitet.

Kritik am Regelwerk

Der Sportpartner Pferd sei nicht willig gewesen, den Parcours zu gehen, stellte Scharf klar, der auch betonte, dass das Pferd Saint Boy bereits beim ersten Einsatz mit der Russin Gulnaz Gubaydullina dreimal den Sprung über die Hindernisse verweigert hatte. Danach hatte sich das Pferd an den Rand des Parcours gedrängt, so dass es nicht mehr zu einer vierten Verweigerung kommen konnte, was die Entnahme des Pferdes aus dem Wettbewerb bedeutet hätte. Gubaydullina wurde aufgrund der Zeitüberschreitung disqualifiziert, das Pferd vom zuständigen Tierarzt aber als einsatzbereit bewertet.
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Dieses Reglement kritisierte Scharf: "Damit ist eine Chanchengleichheit für unsere Athletin nicht gewährleistet gewesen." Er forderte primär Änderungen am Reglement, speziell da das Pferd wegen der fehlenden vierten Verweigerung im ersten Durchgang nicht disqualifiziert worden sei. Annika Schleu nahm er bewusst in Schutz. Die Berlinerin sei eine gute und empathische Reiterin, die regelmäßig gute Ergebnisse im Parcours erziele. Er glaube nicht, dass das Reiten durch eine andere Diszipin schon bereits für die Olympischen Sommerspiele 2024 in Paris ersetzt werden könnte. Dies sei wenn ein längerfristiges Projekt, sagte der Ehrenvorsitzende der SSF Bonn.

Scharf übte auch Kritik an den Äußerungen von Klaus Schormann, dem deutschen Weltverbandspräsident der Modernen Fünfkämpfer. Dieser hatte den Athleten die Schuld gegeben an den Ereignissen in Tokio - alles sei "genial" und "super" gewesen. "Dann muss ich sagen, dann war ich der falsche Fernsehzuschauer gestern", äußerte sich der Präsident im Deutschen Verband für Modernen Fünfkampf irritiert.