Szenen wie diese will niemand sehen: ein verängstigtes Pferd mit einer überforderten Reiterin. Am Rand eine Bundestrainerin, die mit Tipps wie "Hau drauf" vor laufender Kamera für Diskussionen sorgt, im wahrscheinlich verzweifelten Versuch, zu helfen. Bei diesem Drama hat sich das schwächste Lebewesen in der Kette geweigert, das zu tun, was von ihm erwartet wurde: nämlich möglichst fehlerfrei über Hindernisse zu springen.
Aber: Dieser verheerende Ritt bei den Olympischen Spielen sollte nicht Anlass sein für Schuldzuweisungen an die Akteurinnen, sondern Auslöser für die Suche nach dem Fehler im System und für eine Lösung.
Athleten und Pferde überfordert
Hier bekommen Amateurreiterinnen und -reiter per Los ein Leih-Pferd zugeteilt, das sie vorher nicht kannten. Darauf müssen sie dann Hindernisse von 1,20 Meter Höhe überwinden. Genau wie die Vielseitigkeitsreiter. Aber die sind Profis und haben eigene Pferde. Das, was von den Fünfkämpfern und – kämpferinnen im Reiten verlangt wird, kann nicht funktionieren. Es überfordert Athleten und Pferde.
Der Fehler liegt hier im Regelwerk, also im System.
Das Springreiten im sogenannten Modernen Fünfkampf muss durch eine andere Disziplin ersetzt werden. Die "Faszination Vielseitigkeit", mit der der deutsche Verband seine historische Sportart bewirbt, muss auch ohne ein Lebewesen als Sportpartner auskommen. Statt auf dem Rücken eines Pferdes könnte ein spektakulärer Fahrradkurs auf einem Drahtesel in Form einer stylischen Rennmaschine das Reiten ersetzen. Das würde den Fünfkampf ein wenig moderner machen und mögliche tierschutzrelevante Szenen verhindern. Die historische Sportart aus Schwimmen, Fechten, Reiten, Laufen und Schießen gehört seit 1896 zum Programm der Olympischen Spiele der Neuzeit. Erfunden von Pierre de Coubertin in Anlehnung an den historischen Wettkampf der Antike. Immer wieder musste der Fünfkampf um sein Überleben im Olympischen Programm bangen.
Verantwortlichen müssen die Folgen bewusst sein
Mit den Bildern von heute ist diese Diskussion schon wieder im Gang. Und das zurecht. Die Pferde werden zwar vor dem Wettkampf tierärztlich untersucht um festzustellen: Sind sie fit für den Parcours? Im aktuellen Fall hatte bereits die erste Reiterin von Saint Boy erhebliche Probleme. Wenn Verantwortliche das offenbar verängstigte Tier dann mit einer anderen Reiterin erneut in den Parcours schicken, müssen sie wissen, welche Folgen das haben kann und dass das weltweite Publikum die ganze Sportart als tierquälerisch in Frage stellt.
Reiterin und Trainerin die Schuld dafür zu geben, ist nicht in Ordnung. Zum Wohl des Tieres auf den Ritt und damit die mögliche Goldmedaille zu verzichten, ist hinterher leicht gesagt. Aber in der Extrem-Situation und sekundenschnell die richtige Entscheidung zu treffen, ist eine wahnsinnige Herausforderung, die wohl kaum jemand anständig gemeistert hätte. Es muss eine Lösung her damit solche schlimmen Situationen gar nicht erst entstehen.
Die Verantwortlichen in den Verbänden tun jetzt gut daran, das Problem in der Disziplin Reiten offen anzusprechen, sich der Diskussion zu stellen und Lösungsvorschläge aus der Schublade zu holen. Die sie hoffentlich haben. Wenn nicht, wären die Entscheider tatsächlich so antiquiert wie ihre Sportart. Olympische Spiele können eine Traditionssportart wie den Fünfkampf vertragen und vor allem seine so vielseitigen Athletinnen und Athleten. Aber bitte ohne Pferd.