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Modische Moderne (1/3)

Mode verkörpert den Rhythmus der Moderne, sie ist der Grenzgänger zwischen Kommen und Gehen, zwischen Anfang und Ende. In der dreiteiligen Essay-Reihe geht es um die Untersuchung der Mode; nicht nur um den Laufsteg, sondern um das Phänomen, das auch in der Kunst und Architektur beobachtet werden kann.

Von Asli Serbest |
    In Berlin, Paris, London und New York sieht man in den 1920er-Jahren Röcke kürzer werden und Beine in glänzenden, synthetischen Seidenstrümpfen enthüllen. Man sieht Bubikopf, Pumps, Armreifen und Perlenketten, Puder, Rouge und Lippenstift.

    Im Gegensatz zu den Frauen sind Männer nach dem Ersten Weltkrieg noch lange nicht in der Moderne oder vielmehr in der Mode angekommen. Besonders in Deutschland weigern sie sich, den Konformismus ihrer spießigen Anzüge aufzugeben und werden dabei zu komischen, statischen Figuren in einer Zeit des schnellen Wechsels. So beschwert sich zumindest der österreichisch deutsche Künstler Raoul Hausmann, Mitglied der Gruppe Dada, in seinem Text Mode:

    "Eine Mütze ist eine Kopfbedeckung. Ein Anzug ist ein Bekleidungsgegenstand. Schuhe sind Fußhüllen. Dabei kann man sich sehr viel und sehr wenig vorstellen. In Deutschland zum Beispiel ist eine Mütze ein Ding, das man nicht auf den Kopf bekommt. Es ist ein Etwas, ähnlich einem Kuhfladen, aus einer Art Treppenläuferstoff. Ein Anzug ist dazu da, jede Bewegung und jede Form zu verderben. Der deutsche Schneider, auch der sogenannte gute, macht die Schultern hübsch abfallend und schmal, den Hals doppelt so weit als nötig, das Jackett in der Bauchgegend schön abstehend (denn ein würdiger Mann hat einen Bauch zu haben). Die Hose ist eine Röhre, unten weit, Oberschenkel eng, sie ist nach hinten einen Kilometer weit und muss mit Wäscheleinen am Leibe befestigt werden – denn die Hosenträger nützen nichts, sie ziehen das Beinfutteral nur bis unter die Achseln."

    Für Hausmann ist der deutsche Herr einfach nicht up to date, er geht durch die Straßen der Metropolen, ohne zu wissen, wie man sich richtig bewegt. Seine Haltung ist erstarrt in militärischer Disziplin, alten Formen und steifen Stoffen. Hausmann hält nichts vom männlichen deutschen Dünkel, ihm erscheint der Anzug aus den amerikanischen Filmen viel besser gemacht: Er sei dort eng wo der menschliche Körper eng sei und "dazwischen ist er lose, lose, lose." Hausmann selbst liebt es, als Model aufzutreten, schließlich ist er ein Dandy oder besser: ein Dada Dandy, wie es die Künstlerin und Freundin Hannah Höch collagierte.

    Für Hausmann ist vor allen anderen bedeutsam, sich elegant und modisch - hauptsächlich in den Farben schwarz und weiß - zu kleiden. Es geht nicht darum, Schrilles oder Auffälliges zu tragen. Der Dandy, nach englischem Vorbild, beherrscht die Kleidungskunst und besitzt die Ausstrahlung eines Gentlemans. Seine ästhetischen Neigungen verlangen von ihm, die innere Haltung in der äußerlichen zu wahren, das heißt, in jeder Situation stilvoll zu sein.

    Künstlichkeit und Fantasie sind dabei die Mittel, um sich gegen die Nivellierung in der Masse abzusetzen. Der Dandy will sich abheben, besonders von der bürgerlichen Mittelmäßigkeit und ihrer Normalität. Tatsächlich will er sich in den Mittelpunkt stellen und zugleich absondern. Er begreift seine Umwelt als Bühne für spektakulär nonchalante Auftritte. Für ihn ist klar, dass die Welt ein Hohlkörper ist, dass nur die Oberflächen zählen, die von ihm souverän beherrscht werden.

    Zur Ausstattung des Dandy gehört das Monokel, Hausmanns ständiges Accessoire. Der Monokelträger muss seine Gesichtsmuskeln, das heißt, seine Affekte kontrollieren, eine natürliche Würde ausstrahlen und Respekt um sich verbreiten. Mit dem Monokel kann der Dandy seine bürgerliche Umwelt nicht nur schärfer beobachten, er kann sie zudem mit der notwendigen Distanz betrachten. Sein Auftreten und seine Kleidung dienen ihm als gestaltete Rüstung gegen die bürgerlich nutzenorientierte Welt. Der Dandy rebelliert gegen diese moderne Welt durch seine quasiaristokratische Erscheinung, die er formt wie ein Kunstwerk. Seine Erfindungen in der Mode machen ihn zum Vorbild, zur Avantgarde der europäischen Szene. Eigentlich ist er die erste Avantgarde, die

    "Vorhut, die in unbekanntes Gebiet vorstößt, die sich den Risiken plötzlicher, schockierender Begegnungen aussetzt, eine noch nicht besetzte Zukunft erobert, eine Richtung finden muss in einem noch nicht vermessenen Gelände."

    So nach der letzten Mode gekleidet, mit Handschuhen, Stock und Hut, besucht er die luxuriösen Salons und Clubs, elitäre Etablissements in London und Paris, um ins Glückspiel und in den Drogenkonsum einzutauchen. Es ist das Leben als Gesamtkunstwerk, das gegen alle bürgerlichen Tugenden rebelliert: mit Egozentrik, Eitelkeit, Künstlichkeit, Ironie, Spiel und Mode.

    Als Prototyp des modernen Künstlers geht es dem Dandy vor allem um die ästhetische Opposition gegenüber seiner Umwelt. Diese Opposition, diese Negation setzt Dada fort, jedoch mit radikaleren Mitteln. Die Mode, wird Walter Benjamin später feststellen, dient dabei als Quelle für die Kunst.

    In diesem Sinn beendet Raoul Hausmann seinen Modetext mit einem Slogan, der sowohl in Französisch, Englisch und Griechisch abgedruckt ist:

    "La mode n'est pas stupidité mais une expression extérieure du corps." - "Die Mode ist nicht dumm, sie ist der äußere Ausdruck des Körpers."

    Wenn es nach Hausmann geht, soll die Mode sogar die Kunst ablösen: "Fiat Modes, pereat ars" - "Es werde Mode, es verderbe die Kunst" lautet die zweite Parole auf einer von Hausmanns Fotomontagen, die zwei Leichtathleten, eine Vielzahl nackter Frauenbeine mit Pumps und eine Kleiderpuppe kombiniert. Sie steht für die neue strategische Allianz mit der Mode, für den schnellen modischen Wechsel einer Antikunst, die sich als Avantgarde gegen das Etablierte, gegen das Bürgertum und gegen den klassischen Kanon wendet.

    Hausmanns Text erschien 1924 in G. Zeitschrift für elementare Gestaltung, einem Avantgarde-Magazin, das von dem Maler und Filmkünstler Hans Richter in Berlin herausgegeben wurde. In ihr wurden Arbeiten publiziert, die es in kein etabliertes Magazin damaliger Zeit geschafft hätten: Mies van der Rohes elementare Entwürfe, Hans Richters Filmideen, Lautgedichte von Kurt Schwitters oder Man Rays Fotogramme.

    1886 in Wien geboren, gehörte Raoul Hausmann zu den Gründungsmitgliedern des dandyistischen Dada Club, der ab 1918 in Berlin ansässig war. Der Dada hieß die zugehörige Zeitschrift, die subversiv respektlose Artikel und Gedichte publizierte. Das Ziel der Angriffe war die bürgerliche Kultur in all ihren "Spießer"-Eigenschaften, besonders aber eine als bürgerlich akademisch identifizierte Kunstproduktion.

    Gegen das Ideal des Schöpfergenies stellte man die Mode als Phänomen sinnloser, aber permanenter Neuerung. Gegen feste Moralvorstellungen spielte man Wertloses hoch und Wertvolles herunter. Gegen das vollendete Werk setzte man das Ready-Made, den banalen unbearbeiteten Alltagsgegenstand. In Collagen und Montagen aus Zeitungsausschnitten versuchte man, die gewinnorientierte und politisch konservative Medienkultur kritisch zu kommentieren und fremd zu kontextualisieren. Dada Berlin stellte sich sogar selbst als Werbeagentur dar, um Aufmerksamkeit auf ihre ironisch politischen Texte zu lenken, die sich gerne im Rundumschlag gegen Staat, Kirche und Volk wendeten:

    "Legen Sie Ihr Geld in dada an! dada ist die einzige Sparkasse, die in der Ewigkeit Zins zahlt. Der Chinese hat sein tao und der Inder sein brama. dada ist mehr als tao und brama. dada verdoppelt Ihre Einnahmen. dada ist der geheime Schleichhandel und schützt gegen Geldentwertung und Unternährung. dada ist die Kriegsanleihe des ewigen Lebens: dada ist der Trost im Sterben. dada muss jeder Bürger in seinem Testament haben. Was soll ich den dada enthüllen? dada wirkt im Kleingehirn und im Großgehirn der Affen sogut wie im Hintern der Staatsmänner. Wer sein Geld in die Sparkasse dada einlegt hat keine Konfiskation zu befürchten, denn wer dada anrührt ist tabu-dada. [...] Alle Guthaben werden gesammelt und über Versailles nach dem Vatikan geleitet, wo der heilige dada sie segnet und sie der heiligen mama in den Schoß schiebt. Ja, ja, der dada kann nicht enthüllt werden. Der dada vermehrt alles im hundertsten und tausendsten Glied. Tao und brama sind dada. Dada schafft Kinder und Enkel. Dada ist fruchtbar und mehret euch. Nur dada ist der Erlöser von Not und Trübsal. Legen Sie Ihr Geld in dada an!"

    Die Dada-Bewegung ging von Zürich, ursprünglich als "Niederdorf" oder "Niederdörfli" aus. Es waren vor allem emigrierte Künstler, die sich nach dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs in Zürich trafen und dort gemeinsam das Café Voltaire als Ort für Kabarett und Performance gründeten. Ihre Herkunft aus unterschiedlichen europäischen Ländern machte Dada zu einer internationalen Bewegung, die vom Rumänen Tristan Tzara nach Paris und von Richard Hülsenbeck nach Berlin getragen wurde. Die Dadaisten wollten mit Dada keine Kunstbewegung, sondern eine Antikunst-Bewegung gründen.

    Damit folgten sie dem französischen Künstler Marcel Duchamp, der den programmatischen Ausdruck Anti-Kunst 1914 geprägt hatte. Er bezeichnete damit seine Gegnerschaft zu künstlerischen Normen, zum vorgefundenen Kunst- und Kulturbetrieb, zur bürgerlichen Gesellschaft als Gesamtheit. Anti-Kunst bedeutete für ihn nicht nur die ironische Kommentierung alter Meisterwerke, sondern die Hinterfragung des Werkbegriffs an sich: So fügte er einer Mona-Lisa-Reproduktion einen Schnurrbart hinzu oder signierte ein Urinal, um es zum Kunstwerk zu erklären. Die Gegnerschaft zu Vorhandenem hatte das Ziel, die bestehende künstlerisch kulturelle Ordnung zu überwinden und aufzulösen.

    Im Gegensatz zur Kunst des l'art pour l'art sucht eine Anti-Kunstbewegung also nach einer neuen Funktion der Kunst in einer bürgerlichen Gesellschaft, die Kunst als funktionslos und zweckfrei, als reine Ästhetik entmachtet hat. Sie ist programmatisch, insofern sie die Emanzipation von tradierten, normativen Kategorien der Kunst anstrebt, um letztendlich auch zu gesellschaftlichen und politischen Veränderungen beizutragen.

    Über den Ursprung des Namen Dada gibt es unterschiedliche Geschichten: Er sei durch den zufälligen Messerstich in ein französisches Wörterbuch gefunden worden oder einfach von einem Haarwaschmittel gleichen Namens übernommen oder aus der Kleinkindersprache zitiert sein. In der radikalen Antihaltung des Dada herrschte jedoch Einstimmigkeit. Die totale Absage an jede Konvention durch Ironie und Sarkasmus sollte die Illusion einer fortschrittlich bürgerlichen Welt entlarven. Durch Verfremdung bis ins Absurde wollte man dem scheinbar Geordneten das Chaotische und Willkürliche entgegensetzen. Rationale Methoden wurden durch das Gesetz des Zufalls ausgetauscht und zentrale Regeln der Gestaltung und Ästhetik wurden einfach umgekehrt. Der Dilettantismus wurde zur Methode erklärt.

    Kurt Schwitters interpretiert Dada als eine Art Stilepoche ohne Stil. Nach dem klassischen Altertum, dem gotischen Mittelalter, der Renaissance und der Biedermeierzeit wäre Dada der Stil der Neuzeit. Schwitters gewinnt seine Einsicht aus der Beobachtung zeitgenössischer Architektur, die einerseits als Anschlagsäule für Reklame, andererseits als Kitschwelt Umsetzung findet. Beides beweise eine unsägliche Stillosigkeit, die von Dada gespiegelt würde. Dada sei das Echo und zugleich Aufklärung über eine Zeit ohne Orientierung, voller Lärm, eine Zeit der wechselnden Moden und der allgemeinen Unbewohnbarkeit:

    "In Amsterdam habe ich einen Lunchroom gesehen, der mit alten Tropfsteinresten wie eine künstliche Tropfsteinhöhle zurechtgemacht war. Ich frage mich verwundert: 'warum?' Finden Sie in Amsterdam eine Tropfsteingrotte stilvoll? Ja? Dann habe ich eben recht, dass der Stil von Amsterdam Stillosigkeit ist. Das ist aber dada. Wie in Berlin. Und wenn schon Tropfsteinhöhle, warum muss diese durch riesenhafte Spiegel bis ins Unendliche vergrößert werden? Das kleine Zimmer in Amsterdam, welches sagt: 'Die ganze Welt ist ein unendlicher Lunchroom in Form einer Tropfsteinhöhle,' dieses kleine Zimmer ist dada complet. Und wenn dieses Tropfsteinzimmer Blumen und Blätter ranken und tropfen und spiegeln läßt, dass man meint, in einer orientalischen unendlichen Tropflunchsteingrotte zu sitzen, so haben Sie dada garniert. Sozusagen dada hors d'oeuvre varié."

    Schwitters beschreibt hier die Krise der Architektur auf dem Weg in die Moderne. Schon seit der "Querelle des Anciens et des Modernes" vom Anfang des 18. Jahrhunderts ist der klassische Kanon als unumstößliches architektonisches Vorbild in Zweifel geraten. Der Historizismus des 19. Jahrhunderts kompensiert diese Unsicherheit in einem Wettkampf der Stile, in dem er mehr oder weniger erfolgreich alte und bekannte Formen übernimmt, appliziert und kopiert. "In welchem Style sollen wir bauen?" fragt 1828 Heinrich Hübsch offensichtlich besorgt von dem drohenden Wirrwarr der architektonischen Sprachen.

    Tatsächlich war die Frage nach dem einen gültigen Stil nicht mehr zu beantworten. Moderne bedeutet letztendlich das Ende einer gültigen architektonischen Instanz. Der Kanon, das zeitlich überdauernde Wertvolle, das Klassische, hat seine Autorität verloren. Es wurde von einem Set historischer Formen abgelöst, die nun als Moden aktualisiert und deaktualisiert werden. Dabei kann man natürlich auf das Klassische zurückgreifen, doch stellt sich dieses selbst als Teil der Mode heraus.

    Was für die Architektur gilt, kann für die gesamte Kultur angenommen werden: Mode und Moderne hängen in einer Art Hass-Liebe aneinander und haben nicht nur zufällig den gleichen Wortstamm, der sich vom lateinischen modus, der Art oder Weise ableitet. Während es vorher ein zeitloses und verbindliches ästhetisches Ideal gegeben zu haben schien, herrscht in der modernen Kultur die Qual der Wahl.

    Dass der Historizismus wild rekombinierte und eklektisch wiederholte, provozierte die nächste Generation von Architekten zu einer Generalabsage an das Historische. Man wollte einen neuen, modernen Stil etablieren und argumentieren. Man wollte eine Art Anti-Stil finden, im Sinne der dadaistischen Antikunst. Dass es eine neue Mode wurde, hat die weitere Geschichte sehr deutlich gezeigt.

    Der deutsche Soziologe Georg Simmel hat als Erster die modische Moderne als ein generelles Phänomen erkannt und beschrieben. Für ihn stellt sie eine Dynamik dar, die über die Kleidermode hinaus die moderne Kultur kennzeichnet. Sie ist ein zeitliches Phänomen, das die Gegenwart als den Kontrast zwischen Vergangenheit und Zukunft, zwischen Alt und Neu bestimmt. Simmel schreibt:

    "Diese Betonung der Gegenwart ist ersichtlich zugleich Betonung des Wechsels, und in demselben Maße, in dem ein Stand Träger der bezeichneten Kulturtendenz ist, in demselben Maß wird er sich der Mode auf allen Gebieten, keineswegs etwa nur auf dem der Kleidung, zuwenden, ja es ist fast ein Zeichen der gestiegenen Macht der Mode, dass sie statt ihrer ursprünglichen Domäne: der Äußerlichkeiten des Sichtragens, mehr und mehr auch den Geschmack, die theoretischen Überzeugungen, ja die sittlichen Fundamente des Lebens in ihre Wechselform hinabzieht."

    Mehr noch: Simmel erkennt an der Figur der Veränderung, dass der Bruch mit der Vergangenheit in der Moderne immer neu zu leisten ist. Die Konzentration auf die Gegenwart wird durch die Forderung nach ständigem Wechsel deutlich. Vergangenheit wird eine Folie, von der man sich abheben muss. Aus diesem Grund erscheint die Moderne als fragmentiert, als nervös und nervenschwach. Der ununterbrochene Wechsel der Moden zeigt sich schonungslos am Nervenkostüm einer Epoche und umgekehrt: je nervöser eine Epoche, umso schneller der Wechsel der Moden.

    Der ungeduldige Rhythmus der Moderne ist nicht nur an der Sehnsucht nach Veränderung abzulesen, sondern auch an der Anziehungskraft der Grenzsituationen zwischen Anfang und Ende. Die Mode verkörpert dabei am besten die Figur der Grenzüberschreitung. Sie bezeichnet die Schwelle von Alt zu Neu, indem sie in ihrer Verbreitung zugleich an Sinn verliert. Die Mode wird durch die Gleichzeitigkeit ihres Beginns und ihres Endes, ihrer Neuheit und ihrer Vergänglichkeit, reizvoll. Dass sie ephemer ist, begründet ihre Anziehungskraft erst. Solange eine Mode up to date ist, erzeugt sie, Simmel zufolge, ein so starkes Gegenwartsgefühl wie nur wenig andere Phänomene der Moderne.

    "Ihre Frage ist nicht Sein oder Nichtsein, sondern sie ist zugleich Sein und Nichtsein."

    Für Walter Benjamin zeigt die Mode am klarsten, wie sich das moderne Leben in vielfältige Ansichten und Ausprägungen aufgesplittert hat. Sie ist das Barometer der Unbeständigkeit, Flüchtigkeit und Aktualität modernen Lebens und zugleich ein Instrument der Ideologie. Auf der einen Seite stellt sie eine Bedrohung für die menschliche Seele im modernen Kapitalismus dar.

    Auf der anderen Seite ist die Mode ein Emblem für Veränderung, für das Streben nach dem Neuen und der Distanzierung von Gegebenen. Benjamin beschreibt die Mode als einen Prozess, der das Neue zum Alten und das Alte zum Neuen macht - nicht im Sinne einer Kontinuität, sondern nur als sprunghaft willkürliches Zitieren, das jede Rekontextualisierung vermeidet:

    "Die Mode hat die Witterung für das Aktuelle, wo immer es sich im Dickicht des Einst bewegt. Sie ist der Tigersprung ins Vergangene."
    "Wer die Mode zu lesen verstünde, der wüsste im voraus nicht nur um Strömungen in der Kunst Bescheid, sondern auch um neue Gesetzbücher, Kriege und Revolutionen."


    Die Mode ist der Rhythmus der modernen Zeit. Für einen Moment lang zeigt sie eine vergangene Form auf eine Weise, die in die Zukunft orientiert ist. Für das Neue zitiert sie aus der Geschichte. In diesem Sinn ist sie der Ersatz einer für die Moderne abgeschlossenen Zeitfolge. Ihre Neigung zum Mythischen interpretiert Benjamin als Widerstand gegen die moderne Rationalisierung und Versachlichung.

    Die Prozesse der Mode etablieren sich außerhalb funktionaler Zusammenhänge. Man kann Mode als ein künstliches System verstehen, in dem Ursache und Effekt nicht gelten. Sie ist irrational, indem sie zugleich Führungsanspruch erhebt und Widerspruch fordert. Widerspruch bedeutet dabei die strategische Grenzüberschreitung, die Negation des Alten, die Neues produziert. Altes, das heißt, etablierte ästhetische Werte werden zugunsten neuer Werte zurückgewiesen.

    Moderne Kultur lässt sich durch die paradigmatische Operation der ständigen Umwertung der Werte beschreiben. Sie kennt nur Grenzen, um diese zu übertreten. Denn die Grenzüberschreitung produziert das Neue als den einzigen stabilen Wert in der Moderne, der immer von einer Avantgarde getragen wird.

    Architektonischer Anti-Stil und dadaistische Antikunst kann man unter dieser Perspektive als Avantgarde-Strategien der Moderne oder als Avantgarde-Strategien der Mode beschreiben. Dass Dada nicht nur die vorangegangene Kunst als stillos ablehnt, sondern allen Prinzipien der abendländischen Kultur widerspricht, zeigt sich besonders in irrational absurden Texten, die moderne Vernunft und Logik an sich unterlaufen. Schwitters schreibt über "die weißlackierte schwarze Tüte":

    "Es war Milch als Emilie einen Nichtraucher. Ausgerechnet einen Nichtraucher! Was war da viel zu überlegen? Emilie litt Sauerkohl. Wie aufstoßender Himbeersaft. Und dabei war das Tischtuch weiß gescheuert. So konnte und durfte es nun nicht mehr weitergehen, das wußte Emilie. Da kam endlich der rettende Gedanke: sie kaufte schwarzen Lack. Eine kleine leer Flasche voll. – Plötzlich nahm sie ein Beil zur Hand und öffnete damit die Flasche. Viel Zeit hatte sie nicht mehr zu verlieren. Darum ließ sie zunächst das Tischtuch weiß und nahm die Büste der Venus zur Hand. Es war eine prachtvolle Büste, Marmor fourniert, nackt, ein ganzes Prachtstück. Emilie lackierte sie spaßeshalber schwarz an. Darauf lackierte sie den Kanarienvogel, und siehe da, als sie ihn wieder in sein Bauer setzte, sang das liebe Tierchen nur noch Negerlieder. Es war einfach erstaunlich. Emilies Mutter glänzte vor Begeisterung wie Fett. Es war einfach erstaunlich, welchen Trost der Lack zu spenden imstande zu sein fähig war. Die ganze Verwandtschaft stand unter Hypnose von dem schwarzen Lack.

    Nun wurde der Mann lackiert. Zunächst lackierte sie seine Finger schwarz. Die Füße waren inzwischen nach innen gekrampft. Die Fingernägel wurden ausrasiert. Das sah so komisch aus, dass die Mutter laut lachen musste. Darum nahm Emilie den Lackpinsel wieder und lackierte jetzt seine Ohrläppchen. Die Ohren selbst wurden kirschrot angestrichen. Ich erwähne das ausdrücklich, weil es nur eine vorübergehende Maßregel war. Später lackierte Emilie auch seine ganzen Ohren schwarz.

    Darauf nahm sie weißen Lack. Zunächst wurde der Rest des schwarzen Lacks weißlackiert. Sie glauben ja gar nicht, wie das bloß aussieht! Es entstand auf diese einfache Weise schwarzlackierter weißer Lack. Aber kein Mensch glaubt es wie das bloß aussieht. Immerhin gab es eine Kreuzung zwischen schwarzem und weißem Lack.

    ( ... )

    Auf diese einfache Weise entstand die Stadt Babylon."


    Man könnte meinen, Emilie hat aus ihrem Nichtraucher einen Dandy in schwarz-weiß gemacht, und das, obwohl sie offensichtlich selbst dem Bürgertum angehört, nicht etwa dem Dada. Oder ist der Dada in diesem Text selbst zum bekämpften Bürgertum geworden? Ist er so etabliert, dass seine Negation in Form einer Groteske wiederum notwendig wird? Ist es diesmal Schwitters strategischer Widerspruch, eine Art Befreiungsschlag?

    Schwitters, der erst spät zum Dada gekommen und vom Club nie voll akzeptiert war, bemerkte bald, dass er sich von dieser Bewegung abheben musste, um als Avantgarde seine eigene Geschichte zu schreiben. Über kurz oder lang war der Dada für ihn die Vergangenheit, die für Dada der Expressionismus gewesen war. Er musste ihn überwinden, um sein eigenes Neues zu schaffen. Der Dada sollte die Folie werden, von der er sich als Figur lösen wollte. Die von Simmel und Benjamin beschriebene Dynamik der Moderne verlangte es, andere Wege einzuschlagen.

    Schwitters geht also auf Distanz, besonders in der späteren Literatur, in der er über Dada schreibt. Während seine frühen Arbeiten noch sehr dem Prinzip der dadaistischen Antikunst verbunden waren, erklärt er unter dem Begriff "Merz" seine Arbeit wieder zur Kunst. Sie versucht das negierte Kunstwerk zu re-installieren und wird dabei zur Antikunst der Antikunst. Der Name "Merz" kommt von seiner Arbeit, die Werbung für "Kommerz und Privatbank" kollagiert. Sie reimt sich auf "Scherz", "Nerz", "Herz" und den Monat März, der für den Neubeginn steht. Die Merz-Ästhetik ist von Anfang an der Versuch, die durch den Dada herbeigeführte Sinnleere zu kompensieren. Schwitters versucht es im Einfachen, im mathematisch Elementaren, in einer Gestalt, die auf konstruktiver Logik und Kreativität basiert:

    "Nun komme ich zu meinem Thema, zu der Bedeutung des Merzgedankens in der Welt. Wenn Sie anderer Ansicht sind, so ist das für Merz gleichgültig, aber Merz, und nur Merz ist befähigt, einmal, in einer noch unabschätzbaren Zukunft die ganze Welt zu einem gewaltigen Kunstwerk umzugestalten."

    Selbst der Dada-Dandy Hausmann verfasst Texte, die auf Opposition zum dadaistischen Künstler gehen. In "Der deutsche Spießer" ärgert sich beschreibt er sich selbst als Antidadaisten, dem der Dadaist noch zu viel Gefühl und Ästhetik besitzt. Er jedoch will sich nur das Recht zu jeder Belustigung herausnehmen, zu jedem Blödsinn, zu jeder ungeheuren Ironie und zum endgültigen Unsinn als Sinn der Welt:

    "Nein, greifen Sie uns nicht an, meine Herren, wir sind schon unsere eigenen Gegner und wissen uns besser zu treffen, als sie. Begreifen Sie doch, dass Ihre Positionen uns völlig gleichgültig sind, wir haben andere Glieder am Leibe. Rühren sie nur aus Leibeskräften die Trommel ihres geistigen Geschäfts, schlagen Sie nur feste auf Ihrem Bauch herum, dass ein Gott sich des Schalles erbarme – wir haben längst diese alte Trommel beiseite geschmissen. Wir dudeln, quietschen, fluchen, lachen die Ironie: Dada! Denn wir sind Antidadaisten!

    Da haben Sie den Salat! Sparen Sie sich Ihre zerschundenen Knochen und nähen Sie Ihre zerrissene Fresse, Sie haben alles umsonst getan! Dass Sie uns nicht an die Wand stellen lassen können, das macht uns feierlich. Und so wollen wir Ihnen denn Ihre Gedärme ausspülen und Ihnen die Bilanz Ihrer feierlichen Werte vorlegen."


    Die Strategie der Negation, der Opposition gegenüber jedem Wert der etablierten Kultur, verbindet alle modernen Kunstbewegungen, nicht nur die "klassische", sondern auch die heutige Avantgarde. Es geht dabei, wie Benjamin für die gesamte Kultur festgestellt hat, um das Neue im Gegensatz zum Alten. Er bemerkt jedoch das Dilemma dieser Haltung: Wenn das Neue dazu bestimmt ist, alt zu werden, also in ihr Gegenteil verkehrt zu werden, dann kann das Alte auch zum Neuen werden. Nur ein Tigersprung ist dafür nötig.

    Während die Merz-Kunst auf Distanz ging zu ihrer jüngeren Vergangenheit, konnten sich spätere Bewegungen wieder auf Dada beziehen. Der Situationismus der 1950er-Jahre knüpfte direkt an das Modell der dadaistischen Revolte an. Als aktivistische Künstlergruppe strebte er mit der politischen Radikalisierung der avantgardistischen Ideen die Auflösung von Kunst und Kultur in einer kapitalistischen Gesellschaft an. Gegen die Entfremdung des Individuums in einer massenmedial bestimmten Bilderwelt setzte er auf subversive Praktiken des Spiels, der Zweckentfremdung und der Wiederaneignung.

    Der Punk der 1970er-Jahre greift die dadaistische Vorliebe für das Dilettantische auf und wendet sich mit aller Konsequenz gegen das konservative Bürgertum. Der Neoismus, ein Netzwerk künstlerischer Aktionisten und Medienexperimentatoren, parodiert, - ähnlich wie der Dada 60 Jahre zuvor, das Kunstsystem als solches.

    Benjamin hat diese moderne Kultur als eine Fantasmagorie der Zeit beschrieben. Eine Zeit der Zocker und der Mädchen, eine Zeit des zwanghaften Spiels. Eines Spiels, das sich in ein Rauschgift verwandelt hat, für alle die daran teilnehmen. Dabei sind es die Zocker, die versuchen, den nächsten Zug zu antizipieren und die Mädchen, die immer mit dem Tempo der Mode mithalten wollen. Beide handeln auf riskant absurde Weise, sind aber die Dandys einer endlosen modischen Moderne.